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Archiv "Zwangsphänomene nach Entzug des Führerscheins auf Lebenszeit" (19.06.1975)

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Jährlich wird eine nicht unerhebli- che Anzahl von Menschen in der Bundesrepublik durch Urteile der Ordentlichen und Verwaltungs-Ge- richte für ungeeignet erklärt, ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Stra- ßenverkehr zu lenken, und durch den Entzug der Fahrerlaubnis auf Lebenszeit von der Teilnahme am Straßenverkehr ausgeschlossen (vgl. Tabelle 1). In Anbetracht der Tatsache, daß das Führen eines Kraftfahrzeuges heute in den zivili- sierten und hochtechnisierten Län- dern kein Luxus, sondern eine be- rufliche Notwendigkeit, ja sogar eine existentielle Erfordernis sein kann, wurden anhand von neurolo- gisch-psychiatrischen und psycho- logischen Untersuchungen der Be- troffenen*) Erkenntnisse gewonnen, welche auch von der Warte der Verkehrsmedizin und der Sozial- pädagogik nicht ohne Bedeutung sein dürften. Der Entzug der Fahr- erlaubnis auf Lebenszeit, der ja dem Schutze der Allgemeinheit und der Sicherheit im Straßen- verkehr dienen soll, erweist sich als eine durchweg ungeeignete Maßnahme, die darüber hinaus in zahlreichen konkreten Einzelfällen verfassungswidrig ist.

*) Im Rahmen gerichtlich angeordneter Begutachtungen über die Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges im öffent- lichen Straßenverkehr.

• Aus vielen Gründen, die hier kurz erörtert werden, ist daher die Abschaffung des lebenslänglichen Entzuges der Fahrerlaubnis drin- gend zu empfehlen.

Es ist bekannt, daß das Führen ei- nes Kraftfahrzeuges im öffentlichen Straßenverkehr ohne eine gültige Fahrerlaubnis gemäß § 21 StVG mit Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe belegt werden kann. Dies gilt sowohl für diejeni- gen Personen, deren Führerschein gemäß §§ 42 m und Strafgesetz- buch (StGB) einbezogen worden ist, als auch für Kraftfahrer, denen nach § 25 Straßenverkehrsgesetz (StVG) oder § 37 StGB das Führen eines Kraftfahrzeuges für eine be- stimmte Dauer untersagt wurde.

Bei Zuwiderhandlungen werden die Täter in der täglichen Rechtspraxis der Gerichte mit Geldstrafen und einer Verlängerung der Sperrfrist für den bereits in früheren Ver- fahren entzogenen Führerscheins belegt.

Bei Wiederholungen tritt an die Stel- le der Geldstrafe eine Freiheitsstra- fe — beim ersten und unter Umstän- den beim zweiten Male mit Bewäh- rung — und eine noch längere Sperrfrist für den Erwerb eines neu- en Führerscheins.

der Kritik, die als böswillige Ent- stellung abzukanzeln sowohl sach- lich falsch als erst recht töricht wäre. Die Welt ist in Unordnung — wie könnte die Medizin in Ordnung sein? Aber ihre Unordnung ist we- der das Resultat menschlicher Nie- dertracht noch eines grundsätzli- chen Irrtums ihrer Prinzipien. Ihre Häresien send umfangreich, aber reparabel. In solcher Situation sich gegen die Kritik als eine unzu- mutbare Einmischung aufzulehnen hieße, sich mit den historisch ge- wordenen, also auch kausal be- dingten Fehlern zu identifizieren, statt sie zu beseitigen.

Eine Ärzteschaft, die sich der schiefen Lage, in die sie geraten ist, weithin längst bewußt wurde, sollte auch in ihren Spitzenvertre- tern die Dinge beim Namen nennen und das Gewordene evolutionär zu verbessern helfen. Keiner von uns ist im Besitz der ganzen Wahr- heit.

Die Aufgabe der Zukunft wird sein, mindestens das Bewußtsein für den häretischen Charakter alles menschlichen Tuns und also auch der Heilkunde zu wecken. Aus sol- cher Erweckung fließt schon ein gerütteltes Maß an Therapie. Nur wenn wir Ärzte auf dem Irrtum be- harren, daß alles in Ordnung ist, maßen wir uns zu viel an von den Gerechtigkeiten dieser Welt. Dann, aber auch nur dann wird uns die Nemesis treffen, die Rache der Götter, die uns Illich androht.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Hans Schaefer 6900 Heidelberg 1

Im Neuenheimer Feld 326

Zwangsphänomene

nach Entzug des Führerscheins auf Lebenszeit

Amir Arbab-Zadeh

Tausenden wird jährlich die Fahrerlaubnis auf Lebenszeit entzogen.

Begründet wird diese Maßnahme mit dem Schutz der Allgemeinheit und der Sicherheit im Straßenverkehr. Trifft diese Begründung je- doch zu? Der Autor versucht nachzuweisen, daß der Entzug auf Le- benszeit nicht die erhoffte Wirkung zeitigt.

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Zwangsphänomene nach Entzug des Führerscheins

Tabelle 1: Klassifizierung der Probanden nach Beruf und Ausbildung im Vergleich

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Beruf

Verteilung in Prozent

Entzug der Fahrerlaubnis

0 0 0 C 0 0

3 N

0 -0 N

C 0 CO s.-

C\I -0 coti

V- CY) CD N C1 al CC LL

VIII

VI VII

III IV

V

58,40

Arbeiter

80.580

(63,10) + 6,1

63,1

37,40

Facharbeiter

(Berufsfahrer) 30

63

39

21

24

9 27,70 7

Fachhandwerker 2 6,52

+ 6,6

1

3 20,9

29.580 (20,90)

2 2,83

27,00

1 0,91 Angestellte

Selbständige

(Handelsvertreter) 1

5

Angestellte 2

2

- 1,82

16.416 (11,80)

1 0,91

Beamte 1 1 1

22,40

11,8

+ 7,3

Selbständige

(Kaufleute) 1

6.058 (4,20)

Nichterwerbstätige

oder unbekannt

13,20

4,2

+ 7,6

132.634

100

+ 7,2

Zusammen: 108 67

41

100

100

Diejenigen, welche in kurzer Zeit- folge immer wieder einschlägig in Erscheinung treten, müssen einer- seits wegen der Bildung von Ge- samtstrafen mit mehrjährigem Frei- heitsentzug rechnen, und anderer- seits verlieren sie ihre Fahrerlaub- nis auf Lebenszeit. Beide Maßre- geln, d. h. die mehrjährige Frei- heitsstrafe und der Entzug der Fahrerlaubnis auf Lebenszeit, stel- len im System unseres Strafrechts und in der freiheitlich-rechtsstaatli- chen Grundordnung eine im Ver-

gleich zu anderen Delikten so harte Bestrafung dar, daß man sich ver- anlaßt sehen muß, nach den Grün- den oder Ursachen zu forschen, welche Jahr für Jahr viele Men- schen mit derart harten Maßregeln konfrontieren.

Zur Veranschaulichung der Proble- matik sei hier erwähnt, daß zum Beginn dieses Jahres, als in Essen ein Düsseldorfer Rechtsanwalt we- gen räuberischer Erpressung, Men- schenraub, Freiheitsentzug, Geisel-

nahme usw. eine Freiheitsstrafe von acht Jahren erhielt, obwohl — das sei nur beiläufig erwähnt — die Hälfte der sieben Millionen DM er- preßter Gelder immer noch nicht aufzufinden sind, in Düsseldorf ein fünffacher Familienvater mit labiler, wenig differenzierter Persönlich- keitsstruktur und einigen psycho- pathischen Wesenszügen wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in mehreren Fällen und im Rückfall nach einer Gesamtstrafenbildung zu fünfeinhalb Jahren Freiheitsstra-

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fe und Entzug der Fahrerlaubnis auf Lebenszeit verurteilt wurde.

Diese und ähnliche Erfahrungen, wie sie auch im Rahmen der foren- sisch-medizinischen Prüfung sowie Begutachtung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit derartiger Delin- quenten in den letzten zehn Jahren gewonnen wurden, und die Tatsa- che, daß jeder Führerscheininha- ber weiß oder wissen muß, welche sozialen, finanziellen und zum Teil auch beruflichen Konsequenzen der Entzug der Fahrerlaubnis mit sich bringt, waren Anlaß, bei der Suche nach Gründen und Ursa- chen solcher Verfehlungen eine genaue Analyse der Persönlich- keit dieser Täter aus psychia- trisch-neurologischer Warte unter Anwendung von zusätzlichen psy- chologischen Testmethoden durch- zuführen.

Zwei Tätergruppen

Allein auf Grund des Studiums der jeweiligen Gerichtsakten ergab sich zunächst eine leicht über- schaubare Teilung der Delinquen- ten in zwei Hauptgruppen:

CD In der einen Gruppe können diejenigen Täter zusammengefaßt werden, welche überhaupt nie im Besitze einer Fahrerlaubnis waren.

Es handelt sich um Personen, die schon als Jugendliche oder Heran- wachsende teils als Autofans, teils im Rahmen ihrer Berufsausbildung bei Tankstellen oder Autowerkstät- ten bei heimlichen Spritztouren von der Polizei erwischt wurden und vom Richter — völlig verfehlt

— neben einer Jugendstrafe auch mit einer Sperrfrist für die Ertei- lung einer Fahrerlaubnis belegt wurden, innerhalb derer die Ver- waltungsbehörde dem Betroffenen keine Fahrerlaubnis erteilen dürfte.

Diese Jungen geraten dann auto- matisch in den Circulus vitiosus der zu erwartenden Entwicklung, nämlich weitere heimliche Autotou- ren, Erwischtwerden von der Poli- zei, Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft, Gerichtsver- handlung und Verhängung schärfe- rer Strafen und längerer Sperrfri- sten, und dann erneut wieder die

gleiche Tat mit ihren gleichen Fol- gen, bis schließlich das Stadium der lebenslänglichen Sperre der Fahrerlaubnis erreicht wird.

0 Die zweite wesentlich größere Gruppe — das Zahlenverhältnis zur Gruppe 1 = 25 : 1 — bilden Personen, deren Führerschein we- gen Straftaten im Straßenverkehr, in der Regel wegen Trunkenheit am Steuer, Unfallträchtigkeit, Fah- rerflucht usw. eingezogen worden ist und die wegen Wiederholung des gleichen oder eines ähnlichen Deliktes das Stadium des lebens- länglichen Entzuges der Fahrer- laubnis erreicht haben.

Auswertung der Befunde bei 108 Probanden

Aus dieser Gruppe wurden die Be- funde bei 108 Probanden ausge- wertet, welche auf ihre strafrechtli- che Verantwortlichkeit oder auf ihre Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges begutachtet wur- den, wobei die Ergebnisse von Un- tersuchungen an den Probanden zusammengestellt und ausgewertet wurden, bei denen keine Sucht- krankheit und keine sonstige psy- chische oder somatische Erkran- kung eindeutig diagnostiziert wer- den konnte!

Aus der soziologischen Warte ge- sehen, war zunächst eine Gruppie- rung nach Berufszweigen von Inter- esse, wobei die Relevanz zwischen Beruf und Bildung besonders her- ausgestellt wurde.

Wie aus Tabelle 1 zu entnehmen ist, kommen die meisten Proban- den aus der Gruppe der Hilfsschul- oder Volksschulabsolventen, wäh- rend die Zahl der Probanden bei Facharbeitern bereits abzunehmen beginnt und Probanden mit höherer Schulbildung — Abiturienten und Akademiker — sehr selten vor- kommen. In diesem Zusammen- hang ist jene Parallele interessant, welche beim Vergleich dieser Zah- len mit denjenigen des Statisti- schen Bundesamtes bzw. denen des Kraftfahrzeugbundesamtes zu finden ist. Von den 132 634 Füh- rerscheinsperren im Jahre 1972

waren 80 580 Führerscheininhaber Arbeiter, d. h. über 63 Prozent bei einem Bevölkerungsanteil von 37,4 Prozent. Bei Gegenüberstellung zu dem Anteil der Führerscheininha- ber nach Bevölkerungsgruppen er- weist sich die aus den Unterlagen gewonnene Zahl von 86,1 Prozent als weitaus höher als bei anderen Bevölkerungsgruppen (siehe Ta- belle 1/V-VII).

Unter 41 Probanden, welche mit ei- ner Sperre der Fahrerlaubnis auf Lebenszeit belegt wurden (siehe Tabelle 1/111), fanden sich nach aus- führlicher anamnestischer Erhe- bung, körperlicher Untersuchung einschließlich Augenhintergrund, Geruchtest, EEG-Aufzeichnung, Röntgenaufnahmen usw. und nach neurologisch-psychischer Befund- erhebung lediglich bei 13 Personen Anzeichen eines hirnorganischen Psychosyndroms, dessen ätiologi- scher Zusammenhang mit chroni- schem Alkoholismus zwar vermutet werden mußte, es war jedoch wegen geringer Ausprägung der Sympto- matik die Feststellung eines foren- sisch bedeutsamen Krankheitsbil- des, etwa einer Enzephalopathie nach Wernicke, eines Korsa- kow-Syndroms, nicht möglich.

Bei weiteren elf Probanden wurde ein ständiger oder periodischer Medikamentenmißbrauch, vorwie- gend Analgetika, Hypnotika und Stimulantien, festgestellt. Die klini- sche Symptomatik reichte bei die- sen Probanden nicht aus, eine To- xikomanie mit Krankheitswert anzu- nehmen.

Wie nicht anders zu erwarten, war eine deutliche Trennung zwischen den Probanden mit Alkoholmiß- brauch in der Ätiologie und denje- nigen mit ständigem oder periodi- schem Drogenkonsum kaum zu er- zielen. Vielmehr waren die Über- gänge so fließend, daß diese hier erfolgte Trennung auf Grund der anamnestischen Erhebungen und klinischen Symptomatik erfolgte und einen relativen Charakter hat.

Ganz gewiß haben aber die Unter- suchungen bei den restlichen 17 Probanden weder einen Anhalts- punkt für Alkoholmißbrauch noch

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Zwangsphänomene nach Entzug des Führerscheins

Tabelle 2: Persönlichkeitsbilder

Arznei und oder

Alkoholmißbrauch Versuch einer Typologie

Labil - depressiv

13 Alkohol

Gemütsarm / Triebarm

11

N

17

Analgetika Hypnotika Stimmulantien Psychopharmaka Psychodysleptika

Haltschwach

Affektiv

Schizoid Haltlos

Hyperthym

Geltungssüchtig

Explosiv

Aggressiv

Anankastisch

Neurotisch

für irgendwelchen Tablettenkon- sum ergeben. (Siehe auch dazu Ta- belle 2).

Ergebnisse der Untersuchung Die Ergebnisse der testpsychologi- schen Untersuchungen — es wur- den Hawie, progressiver Matrizen- test von Raven, Rorschach- und Benton-Test durchgeführt — las- sen bei keinem der 41 Probanden irgendwelche Störungen der Intelli- genzfunktionen oder Zeichen einer hirnorganischen Schädigung fest- stellen. Vielmehr haben die Pro- banden jeweils sowohl in quantita- tiver als auch in qualitativer Hin- sicht eine für die jeweilige Alters- gruppe im Durchschnitt liegende Leistung aufgebracht; bei 14 der Probanden waren die Leistungen jedoch sogar überdurchschnittlich.

Zweifelsfrei zeigten aber alle Pro- banden, ohne Ausnahme, psycho- pathische Persönlichkeitszüge, welche nicht zuletzt bei den wie- derholt erfolgten Explorationen

herauskristallisiert wurden. Es wur- den ebenso hyperthyme Per- sönlichkeitsstrukturen mit fröhli- cher Grundstimmung, lebhaftem aber naivem Selbstgefühl unter den Probanden festgestellt, wie auch gemütslose, zugleich gel- tungsbedürftige, exzentrische Cha- rakterbilder. Bei sieben der Pro- banden wurde eine an und für sich sensitive Persönlichkeitsgrund- struktur mit übertriebener Gewis- senhaftigkeit und Hang zur Prinzi- pienreiterei beobachtet mit ausge- prägter selbstkritischer Einstel- lung und Schuldgefühl, welche aber mit einer anankastischen, zu- gleich explosiblen Verhaltensweise überlagert wurde. Aufschlußreicher waren in diesem Zusammenhang die Teile der Explorationen, welche sich auf Erörterung der Tat oder der Taten bezogen.

Während die meisten der Proban- den auf die Frage, weshalb sie im- mer wieder ohne Fahrerlaubnis fahren, obwohl sie mit verhältnis-

mäßig höheren Strafen rechnen müßten, rationale Motive angege- ben hatten, wie zum Beispiel exi- stenzielle Notwendigkeit, um Geld zu verdienen oder die Familie zu ernähren, haben die zuletzt ge- nannten sieben Probanden andere, mehr oder minder irrationale, Be- weggründe angegeben.

Ein 38jähriger Fliesenleger, der wie eingangs erwähnt, eine fünfeinhalbjäh- rige Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, schildert seinen Drang zum Autofahren mit den Worten: „Ohne Wagen fühle ich mich gefesselt und seelisch be- drückt. Ich hole mir Mut, indem ich et- was trinke und danach bin ich wie ge- löst und nach einer Autotour fühle ich mich wieder wohl."

Ein 42jähriger Fuhr- und Abbruchunter- nehmer, der vorwiegend wegen Fah- rens ohne Fahrerlaubnis eine sich sum- marisch gebildete längere Freiheitsstra- fe zu verbüßen hat, verfügt über einen großen Fuhrpark mit entsprechenden Kraftfahrern und ist finanziell sehr gut gestellt. Er kaufte sich alle zwei bis drei Monate einen anderen Pkw, um von der Polizei, die ihn und sein Fahr- zeug inzwischen bestens kennt, uner- kannt zu bleiben. Er steht des öfteren,

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wie er wörtlich sagt, "zwischen Angst und Drang zum Fahren." Nicht selten verdrängt er seine Angst mit Valium-Ta- bletten in der Absicht, danach eine Au- totour zu unternehmen.

Ein 36jähriger Facharbeiter, der bereits sechsmal innerhalb von drei Jahren we- gen Fahrens ohne Fahrerlaubnis be- straft worden ist, holt seinen Pkw jede Woche mehrmals aus der Garage, wäscht ihn gründlich und bekommt plötzlich Lust - so ist seine Einlas- sung - einmal um das Quadrat zu fah- ren.

Ein ebenfalls 36jähriger Abteilungsleiter hat eine Garage 65 km von seinem Wohnort entfernt gemietet, wo er sei- nen Pkw abgestellt hat. in unregelmäßi- gen Abständen, jedoch nicht selten wäh- rend seiner Arbeitszeit, entschließt er sich, mit der Bundesbahn zu seiner Ga- ra9e. zu fahren, um wie er wörtlich sagt,

"em1ge Runden zu drehen." Alle diese

Probanden sind sich über die schweren Folgen ihrer Handlungen im klaren; sie können es einfach nicht Jassen; sie drehen durch, wie sie meist zu sagen pflegen.

Nicht selten kommt im Laufe einer Exploration zum Vorschein, daß manche Fahrten lediglich aus den Gründen des Prestiges oder des falsch verstandenen sozialen ·Be- wußtseins unternommen werden.

Ein Besuch bei einem Arbeitskolle- gen, der Wochenendausflug ins Grüne, der Einkauf in der Stadt ohne eigenen Pkw wird als soziale Diskriminierung empfunden. Unter Berücksichtigung der Persönlich- keitsstruktur dieser Täter wäre si- cher nicht verfehlt, wenn man neu- rotische Zwangsphänomene in der Vorstellung und Handlungsweise dieser Menschen zu erkennen glaubt.

Wenn auch derartige Vorstellungs- bzw. Handlungszwänge, wenn sie isoliert betrachtet werden, keinen Krankheitswert haben, so dürfte ihre forensisch-kriminologische und psyche-soziologische Bedeu- tung nicht außer acht bleiben. Der Besitz und das Führen eines Per- sonenwagens gehören in unserem motorisierten Zeitalter schon längst zu den Zeichen des individu- ellen sozialen Geltungsbewußt- seins und sind Ausdruck und Sym- bol des Wohlstandes. Nicht von un- gefähr erklärt der ADAC im Heft Juni/1973 seiner Zeitschrift "Motor- welt" unter Bezugnahme auf die ver- stärkte Anstrengung zur Verbesse-

rung der öffentlichen Verkehrsmit-

tel, "daß das eigene Auto wesentli-

cher Bestandteil besserer Lebens- qualität ist". Zugleich gehört der private Personenwagen auch zu den Gebrauchs- und Bedarfsge- genständen des Alltags: Er bürgt für weitreichende Mobilisierung im Privat- und Berufsbereich, verbun- den mit dem subjektiven Gefühl der Unabhängigkeit, und sorgt schließlich für ein euphorisches Selbstbewußtsein und ein PS-rele- vantes Macht- und Stärkegefühl.

..,. Menschen, die mit ihrem Verhal- ten Anlaß geben, daß ihnen dieses Prestige- und Gebrauchsmittel und die damit verbundenen Privilegien entzogen werden, handeln nicht nur irrational, sondern begründen bei Wiederholungen der gleichen Handlungen auch die Annahme ei- ner Störung der Geistestätigkeit, wenn auch diese im Sinne der fo- rensischen Psychiatrie und Neuro- logie noch keinen Krankheitswert hat.

Ferner ist zu berücksichtigen, daß der Entzug der Fahrerlaubnis auf Lebenszeit eine Maßnahme dar- stellt, die dem Sinn und dem Zweck des Gesetzgebers wider- spricht. Der Entzug der Fahrerlaub- nis ist nach dem Willen des Ge- setzgebers keine Strafe, sondern eine Maßregel der Sicherung und Besserung.

..,. Der lebenslange Entzug der Fahrerlaubnis kann keine Maßnah- me zur Besserung sein, weil es sich um einen Widerspruch in sich han- delt. Eine effektive Maßregel zur Sicherung kann der Entzug der Fahrerlaubnis deswegen nicht sein, weil eine Institution zur Überwa- chung und Kontrolle dieser Maßre- gel fehlt.

Im Rahmen dieser erwähnten Un- tersuchung und bei Heranziehung anderer Explorationen und Begut- achtungen wurde festgestellt, daß ein großer Teil derjenigen, deren Führerschein entzogen worden ist, weiterhin, wenn auch mit unter- schiedlicher Intensität, ein Kraft- fahrzeug lenken! Die Gefahr, wel- che von derartigen Verkehrsteil-

nehmern für die Ottentlichkeit ent- steht, ist im Vergleich zu den ande- ren Kraftfahrern unverhältnismäßig hoch.

Einmal, weil diese Patienten ständig unter StreB und Spannung, ver- bunden mit innerer Unruhe am Steuer sitzen, und der

zufällig~

An-

blick eines jeden Polizeibeamten oder eines Polizeistreifenwagens eine derart starke psychische Wir- kung haben kann, daß nicht selten hierdurch Unfälle verursacht wer- den. Zum anderen greifen diese Kraftfahrer viel öfter zu Beruhi- gungsmitteln und zum Alkohol, be- vor sie sich ans Steuer eines Kraft- fahrzeuges setzen.

Diese Tatsachen berechtigen zu der Forderung, den § 42 n StGB da- hingehend zu ändern, daß eine Sperre der Fahrerlaubnis auf Le- benszeit nicht mehr verhängt wer- den kann, zumal die Verfassungs- mäßigkeit dieser Bestimmung zu- mindest bei den Berufskraftfahrern, bei denen eine derartige Maßregel mit lebenslänglichem Berufsverbot einhergeht, zweifelhaft erscheint und eine derartige Maßregel den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in grober Weise verletzt.

..,. An Stelle des lebenslänglichen Entzuges der Fahrerlaubnis soll die Wiedererteilung des Führer- scheins grundsätzlich von dem Er- gebnis einer eingehenden medizi-

nisch-psychologischen und

wenn erforderlich psychia- trisch-neurologischen Untersu- chung des Betroffenen abhängig gemacht werden, eine Maßnahme, welche die Verwaltungsbehörden

aber nicht die Gerichte mehrfach praktizieren. Den Betrof- fenen bleibt immer wieder die Hoff- nung auf erneute Erlangung der Fahrerlaubnis an Stelle einer Resi- gnation mit allen deren Folgen und mit einigen Aspekten, worüber hier berichtet wurde.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Dr. jur.

Amir Arbab-Zadeh Facharzt für Neurologie und Psychiatrie

4 Düsseldorf 12, Erlenkamp 2

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