Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 107|
Heft 37|
17. September 2010 A 1761F
rauen besaßen im Jahr 1912 in Preußen erst seit vier Jah- ren das Recht, sich immatrikulie- ren zu lassen. Im selben Jahr be- kam Lydia Rabinowitsch-Kempner als erste Frau in Berlin den Profes- sorentitel verliehen. Doch da sie sich als Frau nach wie vor nicht habilitieren durfte, konnte sie kein„ordentlicher deutscher Professor“
werden.
Rabinowitsch-Kempner wurde am 28. August 1871 als jüngstes Kind in der Familie eines Brauerei- besitzers in Kowno in Litauen ge - boren. Um studieren zu können, gab es für sie als Mädchen, noch dazu aus einer jüdischen Familie, nur die Möglichkeit, in die Schweiz zu ge- hen. Sie entschied sich für Bern und wurde dort mit einer Arbeit zur
„Entwicklungsgeschichte der Frucht - körper einiger Gastromyzeten“ in Medizin promoviert. Als sie im Jahr 1894 ihr Studium beendet hat- te, zog es sie nach Berlin, weil sie
bei Robert Koch die Bakteriolo gie kennenlernen wollte. Doch da die männerdominierte Gesellschaft Frau - en nicht viel Freiraum für wissen- schaftliche Arbeiten ließ, siedelte sie nach Philadelphia, USA, über, wo sie bereits mit 26 Jahren Profes- sorin wurde. Gleichzeitig hatte sie aber noch eine unbezahlte Assisten- tenstelle am Hygienischen Institut von Robert Koch erhalten, wo sie in den Semesterferien den Wissen- schaftler Walter Kempner kennen- lernte. Sie heirateten 1898 auf ei- nem internationalen medizinischen Kongress in Madrid, was so außer- gewöhnlich war, dass verschiedene Zeitungen darüber berichteten. Das Ehepaar hatte drei Kinder.
Seit 1903 arbeitete Rabino- witsch-Kempner am Pathologi- schen Institut der Berliner Universi- tät. Bereits ein Jahr später wies sie nach, dass Tuberkelbazillen durch infizierte Kuhmilch übertragen werden können. Das veranlasste
nach einigem Zögern die „Milch- verwertungsfabrik“ von Carl Bolle, mit ihr ein Pasteurisierungsverfah- ren zu entwickeln, mit dem die Milch keimfrei gemacht werden konnte, was sie zu einer anerkann- ten Wissenschaftlerin machte.
Doch erst im Jahr 1920 erhielt Rabinowitsch-Kempner die Direk- torenstelle des Bakteriologischen Instituts am Städtischen Kranken- haus Moabit. Im Jahr 1934 wurde sie zwangspensioniert. „Als eines Tages die ersten Hakenkreuzfahnen in den Straßen erschienen, fing sie im Auto neben mir furchtbar zu weinen an. Ich fragte: ,Mutter, was ist denn los?‘ Da hob sie ihre Hand, deutete auf die Fahnen und sagte:
,Jetzt wird hier der Pogrom anfan- gen‘“, schrieb ihr Sohn Robert. Sie ermöglichte ihren Kindern die Emi- gration, blieb aber selbst in Berlin, wo sie am 3. August 1935 starb. ■
Gisela Klinkhammer
LITERATUR
1. Vogt A: Der „Milch-Skandal“ machte sie berühmt. Berlinische Monatsschrift 1997;
7: 32–6.
2. www.onmeda.de/lexika/persoenlichkeiten/
rabinowitsch_k.html.
3. www.berlin.de/imperia/md/content/baste glitzzehlendorf/geschichte/kempner_
ldia.pdf?start&ts=1263463737&
file=kempner_lydia.pdf.
LYDIA RABINOWITSCH-KEMPNER
Erste Professorin in Berlin
Die Ärztin wies nach, dass Tuberkelbazillen durch infizierte Kuhmilch übertragen werden können.
Illustration: Elke Steiner