POLITIK LEITARTIKEL
Hausarzt-A 30
Die AOK sieht den Hausarzt in der Schlüsselrolle
Noch in diesem Jahr will der AOK-Bundesverband einen Mo- dellversuch zu seinem „Hausarzt-Abo" beginnen. Dies kün- digte der AOK-Vorsitzende, Peter Kirch, auf einer Diskussi- onsveranstaltung seines Verbandes Ende April in Bonn an.
Dabei wurde deutlich, daß der „neue Hausarzt" nach AOK- Lesart nicht nur die Strukturen der ambulanten Versorgung weitgehend verändern soll. Die AOK weist ihm auch die Schlüsselrolle bei der Lösung des Krankenhausproblems zu.
G
ert Nachtigal, der alternieren- de Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes auf Arbeitgeberseite, sieht seine Kasse mit dem Hausarzt-Abo voll „im gesundheitspolitischen Trend unserer Zeit". Das Modell, das zu Beginn des Jahres mit einigem publizistischen Er- folg in der Öffentlichkeit präsentiert worden war, ist nach Auffassung der AOK nunmehr reif für (zumindest) einen Probelauf. Bereits im Herbst dieses Jahres soll es ihn also geben, den Hausarzt im Abonnement, vor- aussichtlich in Baden-Württemberg.Nachtigal nutzte eine Experten- veranstaltung des AOK-Bundesver- bandes in Bonn, um die Eckpunkte des angestrebten Hausarzt-Abos zu konkretisieren. Danach soll es in der ambulanten Versorgung getrennte Honorartöpfe für die hausärztliche und fachärztliche Vergütung geben.
Für die Hausärzte, deren überwie- gend „sprechende Medizin" nach Überzeugung der AOK im derzeiti- gen Vergütungssystem nicht lei- stungsgerecht honoriert wird, schlägt der AOK-Bundesverband eine drei- geteilte Honorierungsform vor:
• Mit einer Basispauschale pro Behandlungsfall sollen die normalen akuten Behandlungsfälle in einer hausärztlichen Praxis abgedeckt wer- den. Dazu zählt die AOK die körper- liche Untersuchung, Beratung, Sprit- zen, Verbände, die Ausstellung von Rezepten und die medizinisch-techni- sche sowie labormedizinische Dia- gnoseklärung.
• Für die Vorhaltung und den Einsatz eines angemessenen Labors
und der medizinisch-technischen Ausrüstung (EKG, Ultraschall) soll der Hausarzt eine zusätzliche Pra- xispauschale erhalten. Das Ziel soll beispielsweise lauten: Sonographie nur noch dann, wenn sie medizinisch notwendig ist, und nicht mehr zur Amortisation der Geräteanschaffung.
• Darüber hinaus sollen die wichtigsten, zeitintensiven Aufgaben in der hausärztlichen Praxis über Lei- stungskomplexe vergütet werden. Die AOK denkt hierbei unter anderem an die Behandlung und Betreuung pfle- gebedürftiger Patienten, an die zeit- abhängige Honorierung von Besu- chen und Visiten sowie an die zeitauf- wendigen Beratungsgespräche mit chronisch kranken, sterbenden und behinderten Menschen.
Der Hospitalisierung ein Ende setzen
Mit dieser Vergütungsform ver- folgt der AOK-Bundesverband das Ziel, den künftigen Hausarzt in die Lage zu versetzen, frei von ökonomi- schen Zwängen nur das tun und ver- anlassen zu können, was im jeweiligen Behandlungsfall medizinisch sinnvoll ist. Und hier rückt das Krankenhaus ins Blickfeld.
Dr. Hans Jürgen Ahrens, der Ge- schäftsführer des AOK-Bundesver- bandes: „Bei der Lösung des Kran- kenhausproblems spielen die Hausärzte eine Schlüsselrolle. Ge- lingt es uns, gemeinsam mit den Hausärzten komplexe Dienstlei- stungsprozesse im abulanten Bereich
zu organisieren, dann werden wir der Hospitalisierung von sozialen und pflegerischen Problemen ein Ende setzen können. Dann werden wir durch ambulante Rehabilitation vie- len chronisch kranken Menschen eine frühzeitige Alternative zum Kranken- hausaufenthalt bieten und dem Dreh- tür-Effekt einen Riegel vorschieben."
Das Konzept kann jedoch nur aufgehen, wenn der AOK-Bundes- verband mit seinen Vertragspartnern auf der Ärzteseite in den wesentli- chen Punkten Übereinstimmung er- zielt. Das heißt: Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Kas- senärztlichen Vereinigungen der Län- der müßten vor allem den Vergü- tungsvorschlägen der AOK folgen.
Die Aussichten, dies zu errei- chen, sind gegenwärtig jedoch nur schwer einzuschätzen. Während die vorgeschlagenen Vergütungsformen in wesentlichen Teilen durchaus dem entsprechen, was derzeit im Zuge der EBM-Reform diskutiert wird, dürfte die Trennung der Honorartöpfe hin- gegen noch eine völlig offene Frage sein.
Hinzu kommt das Problem, daß die hausärztliche Versorgung wohl kaum nach Kassenarten unterschied- lich praktiziert werden kann. Das ist auch dem AOK-Bundesverband klar, der es deshalb — Modellversuch hin oder her — am liebsten sähe, wenn auch die anderen Krankenkassen sei- ne Vorstellungen direkt übernähmen.
„Wir brauchen heute den Mut für ei- ne umfassende Reform der hausärzt- lichen Versorgung", appelliert Dr.
Ahrens deshalb mit Blick auf die be- Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 18, 5. Mai 1995 (15) A-1281
Selbständige in freien Heilberufen in Deutschland (Stand: 1. 1. 1995)
Ärzte Zahnärzte Tierärzte Apotheker andere freie Heilberufe
diall
16 790Ni
9 6266 780
1
2 05418 664
1
2 4506 380
Alte Bundesländer
92 556 39 339
42 800
Neue Bundesländer Quelle: Institut für Freie Berufe Nürnberg 1995
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vorstehende EBM-Reform, bei der die AOK als Verhandlungspartnerin ja mit am Tisch sitzt.
AOK-eigener Qualitätszuschlag
Das eigentliche AOK-Hausarzt- Abo mache dabei dennoch Sinn, da es zusätzliche Angebote an die Hausärz- te beinhalte. Konkret denkt der AOK-Bundesverband an einen soge- nannten Qualitätszuschlag für die re- gelmäßige Teilnahme der „Abo-Ärz- te" an spezifischen hausärztlichen Qualitätszirkeln. Gegenüber den Ver- sicherten wäre dies sozusagen ein
„Gütesiegel", ein vorzeigbares Instru-
Zum Jahresbeginn gab es in Deutschland 564 000 selbständig täti- ge Freiberufler. „Das sind 15 000 mehr als noch vor einem Jahr", sagte der Präsident des Bundesverbandes der Freien Berufe (BFB), Dr. med. Horst Kohne, in Bonn vor Journalisten. Die Entwicklung in den alten Bundeslän- dern sei von einem „dynamischen Wachstum" gekennzeichnet. Die Zahl der Freiberufler stieg dort um 13 700 auf 492 600 an. In den neuen Bundes-
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ment im Wettbewerb der Kassen un- tereinander.
Beim Werben um eine neue Partnerschaft mit den Ärzten zeigt sich der AOK-Bundesverband je- doch weiterhin nicht zimperlich. Ei- nerseits setzt die AOK auf eine schiedlich-friedliche EBM-Reform im Sinne der neuen hausärztlichen Versorgungsstrukturen, andererseits läßt sie die Muskeln spielen. „Wir können uns nicht vorstellen, das Geld in den Tresor der Kassenärztli- chen Vereinigungen zu tragen, ohne Einfluß darauf zu haben, wie es ver- teilt wird", meint Dr. Nachtigal. „Wir wollen also, daß das Geld denjenigen Ärzten zugute kommt, die für AOK- Patienten bessere Qualität erbringen
ländern seien die „Gründerjahre in- zwischen in eine Phase der Stabilisie- rung übergegangen". Die Freien Be- rufe konnten dort lediglich einen An- stieg von 1 200 Selbständigen ver- zeichnen.
Unter den Berufsgruppen weisen die rechts-, wirtschafts- und steuerbe- ratenden Berufe das größte Wachs- tum auf, gefolgt von den naturwissen- schaftlich-technischen Berufen. Auch die Zahl der niedergelassenen Ärzte
und spürbare Rationalisierungserfol- ge erzielen."
Verhandlungen auch mit Hausärzten
Deshalb, so Nachtigal, sei der AOK-Bundesverband auch bereit, speziell mit den Hausärzten über ein sinnvolleres und besseres Honorie- rungssystem zu verhandeln. Trotz ge- genteiliger Beteuerungen bei den Pe- tersberger Gesprächen mit Bundesge- sundheitsminister Horst Seehofer scheint der Sicherstellungsauftrag der Kassenärztichen Vereinigungen für die AOK nach wie vor also nicht tabu zu sein. Josef Maus
ist weiter gestiegen. Anfang 1994 wur- den 106 000 Ärzte in eigener Praxis re- gistriert. Anfang 1995 waren es bereits etwa 109 000. Diesen Zuwachs be- gründet Kohne mit den Nachwirkun- gen des Gesundheitsstrukturgesetzes.
Mit scharfer Kritik hat der Bun- desverband der Freien Berufe auf Be- strebungen der Kommission der Eu- ropäischen Union reagiert, Preissiche- rungen für Freiberufler abzuschaffen Es müsse mit dem Mißverständnis aufgeräumt werden, daß privatrechtli- che Preisempfehlungen in anderen EU-Staaten mit den deutschen Ge- bührenordnungen identisch seien, mahnte Kohne. Eine solche Art von Preisabsprachen schränke den Wett- bewerb keineswegs sein. Schließlich entscheide nicht der Staat über die Gebührenhöhe, sondern Organisatio- nen in freier Meinungsbildung. Die Kommission argumentiere damit letztlich gegen staatliche Gesetze in Deutschland. Der BFB-Präsident for- derte die Bundesregierung auf, gegen die Absichten der Brüsseler Kommis- sion vorzugehen.
Sorge bereitet dem Bundesver- band der Freien Berufe auch die Aus- bildungssituation. So hätten die Frei- en Berufe 1994 fast 60 000 neue Aus- bildungplätze zur Verfügung gestellt.
Insgesamt bildeten sie etwa 170 000 Lehrlinge aus. 1995 sei jedoch ein „Ab- sacken der Lehrstellenzahlen zu beob- achten". Gründe für diesen Trend sind für Kohne unter anderem Honorar- kürzungen und sinkende Umsätze. Kli
Buncesver Band cer Freien Berufe
Kritik an EU-Kommission
A-1282 (16) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 18, 5. Mai 1995