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Archiv "Die jüdische Einstellung zum therapeutischen Abort" (24.10.1974)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen THEMEN DER ZEIT

Die vorsätzliche Abtreibung ist im Alten Testament nicht erwähnt.

Embryo und Ungeborenes werden im jüdischen Gesetz nicht als „Per- son" (hebräisch NEFESCH) be- trachtet. Das Ungeborene ist kein für sich bestehendes Gebilde, son- dern Teil des Mutterkörpers, inso- fern als es vom Körper der Mutter abhängig ist. Das befruchtete Ei wird bis 40 Tage nach der Konzep- tion nur als „fluid" bezeichnet. Die wichtigsten Stellen aus dem Alten Testament, die interpretierend auf den Unterschied zwischen „Per- son" und „Ungeborenes" hinwei- sen, finden sich in Exodus 21,12 und Exodus 21,23. In Exodus 21,12 heißt es: „Wer einen Mann schlägt, daß er stirbt ... ", wobei der Aus- druck „Mann" das Ungeborene ausschließt.

Nach den Gesetzbüchern des Josef Caro und Moses Maimonides, die Quintessenzen der talmudischen Diskussionen darstellen, wird das Ungeborene als ein Teil der Mutter betrachtet und gehört gemein- schaftlich den Eltern; Schadenser- satz muß bei dessen vorzeitigem Tod durch die Schuld eines Dritten geleistet werden. Der Verantwortli- che kann jedoch nicht wegen Mor- des belangt werden, da das Unge- borene nach dem Gesetz keine

„Person" ist. Die talmudische In- terpretation des Verses 6 im Kapi- tel IX der Genesis (DEUTSCHES ÄRZTEBLATT, Heft 52/1973, Predig- ten für die Ärzteschaft) ist aus- schließlich homiletisch zu bewerten.

Es heißt daselbst: „Wer des Menschen Blut vergießt, durch (he- bräisch „13 — ) Menschen sei sein Blut vergossen". Da die hebräische Präposition „13 — auch mit „im"

wiedergegeben werden kann, so sah sich der babylonische Talmud,

Trakat Synhedrin, folio 57 b, in ho- miletischer Weise veranlaßt, wie folgt, zu interpretieren: „Wer des Menschen Blut im Menschen ver- gießt ... : Welcher Mensch ist im Menschen? Das ist der Embryo im Mutterleib". Die tiberiensische Punktation der Massoreten (jüdi- sche Schriftgelehrte des 7. bis 10.

Jahrhunderts), die für den Juden maßgeblich bindend ist, schließt eindeutig die Übersetzung bzw. In- terpretation „im Menschen" aus, wofür sich auch die älteste aramäi- sche Übersetzung des Alten Testa- ments, der „Targum Onkelos" aus•

spricht; diese erläutert interpretie- rend „durch Zeugen werde sein Blut vergossen ... ". Der verstor- bene Oberrabbiner von Großbritan- nien bemerkt auch hierzu: „By man:

This is usually understood, as the Targum has it, through the agency of man, viz. by judges or by an avenger". („Durch Menschen:

Dies wird gewöhnlich so verstan- den, wie es auch die aramäische Übersetzung erklärt: durch die Ver- mittlung von Menschen, d. h. durch Richter oder den Rächer.")

Eine Verurteilung der nichtthera- peutischen Abtreibung findet sich in der jüdischen Medizin bereits bei Asaf Judaeus-ben Berachiah (der erste medizinische Autor übri- gens, der auf den wahrscheinlich erblichen Charakter gewisser Krankheiten hinwies) im 7. Jahr- hundert, bei Amatus Lusitanus im 16. und bei Jakob Zahalon im 17.

Jahrhundert n. Chr.

Der „Blumenthal-Gesetzesentwurf"

Zu erwähnen wäre noch der von jüdischer Seite dem Komitee der New Yorker gesetzgebenden Kör- perschaft am 10. Februar 1967 vor-

Während die Einstellungen zu dem Themenkomplex

„§ 218", die in den christli- chen Kirchen vertreten wer- den, ziemlich geläufig sind, ist bei den meisten wohl der jüdische Standpunkt kaum bekannt. Das Alte Testament sagt nichts zu der Frage — so der Autor — , doch habe sich im jüdischen Gesetz und der Literatur ein Standpunkt herausgebildet: die medizini- sche Indikation wird zugelas- sen.

gelegte „Blumenthai Gesetzesent- wurf".Er wurde von der United Syn- agogue of America und sieben anderen jüdischen Behörden ein- gebracht. Der Sprecher vor dem Komitee war Dr. Morris S. Fond, ein in Roslyn, Long Island, prakti- zierender Gynäkologe und Ge- burtshelfer, der zudem Präsident der New York Metropolitan Region der United Synagogue of Ame•

rica war, eine Körperschaft, die aus 807 konservativen jüdischen Ge- meinden besteht Außerdem wurde Dr. Fond von sechs konstituieren- den Organisationen des Jewish Re- lations Council von New York be- auftragt, als deren Sprecher zu fun- gieren. In Begleitung von Dr. Fond war Rabbiner Dr. Feldman, ein an- erkannter Fachmann für Rechts.

fragen auf dem Gebiete der therapeutischen Abortion, falls spe- zielle Probleme des jüdischen Rechts auftreten sollten. Rabbiner Feldman war hierzu von Rabbiner Benyamin Kreitman, dem Vorsitzen- den des Komitees für Jüdisches Recht der Rabbinical Assembly of America, autorisiert worden.

Dr. Fond führte aus, daß in den letzten 20 bis 30 Jahren neue Pro- bleme in der Behandlung schwan- gerer Frauen aufgetaucht wären: In einem der New Yorker City-Kran- kenhäuser, wo 150 Schwanger- schaften unterbrochen wurden, ge- schahen diese in 88 Fällen aus psychiatrischen Indikationen her-

aus, während 51 sogenannte „eu•

genische" Fälle waren. Es sei wohl

Die jüdische Einstellung zum therapeutischen Abort

Max Chaim Wallach

3104 Heft 43 vom 24. Oktober 1974 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Therapeutischer Abort

wahr, daß sich diese Fälle nicht le- gal in die Kategorie der „Fälle, die das Leben der Mutter erhalten soll- ten", einfügen ließen. Die Praxis der therapeutischen Abortion vari- iere in den USA-Hospitälern, und selbst bei den verschiedenen Ärz- ten eines und desselben Hospitals, so daß Ungerechtigkeiten nicht ausgeschlossen werden könnten.

Es würden Unterschiede gemacht zwischen Privat- und Kassen-(bzw.

Stations-)Patienten, zwischen den wohlhabenden und ärmeren Krei- sen und zwischen Weißen und Far- bigen. Es gäbe selbst Fälle, wo die Schwangere einen legalen Grund für die Unterbrechung der Schwan- gerschaft habe, aber erst den ge- eigneten Arzt im geeigneten Kran- kenhaus finden müsse, der den Eingriff vornehme. Sie müsse sich sonst um eine kriminelle Abtrei- bung außerhalb des Hospitals be- mühen. Rabbinisches Gesetz, so führte Dr. Fond aus, bestimme, daß die Mutter theoretisch Gewalt über den Fötus als Teil ihres Körpers habe. Sie müsse jedoch stichhalti- ge und genügende Berechtigung haben, dem Fötus sein Leben vor- zuenthalten. Immer aber sei dem Leben der Mutter der Vorrang über das Leben des Ungeborenen bis zum Augenblick der Geburt zu ge- ben. Dieses Prinzip ist — so Fond

— nach dem jüdischen Gesetz klar und eindeutig zum Ausdruck ge- kommen. Eine Bedrohung des Le- bens der Mutter, eine Einschrän- kung ihrer Gesundheit, körperlich und seelisch, wenn der Ernst der Lage genügend detailliert und spe- zifiziert sei, erlaube eine Unterbre- chung der Schwangerschaft. Es gebe auch einige jüdische Autori- täten, die eine Unterbrechung nach Vergewaltigung und Inzest erlaub- ten. Dasselbe treffe bei der Mög- lichkeit der Geburt eines defor- mierten Kindes zu.

Dr. Fond erklärte vor den Mitglie- dern des Komitees, daß er nicht zögern würde, eine Schwanger- schaftsunterbrechung vorzuneh- men, wenn seine eigene Tochter durch einen geistig retardierten Wahnsinnigen vergewaltigt worden wäre. Er glaube auch nicht, daß er

dieserhalb verfolgt oder bestraft würde, und sei sicher, daß jedes Mitglied des Komitees das gleiche für eine nähere Verwandte oder teuren Menschen tun würde. Die

„Blumenthal Bill", so führte Dr.

Fond weiter aus, würde Unbilligkei- ten und viel Unrecht vermeiden.

„Es gibt sicher unter uns Bürger, die aus religiösen Überzeugungen heraus eine Schwangerschaftsun- terbrechung für falsch erachten.

Wir hadern nicht mit ihnen; wir un- terstützen nachdrücklich ihre Über- zeugung. Wir glauben aber auch nicht, daß der Staat das Recht hat, religiöse Überzeugungen irgendei- ner Gruppe anderen Staatsbürgern aufzuoktroyieren. In der Blumen- thal Bill ist nichts, was für eine Mußvorschrift spricht. Sollte diese Bill Gesetz werden, werden alle Bürger, die aus religiösen Über- zeugungen anderer Meinung sind, das Recht haben, das Gesetz nicht in die Praxis umzusetzen. Wird die- se Vorlage aber nicht zum Gesetz erhoben, so würde dies bedeuten, daß denjenigen, die aus religiösen Gründen eine Schwangerschafts- unterbrechung unter gewissen Be- dingungen erlauben, gleicher Ge- setzesschutz versagt bleibt. Es würde zur Diskriminierung großer Bevölkerungsteile führen und ge- setzeswidrigen Handlungen und Betrug Vorschub leisten." Übrigens würde die Gesetzesvorlage, so meinte Dr. Fond, nicht die Tore zur wahllosen Abtreibung öffnen. Sie würde die Interessen aller Bürger New Yorks garantieren. Dr. Fond schloß seine Ausführungen mit der Bemerkung, daß alle Organisatio- nen, die er vor dem Komitee ver- tritt, die Blumenthal Bill aufrichtig unterstützen. Der Entwurf wurde trotz allem im Health and Codes Committee des Staates New York abgelehnt.

Die meisten Rabbiner erlauben also heute die therapeutische Unterbre- chung der Schwangerschaft unter den oben erwähnten Bedingungen.

Nach der Geburt des Kopfes bzw.

des größeren Teils des Körpers, rechtfertigt aber nur die Bedro- hung der Gesundheit beider, der Mutter und des Kindes, das Kind

zuliebe der Mutter zu opfern, denn das Leben der Mutter ist ohne die- se Bedrohung seitens des Kindes gesichert, während das Kind seine Lebensfähigkeit erst 30 Tage post partum erwiesen hat.

In allen Zweifelsfällen ist ein rabbi- nisches Gutachten einzuholen, das auf dem Boden der vorherrschen- den medizinischen Wissenschaft und anderer Umstände zu erstatten ist.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. Max Chaim Wallach Arzt, Semitologe

Arnhem/Holland Postbus 260

ZITAT

Interpretationen

„Die Gegner der Fristenlö- sung gehen davon aus, auch das befruchtete Ei im Mutter- leib genieße bereits den Schutz des Artikels zwei des Grundgesetzes... Demge- genüber ist festzustellen, daß das Grundgesetz nichts über das werdende Leben sagt.

Der darin enthaltene Satz

„Jeder hat das Recht auf Le- ben und körperliche Unver- sehrtheit" setzt deutlich ein Rechtssubjekt, nämlich den geborenen Menschen, vor- aus... Er kann sich aber sei- ner Formulierung nach nicht auf das Embryo beziehen".

(Hans Heinrich im „Vorwärts")

„Als bei den Beratungen des Parlamentarischen Rates zur Debatte gestellt wurde, einen ausdrücklichen Hinweis dar- auf zu geben, daß auch das ungeborene Leben unter die- sen Artikel fällt, bemerkte Frau Dr. Weber (CDU/CSU) unter Zustimmung von Theo- dor Heuss (FDP), daß diese Ergänzung überflüssig sei, da sie sich von selbst ver- stehe". (Hugo Staudinger im

„Rheinischen Merkur")

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 43 vom 24. Oktober 1974 3105

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