Medizingeschichte
Neue Facetten
Astrid Ley: Zwangssterilisation und Ärzteschaft. Hintergründe und Ziele ärztlichen Handelns 1934–1945. Kultur der Medizin, Band 11. Campus Verlag, Frank- furt, New York, 2004, 396 Seiten, kartoniert, 43 A
Die manchmal geäußerte Auf- fassung, dass über die Me- dizin im Nationalsozialismus keine neuen Erkenntnisse mehr zu gewinnen seien, wird durch die Publikation von Astrid Ley widerlegt. Zwar existieren seit den 1980er-Jah- ren zahlreiche Arbeiten zur Eugenik und den Zwangsste- rilisationen im Nationalso- zialismus, doch konnte die Autorin durch ihre Analyse der Hintergründe und der Ziele ärztlichen Handelns ei- nige neue Gesichtspunkte in die Diskussion einbringen.
Ihre Untersuchung konzen- triert sich auf drei Ärzte- gruppen, die alle in einer Arzt-Patient-Beziehung zu den von ihnen betreuten Kranken standen und die – anders als zum Beispiel Amtsärzte – ihre eigenen Pa- tienten der Zwangssterilisie- rung zuführten: klinische Universitäts- und Anstalts- psychiater, niedergelassene Haus- und Fachärzte sowie Fürsorgeärzte des ambulan- ten psychiatrischen Außen- dienstes. Gerade die Hal- tung der letztgenannten Grup- pe, die ein in den 1920er-Jah-
ren ausgebautes System der gemeindenahen psychiatri- schen Versorgung repräsen- tiert, wirft viele Fragen hin- sichtlich ihrer positiven Ein- stellung zur Zwangssterilisa- tion auf.
Auf der Basis umfangrei- cher Quellenstudien, die ge- druckte Zeugnisse, Kranken- akten, Materialien der Ge- sundheitsämter und der „Erb- gesundheitsbehörden“, beson- ders der Region Nürnberg- Fürth-Erlangen, einbezogen, stellt die Autorin fest, dass trotz des hohen Organisie- rungsgrades der freien Prak- tiker in der NSDAP eine nur geringe Bereitschaft dieser Gruppe bestand, der Anzei- gepflicht zur Sterilisation Folge zu leisten. Anders han- delten dagegen die Fürsor- geärzte, die großen Einsatz bei der Umsetzung des Ge- setzes zeigten, um die Bedeu- tung der Außenfürsorge un- ter den Bedingungen der NS- Erbgesundheitspolitik zu be- weisen. Dies war mit der trü- gerischen Hoffnung verbun- den, das Sterilisationsgesetz werde zu einer Ausweitung der von ihnen propagierten offenen Versorgung führen.
Die materialreiche und dif- ferenzierte Arbeit offenbart verschiedene neue Facetten des ärztlichen Selbstverständ- nisses im Zusammenhang mit Zwangssterilisationen und Nationalsozialismus und ist jedem historisch Interessier- ten zur Lektüre zu empfeh- len. Heinz-Peter Schmiedebach
Psychiatrie
Gut verständlich für Einsteiger
Henrik Walter: Funktionelle Bild- gebung in Psychiatrie und Psy- chotherapie.Methodische Grund- lagen und klinische Anwendun- gen. Schattauer GmbH, Stuttgart, New York, 2005, XVIII, 414 Sei- ten, 91 Abbildungen, 11 Tabellen, gebunden, 79 A
Die Forschung mit funktio- neller Hirnbildgebung spielt eine immer größere Rolle in der Erforschung psychiatri- scher Erkrankungen und psy- chischer Phänomene. Die Be- funde funktionell-neuroana- tomischer Studien sind je- doch häufig nicht selbster- klärend. Wer bisher einen fundierten Einstieg in die Methodik der funktionellen Bildgebung in Buchform such- te, wurde auf dem deutschen Büchermarkt nicht fündig.
Dieses Buch soll die Lücke schließen.
Das Buch gliedert sich in zwei Abschnitte: Im ersten Teil werden die Methoden der funktionellen Bildgebung beschrieben, im zweiten folgt eine Systematik der einzel- nen Krankheiten. Diese um- fasst Kapitel zu Alzheimer- Krankheit, Suchterkrankun- gen, Schizophrenie, affektiven Störungen, Zwangsstörungen, posttraumatischen Belastungs- störungen, Essstörungen und ein Übersichtskapitel über Bildgebung und Psychothe- rapie.
Das Buch eignet sich we- gen seiner guten Verständ- lichkeit und des ebenso quali- fiziert wie verständlich ge- schriebenen Methodenteils gut für Einsteiger in diese For- schungsrichtung. Auf der an- deren Seite ist es umfangreich genug, um auch als Nach- schlagewerk hilfreich zu sein.
Ein kompaktes Lehrbuch kann in diesem rasch wach- senden Forschungsgebiet kei- ne vollständige Systematik der bekannten Befunde liefern, auf wegweisende Literatur wird jedoch ausreichend wei- terverwiesen. In einigen Ka- piteln wären allerdings Über- sichtstabellen hilfreich.
Wer einen Einstieg in die Methodik der funktionellen Hirnbildungsgebung psychi- scher Störungen bekommen möchte, dem kann dieses Buch uneingeschränkt empfohlen werden. Alexander Rapp, Gerhard Buchkremer
Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 407. Oktober 2005 AA2705
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