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Archiv "Ernährungsprävention während der Schwangerschaft" (19.09.1997)

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Academic year: 2022

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(1)

V

erbreitete Gesundheitsrisi- ken und Erkrankungen sind ernährungsabhängig und können nachhaltig durch ei- ne Verbesserung des Eßverhaltens oder durch Supplemente beeinflußt werden. Die Behandlungs- und Folgekosten ernährungsabhängiger Krankheiten werden insgesamt auf rund 100 Milliarden Mark pro Jahr geschätzt (10). Da in der Bundesre- publik der Arzt als die mit Abstand glaubwürdigste Institution für jede Art der Ernährungsberatung ge- nannt wurde (10), wird die Ernährungsberatung von der Stan- desorganisation als ärztliche Aufga- be angenommen (10).

Der Ernährungszustand der werdenden Mutter hat nicht nur Auswirkungen auf ihre eigene Ge- sundheit, sondern auch auf die ihres Kindes. Er wird durch die aktuelle, aber auch durch die prägravide Ver- sorgung mit Makro- und Mikronähr- stoffen beinflußt. Die Folgen betref- fen nicht nur den Schwangerschafts- ausgang, sonder können langfristig die Gesundheit des Kindes und spä- teren Erwachsenen beeinflussen und ein Risiko für vorzeitigen Tod sein (5, 45, 48).

Die Prävention von vermeidba- ren Erkrankungen schließt in dieser vulnerablen Phase der „Mensch- werdung“ auch eine angemessene Ernährung der Schwangeren ein. Aus diesem Grund hat der Bundesaus- schuß der Ärzte und Krankenkassen am 22. November 1994 eine Erwei- terung der Mutterschaftsrichtlinien beschlossen, die jetzt auch „ernäh- rungsmedizinische Empfehlungen als

Maßnahme zur Gesundheitsförde- rung, . . . insbesondere Hinweise auf eine ausreichende Jodzufuhr“ im Rahmen der ärztlichen Beratung einschließen (35).

Ernährungsmedizinisch relevante Aspekte in der Schwangerenberatung

Die tatsächliche Ernährung von Frauen im gebährfähigen Alter (1) entspricht nur zum Teil den „Emp- fehlungen für die Nährstoffzufuhr“

der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) (20), wieTabelle 1 und Tabelle 2 zeigen. Die fünfte Percentile des Zufuhrbereiches liegt für die aufgeführten Nahrungsstoffe unter den Empfehlungen, und für Kalzium, Eisen und Jod liegt selbst der Median der gemessenen Zufuhr junger Frauen unter den von der DGE empfohlenen Werten. Die Aufnahme an bestimmten Mi- kronährstoffen könnte deshalb bei uns, besonders in Risikogruppen, unzureichend sein (12).

Wie ist dies im Einzelfall über- prüfbar? Biochemische Indikatoren

einer Mangelversorgung sind in der Schwangerschaft nicht immer ver- läßlich, ihre Messung ist oft ko- stenintensiv und nicht bevölkerungs- weit anwendbar. Deshalb können globale Indikatoren des Ernäh- rungszustandes, wie das prägravide Gewicht und die Gewichtszunahme, sowie eine Befragung über die Akti- vität der Schwangeren und ihre Ernährungsgewohnheiten als An- haltspunkte für ihre Versorgung mit Nährstoffen dienen. In der Schwan- gerschaft sollten bestimmte Nah- rungsmittel und Zubereitungsarten gemieden werden.

Risikogruppen müßten identifi- ziert und besonders beraten werden.

Nach Vorkenntnissen aus der Litera- tur sollten aber bestimmte Mi- kronährstoffe allen Schwangeren als Supplement gegeben werden.

Prägravides Gewicht und Gewichtszunahme

Niedriges Geburtsgewicht ist ein Risikofaktor der perinatalen Morta- lität (54). Vor allem in Entwicklungs- ländern, aber auch in Industrienatio- nen tragen ein niedriges präpartales Gewicht der Mutter und eine geringe Gewichtszunahme in der Schwanger- schaft zu einem niedrigen Geburts- gewicht (für das Gestationsalter) bei (39). Eine Beeinflussung der Ge- wichtszunahme in der Schwanger- schaft durch Ernährungsmanipula- tionen, zum Beispiel durch Nah- rungssupplemente, ist allerdings nur bedingt möglich (62). In einer großen, longitudinalen Studie in den

Ernährungsprävention während der

Schwangerschaft

Renate L. Bergmann

1

Renate Huch

2

Karl E. Bergmann

3

Joachim W. Dudenhausen

4

Bei Umfragen wurde der Arzt als die mit Abstand glaub- würdigste Institution für die Ernährungsberatung genannt.

Damit wird ihm eine große Verantwortung von den Patien- ten übertragen. Nach den Mutterschaftsrichtlinien soll er auch in der Schwangerschaft ernährungsmedizinische

Empfehlungen zur Gesundheitsförderung geben. Was der Arzt schwangeren Frauen empfehlen kann, wird auf der Grundlage aktueller wissenschaftlicher Veröffentlichun- gen kritisch evaluiert. Dieser Übersichtsaufsatz vermittelt das gesicherte Wissen und zeigt aber auch Defizite auf.

1Kaiserin Auguste Viktoria-Institut für Präventi- ve Pädiatrie (Leiterin: Priv.-Doz. Dr. med. Re- nate Bergmann), Charité, Virchow-Klinikum der Humboldt-Universität, Berlin

2 Perinatalphysiologische Forschungsabtei- lung (Leiterin: Prof. Dr. med. Renate Huch), Kli- nik für Geburtshilfe, Universitätsspital Zürich

3Robert-Koch-Institut (Leiter: Prof. Dr. med. R.

Kurth), Berlin

4Abteilung Geburtsmedizin (Leiter: Prof. Dr.

med. J. W. Dudenhausen), Virchow-Klinikum der Humboldt-Universität, Berlin

(2)

USA erzielte man in Risikogruppen höhere Geburtsgewichte durch ge- zielte Energiesupplemente, nicht je- doch bei Schwangeren mit primär gutem Ernährungsstatus (60, 62).

Die Nahrungsupplemente trugen auch zu einer deutlichen Verminde- rung der perinatalen Mor-

talität bei (um ein Vier- tel der Ausgangssituation).

Diese Ergebnisse bestätig- ten die Untersuchungen aus Entwicklungsländern, die schon früher über eine Erhöhung des Geburtsge- wichtes um etwa 200 g, eine Erniedrigung des Anteils untergewichtiger Neugebo- rener auf ein Sechstel des Ausgangswertes und eine Erniedrigung der perinata- len Mortalität um 37 Pro- zent durch Nahrungssup- plemente berichtet hatten (40, 56, 57). Nach empiri- schen Daten wird eine, be- zogen auf den Schwanger- schaftsausgang, optimale Gewichtszunahme für je drei Klassen der prägravi- den Körpermasse empfoh- len (15) (Tabelle 3).

Es wurde sogar vermu- tet, daß die Wachstumsre- tardierung im Mutterleib langfristig mit einem häufi- geren Auftreten von koro- naren Herzkrankheiten, Hypertension und Diabetes im Erwachsenenalter asso- ziiert sei (4, 5, 27).

Eine starke Gewichts- zunahme während der Schwangerschaft, sofern sie nicht durch Ödeme bedingt ist, wie bei der Präeklamp- sie, ist ein Risikofaktor für ein erhöhtes Geburtsge- wicht und dadurch auch für eine Zunahme von Ge- burtskomplikationen (9, 50, 67). Außerdem ist eine

übermäßige Gewichtszunahme in der Schwangerschaft ein Risikofak- tor für Diabetes und Hypertension (37) sowie für die postpartale Adipo- sitas der Mutter mit ihren ungünsti- gen Stoffwechselfolgen (29). Jede normale Geburt fügt bereits ein kg Gewicht zu dem altersstandardisier-

ten Gewicht hinzu. Während der Schwangerschaft sollte andererseits keine Diät empfohlen werden, die ei- ne angemessene Gewichtszunahme beeinträchtigen könnte. Nach der Geburt kann die Mutter, ohne Scha- den für die Laktationsleistung, statt

der physiologischen Gewichtsabnah- me von 0,6 bis 0,8 kg/Monat einen Gewichtsverlust von 2,0 kg/Monat anstreben. Dagegen kann die spätere Laktationsleistung auch durch Ener- giesupplemente von unterernährten Schwangeren nicht verbessert wer- den (72).

Körperliche Aktivität

Während körperliche Belastung in der Schwangerschaft, besonders das Tragen von schweren Lasten, als Risi- ko für fetale Mangelversorgung und Frühgeburt gelten (58) und im Mut- terschutzgesetz während der Erwerbstätigkeit aus- drücklich untersagt sind (MuSchG §§ 1–4), zeigen neuere Untersuchungen, daß sich sportliche Ak- tivitäten bei gesunden Schwangeren durchaus günstig auswirken können und seltener mit niedrigem Geburtsgewicht assoziiert sind (2, 64). Vor intensivem Sport in großer Höhe und unter Wettkampfbedingun- gen muß allerdings gewarnt werden (34).

Eisen

Ernährungsbedingte Anämien in der Schwan- gerschaft, vor allem durch Eisen-, B12- und Folatman- gel, sind ein häufiges Pro- blem in Entwicklungslän- dern. 65 bis 70 Prozent aller schwangeren Frauen sind davon betroffen. Diese Mangelzustände sind für 20 Prozent der mütterlichen Mortalität verantwortlich (77). Eisen- und Folsäure- supplemente führten zu ei- ner signifikanten Erhöhung der Hämoglobinwerte (3, 36). Da auch in Europa Hä- moglobinwerte und andere Indikatoren der Eisenver- sorgung bei Schwangeren, die Eisensupplemente er- hielten, signifikant über de- nen von nicht supplemen- tierten Müttern lagen, kann man davon ausgehen, daß Eisenmangel bei Schwangeren auch in Deutschland häufig vorkommt. Al- lerdings ist die Prävalenz in der Be- völkerung nicht genau bekannt, und Laborparameter des Eisenmangels in der Schwangerschaft sind schwer in- terpretierbar (13, 41, 74, 75). In großen Querschnittsstudien wurde

M E D I Z I N ZUR FORTBILDUNG

Tabelle 1

Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (20) für die tägliche Nährstoffzufuhr in der Schwangerschaft (ab 4. Monat)

Menge davon

pro Tag Zuschlag

Energie (kcal) 2 500 300

Protein (g) 58 10

Kalzium (mg) 1 200 300

Eisen (mg) 30 15

Jod (mg) 230 30 – 50

Zink (mg) 15 3

Viamin A (mg RA**) 1,1 0,3

Vitamin D (µg) 10 5

Vitamin E (mg) 14 2

Vitamin K (mg) 65 5

Vitamin B1(mg) 1,5 0,4

Vitamin B2(mg) 1,8 0,3

Niacin (mg) 17 2

Vitamin B6(mg) 2,6 1,0

Folsäure (µg) 300* 150

Vitamin D12(µg) 3,5 0,5

Vitamin C (mg) 100 25

* 1995 von den Fachgesellschaften in der Frühschwangerschaft 400 µg empfohlen

** RA = Retinoläquivalente, 1 mg RA = 6 mg all-trans−β-Carotin

(3)

ein Zusammenhang zwischen Frühge- burtlichkeit, niedrigem Geburtsge- wicht und perinataler Mortalität mit niedrigen Hämatokritwerten gefun- den (42). Dies wird als indirekter Be- weis für die Bedeutung der Eisen- ernährung für das Schwanger- schaftsergebnis interpretiert. Auch die Eisenausstattung des Kindes wird von der Eisenernährung der Mutter beeinflußt (14, 41). Eisensupplemen- te werden deshalb für alle schwange- ren Mütter vom zweiten Trimenon an empfohlen (20), obwohl der Nutzen einer routinemäßigen Eisensupple- mentierung an alle Schwangere durch eine kontrollierte Studie noch erhär- tet werden müßte.

Jod

Jodmangel kommt bei 1,5 Milli- arden Menschen weltweit vor; 655 Millionen leben mit einer Jodmangel- struma (78). Jodmangel soll weltweit damit die größte einzelne Ursache für vermeidbare geistige Retardierung sein (19). Zu den „iodine deficiency disorders“ gehören, neben dem ende- mischen Kretinismus und der geisti- gen Retardierung, eine erhöhte peri- natale Mortalität und Säuglingssterb- lichkeit, Hypothyreose und Kropf beim Neugeborenen (18, 33, 81).

Auch Deutschland gilt als Jodmangel- gebiet zweiten bis dritten Grades (19, 65). Die Kochsalzjodierung und eine fischreiche Kost reichen nicht aus, um diesem Mangel abzuhelfen. Jede vier- te Frau beginnt ihre Schwangerschaft mit einer Jodmangelstruma, und min- destens jede zweite Wöchnerin hat ei-

ne Schilddrüsenvergrößerung. Eine Supplementierung aller Schwangeren mit Jodtabletten (200 µg/Tag) wird deshalb vom „Arbeitskreis Jodman- gel“ empfohlen (65).

Folsäure

Neuralrohrdefekte, zum Beispiel Anenzephalus, Spina bifida und Meni- gomyelozele, sind häufige Fehlbildun- gen (>1: 1 000 Neugeborene), die oft zu frühem Tod oder zu dauerhafter Behinderung führen (16). Das Wieder- holungsrisiko für weitere Kinder ist et- wa zehnmal so hoch (16). Ihre Ver- breitung ist dort am größten, wo Ar- mut und mangelnde Bildung zu einem schlechten Ernährungszustand mit Vi- taminmangel führen (68). Die ersten Interventionsstudien mit Multivita- minpräparaten zeigten, daß das Wie- derholungsrisiko signifikant gesenkt werden konnte (69). Weitere Interven- tionsstudien, zum Beispiel die des Me- dical Research Council in England, konnten die Wirksamkeit der Folsäure zur Verminderung des Wiederholungs- risikos von Neuralrohrdefekten nach- weisen (49). Aber auch das erstmalige Auftreten eines Neuralrohrdefektes bei bevölkerungsbezogenen Studien konnte damit verhindert werden (17).

Das Risiko von orofazialen Spaltbil-

dungen war ebenfalls in einer Fall- Kontrollstudie bei den Müttern gerin- ger, die folathaltige Multivitamin- präparate erhalten hatten (66). In Deutschland haben vier Prozent der Bevölkerung niedrige Folsäure-Plas- makonzentrationen (1). Eine allge- meine Anreicherung von Lebensmit-

teln mit Folat scheint kaum realisier- bar. Deshalb werden Folsäuresupple- mente von 0,4 mg/die für alle Frauen empfohlen, die eine Schwangerschaft planen, zumindest aber in den ersten vier Wochen der Schwangerschaft (38, 59). Bei Frauen, die bereits ein Kind mit Neuralrohrdefekt hatten, soll das Wiederholungsrisiko mit der zehnfa- chen Dosis des normalen Supplemen- tes vermindert werden (38). Die peri- konzeptionelle Einnahme eines Multi- vitaminpräparates war in einer Fall- Kontrollstudie in den USA mit einer geringeren Prävalenz von kongenita- len Herzfehlern assoziiert (8).

Kalzium

Die deutschen Empfehlungen für die Kalziumzufuhr in der Schwanger- schaft gehören im Vergleich zu anderen Ländern zu den höchsten. Der Median- wert der Kalziumzufuhr junger Frauen in der Vera-Studie (Tabelle 2) betrug etwa die Hälfte der empfohlenen Zu- fuhr. Bei normaler Ernährungsweise könnte man die empfohlene Zufuhr nur durch Konsum erheblicher Men- gen von Milchprodukten decken. Aus- reichende Sonnenexposition oder eine adäquate Vitamin-D-Aufnahme be- günstigen zwar die Kalziumresorption.

Dagegen beeinträchtigt eine Nahrung

mit hohem Phytat-, Oxalat- und Bal- laststoffgehalt auf der Basis von Pflan- zenkost, zum Beispiel bei reinen Vege- tariern, die Kalziumresoption (63). Ob- wohl aus dem Skelettreservoir reich- lich Kalzium mobilisiert werden kann, sollte man dieser Kalziumverarmung des Skeletts bei schwangeren Frauen, Tabelle 2

Tägliche Zufuhr nach der Nationalen Verzehrstudie (1) und Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung für Frauen von 19 bis 24 Jahren (20)

Energie Eiweiß Kalzium Eisen Jod Folat

(kcal) (g) (mg) (mg) (µg) (µg)

Zufuhr (Vera)

Median 2 108 68,5 690 12,2 100 227

90 Prozent Bereich (1 024 – 3 434) (35 – 117) (276 – 1 414) (6 – 23) (33 – 284) (98 – 540) Empfehlung (DGE)

Frauen (19 bis 24 Jahre) 2 200 48 1 000 15 200 150

Schwangere 2 500 58 1 200 30 230 (300) 400

Stillende 2 850 63 1 300 20 260 225

(4)

die keine Milchprodukte zu sich neh- men, durch Kalziumsupplemente ent- gegenwirken.

Nicht empfehlenswerte Nahrungs-, Genußmittel- und Zubereitungsarten

Während Vitamin-A-Mangel in Entwicklungsländern verbreitet ist und weltweit jährlich zu 0,5 Millionen Fällen von Blindheit und ähnlich häu- fig zu Resistenzschwäche bei Infek- tionen mit oft tödlichem Verlauf, be- sonders bei Kindern, führt (15), scheint in der Bundesrepublik ein Mangel sehr selten vorzukommen (1).

Bei einer karotinreichen Ernährung mit viel Gemüse und Früchten (10, 25) ist dieser, bei sonst gesunden Schwangeren, auch ausgeschlossen.

Dagegen ist wegen der Gefahr von te- ratogenen Schäden vor Vitamin-A- Dosen über 2 400 µg/Tag zu warnen (76). Multivitamin-Supplemente, die für die Schwangerschaft angeboten werden, enthalten pro Dosis bis zu 1 200 µg Vitamin A, Leber bis zu 13 200 µg/100 g (70). Am besten wer- den deshalb in der Schwangerschaft keine Vitamin-A-Supplemente ver- ordnet und Lebergerichte gemieden.

Toxoplasmose ist auch bei uns verbreitet. Etwa 50 Prozent aller müt- terlichen Toxoplasmose-Erstinfektio- nen führen zu einer Infektion der Frucht, die praktisch immer ernsthaft geschädigt wird (23). Die orale Infek- tion findet durch den Verzehr un- genügend denaturierten Fleisches oder anderer roh genossener Nah- rungsmittel statt. Da neben Toxoplas- ma-Oozysten auch andere Keime, zum Beispiel Salmonellen, Strepto- kokken, Wurmeier durch ungewa- schene oder rohe Nahrungsmittel übertragen werden können, sollte man Schwangeren vom Genuß rohen oder unvollständig gegarten Fleisches und roher Eier abraten und das gründliche Waschen von rohen Früchten und Gemüsen empfehlen.

Etwa 40 bis 50 Prozent der alkoholkranken Schwangeren bringen ein Kind mit fetalem Alkoholsyndrom zur Welt (44, 71), wobei minimale und unerkannte Schädigungen nicht berücksichtigt sind. Da vermutlich et- wa eine halbe Million Frauen im ge-

bärfähigen Alter in der Bundesrepu- blik alkoholkrank sind, ist von einer hohen Inzidenz des fetalen Alkohol- syndroms auszugehen. Weltweit wird diese auf eine pro 1 000 Lebendgebur- ten geschätzt (71). Einen sicheren Grenzwert für den Alkoholkonsum, unterhalb dessen keine Schädigung zu erwarten ist, gibt es nicht. Die sicherste Empfehlung ist es deshalb, überhaupt keinen Alkohol in der Schwanger- schaft zu trinken. Sollten Frauen, die von ihrer Schwangerschaft noch nichts wußten, Alkohol konsumiert haben und deshalb besorgt sein oder schwan-

gere Mütter sich nicht an das totale Verbot halten können, dann ist – nach den Ergebnissen von Euromac – eine Menge von 17 g Alkohol pro Tag, auch in der Frühschwangerschaft, vermut- lich noch als sicher anzusehen (24).

Dabei scheinen gelegentliche große Einzeldosen folgenschwerer zu sein als kleine gleichmäßige Mengen (55).

Dosisabhängige fetale Wachs- tumsretardierung und das häufigere Vorkommen von Früh-, Fehl- und Tot- geburten und plötzlichem Kindstod bei beziehungsweise nach intra- uteriner Tabakrauchexposition (74, 79, 80) weisen darauf hin, daß wir es hier mit einem bedeutenden Gesund- heitsproblem zu tun haben. Das ver- minderte Längenwachstum wurde auch bis zum Schulalter nicht ganz aufgeholt (61). Verhaltensstörungen und mentale Retardierung fanden sich häufiger bei Kindern, deren Mütter während der Schwangerschaft ge- raucht hatten (22). Da nach den Daten der multizentrischen Allergiestudie 23 Prozent von 7 609 Wöchnerinnen an- gaben, während der Schwangerschaft geraucht zu haben (7), handelt es sich hier auch um ein verbreitetes Gesund-

heitsproblem, bei dem eine Interventi- on unbedingt erforderlich ist.

Übermäßiger Koffeinkonsum (>300 mg/Tag) ist ein Risikofaktor für intrauterine Wachstumsretardierung – nicht dagegen für Frühgeburtlich- keit (15). Auch zum Wohle der Mut- ter sollte deshalb hier zur Mäßigung geraten werden.

Risikogruppen

Bei streng vegetarischer Er- nährung kann es zu einer Verarmung der mütterlichen Speicher an Vita- min B12 kommen, die zu Mangel- erscheinungen, vor allem zu neurolo- gischen Symptomen ihres gestillten Kindes (31) und bleibenden Intelli- genzdefekten führen kann (28). Bei dieser Ernährungsform können eine niedrige Fettaufnahme und eine dunkle Hautfarbe, vor allem bei nicht ausreichender Sonnenbestrahlung, zu einer Entleerung der Vitamin-D-Re- serven führen, so daß bei der Mutter biochemische Zeichen eines Vitamin- D-Mangels, Osteomalazie, beim Kind Neugeborenentetanie und beim ge- stillten Kind Rachitis auftreten kön- nen (46, 47).

Da 22 Prozent der Wöchnerinnen 1990 angegeben hatten, an atopischen Erkrankungen gelitten zu haben (6), wird der Arzt sicher häufig nach präventiven Maßnahmen in der Schwangerschaft gefragt werden. We- gen Unwirksamkeit wird heute keine Eliminationsdiät der Mutter in der Schwangerschaft empfohlen, dagegen soll die Mutter sich darauf einstellen, ihr Kind möglichst vier bis sechs Mona- te lang ausschließlich zu stillen. Auch während der Laktationsphase sind Eli- minationsdiäten der Mütter generell nicht anzuraten, jedoch bei mehrfach atopisch belasteten Familien unter diä- tetischer Führung zu erwägen.

Weitere Risikogruppen sind Frauen, die an chronischen somati- schen oder an psychischen Krankhei- ten leiden; Frauen, die auf bestimmte Lebensmittel aus kulturellen Grün- den (Tabus) und wegen einer Unver- träglichkeit oder Allergie (Lactose- intoleranz, Nahrungsmittelallergie) verzichten müssen; solche, die sich aus Armut, beruflicher oder häusli- cher Belastung nicht um eine ausge-

M E D I Z I N ZUR FORTBILDUNG

Tabelle 3

Wünschenswerte Gewichtszunahme in der Schwangerschaft

Prägravider Gesamtzunahme BMI (kg/m2) (kg) niedrig (< 19,8) 12,5 – 18 mittel

(19,8 – 26,0) 11,5 – 16 hoch (> 26,0) 7,0 – 11,5

(5)

wogene Kost kümmern können;

Frauen, die an einer Eßstörung lei- den (Anorexie, Bulimie, Adipositas, Pica) oder denen eine Schwanger- schaft lästig ist (unerwünscht, zu jung); und solche, deren Nahrungsbe- darf besonders hoch ist, zum Beispiel bei Mehrlingsschwangerschaften (15);

und schließlich Frauen, die alkohol-, nikotin oder drogenabhängig sind.

Hier muß die Gewichtszunahme be- sonders sorgfältig überwacht werden, eine Ernährungsanamnese erhoben werden und in den meisten Fällen mit Supplementen, unter Umständen mit Multivitamin- und Mineralstoffsup- plementen, behandelt werden.

Vermittlung des Wissens und Wissensbedarf

In den Mutterschaftsrichtlinien in der Fassung vom 1. 4. 1995 werden zwar „ernährungsmedizinische Emp- fehlungen als Maßnahmen der Ge- sundheitsförderung“ genannt, insbe- sondere auf „eine ausreichende Jodzu- fuhr“ sei hinzuweisen. „Über die Emp- fehlungen zur Jodprophylaxe hinaus sollten in die allgemeine ärztliche Be- ratung weitere ernährungsmedizinisch relevante Aspekte, wie die Versorgung mit Vitaminen, Mineralien und Spu- renelementen, einbezogen und ent- sprechende Empfehlungen für die An- passung der Nahrungsaufnahme in der Schwangerschaft erteilt werden“ (53).

In den Beratungsrichtlinien „Gesund essen“ der Bundesärztekammer 1995 oder den Beratungsstandards der DGE 1995 (10, 21) werden praktische Grundlagen für die allgemeine Ernährungsberatung durch den Arzt

angeboten. Auf die speziellen Bedürf- nisse in der Schwangerschaft wird je- doch nicht eingegangen.

Da die Ernährungsempfehlun- gen nicht gesondert abgerechnet wer- den und Ärzte in der Ernährungsphy- siologie und -pathologie kaum ausge- bildet werden, wird möglicherweise eine suboptimale Beratung erfolgen.

Untersuchungen über den Kenntnis- stand deutscher Ärzte, in diesem Fall besonders der Frauenärzte, hinsicht- lich der zu übermittelnden Inhalte gibt es nicht. Auch die Umsetzung konkreter Empfehlungen von Exper- tengruppen, zum Beispiel der Jod- und Folsäureprophylaxe, wurde bis- her nicht überprüft.

In der nationalen Verzehrstudie Vera (1) fehlt eine Erhebung über den Ernährungszustand schwangerer Frauen. Ernährungsinformationen für lesende Mütter werden vom For- schungsinstitut für Kinderernährung über die DGE angeboten (25) oder über populäre Zeitschriften, wie

„Eltern“, „Mutter und Kind“, Son- derhefte des „Grünen Kreuzes“ wie

„Elternschule“ „Ärztlicher Ratge- ber“ und über Firmenprospekte wie

„Ernährung in der Schwangerschaft“.

Bei vorbereitenden Elternschulungen von sozialen Einrichtungen (Kirchen, Krankenhäusern, Gesundheitsäm- tern) werden Vorträge und praktische Übungen entgegen den Empfeh- lungen des Gesundheitsministeriums (11) häufig von beruflich nicht qualifi- ziertem Personal durchgeführt, das teilweise eine ideologisch ausgerich- tete, wissenschaftlich nicht begrün- dete Ernährungserziehung betreibt.

Die Mütter-Beratungsstellen der diä- tetischen Industrie sind dagegen mit

fachlich qualifiziertem Personal be- setzt, das aber meist produktorien- tiert informiert.

Ziele

Alle werdenden Mütter in der Bundesrepublik müssen die aktuell besten Ernährungsempfehlungen er- halten, die auf ihren individuel- len Bedarf abgestimmt sind. Auf ernährungsbedingte Störungen und Folgekrankheiten muß bei werden- den Müttern mehr noch als bei ande- ren Erwachsenen geachtet werden, das Ausmaß der Störungen und Schä- den muß deutlich vermindert werden.

Eisen- und Jodmangel in Schwanger- schaft und Stillzeit sollten nicht vor- kommen. Die Mütter sollen nach der Schwangerschaft wieder schlank wer- den. Dazu sollten sie gute Eßgewohn- heiten während der Schwangerschaft eingeübt haben und sich während der Schwangerschaft und in der Stillzeit auch sportlich betätigen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1997; 94: A-2411–2415 [Heft 38]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über die Verfasser.

Anschrift für die Verfasser

Priv.-Doz. Dr. med. Renate Bergmann Abteilung für Pädiatrie

m. S. Pneumologie und Immunologie, Kinderklinik im Virchow-Klinikum der Humboldt-Universität zu Berlin Augustenburger Platz 1

13353 Berlin

In der letzten Zeit ist wiederholt darüber spekuliert worden, ob die Einnahme nichtsteroidaler Antirheu- matika (NSAR) beziehungsweise von Acetylsalicylsäure (ASS) einen Risi- kofaktor für das Auftreten einer Re- fluxösophagitis oder einer peptischen Striktur darstellt. Die Autoren analy- sierten die Daten von 101 366 Patien- ten, von denen 92 860 eine Ösophagi- tis und 14 201 eine Ösophagusstriktur

erlitten hatten. Dabei zeigte sich, daß Krankheitsbilder, die mit nichtstero- idalen Antirheumatika therapiert werden wie Osteoarthritis, Osteo- porose, Rückenschmerzen, Ober- schenkelfraktur, Fibrositis und Span- nungskopfschmerz, ankylosierende Spondylitis, rheumatoide Arthritis, Sicca Syndrom und systemische Skle- rose überrepräsentiert waren. Unklar ist derzeit noch, ob die Grundkrank-

heit oder deren Therapie für die Assoziation verantwortlich zu ma-

chen ist. w

El-Serag HB, Sonnenberg A: Associa- tion of esophagitis and esophageal stric- tures with diseases treated with non- steroidal anti-inflammatory drugs. Am J Gastroenterol 1997; 92: 52–56.

Gastroenterology Section, Department of Veterans Affairs Medical Center, 111F, 2100 Ridgecrest Drive Southeast, Albuquerque NM 87108, USA.

ASS/NSAR-Einnahme Risikofaktor für Ösophagitis?

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