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Die gemeinsame Lebenszeit von Familiengenerationen Wolfgang Lauterbach

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22 © F. Enke Verlag Stuttgart Zeitschrift für Soziologie, Jg. 24, Heft 1, Februar 1995, S. 22-41

Die gemeinsame Lebenszeit von Familiengenerationen

Wolfgang Lauterbach

Universität Konstanz, Sozialwissenschaftliche Fakultät, Postfach 5560, D33, D-78434 Konstanz

Z u s a m m e n fa s s u n g : In modernen Gesellschaften hat sich die Struktur der Generationenverhältnisse in Familien stark gewandelt. Eines der augenscheinlichsten Merkmale hierfür ist die Veränderung der gemeinsamen Lebenszeit von Familiengenerationen. Anzunehmen ist, daß der generelle Anstieg der Lebenserwartung, der Aufschub der Geburts­

zeitpunkte der Kinder, die Auswirkungen beider Weltkriege wie die Schichtzugehörigkeit diesen Wandel stark beein­

flussen. Der folgende Aufsatz geht der Frage nach, welche Wirkungen diese Faktoren auf den Wandel der zeitlichen Überschneidung der Lebensverläufe von zwei und drei Familiengenerationen haben. Mit Hilfe ereignisanalytischer Ver­

fahren wird auf Grundlage der Daten des Sozio-ökonomischen Panels gezeigt, daß vor allem beide Weltkriege einen be­

sonders negativen Effekt auf die Überschneidung der Lebensverläufe zwischen Vätern und ihren Kindern haben, wo­

hingegen die der Mütter davon nur geringfügig betroffen war. Was die gemeinsame Lebenszeit von Enkeln und ihren Großeltern betrifft, so konnte überraschenderweise festgestellt werden, daß erst nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik Großelternschaft zu einem sehr weit verbreiteten Phänomen wurde. Die geringe Lebenserwartung am Ende des letzten Jahrhunderts, die Folgen beider Kriege wie der Nachkriegszeit führten dazu, daß viele nach dem Zwei­

ten Weltkrieg geborene Kinder ihre Großväter kaum kannten. Großmütter hingegen waren viel stärker präsent. Insge­

samt sprechen die Ergebnisse dafür, daß in Familiengenerationen Frauen stark überrepräsentiert sind. Für Enkelkinder bedeutet dies z.B., daß sie im Familienkontext in einem immer größeren Ausmaß mit Erwachsenen und im besonderen mit Frauen aufwachsen.

1. Einleitung1

Die sozialwissenschaftliche Familienforschung hat sich in den letzten Jahren aus den verschiedensten Forschungsrichtungen ausgiebig mit dem Wandel der Familienverhältnisse seit der Nachkriegszeit beschäftigt (Berger/Berger 1984; Lüscher et al.

1988; Huinink 1994). Gemeinsames Merkmal vie­

ler Untersuchungen ist, daß die Aufmerksamkeit sehr häufig den Veränderungsprozessen, die eine familiale Generation betreffen, gewidmet ist. Au­

genscheinlich wird dies z.B. an den zahlreichen Publikationen über den Wandel der Familiengrün­

dungsphase (Blossfeld/Huinink 1991; Blossfeld/

Jaenichen 1992; Diekmann/Weick 1993; Klein/

Lauterbach 1994). Hingegen finden sich Untersu­

chungen, die den Mehrgenerationenzusammen­

hang von Familien in der Bundesrepublik in den Blickpunkt der Forschung richten, nur äußerst sel­

ten. Dies ist um so verwunderlicher, da doch gera­

de der Generationenzusammenhang in Familien, neben der Geschlechter- und Alterszugehörigkeit, eine der grundlegendsten Dimensionen gesell- 1

1 Für hilfreiche Kommentare und wichtige Diskussions­

beiträge danke ich Thomas Klein, Andreas Lange, Kurt Lüscher, Mathias Maucher und Michael Wagner. Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Forschungsschwerpunk­

tes „Gesellschaft und Familie“, im Teilprojekt „Lebens­

verläufe, Familien und Generationenbeziehungen im hi­

storischen Wandel“.

schaftlicher Ordnung ist. Einen Anfang bilden al­

lerdings die Arbeiten von Lüscher/Schultheis (1993) sowie die Mehrgenerationenstudie des DJI (Bien 1994).

Ein zentraler Aspekt von Familiengenerationen, der sich in den letzten Jahrzehnten stark gewan­

delt hat, stellt die gemeinsame Lebenszeit von Ge­

nerationen dar. Wie lange überschneiden sich die Lebens verlaufe von zwei oder drei Familiengenera­

tionen? Anzunehmen ist, daß sich im Zuge der Verlängerung der Lebenserwartung die gemeinsa­

me Lebenszeit von Familiengenerationen ebenso erhöht hat. Konnte z.B. 1850 ein neugeborenes Mädchen mit einer Lebensspanne von nur ca. 45 Jahren und ein neugeborener Junge mit ca. 37 Jah­

ren rechnen (Imhof 1990), so stieg die Lebenser­

wartung bis zum Jahre 1990 für Frauen auf ca. 78 Jahre und für Männer auf ca. 72 Jahre. Von daher ist es plausibel anzunehmen, daß die Verlängerung der Lebenszeit einen starken Einfluß auf die ge­

meinsame Lebenszeit von Familiengenerationen hat. Eine mögliche Konsequenz wäre z.B., daß sich Veränderungen der Rollen von Familienmit­

gliedern unterschiedlicher Generationen ergeben (Hareven 1982). Ein längeres Leben bedeutet, daß die Familienmitglieder länger Eltern, länger Kin­

der oder auch länger Ehepartner sind und daß sie gleichzeitig mehrere Rollen in der Abfolge von fa- milialen Generationen inne haben. Im Drei-Gene­

rationenkontext sind sie z.B. gleichzeitig erwach­

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Wolfgang Lauterbach: Die gemeinsame Lebenszeit von Familiengenerationen 23

sene Kinder und Eltern. Von daher gilt, daß demo- graphische Veränderungen der Lebenserwartung Modifikationen der verschränkten Lebensverläufe von familialen Generationenmitgliedern bewir­

ken. Kinder erleben ihre Eltern immer länger und Großeltern verbringen eine immer längere Zeit mit ihren Enkelkindern.

Wenn der allgemeine Rückgang der Mortalität die einzige demographische Veränderung wäre, die die gemeinsame Lebenszeit von Familienge­

nerationen beeinflußt, so wären die Ergebnisse in bezug auf familiale Generationenfolgen sehr einfach: Ein längeres individuelles Leben hat zur Folge, daß die Beziehungen zwischen Generatio­

nen allgemein länger bestehen. Aber bereits die unterschiedliche Lebenserwartung der Ge­

schlechter deutet darauf hin, daß die gemeinsa­

me Lebenszeit von Familiengenerationen diffe­

renzierter zu betrachten ist. Zu vermuten ist, daß sich die Dauer der Überschneidung der Lebens­

verläufe zwischen Kindern und ihren Eltern so­

wie ihren Großeltern nach der Geschlechtszuge­

hörigkeit unterscheiden. Zusätzlich ist gerade für Deutschland zu berücksichtigen, daß beide Welt­

kriege wie auch die Nachkriegszeit nachhaltig fa­

miliale Generationsstrukturen beeinflußt haben.

Beide Weltkriege erhöhten vornehmlich für Männer die Wahrscheinlichkeit, frühzeitig zu sterben. Dadurch dürfte die Überschneidung der Lebensverläufe der in den Krieg einbezogenen Männer mit denen der Eltern oder auch mit de­

nen der Kinder stark beeinträchtigt worden sein.

Was dadurch die Geschlechterverhältnisse in Fa­

miliengenerationen in der Nachkriegszeit be­

trifft, so ist zu vermuten, daß diese überwiegend durch eine zunehmende „Dominanz der Frauen“

gekennzeichnet sind. Und dies in doppelter Hin­

sicht: Erstens leben Frauen länger als Männer und zweitens haben die Kriege wie auch die Nachkriegsfolgen die Lebenserwartung bestimm­

ter Männerkohorten stark eingeschränkt.

Aber nicht nur die sozialhistorischen Auswirkun­

gen der Kriege auf Familien sind zu berücksichti­

gen. Zusätzlich haben bisherige Untersuchungen über Sterbeprozesse gezeigt, daß sich die Mortali­

tät stark nach der Schichtzugehörigkeit und dem Familienstand unterscheidet (Oppolzer 1986;

Klein 1993,1993a). Männer oder Frauen, die einen höheren gesellschaftlichen Status haben, leben in der Regel länger als Personen mit einem niedrige­

ren beruflichen Status. Was den Familienstand be­

trifft, so ist zu formulieren, daß verheiratete Paare eine höhere Lebenserwartung haben als Ledige oder Verwitwete. Aber selbst eine Scheidung wirkt

sich noch negativ auf die Lebenserwartung der ge­

schiedenen Partner aus.

Die gemeinsame Wirkung dieser Faktoren auf die Verschränkung der Lebensverläufe von Familien­

mitgliedern verschiedener Generationen ist bisher noch unklar. Dieser Beitrag bezieht diese Sachver­

halte auf die gemeinsame Lebenszeit der Fami­

lienmitglieder zweier und dreier Generationen.

Von daher ist das Ziel der folgenden Untersu­

chung, die strukturellen Veränderungen der Über­

schneidung der Lebensverläufe von Familiengene­

rationen in den letzten 100 Jahren am Beispiel von Geburtskohorten zu analysieren. Hierbei soll dif­

ferenziert gezeigt werden, welchen Einfluß die Er­

höhung der Lebenserwartung, die Kriegs- und Nachkriegsereignisse sowie bestimmte familial - strukturelle Merkmale, wie die Schichtzugehörig­

keit oder die Verwitwung im höheren Alter, auf Generationenfolgen allgemein und im speziellen für Männer und Frauen haben.

2. Theoretischer Hintergrund: Familienge- nerationen, Lebensdauer und Mortalität Aus der Verlängerung der Lebenserwartung folgt für viele Menschen, daß sie mit großer Wahr­

scheinlichkeit eine kontinuierlich planbare Le­

bensspanne von mittlerweile 60 bis 70 Jahren vor sich haben, bevor dann in den nachfolgenden Jah­

ren das Mortalitätsrisiko stark ansteigt (Eider 1978; Kohli 1986; Klein 1988; Höhn et al. 1990).

Diese Entwicklung führt bereits zu einem völlig neuen Altersaufbau der Gesellschaft, und dies wird in noch verstärkterem Ausmaß für die näch­

sten Jahre gelten. Während noch 1871/1881 60-jäh­

rige Frauen eine Lebenserwartung von 12,7 Jahren hatten, hatten Frauen in derselben Altersgruppe 1986/1988 schon eine Lebenserwartung von 22 Jahren. Bei den Männern in dieser Altersgruppe fällt die Veränderung nicht ganz so deutlich aus - sie stieg von 12,1 Jahren auf 17,6 Jahre.2 * Hierbei ist zusätzlich zu beachten, daß gegen Ende des 19.

Jahrhunderts nur ein viel geringerer Anteil an Per­

sonen überhaupt das 60. Lebensjahr erreichte, als dies gegen Ende des 20. Jahrhunderts der Fall ist.

Als Beispiel können hier die Berechnungen von Dinkel angeführt werden (Dinkel 1992: 70). Din­

kel zeigt, daß von 100.000 Geborenen in der

2 Der Anstieg der Lebenserwartung für einzelne Alters­

stufen seit dem letzten Jahrhundert ist getrennt für Män­

ner und Frauen bei Lauterbach (1994) und bei Dinkel (1984: 485/486) dargestellt.

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hypothetischen Sterbetafel 1871/80 überhaupt nur 36.293 Frauen und 31.124 Männer das Alter von 60 Jahre erreichen. Für die Jahre 1986/88 erreichten dagegen 91.569 Frauen und 88.763 Männer das Al­

ter von 60 Jahren. Diese Veränderungen der Mor­

talitätsrate führen gegen Ende des 20. Jahrhun­

derts dazu, daß zunehmend mehr Frauen und Männer jenseits des Rentenzugangsalters immer älter werden.

Für Familien hat diese Entwicklung zur Konse­

quenz, daß sich erst in diesem Jahrhundert die Le­

bensverläufe einzelner Familiengenerationen zeit­

lich immer länger überschneiden. Auch in der hi­

storischen Familienforschung wird diese These von einigen Autoren geteilt. Wegen der niedrigen Lebenserwartung und des hohen Heiratsalters wa­

ren Großfamilien im Sinne der Abfolge mehrerer Generationen kaum existent (Rosenbaum 1982, 1982a).3 Betrachtet man in diesem Zusammen­

hang die Auswertungen von Imhof (1981, 1986, 1988, 1990) über die durchschnittliche Lebenser­

wartung der Bevölkerung in den letzten Jahrhun­

derten und den bis heute anhaltenden Rückgang der Mortalität, so findet die Vorstellung, daß es Mehrgenerationenfamilien - drei und mehr Gene­

rationen in einer familialen Folge - kaum gegeben hat, zusätzlich Unterstützung. Durch die geringe Lebenserwartung dürfte folglich kaum eine Über­

schneidung der Lebensverläufe der Großeltern mit denen der Enkelkinder vorgekommen sein (vgl. Bräker 1945: 73). Ronald Blythe (1979: 4) be­

schrieb die Mortalitätssituation im letzten Jahr­

hundert mit den folgenden Worten: „... We place dying in what we take to be its logical position, which is at the close at a long life, whereas our an­

cestors accepted the futility o f placing it in any posi­

tion at all. On the midst o f life we are in death, they said, and they meant it. To them it was a fact; to us it is a m e ta p h o rDie kurze Lebenserwartung und das hohe Geburtenalter führten dann schließlich dazu, daß selbst noch zu Beginn des 20. Jahrhun­

derts das jüngste geborene Kind die Mutter nur bis in das Jugendalter oder frühe Erwachsenenalter erlebte. Demzufolge waren auch persönliche Kon­

takte des Kindes zu seinen Großeltern eher eine seltene Ausnahme - der Lebensverlauf mit ihnen überschnitt sich folglich noch deutlich kürzer. Ge­

3 D ie gegenteilige These über die Lebensformen der Fa­

milie zu Beginn dieses Jahrhunderts beschreibt die Vor­

stellung von der Großfamilie, einer im ganzen Haus zu­

sammen wohnender, arbeitender und in mehreren G ene­

rationen gleichzeitig zusammen lebender häuslichen G e­

meinschaft.

genwärtig ist es dagegen relativ sicher zu sagen, daß der Tod erst am Ende eines langen Lebens steht und daß nahezu 90 Prozent der Personen ei­

ner Geburtskohorte den Tod erst nach dem 60. Le­

bensjahr erleben. Kinder erleben damit zuerst den Tod der Großeltern und dann erst den der Eltern.

Erst der einmalige Rückgang der Mortalitätsrate seit dem Ende des letzten Jahrhunderts hat ent­

scheidende Auswirkungen auf die Alters- wie Ge­

nerationenstruktur der Familien. So ist es mittler­

weile durchaus möglich, daß Ehen vier bis sechs Jahrzehnte andauern. Im letzten Jahrhundert hin­

gegen betrug die durchschnittliche Lebenserwar­

tung der Männer nur ca. vier bis maximal fünf Jahr­

zehnte. Für familiale Generationen hat dies zur Konsequenz, daß durch die Verlängerung der Le­

benserwartung die Beziehungen zwischen Genera­

tionen immer länger bestehen. Familienmitglieder unterschiedlicher Generationen kennen sich da­

durch heute deutlich länger als noch vor 50 oder 100 Jahren. Dies führt mittlerweile dazu, daß durch die Lebensdauer von sieben bis acht Jahrzehnten viele Personen einer Generation die Geburt und die er­

sten Lebensjahre ihrer Enkel und sogar ihrer Uren­

kel miterleben können. Auch wenn das Phänomen, daß vier familiale Generationen in Folge eine kurze Spanne ihres Lebens miteinander verbringen in Deutschland noch recht selten ist, so kann der Rück­

gang der Sterblichkeit, wenn er in den nächsten Jahrzehnten noch anhält, doch zu einer Verände­

rung der Beziehungen zwischen drei Generationen beitragen (Bengston/Robertson 1985; Hagestad 1985, 1986, 1986a,1987; Watkins/Menken/Bon- gaarts 1987; Bengston/Schütze 1992).

Sicher ist aber zumindest, daß der Anteil der Groß­

eltern, die aktiv ihre Enkel erleben und mit ihnen Zeit verbringen, immer weiter zunimmt (Wilk 1993). Die Verlängerung der Lebensdauer hat folg­

lich für Familien zur Konsequenz, daß immer mehr Generationen zeitlich immer länger miteinander le­

ben. Kinder erleben ihre alten Eltern immer länger und die Eltern erleben noch die ersten Lebensjahre ihrer Enkel oder sogar Urenkel. Diese Familien­

struktur läßt sich mit der Metapher einer „Bohnen­

stange“ kennzeichnen. Die amerikanischen Auto­

ren Bengston, Rosenthal und Burton (1990) haben dafür den Begriff „bean-pole-family“ geprägt.4 * Die

4 Korrekterweise muß erwähnt werden, daß der von Bengston, Rosenthal und Burton geprägte Begriff der

„bean-pole-family“ sowohl die Verlängerung der Lebens­

zeit als auch gleichzeitig den Rückgang der Anzahl der Verwandten im Familienzusammenhang durch das Sinken der Geburtenzahl beschreibt.

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Wolfgang Lauterbach: Die gemeinsame Lebenszeit von Familiengenerationen 25

Familienstruktur vertikalisiert sich zusehends - es findet eine Zunahme der familialen Generationen in direkter Folge - bei gleichzeitigem Anstieg der Dauer der gemeinsamen Lebenszeit - statt (Wat­

kins et al. 1987; Rossi/Rossi 1990: 92 f).

Für den Wandel der Dauer der Überschneidung der Lebensverläufe von Familiengenerationen ist aber noch ein weiterer Faktor von zentraler Be­

deutung - das Alter bei der Geburt der Kinder.

Nimmt das Alter bei der Erstgeburt zu, so verrin­

gert sich die gemeinsame Lebensspanne zweier Generationen. In umgekehrter Weise verlängert sich die gemeinsame Generationenspanne von zwei oder drei Generationen. Der Effekt der Ver­

längerung der Lebensdauer auf die Generationen­

dauer kann damit durch eine Änderung des Ge­

burtenverhaltens verstärkt oder auch konterka­

riert werden. Für die Generationenabfolge bedeu­

tet dies, daß bei frühen Geburten der Generatio­

nenabstand sehr gering wird. Umgekehrt läßt sich, wenn das Alter bei der Erstgeburt sehr hoch ist, von einer Alterslückenstruktur zwischen familia­

len Generationen sprechen (Bengston/Schütze 1992). Für die weiteren Generationenfolgen hat dies zur Konsequenz, daß die Entwicklung zur bean-pole-family weiter beschleunigt wird. Denn je später die Erstgeburt stattfindet, um so wahr­

scheinlicher wird, daß die Dauer der Intergenerati­

onenbeziehungen kurz ist und daß keine weiteren Geschwister geboren werden (Blossfeld/Huinink 1989,1991; Brüderl/Klein 1991,1993; Klein/Lauter- bach 1994).

Die Veränderungen der Strukturen familialer Ge­

nerationenfolgen wird nicht nur durch demogra­

phische Prozesse, sondern zusätzlich durch soziale Faktoren bestimmt. Gerade in Deutschland hatten beide Weltkriege sowie die Nachkriegszeit einen beträchtlichen Einfluß auf die Mortalitätsentwick­

lung der Männer. Nicht nur, daß in beiden Kriegen Millionen von Menschen gestorben sind, vielmehr sind zusätzlich enorme Langzeitfolgen auf die Mortalität zu erwarten. Zu denken ist hierbei nur an die Konsequenzen der Gefangenschaft, der Mangelernährung in der Nachkriegszeit oder an die Folgen der Verwundungen.5 Von diesen Ent­

wicklungen waren Männer natürlich viel stärker betroffen als Frauen. Von daher ist zu vermuten, daß die gemeinsame Lebenszeit zwischen Vätern und ihren Kindern wesentlich kürzer war als die

5 Einen guten Eindruck von der Versorgungslage der B e­

völkerung mit alltäglichen Grundnahrungsmitteln oder Heizungsmitteln, der Erfahrung des Mangels und die Ver­

änderung der Lebenshaltung vermittelt Wildt (1994).

zwischen Müttern und ihren Kindern. Die Ge­

schlechterverhältnisse im mittleren und höheren Alter in den Familien sind von daher heutzutage vermutlich deutlich ungleich verteilt. Die älteren Generationen in Familien könnten demnach nicht nur aufgrund der längeren Lebenserwartung der Frauen, sondern auch wegen der Kriegseinflüsse auf die Mortalität der Männer von einer starken Dominanz der Frauen gekennzeichnet sein.

Neben den generellen Kriegseinflüssen auf die un­

terschiedlich verlaufende Mortalitätsentwicklung von Männern und Frauen sind aber nach bisheri­

gen Erkenntnissen auch einige spezielle Geburts­

kohorten in besonders negativer Weise von den Kriegshandlungen betroffen. So konnte Dinkel (1985) zeigen, daß einige Männerkohorten in dem Sinne negativ selektiert wurden, daß überwiegend die Gesunden und Jungen in das Kriegsgeschehen einbezogen wurden.6 Dies hat vor allem für die ge­

meinsame Lebenszeit von Generationen zur Fol­

ge, daß die Kriegseinflüsse sich besonders negativ bei einigen wenigen Generationen auswirken. Die Überschneidung der Lebensspanne von Kindern oder Enkelkindern mit derjenigen der Väter oder der Großväter müßte gerade bei den Kriegsgene­

rationen sehr kurz sein. Es läßt sich demnach for­

mulieren, daß Kinder, deren Väter in beide oder zumindest in den Zweiten Weltkrieg einbezogen wurden, in bezug auf lange familiale Generatio­

nendauern benachteiligt wurden. Sie kannten ihre leiblichen Väter im Durchschnitt nur sehr kurz.

Mortalitätsunterschiede konnten aber bisher auch nach der sozialen Schichtzugehörigkeit in der Ge­

sellschaftsstruktur sowie nach dem Ehestand fest­

gestellt werden.7 Wichtig ist hierbei, daß diese un­

gleichheitsrelevanten Einflüsse auf die individuel­

le Lebenserwartung damit natürlich auch bedeut­

sam für die gemeinsame Lebenszeit von Genera­

tionen sind. So zeigten Studien, daß die Lebenser-

6 Der gegenwärtig in den Periodensterbetafeln feststell­

bare Geschlechtsunterschied in der Sterblichkeit ist unter Umständen auf diese negative Selektion zurückzuführen.

7 Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß die in den letzten Jahren von einigen Autoren in der Soziologie pro­

pagierte These, daß sich Schichtunterschiede zunehmend nivellieren und daß eine zunehmende Pluralisierung von Lebensstilen und damit auch Lebenschancen festzustellen sei, bei der Frage nach sozialer und gesundheitlicher U n­

gleichheit von Morbidität und Mortalität nicht zutrifft.

Die Evidenz des Phänomens der sozialen Ungleichheit bei Sterblichkeit und Lebenserwartung konnte inzwischen durch zahlreiche Untersuchungen belegt werden (Spree 1981; Oppolzer 1986; Schepers 1989; Schepers/Wagner 1989; Klein 1993, 1993a; Elkeles und Mielck 1993).

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Wartung nicht nur geschlechts-, sondern ebenfalls schichtabhängig ist (Spree 1981; Hauser 1983; Op­

polzer 1986; Schepers 1989; Schepers/Wagner 1989; Klein 1993,1993a; Goldman 1994; Kytir/

Prskawetz 1994). Es zeigte sich, daß Personen hö­

herer Schichten im Durchschnitt eine um zwei bis vier Jahre höhere Lebenserwartung haben als Per­

sonen niedriger Schichten. Erklärungen, die für dieses Phänomen angeführt werden, basieren auf drei Überlegungen: Erstens haben Mitglieder hö­

herer Schichten in sehr vielen Fällen bessere Ar­

beitsbedingungen als Mitglieder niedrigerer Schichten, was zu weniger Streß führt (Stress-and Strain-Hypothese). Weiterhin steht statushöheren Familien ein höheres Familieneinkommen zur Verfügung als Familien aus niedrigeren Schichten, so daß dies zu besseren Lebensbedingungen führt.

Drittens kann schließlich durch die bessere Ein­

kommenslage eine differenziertere ärztliche Ver­

sorgung gewährleistet werden, was wiederum zu einer Verringerung der Mortalitätsrate beiträgt.

Für die gemeinsame Lebenszeit verschiedener Ge­

nerationen bedeutet dies, daß sich die Lebensver­

läufe von Vätern und Müttern niedrigerer gesell­

schaftlicher Schichten mit denen ihrer Kinder kür­

zer überschneiden als diejenigen der Väter und Mütter höherer Schichten.

Was den Einfluß des Familienstandes auf die Le­

benserwartung betrifft, so weisen zahlreiche Stu­

dien darauf hin, daß auch die familialen Lebens­

verhältnisse einen Einfluß auf die Mortalität und damit indirekt auf die Dauer von Intergeneratio­

nenbeziehungen haben (Kobrin/Hendershot 1977;

Koskenvuo et al. 1986; Trovato/Lauris 1989; Ross et al. 1990; Gärtner 1993; Smith/Zick 1994). Die höchste Lebenserwartung haben hierbei verheira­

tete Personen, wohingegen die Geschiedenen das höchste Mortalitätsrisiko haben. Aber ebenso steigt bei einer Verwitwung das Risiko zu sterben an. Für die Dauer von Intergenerationenbeziehun­

gen hat dies wiederum zur Konsequenz, daß z.B.

durch eine Verwitwung das Risiko zu sterben für den überlebenden Ehepartner ansteigt und sich damit für die Kinder und Enkelkinder die Wahr­

scheinlichkeit erhöht, eine kürzere Beziehung zum überlebenden Elternteil zu haben als für solche Kinder, bei denen die Eltern den Tod eines Ehe­

partners nicht frühzeitig erleben. Als Erklärung für die höhere Lebenserwartung der Verheirateten wird in der Regel auf die Protektionshypothese verwiesen (Gove 1973; Kobrin/Hendershot 1977), nach der die Ehe eine sozial integrative Funktion hat. Diese integrative Funktion der Ehe basiert der Theorie zur Folge darauf, daß Verheiratete

besser leben als Ledige, daß Verheiratete emotio­

nal ausgeglichener sind und daß z.B. im Falle einer Krankheit die kranke Person durch die physische wie psychische Unterstützung des Ehepartners schneller und besser gesundet.8

Die bisherigen Ausführungen machten deutlich, daß für die Frage des Wandels der gemeinsamen Lebenszeit von Familiengenerationen einerseits die Veränderungen der Lebenserwartung sowie das Alter bei der Erstgeburt und allen weiteren Geburten verantwortlich sind. Andererseits gibt es eine Reihe historischer wie sozialer Faktoren, wie den ersten und zweiten Weltkrieg, die Schichtzu­

gehörigkeit und den Familienstand, die die Dauer von Generationenbeziehungen merklich beein­

flussen. Die differenzierte Wirkung dieser Fakto­

ren auf die Überschneidung der Lebensverläufe von zwei und auch drei Familiengenerationen wie auf die Geschlechterverhältnisse ist bisher jedoch nicht bekannt - damit auch nicht, wie sich familiale Rollen und Aufgabenverteilungen zwischen Ge­

nerationen verändern können.

3. Datenbasis und Berechnungsgrundlagen Die folgenden Analysen sind auf Basis der Daten des Sozio-ökonomischen Panels durchgeführt wor­

den (Hanefeld 1987; Projektgruppe „Das Sozio- ökonomische Panel“ 1990). In der dritten Welle des Panels sind Fragen zur sozialen Herkunft und über die Geburts- und Sterbedaten der Eltern der Befragten enthalten. Was die Fallzahl betrifft, so sind Angaben für mehr als 10.000 Befragte und de­

ren Eltern (ca. 20.000) vorhanden. Zusätzlich sind die Geburtsangaben der Kinder der Befragten er­

hoben, so daß für die Berechnungen der Verände­

rung der gemeinsamen Lebenszeit von Familien­

generationen damit die Geburtsangaben von drei Generationen vorhanden sind. Übersicht 1 veran­

schaulicht die Konstruktion der familialen Gene­

rationenfolgen in den folgenden Auswertungen.9 Die sich aus dieser Konstruktion der Familienge­

nerationen ergebenden Beeinträchtigungen der Datenselektivität beruhen darauf, daß die Ge-

8 Konkurrierend zu dieser These wurde die Selektionshy­

pothese entwickelt, nach der die Gesünderen eine größere Wahrscheinlichkeit haben, einen Partner zu finden. G e­

gen diese These spricht - deshalb soll sie hier auch nicht weiter betrachtet werden - , daß Geschiedene und gerade Verwitwete im höheren Alter auch eine höhere Mortalität haben als Verheiratete.

9 D ie Analysen beziehen sich nur auf die deutsche Bevöl­

kerung.

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Wolfgang Lauterbach: Die gemeinsame Lebenszeit von Familiengenerationen 27

Übersicht 1 Generationen im Sozio-ökonomischen Panel.

G1-Generation Eltern der Befragten

G2-Generation Befragte

G3-Generation Kinder der Befragten Für die Untersuchung der gemeinsamen Lebenszeit familialer Generationen wurden

folgende Generationenfolgen konstruiert U

gemeinsame Lebenszeit zwischen:

Eltern <- und -» Kindern

Großeltern <- und -> Enkelkindern

burtsgenerationen bei der Berechnung der ge­

meinsamen Lebenszeit bereits vorselektiert sind.

Erstens sind durch die Stichprobenziehung der G2-Generation nur diejenigen Eltern der Befrag­

ten erfaßt, die auch Kinder bekamen. Dies hat di­

rekt für die Frage nach dem Wandel der gemeinsa­

men Lebenszeit von Familiengenerationen keine Auswirkungen. Bei der Frage nach dem Mortali­

tätsrisiko der Gl-Generation ist allerdings zu be­

rücksichtigen, daß durch die Nichtberücksichti­

gung der Kinderlosen der Gl-Generation das Mortalitätsrisiko der Elterngenerationen (G l) ge­

ringfügig überschätzt wird. Eine zweite Einschrän­

kung ergibt sich daraus, daß die Kinder der Eltern­

generation, die bereits in sehr frühen Jahren ge­

storben sind, natürlich nicht mehr befragt werden konnten. Aus diesem Grunde liegt zum Zeitpunkt der Stichprobenziehung bereits eine positive Se­

lektion der Befragten (G2-Generation) in bezug auf die Überlebenswahrscheinlichkeit vor. Für die Berechnung der gemeinsamen Lebenszeit zwi­

schen Eltern und ihren Kindern bedeutet dies, daß eine geringfügige Überschätzung vorliegt (Klein 1993). Diese Überschätzung kann jedoch dadurch ausgeglichen werden, daß die Berechnungen der Lebensdauer mit den Angaben zur Säuglings- und Kindersterblichkeit der jeweiligen Geburtsjahr­

gänge korrigiert werden (vgl. dazu Dinkel 1984:

485f).

Insgesamt konnte Klein (1993: 717 f) zeigen, daß die Daten des Sozio-ökonomischen Panels bei ei­

nem Vergleich mit Kohortensterbetafeln der amt­

lichen Statistik den Verlauf des Mortalitätsgesche­

hens sehr gut wiedergeben. Von daher ist, bis auf die Möglichkeit der geringfügigen Überschätzung der gemeinsamen Lebenszeit von zwei oder drei Familiengenerationen, die Datenlage als sehr gut einzustufen.

Was nun die Berechnung der gemeinsamen Le­

benszeit von Familiengenerationen betrifft, so

setzt sich diese Größe aus zwei verschiedenen de­

mographischen Prozessen zusammen, die mitein­

ander verknüpft werden müssen. Erstens muß das lebensverlaufbezogene Mortalitätsrisiko der älte­

ren Generation (G l) berechnet werden und zwei­

tens muß das Fertilitätsverhalten, also das Alter bei der Geburt der Kinder dieser Generationen, auf die Lebenserwartung bezogen werden. Dies bedeutet für die Berechnung, daß für jede Eltern­

generation (G l) die durchschnittliche Lebenser­

wartung geschätzt wird und von dieser dann das durchschnittliche Alter bei der Geburt der Kinder subtrahiert werden muß. Der Beginn des Mortali­

tätsprozesses in der Elterngeneration wurde in den hier verwendeten Modellen auf das Alter von 15 Jahren festgelegt. Für die Ermittlung der gemein­

samen Lebenszeit von Familiengenerationen muß allerdings die berechnete Lebenswahrscheinlich­

keit nicht mit der Säuglings- und Kindersterblich­

keit in den Elterngenerationen, sondern mit der Sterblichkeit im gebärfähigen bzw. zeugungsfähi­

gen Alter korrigiert werden. Denn nur diejenigen Männer und Frauen, die in das gebär- bzw. zeu­

gungsfähige Alter kamen, konnten überhaupt nur Kinder bekommen und damit die Generationen­

folge in der Familie gewährleisten. Bei Frauen wurde in den folgenden Berechnungen diese Al­

tersspanne auf 15 bis 45 Jahre festgesetzt und bei Männern auf 15 bis 55 Jahre (Dinkel 1984).10 Für die Interpretation der Dauer der Beziehungen zwischen zwei Generationen muß weiter berück­

sichtigt werden, daß es aufgrund der Datenlage nicht möglich ist, bei den Befragten (Kinder/G2-

10 Dinkel (1984:485-486) berechnete auf Basis von Perio­

densterbetafeln die Anzahl der Überlebenden im jeweili­

gen Alter für unterschiedliche Kohorten seit dem letzten Jahrhundert. A uf der Grundlage dieser Werte wurden die hier vorliegenden Ergebnisse über die durchschnittliche Lebenserwartung für beide Geschlechter korrigiert.

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28 Zeitschrift für Soziologie, Jg. 24, Heft 1, Februar 1995, S. 22-41

Generation) eine Geschwisterrangfolge zu diffe­

renzieren.11 Die Interpretation der Ergebnisse be­

zieht sich demnach auf die Dauer der gemeinsa­

men Lebenszeit zwischen Müttern und Vätern und dem „Durchschnitt ihrer Kinderzahl“. Bei der Er­

mittlung der Dauer der Beziehungen zwischen drei Generationen (Großeltern (G l) und Enkel­

kindern (G3)) trifft diese Beschränkung nicht zu.

In diesem Falle ist die Geschwisterreihenfolge der Enkelkinder bekannt, damit auch das Alter der Mutter und des Vaters (G2-Generation) bei der Erstgeburt und allen weiteren Geburten.11 12 Auch wenn kleinere Nachteile bei der Schätzung der Lebenserwartung durch die Datenlage vorhan­

den sind, so sind doch die Angaben der Geburts­

und Sterbedaten mehrerer Generationen so gut, daß der zentralen Frage nach dem strukturellen Wandel der gemeinsamen Lebenszeit von zwei und drei Familiengenerationen nachgegangen werden kann. Fehlende Längsschnitt- und Kohortendaten in der Bundesrepublik machten es bisher unmög­

lich, die Geburts- und Sterbezeitpunkte verschiede­

ner Familiengenerationen miteinander in Bezie­

hung zu bringen. Die hier folgende Untersuchung erlaubt damit großen Aufschluß über die Verände­

rungen der gemeinsamen Lebenszeit verschiedener Generationen und damit auch über die Veränderun­

gen der Rollen und Aufgaben selbst, die sich ja nach den jeweiligen sozio-ökonomischen und histori­

schen Bedingungen unterschiedlich entwickeln.

4. Methoden

Für die Schätzung der Ergebnisse über die Deter­

minanten der Dauer von Generationenbeziehun­

11 Zwar ist im Sozio-ökonomischen Panel bekannt, ob der oder die Befragte noch lebende Brüder oder Schwestern hat, jedoch ist die gesamte Anzahl der Geschwister sowie das Geburtsjahr bedauerlicherweise nicht erhoben wor­

den, so daß der Befragte in eine Geschwisterrangfolge hätte gestellt werden können. Für die Berechnung der Dauer der Generationenbeziehungen hätte dies den Vor­

teil gehabt, daß exakt zwischen Erstgeburt und allen wei­

teren Geburten hätte differenziert werden können.

12 In den Analysen sind nur die verwandtschaftlichen G e­

nerationenfolgen berücksichtigt. Durch die Datenlage er­

gibt sich die folgende Problematik: Sind zum Zeitpunkt des Interviews Personen erhoben worden, die in einer Zweitehe leben und leben noch Kinder aus einer ersten Ehe in diesem Haushalt, so hat man nur die Angaben über die Großeltern des Mannes oder der Frau aus der zweiten Ehe. Die Angaben zu den Großeltern des leiblichen Va­

ters oder der Mutter sind dagegen nicht vorhanden. Diese Fälle sind aus den Berechnungen ausgeschlossen.

gen wurde in einem ersten Schritt zur Bestimmung der durchschnittlichen Lebenserwartung der ein­

zelnen Geburtsgenerationen auf das statistische Instrumentarium der Ereignisanalyse zurückge­

griffen. In einem zweiten Schritt wurde nachfol­

gend das Alter der Mutter und des Vaters der je­

weiligen Kohorten bei der Geburt der Kinder be­

rechnet und von der Lebenserwartung subtrahiert, so daß sich daraus die zeitliche Überschneidung der Lebensverläufe errechnen läßt.13

Anders als herkömmliche Analyseverfahren er­

laubt die Ereignisanalyse einen sinnvollen Um­

gang mit (zensierten) Angaben, bei denen die be­

fragte Person bis zum Befragungszeitpunkt noch ohne das jeweils untersuchte Ereignis ist, d.h. bei diesen Analysen noch lebt (Diekmann/Mitter 1984; Blossfeld, et al. 1989; Andreß 1992).

Erste deskriptive Erkenntnisse über die Verände­

rungen der Dauer von Generationenbeziehungen werden mit Hilfe der Sterbetafelmethode gewon­

nen, die hier zur Darstellung des Prozeßverlaufes besonders geeignet ist, da es sich um einen Ein- Episoden-Fall und um nur eine Ereignisart han­

delt. Hierbei wird die Verweildauer bis zum Ein­

tritt der Tode des Vaters oder der Mutter seit der Geburt eines Kindes in feste Zeitintervalle von Jahresabständen eingeteilt. Für jedes dieser Inter­

valle wurden die Anzahl der Untersuchungsein­

heiten, die zu Beginn des Intervalls dem Risiko ausgesetzt sind, die Anzahl der Einheiten, die ein Ereignis erfahren (folglich sterben) und die An­

zahl der Einheiten, die im Intervall zensiert wer­

den, gezählt. Auf dieser Basis wird dann die Survi- vorfunktion, die in den jeweiligen Schaubildern

13 Die hier vorgenommenen Analysen sind in einem en­

gen Zusammenhang zu den Arbeiten von Klein (1993,1993a) über die Veränderung der Lebenserwartung in diesem Jahrhundert zu sehen. Die Berechnungsgrund­

lage bilden auch hier überwiegend die Angaben zur sozi­

alen Herkunft in der dritten Welle des Sozio-ökonomi­

schen Panels. Die Modellkonstruktion weicht nur in der Variablenauswahl gering von den von Klein gewählten Einflußfaktoren ab. Ein weiterer Unterschied besteht in der Wahl der Episodenbreite innerhalb des Exponential- modelles. Trotz dieser Differenzen sind die Ergebnisse über die Lebenserwartung mit denen von Klein sehr gut vergleichbar, was für die gute Datenqualität spricht. Diese Fragestellung ist allerdings mit einer Erweiterung der B e­

rechnungen verbunden. Es werden zwei voneinander un­

abhängige Prozesse - der Sterbeprozeß sowie der G e­

burtsprozeß aufeinander bezogen. Dies hat auch die Wahl der Modellkonstruktion - die abhängige Variable ist nicht die gemeinsame Lebenszeit, sondern die Lebenserwar­

tung - bestimmt.

(8)

Wolfgang Lauterbach: D ie gemeinsame Lebenszeit von Familiengenerationen 29

abgebildet ist, geschätzt. Der Vorteil dieses Ver­

fahrens ist, daß erste deskriptive Eindrücke über den Wandel der gemeinsamen Lebenszeit von zwei oder drei Familiengenerationen gewonnen werden können. Allerdings ist es mit diesem Ver­

fahren unmöglich, die Wirkung multipler Faktoren auf die Dauer der Überschneidung der Lebensver­

läufe mehrerer Generationen zu vergleichen.

Für die differenzierte Analyse wird nachfolgend ein Exponentialmodell mit einem angenommenen konstanten Verlauf der Mortalitätsrate auf Basis des Episodensplittings zur Ermittlung der Sterbe­

verlaufes in Abhängigkeit unterschiedlicher Kova- riaten geschätzt. Da in der Regel zur Schätzung von Sterbeprozessen Gompertz-Modelle - die eine mit dem Zeitverlauf steigende Rate unterstellen - ver­

wendet werden, wurde hier zur Modellierung des mit dem Alter steigenden Verlaufes der Rate das Al­

ter ab 15 Jahren als linearer (Alter-15) sowie als qua­

dratischer Term (Alter-15)2 mit in das Modell aufge­

nommen. Durch diese Modellierung wurde eine im Alter stark ansteigende Rate abgebildet.

Die Mortalitätsrate jeder einzelnen Generation läßt sich nun in Abhängigkeit vom Lebensalter in der folgen Form darstellen:

(1) r(t)= lim (P(t,t+At)/At)

At —> 0

Sie kann als bedingte Wahrscheinlichkeit für das Eintreten des Todes in dem kleinen Zeitintervall t interpretiert werden (Blossfeld, et al. 1989).

Allgemein resultiert die Übergangsrate aus dem Quotienten der Ereignisdichte f(t) und dem Be­

völkerungsanteil S(t), der bis zum Zeitpunkt t noch ohne jedes Ereignis ist - also noch lebt. Die Rate legt zum einen den Ablauf des stochastischen Prozesses eindeutig fest. Zum anderen beziehen sich alle theoretischen Überlegungen in erster Li­

nie auf den Verlauf der Ratenfunktion, aus der sich die Einflüsse auf das Sterberisiko berechnen lassen. S(t) repräsentiert diese vom Alter t abhän­

gige Quote und ist um so geringer, je höher das bis zum Zeitpunkt t akkumulierte Risiko ist:

(2) S(t) = exp (-J r(u) du).

o

Die Berechnung der „Nicht-Überlebenden“, also die Dichte- und Verteilungsfunktion F(t) zum je­

weiligen Zeitintervall, ergibt sich aus dem Zusam­

menhang

(3) FF(t) = l-S(t),

beziehungsweise aus der Kumulation der Ereignis­

dichte f(t), die in diesem Fall die Altersverteilung der Todesfälle beschreibt:

(4) F(t) = J f(u) du)

Der Altersverlauf der Übergangs- oder Hazard- rate wird im weiteren im Rahmen des Exponen- tial-Modells

(5) r(t) = exp (ßOxO + ß lx l + ß2x2+ ... + ßnxn) nachgebildet. Die Hazardrate kann aufgefaßt wer­

den als der Grenzwert der bedingten Wahrschein­

lichkeit, daß im Zeitintervall [t, t+At] das Ereignis - in diesem Falle der Tod - eintritt, unter der Vor­

aussetzung, daß die Episode bis zu Beginn des In­

tervalls andauerte. Die mit x bezeichneten unab­

hängigen Variablen beschreiben dabei den Einfluß der unabhängigen Variablen, in diesem Falle der beiden Weltkriege, der Nachkriegszeit, der sozi­

alen Schichtung und anderer Faktoren. Da das Ex- ponential-Modell eine zeitkonstante Rate impli­

ziert, wurde der nicht-monotone Verlauf des Risi­

kos mittels der beiden Alters-Variablen ((Alter- 15) und (Alter-15)2) konstruiert.

Aus der additiven Verknüpfung der beiden Alters­

variablen ergibt sich der bekannte, nicht-lineare Verlauf der Sterberate. Im Alter steigt damit das Sterberisiko schneller an als in jungen Jahren.

Die beeinflussenden zeitkonstanten Schicht- und Familienstandsvariablen sind in den folgenden Modellen als Dummy variablen (0/1) in die Be­

rechnungen einbezogen. Die Kriegs- und Nach­

kriegseinflüsse sind als zeitveränderliche diskrete Variablen (0/1) für die Zeiträume 1914-1918, 1940-1945 und 1946-1950 in das Modell mit aufge­

nommen worden. Die Frage, ob das Alter der je­

weiligen Person bei Ausbruch der Kriege oder in der Nachkriegszeit einen Einfluß auf die Sterblich­

keit hatte, wurde mit Hilfe der Interaktionsterme (Alter * 1. Weltkrieg, Alter * 2. Weltkrieg, Alter * Nachkriegszeit) modelliert.

Berücksichtigt man den Zusammenhang von a, = exp(ß,), so läßt sich das Exponential-Modell (5) auch gemäß

(6) r(t) = ot0 + a ^ 1 * a 2x2 * ... * a nxn

darstellen, wobei a, den relativen Einfluß der je­

weiligen Variablen (bei Veränderung um eine Ein­

heit) wiedergibt. Bei dieser Darstellung der Effek­

te spricht man auch vom „Relativen Risiko“.

Die Umformung

(7) y= (a, - 1) * 100 würde sich dann als %-Ef- fekt interpretieren lassen.

Zur Berechnung der Intergenerationendauer muß nach Schätzung der Mortalitätsrate - gemäß (6) -

(9)

30 Zeitschrift für Soziologie, Jg. 24, Heft 1, Februar 1995, S. 22-41

innerhalb des Exponentialmodelles die durch­

schnittliche Lebenserwartung berechnet werden.

Diese wird durch ein iteratives Verfahren gemäß der Formulierung des Exponentialmodelles nähe­

rungsweise für jedes Altersjahr und für jedes histo­

rische Jahr berechnet. Die pro Altersjahr tj berech­

nete Mortalitätsrate wird dann in die Verteilungs­

funktion F(t) umgerechnet und über den gesamten Lebensverlauf akkumuliert. Diese durchschnitt­

liche Lebenserwartung wird schließlich mit der Sterblichkeit für beide Geschlechter im gebärfähi­

gen bzw. zeugungsfähigen Alter (t15- t45 Jahre bei Frauen und t15- t 55 Jahre bei Männern) korrigiert.

Abschließend wird das durchschnittliche Alter der Mutter respektive des Vaters bei der Geburt der Kinder subtrahiert. Die dadurch gewonnene Zahl entspricht dann der geschätzten durchschnitt­

lichen Dauer der Intergenerationenbeziehungen.

5. Ergebnisse

5.1 Gemeinsame Lebenszeit von Kindern und Eltern sowie von Enkeln und Großeltern Zunächst wird deskriptiv der Anstieg der gemein­

samen Lebenszeit zwischen zwei und drei Genera­

tionen am Beispiel von unterschiedlichen Geburts­

kohorten der Eltern der Befragten aufgezeigt. An­

hand von Survivalanalysen wird demonstriert, wie sich die zeitliche Überschneidung der Lebensver­

läufe von Vätern und Müttern mit ihren Kindern sowie von Großvätern und Großmüttern mit ihren Enkelkindern im historischen Ablauf verändert hat. Abbildung 1 verdeutlicht die gemeinsame Le­

benszeit - differenziert nach verschiedenen Ge­

burtskohorten der Väter - zwischen Vätern (Gl- Generation) und ihren Kindern (G2-Generation/

Befragte). Die Survivalwerte müssen dabei so in­

terpretiert werden, daß die jeweiligen Werte zum entsprechenden Alter der Kinder den Anteil der noch lebenden Väter wiedergeben.

Betrachten wir zuerst den Anteil der bereits ver­

storbenen Väter bei den Befragten im Alter von zehn Jahren. Bei der ältesten Väterkohorte, also bei denjenigen, die überwiegend ihre Kinder zu Beginn des 20. Jahrhunderts bekommen haben, zeigt sich, daß bereits bei acht Prozent der Kinder der Vater schon verstorben war. Bei den um ca.

zehn Jahre jüngeren Vätern war der Anteil der be­

reits verstorbenen auf sechs Prozent zurückgegan­

gen. Bei den beiden nachfolgenden Kohorten, so­

mit bei den Kohorten der 1901-1910 und 1911—

1920 geborenen Väter, stieg der Anteil der bereits Verstorbenen, vor allem durch die Einwirkungen des Zweiten Weltkrieges, wieder an, so daß bei der Kohorte 1911-1920 ca. 12 Prozent der Väter be-

Prozent

Abb. 1 Anteil der zum durchschnittlichen Alter der Kinder noch lebenden Väter (unterschiedliche Geburtsgenera­

tionen der Väter).

(10)

Wolfgang Lauterbach: D ie gemeinsame Lebenszeit von Familiengenerationen 31

reits in diesem Alter der Kinder verstorben waren.

Auffallend ist, daß die Kinder der Väter, die zwi­

schen 1901 und 1920 geboren wurden, eine an­

schaulich niedrigere Wahrscheinlichkeit hatten, ih­

re Väter relativ lange zu erleben. Für die beiden jüngsten Kohorten verringert sich die Mortalitäts­

rate wieder, so daß bei den 1931 und später gebo­

renen Väter nur erst ca. 2 Prozent im Alter von zehn Jahren des Kindes verstorben waren.

Bei zunehmendem Alter des Kindes zeigt sich vor allem für die Geburtskohorten der Väter, die nach 1911 geboren wurden, daß der Rückgang der Mor­

talität, damit der Anstieg der Lebenserwartung, vor allem zu immer länger dauernden Generatio­

nenbeziehungen führt. Z.B. haben im durch­

schnittlichen Alter von 40 Jahren sieben von zehn Kindern, deren Väter zwischen 1921 und 1930 ge­

boren wurden, noch einen Vater. Betrachten wir abschließend noch Befragte im Alter von 50 Jah­

ren und den Anteil der Väter, die diese 50-Jähri­

gen überlebt haben. Bis zur Kohorte der 1911—

1920 geborenen Väter steigt der Anteil der Über­

lebenden von 15,9 Prozent auf 37,5 Prozent an, d.h. der Anteil der überlebenden Väter in diesem Alter der Kinder hat sich in fünf Jahrzehnten mehr als verdoppelt.

Betrachten wir nun die Intergenerationendauer zwischen Müttern und ihren Kindern.

Auffallend ist zunächst einmal über die Generatio­

nen hinweg, daß im Geschlechtervergleich für Kin­

der und Jugendliche bis ca. zum Alter von 20 Jah­

ren die Wahrscheinlichkeit deutlich höher ist, die Mutter zu erleben als den Vater. Die Mortalität der Väter, vor allem die der vom Kriege stark be­

troffenen Generationen, führt merklich zu einer kürzeren Dauer der Generationenverhältnisse zwischen Vätern und ihren Kindern. Von den Kin­

dern, deren Mutter zwischen 1901 und 1910 gebo­

ren wurde, hat als 50-Jähriger noch jeder Zweite eine Mutter, wohingegen nur noch zwei von zehn Befragten in diesem Alter einen Vater haben. An diesem Beispiel wird augenscheinlich, wie stark die Geschlechterunterschiede in bezug auf Sterb­

lichkeit und dadurch auf die Generationendauer sind. Insgesamt gilt aber auch für die Entwicklung der gemeinsamen Lebenszeit von Generationen, das was Demographen „the rectangularization of survival curves“ nennen (Hagestad 1986).

Gehen wir im nächsten Schritt der Frage nach, wie sich die gemeinsame Lebenszeit zwischen Enkel­

kindern und Großeltern - folglich über drei Fami­

liengenerationen - im historischen Verlauf verän­

dert hat. Anders als bei der Betrachtung der Dauer der Beziehungen zwischen Eltern und ihren Kindern muß bei den Großeltern und ihren En­

keln, gerade in den älteren Geburtsgenerationen,

Prozent

Quelle: Sozio-ökonomisches Panel, eigene Berechnungen

Abb. 2 Anteil der zum durchschnittlichen Alter der Kinder noch lebenden Mütter (unterschiedliche Geburtsgene­

rationen der Mutter).

(11)

32 Zeitschrift für Soziologie, Jg. 24, Heft 1, Februar 1995, S. 22-41

Prozent

Abb. 3 Anteil der zum Alter des ersten Enkelkindes noch lebenden Großväter (unterschiedliche Geburtsgenera­

tionen der Großväter).

in denen das Mortalitätsrisiko über den Lebens­

verlauf deutlich höher war als bei den später Ge­

borenen, die Möglichkeit in Betracht gezogen wer­

den, daß die Großeltern bei der Geburt des 1. En­

kels nicht mehr leben. In Abbildung 3 sind die In­

tergenerationendauern zwischen dem 1. Enkel­

kind und ihren Großvätern abgebildet.

Deutliche Unterschiede zwischen den Geburtsko­

horten zeigen sich schon bei der Geburt der Enkel­

kinder. Während überhaupt nur 67 Prozent der Enkelkinder einen Großvater, der vor 1890 gebo­

ren wurde, bei der Geburt haben, so waren dies bei der Kohorte der 1911-1920 Geborenen immerhin 74 Prozent. Der Rückgang der Mortalität, der sich für den individuellen Lebensverlauf in einer Ver­

längerung der Lebensdauer ausdrückt, bedeutet für die Beziehung zwischen drei Generationen ei­

nen Anstieg der Wahrscheinlichkeit, daß Enkel ih­

re Großväter in den ersten Jahren erleben. Im Al­

ter von zehn Jahren des Enkelkindes leben dann von der ältesten Kohorte der Großväter nur noch 43 Prozent. Bei der jüngsten Kohorte sind dies da­

gegen 62 Prozent. Die von Cherlin und Fürsten­

berg (1986) gefundenen Ergebnisse, daß ein relativ großes Aktivitätsspektrum zwischen diesen Gene­

rationen besteht, ist demnach historisch gesehen ein Phänomen der jüngeren Zeit. Die Befunde hier bestätigen eindrücklich, daß sich erst mit der

Geburtskohorte der nach 1910 geborenen Männer die Wahrscheinlichkeit deutlich erhöhte, daß mehr als die Hälfte der geborenen Enkel im Alter von zehn Jahren ihren Großvater noch erleben. Bei den älteren Kohorten ist weiterhin ersichtlich, daß im Alter von 20 Jahren nur noch jeder sechste in der äl­

testen Kohorte und nur noch jeder dritte in der jüng­

sten Kohorte einen Großvater hat. Betrachten wir in einem letzten Schritt noch die gemeinsame Le­

benszeit zwischen dem 1. Enkelkind und ihren Großmüttern. Im Unterschied zu den Großvätern ist zum Zeitpunkt der Geburt des Enkels erkennbar, daß unabhängig von der Kohortenzugehörigkeit der Anteil der noch lebenden Großmütter anschau­

lich höher ist als bei den Großvätern.

In der Kohortenabfolge steigt der Anteil der bei Geburt des ersten Enkelkindes noch lebenden Großmütter von 79 Prozent auf 93 Prozent. Dies bedeutet, daß nahezu alle Kinder, die in jüngerer Zeit geboren wurden (deren Großmütter nach 1910 geboren wurden) bei Geburt und in den er­

sten fünf Lebensjahren eine Großmutter haben.

Vergleicht man zum entsprechenden Alter der En­

kelkinder den Anteil der noch lebenden Großvä­

ter, so ist im Vergleich klar eine geschlechtsspezifi­

sche Differenzierung zu erkennen. Diese ge­

schlechtsspezifische Differenzierung verstärkt sich sogar noch im weiteren Lebensverlauf der Enkel-

(12)

Wolfgang Lauterbach: Die gemeinsame Lebenszeit von Familiengenerationen 33

Prozent

Quelle: Sozio-ökonomisches Panel, eigene Berechnungen

Abb. 4 Anteil der zum jeweiligen Alter des ersten Enkelkindes noch lebenden Großmütter (unterschiedliche Ge­

burtsgenerationen der Großmütter).

Tabelle 1 Anteil der noch lebenden Großväter und Großmütter zum jeweiligen Alter des Enkelkindes (Prozentan­

gaben).

Großväter Großmütter

Kohorten Kohorten

Alter des Enkels

bis 1890 1891- 1900

1901- 1910

1911- 1920

bis 1890 1891 1900

1901- 1910

1911- 1920

zur Geburt 67,3 67,9 70,4 74,1 79,7 86,7 87,8 93,3

5 Jahre 56,8 58,4 62,6 68,6 71,0 81,9 83,0 90,2

10 Jahre 43,9 47,1 53,0 62,0 59,3 74,9 77,7 84,9

1& Jahre 30,0 37,9 44,2 53,4 45,5 62,9 68,7 81,3

20 Jahre 18,3 27,3 34,2 46,4 33,0 48,3 59,8 76,6

Quelle: Sozio-ökonomisches Panel, eigene Berechnungen.

kinder. Die Tabelle 1 gibt dazu ausgewählte Anga­

ben.

Beispielhaft beträgt die Geschlechterdifferenz bei der Geburt der Enkel der 1901-1910 geborenen Großeltern 17,4 Prozent. Im Alter von zehn Jah­

ren des Enkelkindes ist diese Differenz auf 24,7 Prozent angestiegen. Bei dieser Geburtsgenera­

tion hat demnach nur noch jeder zweite Enkel ei­

nen Großvater, jedoch noch drei von vier Enkeln eine Großmutter.

Gleichwohl geht aus den hier dargestellten Ergeb­

nissen noch ein weiterer Befund hervor. Heute ge­

borene Kinder können mit einer nahezu gegen null gehenden Wahrscheinlichkeit damit rechnen, daß ihre Eltern in den ersten drei bis vier Lebens­

jahrzehnten sterben werden. Im Gegensatz dazu ist das Sterberisiko der Großeltern aus der Sicht der Enkelkinder nahezu stetig steigend. Sie müs­

sen folglich ständig damit rechnen, daß die Groß­

mutter oder der Großvater sterben werden. Vor al­

lem ist aber auch die gemeinsame Lebenszeit mit den Großvätern merklich kürzer als mit den Groß­

müttern.

(13)

34 Zeitschrift für Soziologie, Jg. 24, Heft 1, Februar 1995, S. 22-41

5.2 Determinanten des Mortalitätsrisikos

Wie im Theorieteil veranschaulicht wurde, wird das Mortalitätsrisiko von sozialen, familialen und historischen Faktoren stark beeinflußt. In Tabelle 2 ist das Mortalitätsrisiko der Männer, in Tabelle 3 das der Frauen in Abhängigkeit von verschiede­

nen Faktoren dargestellt.

Beginnen wir die Interpretation mit dem zweiten Modell in Tabelle zwei und drei. In beiden Model­

len zeigt sich der erwartete Effekt, was den Ein­

fluß des Geburtsjahrganges betrifft. Für Männer und Frauen ergibt sich demnach, daß der jeweils um ein Jahr jüngere Geburtsjahrgang bei Männern ein um 1 Prozent und bei Frauen ein um 1,5 Pro­

zent niedrigeres Mortalitätsrisiko hat als der vor­

angegangene Jahrgang. Was den Einfluß des Al­

ters auf das Mortalitätsrisiko betrifft, so wurde so­

wohl ein linearer (Alter-15) als auch ein quadrati­

scher Term (Alter-15)2 mit in das Modell aufge­

nommen. Dabei zeigt sich, daß der lineare Term wie erwartet einen signifikanten Einfluß auf das Mortalitätsrisiko sowohl bei Männern als auch bei

Frauen hat. Bei Männern steigt mit jedem Alters­

jahr das Risiko um 13 Prozent, bei Frauen um nur acht Prozent an. Bei Männern zeigt sich jedoch durch die Einbeziehung des quadratischen Terms - im Unterschied zu Frauen -, daß der Rückgang des Mortalitätsrisikos mit jedem Altersjahr gerin­

ger ausfällt, wohingegen dieser Effekt bei den Frauen keinen signifikanten Einfluß hat.

Was die Modellierung der Einflüsse der Kriege so­

wie der Nachkriegszeit betrifft, so zeigt sich, daß bei Männern wie erwartet die Weltkriege, aber auch die ersten Jahre nach dem Krieg, einen Ein­

fluß auf die Lebenserwartung haben.

Den stärksten Effekt haben hierbei die Auswir­

kungen des 2. Weltkrieges. Von geringer Auswir­

kung auf die Mortalitätsrate sind die Folgen des 1.

Weltkrieges, und die geringste Bedeutung hat die Zeit nach dem 2. Weltkrieg. Dennoch bestätigt sich die im Theorieteil formulierte Hypothese, daß die schlechte Nachkriegszeit, die vor allem durch einen Mangel an Grundversorgungsmitteln ge­

kennzeichnet war, einen negativen Einfluß auf die Lebenserwartung hat. Bei Frauen haben im Unter-

Tabelle 2 Sozio-ökonomische und familiale Determi­

nanten des Sterberisikos bei Männern (relative Risiken/

a-Koeffizient).

1. Modell 2. Modell 3. Modell

Konstante 0,331 0,012*** 0,013***

Geburtsjahr 0,991*** 0,990*** 0,991***

Alter (-15) 1,06*** 1,13*** 1,12***

Alter2 (-15) 1,00 0,96*** 0,96***

1. Weltkrieg+ 14,73*** 14,46***

Alter*1. Weltkrieg+ 0,96*** 0,96***

2. Weltkrieg+ 61,61*** 59,61***

Alter*2. Weltkrieg+ 0,94*** 0,94***

Nachkriegszeit 4,95*** 4,83***

Alter*Nachkriegs- ze if

0,97*** 0,97***

Niedrige beruf. Refe-

Stellung renzgr.

Höhere beruf.

Stellung

0,73***

Verwitwung4 1,15***

Episoden 149282 149282 149282

Zensierungen 3873 3873 3873

Log-Likelihood -15139,59 -14868,63 -14828,49

Tabelle 3 Sozio-ökonomische und familiale Determi­

nanten des Sterberisikos bei Frauen (relative Risiken/

a-Koeffizient).

1. Modell 2. Modell 3. Modell Konstante (*108) 2,732*** 1,584*** 16,827***

Geburtsjahr 0,985*** 0,985*** 0,985***

Alter (-15) 1,07*** 1,08*** 1,08***

Alter2 (-15) 1,01* 1,01 1,01

1. Weltkrieg+ 1,26 1,24

Alter* 1. Weltkrieg+ 1,00 1,00

2. Weltkriege 3,41*** 3,41***

Alter*2. Weltkrieg4 0,98*** 0,99***

Nachkriegszeit4 L87 1,87

Alter*Nachkriegs- zeif

0,99 0,99

Niedrige beruf. Refe-

Stellung renzgr.

Höhere beruf.

Stellung

0,90***

Verwitwung4 1,07

Episoden 160406 160406 160406

Zensierungen 2799 2799 2799

Log-Likelihood -11202,13 -11193,02 -11188,97

*, **, *** signifikant auf dem Niveau 0.10, 0.05, 0.01;

+ = zeitabhängig

Quelle: Sozio-ökonomisches Panel, eigene Berech­

nungen.

*, **, *** signifikant auf dem Niveau 0.10, 0.05, 0.01;

+ = zeitabhängig

Quelle: Sozio-ökonomisches Panel, eigene Berech­

nungen.

(14)

Wolfgang Lauterbach: Die gemeinsame Lebenszeit von Familiengenerationen 35

schied zu Männern von diesen drei Bruttoeffekten nur die Folgen des 2. Weltkrieges eine negative Wirkung auf die Mortalitätsrate. Außerdem ist der Einfluß des 2. Weltkrieges noch deutlich schwä­

cher.

Zur Beantwortung der Frage, ob das Alter der be­

treffenden Person bei Kriegsausbruch oder in der Nachkriegszeit einen Einfluß auf das Mortalitätsri­

siko hat, wurde ein Interaktionsterm (Al- ter*Kriegs- oder Nachkriegszeit) in die Modelle aufgenommen. Hierbei bestätigt sich für Männer die Hypothese, daß das Mortalitätsrisiko um so höher ist, je jünger die Männer bei Kriegsausbruch waren. Hierbei macht sich wiederum der starke Einfluß des 2. Weltkrieges bemerkbar. Je älter die Person bei Kriegsausbruch war, um so geringer war das Mortalitätsrisiko. Wenn eine Person z.B.

ein Jahr älter war, bedeutet dies eine Verringerung des Sterberisikos um sechs Prozent. Bei Frauen zeigt sich nur ein Einfluß des Alters bei Beginn des 2. Weltkrieges. Ebenfalls läßt sich wie bei Män­

nern feststellen, daß mit zunehmendem Alter der Frauen bei Kriegsausbruch ihr Sterberisiko stetig abnahm. Allerdings ist dieser Effekt bei Männern wiederum auffallend stärker. Bei Frauen verrin­

gert sich mit jedem Lebensjahr mehr das Mortali­

tätsrisiko nur um zwei Prozent, bei Männern hin­

gegen um ca. das Dreifache.

Um schließlich noch zu überprüfen, ob familiale und sozio-ökonomische Faktoren das Mortalitäts­

risiko beeinflussen, wurden in Tabelle 2 und 3 (Modell drei) für Männer und Frauen ein Schicht­

indikator und ein Familienstandsindikator einge­

führt. Der Schichtindikator wurde hierbei auf Ba­

sis der beruflichen Stellung des Mannes gebildet und auf die Frauen übertragen.14 Hierbei zeigt sich, daß Männer mit einem höheren beruflichen Status eine um 27 Prozent niedrigere Sterbewahr-

14 Im Sozio-ökonomischen Panel sind in der 3. Welle Fra­

gen zur beruflichen Stellung des Vaters im Alter von 15 Jahren des Befragten sowohl in Form einer Grobklassifi­

kation (Arbeiter, Angestellter, Beamter, Selbständiger, Auszubildender), als auch in Form einer feineren Unter­

gliederung, die sich nach der Tätigkeitsart ausdifferen­

ziert, erhoben. Die hier vorliegende Gliederung der beruf­

lichen Stellung wurde auf Grundlage der feineren Eintei­

lung vorgenommen. Dabei wurden hochqualifizierte Ar­

beiter und Angestellte, Beamte im gehobenen und höhe­

rem Dienst wie auch Selbständige mit mehr als zehn Mit­

arbeitern zu einer Gruppe zusammengefaßt. Nicht qualifi­

zierte Arbeiter, niedrig qualifizierte Angestellte, Selbstän­

dige mit weniger als zehn Mitarbeitern sowie Beamte im einfachen Dienst bilden hierbei die Gruppe der niedrig Qualifizierten.

scheinlichkeit haben als Männer mit einer niedri­

gen beruflichen Stellung. Ob hierbei die besseren Arbeitsbedingungen oder allgemein die besseren Lebensbedingungen einen Einfluß auf die Lebens­

erwartung haben, kann an dieser Stelle nicht dis­

kriminiert werden. Fest steht nur, daß Männer mit einer höheren beruflichen Qualifikation bessere Arbeits- und Lebensbedingungen vorfinden, die dann zu einer längeren Lebensdauer beitragen.

Aber auch Frauen, deren Männer in einer höheren beruflichen Tätigkeit beschäftigt sind, haben eine höhere Lebenserwartung als die Frauen von Män­

ner in einer niedrigen Stellung. Allerdings ist der Einfluß der beruflichen Stellung im Unterschied zu Männern deutlich niedriger. Mit 0,9 ergibt sich eine um zehn Prozent niedrigere Mortalitätsrate.

Bei Frauen wird der Einfluß aber vermutlich dem generell besseren Lebensstandard geschuldet sein, denn die beruflichen Belastungen, die bei Män­

nern entstehen, entfallen bei dieser Konstruktion und Interpretation des Einflusses der Schichtzuge­

hörigkeit.

Was abschließend den Einfluß einer Verwitwung betrifft, so wurde in den Modellen ein zeitabhängi­

ger Indikator gebildet, der eine Verwitwung ab dem Alter von 55 Jahren des Vaters oder der Mut­

ter abbildet.15 Dabei zeigt sich, daß die von Gove (1973) formulierte Protektionshypothese vor al­

lem für Männer zutrifft. Durch eine Verwitwung fällt die psychische wie physische Unterstützung der Frauen weg, ja auch die Pflegeleistungen, die im späteren Alter notwendig werden könnten.

Durch eine Verwitwung ergibt sich demzufolge eine Erhöhung der Mortalitätsrate. Bei Frauen wirkt sich die Verwitwung nicht so deutlich aus wie bei Männern. Der Effekt wirkt zwar auch risikoer­

höhend, jedoch ist er geringer und ferner nicht si­

gnifikant. Von daher scheint die Protektionshypo­

these überwiegend für Männer zuzutreffen.

In den bisherigen Ausführungen wurden soziale und verschiedene historische Faktoren aufgezeigt, die die Mortalitätsrate beeinflussen. Ausgehend von diesen Ergebnissen soll im nächsten Schritt die Abhängigkeit der Dauer der Intergeneratio­

nenbeziehungen erstens von der gestiegenen Lebenserwartung sowie von deren Einflußfakto­

ren wie auch zweitens in Abhängigkeit vom Zeit­

punkt der Geburt der Kinder untersucht werden.

15 Aufgrund der Datenlage im Panel konnte eine Wieder­

heirat oder eine erneute Partnerschaft nicht modelliert werden. Der Indikator stellt demnach einen Mischeffekt aus den dauerhaft Verwitweten und denjenigen, die eine neue Partnerschaft eingehen dar.

Abbildung

Abb. 1  Anteil der zum durchschnittlichen Alter der Kinder noch lebenden Väter (unterschiedliche Geburtsgenera­
Abb. 2  Anteil der zum durchschnittlichen Alter der Kinder noch lebenden Mütter (unterschiedliche Geburtsgene­
Abb. 3  Anteil der zum Alter des ersten  Enkelkindes noch  lebenden  Großväter (unterschiedliche Geburtsgenera­
Abb. 4  Anteil der zum jeweiligen Alter des ersten  Enkelkindes noch  lebenden Großmütter (unterschiedliche Ge­
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