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Archiv "Abwägung der Lebensinteressen" (12.09.1991)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

D

ie deutsche Wiedervereini- gung und die unterschiedli- che rechtliche Wertung eines Schwangerschaftsabbruches in bei- den Staaten hat die Diskussionen über dieses Thema nach mehr als dreißig Jahren relativer Ruhe wieder heftig aufleben lassen. Nur wenige Berufene, aber viele Unberufene melden sich zu Wort, wie in den da- maligen Debatten um die Indikati- onslösung. Letztlich kann das Pro- blem auf die Frage reduziert werden, inwieweit das Lebensrecht des Kin- des gegenüber dem Lebensrecht der Mutter und ihrer Lebensqualität ein- geschränkt werden darf.

Die seltenen Fälle der medizini- schen Indikation, wo das Leben ei- ner kranken Mutter durch eine Schwangerschaft ernstlich bedroht ist, bedürfen keiner Diskussion. Hier dominiert eindeutig das Existenz- recht der Mutter, da nur ihr Leben durch einen Abbruch der Gravidität erhalten werden kann.

Die überwiegende Anzahl der Anträge auf einen Abbruch der Schwangerschaft werden jedoch nicht mit dem Lebensrecht der Mut- ter, sondern mit der Beeinträchti- gung ihrer Lebensqualität begründet, wie beispielsweise einer eugenischen Indikation oder schweren sozialen Notlage.

Zweifellos hat die Lebensquali- tät einer Frau in unserer Gesell- schaft einen hohen Stellenwert. Die- se kann bei einer erheblichen Min- derung ihrer Hoffnungen und Wün- sche auf ein erfülltes Leben durch ein Kind sehr beeinträchtigt sein, insbesondere bei Kindern mit geisti- gen oder körperlichen Mißbildun- gen, die einer intensiven Pflege be- dürfen.

Es ist auch unbestritten, daß ei- ne Schwangerschaft in sozialen Not- situationen eine Überforderung ins- besondere für labile, ängstliche oder depressive Frauen darstellen kann, die eine Verzweiflungstat bis zum Suizid auslöst.

Die Bereitschaft zur Bewälti- gung einer sozialen Notlage ist ab- hängig vom Alter, von der Tragfähig- keit der Beziehung zum Partner, dem gesellschaftlichen Status, der Erziehung, dem Beruf, Charakter, Umfeld und dem finanziellen Hin-

tergrund der Betroffenen. So wird eine gleichartige soziale Notlage von verschiedenen Frauen sehr unter- schiedlich bewältigt. Während die ei- nen die Herausforderung annehmen und alle Kräfte für das Kind mobili- sieren, fühlen sich andere überfor- dert und sehen den einzigen Ausweg im Schwangerschaftsabbruch. Die offenen und verborgenen Beweg- gründe, die eine werdende Mutter zu dem Wunsch nach einem Abbruch veranlassen, zu ergründen und ihnen gerecht zu werden, ist allein schon durch ihre unterschiedliche Darstel- lungsfähigkeit für außenstehende Ärzte, Gutachter oder Richter prak-

Abwägung der Lebens- interessen

tisch unmöglich und deshalb eine Moralisierung oder Bestrafung ohne Basis.

Drei Wege können zu einer Re- duzierung der unverantwortlich ho- hen Zahlen legaler und illegaler Ab- treibungen führen:

• Die optimale Unterweisung aller Jugendlichen in der Theorie und Praxis von bewährten Methoden der Empfängnisverhütung und der großen Verantwortung beider Part- ner, kein unerwünschtes Leben zu zeugen.

• Bei einer bereits bestehen- den Schwangerschaft muß eine ge- rechte Abwägung der Lebensinteres- sen der Mutter und des Lebensrech- tes des Kindes mit Hilfe von neutra- len Beratungsstellen von beiden Partnern erarbeitet werden, um zu einem realisierbaren Entschluß zu gelangen, der auch von dem behan- delnden Arzt akzeptiert werden kann.

• Bei finanziellen Nöten müs- sen die Familie, karitative Verbände und staatliche Hilfsorganisationen für eine wirksame Abhilfe sorgen.

Unerfahrene Jugendliche und sich überfordert fühlende erwachse-

ne Frauen bilden die Hauptgruppe der Abtreibungswilligen. Besonders gefährdet sind sehr junge Mädchen, die in ihrem Elternhaus nicht die Zu- wendung und das Verständnis fin- den, die ihren Bedürfnissen entspre- chen. Sie gehen deshalb sehr früh Bindungen mit männlichen Jugendli- chen ein, die selbst noch unreif und unerfahren sind und sich nicht ver- antwortlich für eine wirksame Kon- trazeption fühlen.

Tritt eine Schwangerschaft ein, wird die Freundin häufig verlassen und sieht keinen Ausweg aus dieser Situation; oder aber sie freut sich auf das Kind wie auf eine lebende Pup- pe, ohne die Voraussetzungen zu be- sitzen, es pflegen, erziehen oder er- nähren zu können.

Nach meiner Erfahrung sind auch die Kenntnisse über schwan- gerschaftsverhütende Maßnahmen nicht nur bei den Jugendlichen allge- mein oberflächlich und lückenhaft;

demnach ist der Unterricht in Biolo- gie an allen Schulen insuffizient!

Diese Unkenntnis ist auch verant- wortlich für den weit verbreiteten Irrtum, daß sich der Embryo erst nach dem dritten Monat aus einem undifferenzierten Zellhaufen formt und deshalb bis zu diesem Zeitpunkt über ihn verfügt werdern kann.

Aus diesem Grunde benutze ich bei jedem Beratungsgespräch einen in Kunststoff eingebettenten sechs Wochen alten Embryo, um bewußt zu machen, daß schon in dieser Ent- wicklungsstufe Körper, Kopf, Augen und Ohren ausgebildet sind. Diese Demonstration beeinflußte so man- che Entscheidung der Schwangeren zugunsten des Kindes.

Wer die Verzweiflung und exi- stenzielle Not von Schwangeren mit einer unerwünschten Gravidität er- lebt hat, muß schon in den Schulen eine intensive Unterrichtung über die Vorgänge der Schwangerschaft und die vielfachen Möglichkeiten ei- ner Verhütung einschließlich der

„Pille danach" zwingend fordern, zweckmäßig durch erfahrene Frau- enärzte. Gleichzeitig sollte das Wun- der der Zeugung zum Anlaß genom- men werden, auf die große Verant- wortung der Partner hinzuweisen, um nicht leichtsinnig neues Leben in die Welt zu setzen, für das man kei- A-2982 (26) Dt. Ärztebl. 88, Heft 37, 12. September 1991

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

KURZBERICHTE

ne Verantwortung übernehmen kann. Der Unterricht an unseren Schulen ist überwiegend auf die Ver- mittlung von Fakten abgestimmt.

Die Erziehung zur Verantwortung wird häufig vernachlässigt. Sie ist als Voraussetzung für eine bewußte El- ternschaft eine ethische Norm, die im gesamten Unterricht entwickelt und gefestigt werden muß. Dabei sollte auch jüngeren Menschen schon bewußt gemacht werden, wel- che große Belastung für den verant- wortungsbewußten Arzt ein Schwan- gerschafts-abbruch darstellt.

Die Fristenlösung ist ethisch und ärztlich nur dann zu vertreten, wenn sie nicht als Instrument der Geburtenregelung dient.

Eine alle Normen, Ideologien und persönliche Vorstellungen be- friedigende Lösung des Paragraph 218 kann und wird es bei seiner gro- ßen Problematik nicht geben; des- halb ist die Verhütung einer uner- wünschten Schwangerschaft die For- derung, die wir mit größtem Nach- druck durchsetzen müssen.

Dr. Helmuth Merkl,

W-8203 Oberaudorf, Wall 21

Gott und die Welt (Freitag, 30.

August, ARD). Der sudanesische Arzt im Urwaldhospital hat weder Medizin noch Nahrung. Zwei Jungen sterben vor den Augen des Fernseh- teams in einem völlig kahlen Kran- kenzimmer. Ein einziger Arzt ist für ein Gebiet zuständig, das so groß ist wie die Bundesrepublik. Erschrek- kende Bilder über ein häufig verges- senes Gebiet.

Während die Not der Menschen und die Ursachen der Hungerkata- strophe anschaulich und überzeu- gend geschildert wurden, fehlte es der Sendung bei der Darstellung der Hilfsorganisationen jedoch an der notwendigen Objektivität. Kritik wurde am Roten Kreuz und dem Kinderhilfswerk der Vereinten Na- tionen UNICEF geübt, während die Aktionen der Kirchen durchweg ge- lobt wurden. Ein zweifelhaftes Un- terfangen, zumal den Menschen wohl kaum damit geholfen ist, wenn die einen Organisationen gegen die anderen ausgespielt werden. Kli

Arzt im Praktikum

Nachdem ich als eine der Be- troffenen die Arzt im Praktikum- Phase beinahe abgeschlossen habe, muß ich der Einrichtung des AiP ge- wisse Zugeständnisse machen. Diese Feststellung klingt angesichts zahl- reicher kritischer Stimmen über das AiP erstaunlich. Zum Verständnis meiner positiven Erfahrungen möch- te ich in Umrissen den Ablauf mei- ner AiP-Zeit innerhalb einer Rotati- onsstelle schildern:

Nach der ärztlichen Prüfung be- gann ich meine Weiterbildung in ei- ner großen Allgemeinarztpraxis in ländlicher Umgebung. Ich lernte die Aufgabenbereiche und Erfordernis- se einer auch im wahrsten Sinne des Wortes „praktischen" Tätigkeit ken- nen, die während des Studiums im allgemeinen nicht vermittelt werden.

Unter der Anleitung der erfahrenen Kollegen erlernte ich, eine pragma- tisch orientierte Diagnostik durchzu- führen. Neben den medizinischen Fragen galt es auch, Rat und Ent- scheidungshilfen in familiären und beruflichen Konfliktsituationen zu geben.

Im Verlauf dieser Praxiszeit kri- stallisierte sich heraus, daß am Insti- tut für Allgemeinmedizin an der Rheinisch Westfälischen Techni- schen Hochschule Aachen Rota- tionsstellen eingerichtet würden, die der Idealvorstellung der Ausbildung während der AiP-Phase sehr nahe kommen. Das Konzept der Rota- tionsstellen sieht vor, daß die AiP- Zeit in einzelne Abschnitte geglie- dert wird. Dadurch wurde es mir er- möglicht, der Soll-Bestimmung des Gesundheits-Reformgesetzes vom April 1988 zu entsprechen, nach dem

„das AiP eine neunmonatige Tätig- keit im nichtoperativen Bereich und eine sechsmonatige Tätigkeit im operativen Bereich umfassen soll".

Nach einem halben Jahr in der Praxis wechselte ich in eine gynäko- logische und geburtshilfliche Klinik.

Hier erlernte ich Schwangere und Geburten zu betreuen, assistierte bei operativen Eingriffen des Fachgebie-

tes und führte gynäkologische Krebs- vorsorge durch.

Im letzten Abschnitt der AiP- Phase arbeite ich in der Chirurgi- schen Klinik der Medizinischen Ein- richtungen der RWTH Aachen. Das Tätigkeitsfeld erstreckt sich unter anderem auf Indikationsstellungen zur Operation bei verschiedenen Krankheitsbildern, die präoperative Diagnostik, Tumornachsorgeunter- suchungen sowie die Behandlung akuter Notfälle. Unterdessen habe ich auch kleinere chirurgische Ein- griffe unter Anleitung durchführen dürfen.

Meist unstrukturiert .. .

Fast ausnahmslos haben alle meiner ehemaligen Studienkollegen ihr AiP unstrukturiert in einem Fachgebiet absolviert. Die Soll-Be- stimmung und damit der ursprüngli- che Sinn dieser Praktikumsphase, den Beginn der Weiterbildung in ei- nen operativen und nichtoperativen Abschnitt zu unterteilen, bleiben un- erfüllt. Zu Recht fragen sich unter diesen Umständen viele meiner AiP- Kollegen dann noch nach der Da- seinsberechtigung dieser Form der AiP-Phase. Mir ermöglichte eine Rotationsstelle die Strukturierung meiner AiP-Zeit, die ich als sehr ge- winnbringend empfunden habe.

Die Forderung einer guten Ver- sorgung der Patienten durch qualifi- zierte Hausärzte muß einhergehen mit der Möglichkeit zu einer soliden und umfassenden Ausbildung. Bevor jedoch der Ruf nach einer Pflicht- weiterbildung immer lauter wird, sollten Berufsorganisationen und Gesetzgeber die Soll-Bestimmung der Strukturierung der AiP-Phase in eine Muß-Bestimmung umwandeln.

Anschrift der Verfasserin:

Dr. med. Nicole Kuth

Institut für Allgemeinmedizin Klinikum der RWTH Aachen Pauwelsstraße

W-5100 Aachen

Rotationsstelle als sinnvolle Lösung

Dt. Ärztebl. 88, Heft 37, 12. September 1991 (29) A-2985

Referenzen

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