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Archiv "Härtere Etat-Kürzungen oder noch höhere Steuern: Die Kernbereiche der sozialen Sicherung sind aus allen Einsparungsüberlegungen (noch) ausgeklammert" (25.09.1975)

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72. Jahrgang / Heft 39 25. September 1975 Postverlagsort Köln

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DEUTSCHE S

Die Information:

Bericht und Meinung

ÄRZTEBLATT

Ärztliche Mitteilungen

Herausgeber: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung

Härtere Etat-Kürzungen oder

noch höhere Steuern

Die Kernbereiche der sozialen Sicherung sind aus allen Einsparungsüberlegungen (noch) ausgeklammert

Die Bundesregierung ist, wie vorauszusehen war, mit ihrer Wirt- schafts- und Finanzpolitik in einen schweren Zielkonflikt geraten.

Einerseits muß sie alles tun, um die Konjunktur vor einem noch tieferen Sturz in das Tal der Rezession zu bewahren; andererseits zwingt die Finanzlage des Staates zu einer Politik der äußersten Sparsamkeit. Die Ärzte in freier Praxis haben als eine der ersten Berufsgruppen einen Sparsamkeitsbeitrag geleistet; Sparmaßnah- men in den Krankenhäusern sind in der Diskussion. Aber — spart auch der Staat? Können es die verantwortlichen Politiker vor ihren Parteien und Wählern riskieren, ernsthaft „Sparen" vorzuschla- gen, ohne den Vorwurf der „sozialen Demontage" gewärtigen zu müssen? Heißt „Sparen" in dem erforderlichen Umfang in letz- ter Konsequenz aber nicht doch „Demontage" — Demontage frei- lich in dem positiven Sinn, das Staatsschiff nicht durch Überlastung zu gefährden?

Helmut Schmidt hofft ganz offensichtlich noch, mit seinem vierten Konjunkturprogramm in Höhe von rund 5,7 Milliarden Mark über den Winter zu kommen, um dann im Frühjahr 1976 Anschluß an eine sich langsam verbessernde Weltkonjunktur zu finden. Das könnte ihn über den Wahltag im Herbst 1976 bringen. Die Anlage des Konjunkturprogramms, die Spar- und

Steuererhöhungspläne sowie Schmidts internationale Aktivitäten

lassen diese

politische

Strategie deutlich erkennen. Die Opposition hat Schmidts Pläne durchschaut, was ihr hartes Nein zu den Steuerplänen der Koalition erklärlich macht. Schmidt hatte wohl

darauf gesetzt, daß das finan- zielle Eigeninteresse der Bundesländer —

sie würden von 1977 an ein knappes Drittel der zusätzlichen Mehrwertsteuer-Einnahmen aus einer Erhöhung dieser Steuer von 11 auf 13 Prozent erhalten

— diese letztlich doch zur Zustimmung zu den Steuererhöhungen veranlassen könnten. Nun droht Schmidt mit seinem den Bürgern abverlangten Notopfer selbst in Not zu geraten. Bleibt abzuwarten, was daraus wird.

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Heft 39 vom 25. September 1975 2667

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Die Information:

Bericht und Meinung

Höhere Steuern — oder mehr sparen

Schmidt hat es mit dieser seiner Flucht in die bislang massivste Steuererhöhung der Opposition leicht gemacht, sich querzulegen.

Ein überzeugendes Sparprogramm, verknüpft mit Maßnahmen zur Stärkung der Investitionsfähigkeit und Investitionsbereitschaft der Unternehmen hätten CDU und CSU nicht ablehnen können. Dann wäre nicht nur das ökonomisch und fi- nanzpolitisch Richtige geschehen;

der Kanzler hätte sich zugleich im Wahljahr einen politischen Vor- sprung verschafft. Schmidt glaubte aber gewiß, sich und der SPD mit dem Blick auf den Parteitag im No- vember kein härteres Austerity- Programm, keine durchgreifendere Abmagerungskur bei den laufen- den Ausgaben zumuten zu können.

Politisches Wohlverhalten — bis nach der Wahl?

Der linke Parteiflügel hält schon jetzt mit Kritik an der Regierung nicht zurück. Die Gewerkschafts- spitze, die Schmidt sogar vor der SPD-Fraktion und vor dem Bundes- destag über die Kabinettsbeschlüs- se unterrichtete, wird sich wohl mit massiver Kritik zurückhalten, frei- lich nur bis zum Wahltag. Für den Herbst 1976 (sic!) hat der DGB- Vorsitzende Alternativvorschläge zur geplanten Steuererhöhung an- gekündigt. Die Gewerkschaften werden also nach der Wahl den Wechsel für politisches Wohlver- halten präsentieren.

Das Programm der Regierung ent- hält eine Fülle von Risiken und Schwächen, womit es sich schon bald als unzureichend erweisen und die Regierung zu neuen Be- schlüssen zwingen kann. Das gilt vor allem für folgende Punkte:

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Alle Zahlen über Haushalt und Finanzplanung beruhen auf der An- nahme, daß es spätestens vom Frühjahr 1976 an mit der Konjunk- tur kräftig aufwärts geht. Das So- zialprodukt soll 1976 und in den folgenden Jahren jeweils um 9,5 Prozent nominal und real um knapp 5 Prozent steigen. Wenn auf

der Basis dieser gewiß günstigen Erwartungen im Bundesetat ein Defizit von 40 Milliarden Mark ver- bleibt, so ergeben sich daraus zwei mögliche Konsequenzen:

Geht die Bonner Rechnung auf, so ist das Defizit nicht zu den heuti- gen Zinssätzen am Kapitalmarkt zu decken. Die Sparer würden dann nämlich wieder mehr verbrauchen, und die Unternehmen brauchten für ihre Investitionen Kapital. Ei- nem sinkenden Kapitalangebot stünde eine wachsende Nachfrage gegenüber. Steigende Zinsen wür- den die Rahmenbedingungen für den Aufschwung verschlechtern, ehe dieser richtig begonnen hät- te.

Wird aber das projektierte Wachs- tum nicht erreicht, so werden die Defizite des Bundes sehr rasch auf 50 bis 60 Milliarden Mark steigen.

Fazit: Für den Haushalt 1976 gibt es kein tragfähiges Finanzierungs- konzept.

Auch die Finanzplanung für 1977 steht auf unsolidem Boden.

Zwar wird ein Rückgang des Defi- zits auf 22 Milliarden Mark ange- kündigt. Das ergibt sich rein rech- nerisch aus den drastischen Steu- ererhöhungen, den vorgesehenen Kürzungen und einer angenomme- nen Zuwachsrate bei den Ausga- ben von nur drei Prozent. Eine sol- che Zuwachsrate ist jedoch ganz und gar unrealistisch; sie setzt (abermals) drastische Eingriffe in das öffentliche Leistungsrecht vor- aus. Aber selbst dann verbliebe ein Defizit, das, gemessen an früheren Jahren, noch immer viel zu groß ist. Karl Schiller weigerte sich 1972, als er zurücktrat, Defizite von mehr als zehn Milliarden Mark („nur" zehn müßte man heute fast sagen) in die Finanzplanung einzu- stellen. Er hat damals zu Recht, aber vergeblich gewarnt.

Fazit: Selbst die drastischen Steu- ererhöhungen würden nicht ausrei- chen, um mittelfristig die Staatsfi- nanzen zu konsolidieren. Die Sa- nierung soll in Raten erfolgen. Der

kräftigste Schnitt wird jedenfalls nach dem Wahltag 1976 fällig.

Der erste Schritt zur Konsoli- dierung der Finanzen geht eindeu- tig zu Lasten der Steuerzahler — und das, obwohl die Fehlentwick- lungen doch bei den Ausgaben zu suchen sind! Folgende Zahlen be- weisen dies: Für 1976 werden die vorgesehenen Kürzungen mit 6,7 Milliarden Mark beziffert, die ge- samten Mehreinnahmen sind aber mit rund 17 Milliarden Mark anzu- setzen. Die Relation verschlechtert sich in den Jahren danach noch weiter auf Kosten der Steuerzahler.

Bei all diesen Berechnungen wird zudem übersehen, daß auch die staatlichen Etats fühlbar von den Preissteigerungen im Gefolge von Steueranhebungen betroffen wer- den. Nach seriösen Schätzungen geht die Hälfte der Mehreinnahmen wieder verloren. Dies wird in der Finanzplanung nicht berücksich- tigt.

Fazit: Über Steuererhöhungen kann der Staatshaushalt nachhaltig nicht saniert werden. Die Koalition aber will diesen Weg gehen.

Größere Investitionsbereitschaft trotz höherer Steuern?

0 Die Regierung verspricht den Unternehmern, sie nicht mit Steu- ern zusätzlich zu belasten. Wirt- schaftsminister Friderichs hatte so- gar Steuererleichterungen in Aus- sicht gestellt, zur Erleichterung des Aufschwunges richtig. Die Wirk- lichkeit sieht anders aus. 1976 wer- den die Beiträge zur Arbeitslosen- versicherung um einen Prozent- punkt auf drei Prozent des Arbeits- entgelts erhöht. Das bringt vier Milliarden Mark ein, die zur Hälfte die Arbeitgeber aufzuwenden ha- ben. Da bei der schlechten Kon- junktur kaum damit zu rechnen ist, daß diese Belastungen ohne weite- res über den Preis weitergewälzt werden können, so ergibt sich eine fühlbare Mehrbelastung der Unter- nehmen. Auch die Mehrwertsteuer wird nicht sogleich von allen Un- ternehmen den Verbrauchern an-

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gelastet werden können. Auch in diesen Fällen ginge das zu Lasten der Erträge. Das geht nicht nur die Unternehmer an; jeder, auch jeder Arzt, wird letztlich die konjunktu- rellen Folgen spüren, die aus feh- lender Investitions" !ust" resultie- ren (von seiner eigenen Investi- tionsbereitschaft ganz zu schwei- gen).

Fazit: Die Kabinettsbeschlüsse ver- schlechtern die Bedingungen des Aufschwungs. Sie verringern ent- weder die Ertragskraft der Unter- nehmen oder führen zu Preisstei- gerungen in Höhe von etwa 1,5 Prozent, was nicht ohne Rückwir- kung auf die folgenden Tarifrunden wäre.

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Die Regierung hat die Kernbe- reiche der sozialen Sicherung (die natürlich die Ärzte in wesentlichen Teilen besonders berührt und in Zu- kunft vielleicht noch mehr tangie- ren wird) aus allen Kürzungsüber- legungen ausgeklammert, obwohl diese finanziell eng mit dem Bun- desetat verklammert sind und die Abgabenbelastung der Arbeitneh- mer wesentlich bestimmen. Abstri- che werden am Arbeitsförderungs- gesetz, bei der Krankenhausfinan- zierung, bei der Ausbildungs- und Graduiertenförderung und bei der Sparförderung vorgenommen. Auf die fällige Anhebung des Wohngel- des wird verzichtet. Das scheinen notwendige Schnitte zu sein.

Die eigentlich kostenträchtigen Be- reiche der Sozialpolitik werden (bisher) nicht zur Diskussion ge- steift.

Keine "Demontage"

der Sozialleistungen?

..,.. Hier wird die Linie sichtbar:

Man will den Eindruck vermitteln, daß die soziale Sicherung nicht an- getastet würde. Nur "Wildwuchs"

wird beschnitten; die Reformen werden reformiert. Auf der Strecke werden daher auch alle Vorschläge bleiben, die nach "Demontage"

des sozialen Leistungsrechts aus- sehen. Damit scheint auch dem

Thema der sogenannten "Selbstbe- teiligung" der Versicherten eine Absage erteilt zu sein, das von der FDP ins Gespräch gebracht wor- den war. Vielleicht wird es noch eine Erhöhung der Rezeptgebühr von derzeit 2,50 DM geben oder eine gesetzliche Begrenzung der Zuschüsse beim Zahnersatz. Wich- tiger wäre es dagegen, Klarheit über die Finanzierung der Rentner- Krankenversicherung zu schaffen.

..,.. Niemand sollte sich jedoch täu- schen: Nach dem Wahltag 1976 wira das System der Bundeszu- schüsse zu den verschiedenen Be- reichen der Alterssicherung eben- so zur Diskussion stehen wie zum

Banner BparOeschKine:

Droht auch Demontage des Sozlalsystems?

Beispiel das System der Rentenan- passungen. Arendt denkt jedenfalls schon heute über die Rentenformel nach, zunächst noch mit dem Ziel, die Kleinrentner besser zu bedie- nen. Daraus könnte dann sehr rasch eine "Aktion Sparen" auf Ko- sten der Bezieher höherer Renten werden.

Fazit: Die Regierung erklärt einer- seits den Sozialbereich für tabu, scheut sich aber andererseits nicht, selbst die ärmsten Bürger über die Mehrwertsteuer kräftig be- lasten zu wollen. Dieser Wider- spruch ist nicht aufzulösen.

Die Information:

Bericht und Meinung

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Die Kabinettsbeschlüsse haben auch die politische Gewichtsvertei- lung in unserem Land deutlich ge- macht. Schmidt hat sich leicht über die Wünsche der FDP, jedenfalls so wie sie monatelang in der Öf- fentlichkeit vorgetragen wurden, hinweggesetzt. Die Steuern werden erhöht, beim Kürzen werden vor al- lem die Beamten (zuständig FDP- Innenminister Maihofer) und die Bauern (zuständig FDP-Landwirt- schaftsminister Ertl) zur Ader ge- lassen, das System der sozialen Si- cherung (zuständig SPD-Sozialmi- nister Arendt) gilt als tabu, die Un- ternehmen (zuständig FDP-Wirt- schaftsminister Friderichs) werden belastet und nicht entlastet, und bis heute gibt es kein mittelfristi- ges Programm zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für das wirtschaftliche Wachstum. Die FDP scheint demnach geschwächt aus dieser Runde hervorzugehen.

Keine wesentliche Ausweitung der Bonner Sparpläne?

Deutlich wird, daß in dieser Frage allein die CDU/CSU Schmidt korri- gieren könnte, unmittelbar jeden- falls über den Bundesrat. Sie wird die Mehrwertsteuererhöhung torpe- dieren. Das bedeutet freilich noch nicht, daß sie Schmidt auch zwin- gen kann, die Sparpläne wesent- lich auszuweiten. Für die Union steht die Nagelprobe aber noch bevor. Sie wird sich gegen Schmidt nur behaupten können, wenn sie in diesen finanz-, Wirtschafts- und so- zialpolitischen Fragen Geschlos- senheit beweist.

Für die Regierung brächen freilich schwere Zeiten an, wenn die Re- zession noch tiefer ginge und der Aufschwung weiter auf sich warten ließe oder wenn die Überforderung des Kapitalmarktes durch den Staat zum Kollaps an den Finanz- märkten führen würde. Die ökono- mischen Risiken sind für die Regie- renden vorerst größer als die politi- schen. Die Erfahrungen zeigen al- lerdings, daß Wirtschaftskrisen frü- her oder später immer auch politi- sche Brisanz erreichen. wst/DÄ

DEUTSCHES ARZTEBLA'IT

Heft 39 vom 25. September 1975

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