60
40
20 Anzahl der
Individuen
Gruppe A
60 - 40 - 20 -
Gruppe B
Rechenmaß
0 6 7 8 9 10 X
Darstellung 1: Verteilung eines Merkmals.
Anzahl der Individuen
Gruppe A Gruppe B
■ 11111i,11L. Größe des
7
Merkmales
Darstellung 2: Verteilung des Rechenmaßes
Zur Fortbildung Aktuelle Medizin
DEFINITION
Diskriminanzanalyse
In der theoretischen und klinischen Medizin stellt sich oft die Aufgabe, ein durch eine Reihe von Merkmalen gekennzeichnetes Individuum einer von zwei Gruppen zuzuordnen, zum Beispiel einen Patienten aufgrund einer Reihe von Laborwerten als ge- sund oder an einer bestimmten Krankheit leidend einzugruppieren;
nach quantitativen anatomischen Merkmalen, die zum Beispiel aus Messungen an Skelett oder Schädel stammen, oder auch aufgrund aus solchen Messungen abgeleiteter In- dizes, ein Individuum einer Rasse zuzuordnen; oder nach einer Anzahl von Merkmalen, die bei Vermessung des EKGs gewonnen wurden, wie Amplituden und Zeitdauern der ver- schiedenen EKG-Komplexe, einen Patienten als infarktverdächtig oder nicht infarktverdächtig zu erkennen.
Immer handelt es sich um die Zuord- nung eines durch mehrere Merkma- le gekennzeichneten Individuums zu zwei oder mehreren Gesamtheiten, deren Tennung durch einen überge- ordneten Gesichtspunkt feststeht.
Im allgemeinen reicht ein einzelnes Merkmal nicht aus, beide Gruppen eindeutig zu trennen. Die Darstel- lung 1 verdeutlicht dies schema- tisch. Sie zeigt die im allgemeinen in einer Gruppe vorliegende Häufig- keitsverteilung für ein Merkmal, also die Anzahl von Individuen, die eine bestimmte Ausprägung dieses Merkmales haben, aufgetragen ge- gen die Größe des Merkmals in will- kürlichen Einheiten. Zwar unter- scheidet sich — wie in der Darstel- lung 1 — oft der Mittelwert der beiden Gruppen deutlich, aber in einem ge- wissen Bereich überschneiden sich beide Gruppen.
Liegt das Merkmal eines Individu- ums nun in diesem Bereich, kann aufgrund des einzelnen Merkmales allein nicht entschieden werden, zu welcher Gruppe das Individuum zu zählen ist. Diese Art der Verteilung beziehungsweise Überschneidung der beiden Gruppen tritt aber mehr oder weniger stark bei allen Merk- malen auf.
Darstellung 1
In der Diskriminanzanalyse steht ein statistisches Verfahren zur Verfü- gung, das durch Berücksichtigung und Zusammenfassung aller Einzel- merkmale ein Maß liefert, das die beiden Gruppen optimal trennt. Man kombiniert dazu die Werte aller an einem Individuum gemessenen Ein- zelgrößen, indem man jedes Meßer- gebnis xi an einem Einzelelement mit einem bestimmten Faktor bi mul- tipliziert und alle Maße für ein Indivi- duum zu dem sogenannten Rechen- maß X kombiniert:
X = bi .xi + b2 • X2 . . . bn xn
Wesentlicher Punkt bei der Diskri- minanzanalyse ist die Bestimmung der Faktoren bi in der Weise, daß die
Differenz zwischen den Mittelwerten der Rechenmaße d =
5Z A
ke der beiden zu trennenden Gruppen möglichst groß wird. Mit Hilfe dieser Bedingung kann man für jeden praktisch vorliegenden Fall die bi zahlenmäßig berechnen und erhält damit die sogenannte Diskriminanz- funktion oder Trennfunktion, da mit Hilfe dieser Funktion für jedes Ein- zelelement entschieden werden kann, welCher Gesamtheit es zuzu- ordnen ist.Darstellung 2
Die Darstellung 2 zeigt die prinzi- pielle Verteilung des so berechneten Merkmales X oder besser: der so berechneten Größe X. Die Verteilung des Merkmals X überschneidet sich
Heft 41 vom 12. Oktober 1978 2349
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Zur Fortbildung Aktuelle Medizin
NOTIZ
Influenzaschutzimpfung — Änderung
der Impfpolitik unnötig
Stellungnahme der Ständigen Impfkommission des Bundesge- sundheitsamtes und der Deut- schen Vereinigung zur Bekämp- fung der Viruskrankheiten zur Influenzaschutzimpfung für die Saison 1978/79
Der 1977 nach 20 Jahren zuerst in China wiederaufgetretene Influenza- A-Subtyp (H1N1) ist in der Wintersai- son 1977/78 in der Bundesrepublik Deutschland und in anderen Län- dern Europas nachgewiesen wor- den. Die durch diesen Stamm her- vorgerufenen Erkrankungen verlie- fen im allgemeinen mild und wurden nur bei jüngeren Jahrgängen beob- achtet.
Soweit es zu schwereren Krank- heitserscheinungen kam, waren die- se in der Regel durch den gleichzei- tig umlaufenden Subtyp H3N2 verur- sacht, der seit 1968 die Influenzaepi- demiologie bestimmt. Serologische Untersuchungen ergaben, daß die Zahl der Infektionen durch das H1N1-Virus offenbar geringer gewe- sen ist als die durch das H3N2-Virus.
Auf der Südhalbkugel der Erde (Ar- gentinien und Chile) wurden im Mai 1978 Ausbrüche von Influenza-A- (H1N1)-Erkrankungen bei jungen Jahrgängen festgestellt, so daß da- mit zu rechnen ist, daß dieser Sub- typ auch in der bevorstehenden Wintersaison in Europa wieder vor- kommt.
Zwar ist mit dem Erscheinen des H1N1-Virus — wie erwartet—ein Anti- genwechsel (antigenic shift) erfolgt, jedoch ist es dem neuen Virusstamm nicht gelungen, den alten völlig zu verdrängen. Die Weltgesundheitsor-
ganisation hat deshalb im Januar dieses Jahres vorgeschlagen, in den Impfstoff für die Saison 1978/79 An- tigene beider Subtypen (H1N1 und H3N2) aufzunehmen.
Diesen Empfehlungen hat sich die hierfür zuständige Behörde in der Bundesrepublik Deutschland, das Paul-Ehrlich-Institut, angeschlos- sen.
Unter Berücksichtigung der gegen- wärtigen epidemiologischen Situa- tion wird eine Änderung der Impfpo-, litik nicht für notwendig gehalten.
Die Impfung bleibt wie bisher vor- rangig angezeigt bei:
• Erwachsenen und Kindern, die wegen bestimmter Grundleiden durch eine Influenzaerkrankung ge- fährdet sind, z. B. Patienten mit Herzkrankheiten, besonders mit Mi- tralstenose oder kardialer Insuffi- zienz;
chronischen bronchopulmonalen Krankheiten wie Asthma, chronische Bronchitis, Bronchiektasen und Emphysem;
chronische Nierenkrankheiten;
Diabetes mellitus und anderen chro- nischen Stoffwechselkrankheiten.
• Personen über 65 Jahren.
(1) Personen, die in erhöhtem Maße einer Infektion ausgesetzt sind, z. B.
Medizinalpersonen und Personen an Arbeitsplätzen mit regem Publi- kumsverkehr.
Personen bis etwa zum 25. Lebens- jahr benötigen 2 Impfdosen im Ab- stand von mindestens 4 Wochen, um einen ausreichenden Impfschutz ge- gen den Influenza-A-Subtyp H1N1 zu erzielen.
Bundesgesundheitsamt Presse- und Informationsstelle Postfach
1000 Berlin 33
Diskriminanzanalyse
für die beiden Gruppen A und B nicht mehr. Aufgrund der Größe X kann ein Individuum eindeutig der Gruppe A oder B zugewiesen werden.
Die lineare Diskriminanzanalyse lie- fert also eine Rechengröße, deren Verteilung sich für beide Gruppen nicht oder möglichst wenig über- schneidet und aufgrund der man im Einzelfall ein Individuum eindeutig einer der beiden Gruppen zuordnen kann. Sie ist rechnerisch einfach und übersichtlich; als Nachteil müs- sen die Voraussetzungen angese- hen werden, die bei ihrer Anwen- dung vorliegen müssen. Dies sind Normalverteilung der einzelnen Merkmale und gleiche Varianz der Merkmale.
Im allgemeinen sind diese Voraus- setzungen bei biologischen Merk- malen zwar gegeben, sie müssen es aber nicht sein. Einen Ausweg aus diesen Schwierigkeiten liefert die quadratische Diskriminanzanalyse, die auch dieses Problem bewältigt, rechnerisch aber wesentlich kompli- zierter ist.
Anwendung findet die Diskriminanz- analyse heute bei der automatischen Klassifizierung von Biosignalen und Bildmustern durch einen Computer, zum Beispiel der Klassifizierung von EKGs und der Eingruppierung von Zellbildern, Aufgaben, die bei der Chromosomenanalyse und bei der Auswertung von automatischen Un- tersuchungen für die Krebsfrüher- kennung von Bedeutung sind.
Die Diskriminanzanalyse wurde als mathematisches Hilfsmittel auch bei den Ansätzen zur automatischen Computerdiagnostik benutzt, da mit ihrer Hilfe ein Teilaspekt der Lei- stung des menschlichen Klassifika- tors, des Arztes bei Stellung der Dia- gnose, nachgebildet werden konnte oder sollte. A. Habermehl
Literatur
Weber, E.: Grundriß der biologischen Statistik, Gustav Fischer Verlag. Jena
2350 Heft 41 vom 12. Oktober 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT