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Archiv "Kostentherapie durch die freie Praxis: Krankenhäuser — „teure Lehrstätten“" (16.09.1976)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen FORUM

„In der Stunde der Not ist für unse- re Kranken das Beste gerade gut genug." So lautete die gängige These des Ex-Landrats Martin Woythal, der im ehemaligen Land- kreis Hanau (jetzt: Main-Kinzig- Kreis) mit viel Aufwand das erste

„wirkliche" klassenlose Kranken- haus bauen wollte, mit seinen hochfliegenden kostenträchtigen Plänen jedoch kläglich gescheitert ist. In Kassel diskutierten Experten vor dem Deutschen Sozialgerichts- verband kürzlich Funktion und Leistungsfähigkeit der gegliederten Krankenversicherung. Im Mittel- punkt stand dabei die Frage nach Möglichkeiten einer besseren und kostengünstigeren ärztlichen Ver- sorgung.

Billige

oder teure Krankenversorgung?

Die. Qualitätsneurose der Gesund- heitspolitik ist weitgehend abge- klungen. Dafür mehren sich jedoch die Symptome für eine Kostenneu- rose. Vor entsprechenden Fehlent- wicklungen schützt uns nicht zu- letzt die Freiheit des Bürgers, auf die kassenärztliche Versorgung im Einzelfalle verzichten und privat- ärztliche Behandlung wählen zu können. Und wenn sich kein einzi- ger Versicherter auf eigene Kosten untersuchen und behandeln lassen sollte, so würde doch schon die bloße Möglichkeit, das zu tun, ein Abgleiten in eine allzu billige Kas- senmedizin verhindern. Man erin- nere sich an das „Kassengestell"

der gesetzlichen Krankenversiche- rung (GKV). Jahrelang hat es die Träger der GKV belastet, weniger

durch seine Kosten als vielmehr durch seinen Ruf, ein billiges Bril- lengestell zu sein.

Wer bewahrt uns vor dem Gegen- teil, vor einer zu teuren kassen- ärztlichen Versorgung? Vornehm- lich die gegliederte Krankenversi- cherung, zu der auch die private gehört. Denn Versicherungsbeiträ- ge sind Indikatoren für die Ausga- ben, die wir uns leisten können.

Das gilt allerdings nicht für Beiträ- ge zu einer Einheitsversicherung.

Einheitsbeiträge können allzuleicht mit dem Steueraufkommen ver- mischt, ja in dieses überführt wer- den. Dann sieht niemand mehr, was die Ambitionen der Sozial- und Gesundheitspolitiker kosten, ge- schweige denn, welcher Teil des Steueraufkommens auf die ärztli- che Versorgung entfällt.

Was uns das Gesundheitswesen insgesamt kostet, läßt sich hierzu- lande schon lange nicht mehr exakt feststellen. Denken wir nur an die Finanzierung der For- schung, des Krankenhausbaues, des betriebsärztlichen Dienstes.

Denken wir an Lohn- und Gehalts- fortzahlung, Heilfürsorge von Bun- deswehr und Bundesgrenzschutz, an Kuren der Rehabilitationsträger und der Bundesversorgung, an Beihilfen des öffentlichen Dienstes und anderer Einrichtungen, um nur einige Geldströme aufzuzeigen.

Freipraktizierende oder angestellte Ärzte

Es kann dahingestellt bleiben, ob die ambulante Versorgung der Be-

Die Qualitätsneurose der Ge- sundheitspolitik ist heute weitgehend abgeklungen.

Dafür mehren sich jedoch die Symptome einer Kosten- neurose. Ein Diskussionsbei- trag zeigt eine der wesentli- chen Kostenursachen auf und betont, daß ein Neben- einander von kassenärztli- cher und privatärztlicher Krankenversorgung ein Ga- rant für eine kostengünstige ärztliche Versorgung ist und gleichzeitig ein Abgleiten in eine allzu billige Kassenme- dizin verhindert. Dem Beitrag liegen die Ausführungen des Verfassers zugrunde, die die- ser vor dem 8. Kontaktsemi- nar des Deutschen Sozialge- richtsverbandes in Kassel gemacht hat.

völkerung durch freipraktizierende Ärzte in Einzel- und Gruppenpra- xen oder durch angestellte Ärzte in Ambulatorien und Polikliniken bes- ser ist. Billiger sind angestellte Ärzte sicher nicht. Auch Ärzte sind Menschen. Als Gehaltsempfänger aber leisten Menschen nur in so- zialromantischen Träumen mehr als bei Einzelleistungsvergütung.

Und Gehaltsempfänger sind Pensi- onsanwärter. Arbeitgeberzuschüs- se zur gesetzlichen Kranken-, Ren- ten- und Arbeitslosenversicherung, zu Mittagessen, Betriebsausflug, Urlaub und anderem „Sozialklim- bim" lassen sich neben dem Ge- halt noch errechnen; dynamische Pensionen nicht mehr. Sie sind

„unbezahlbar" (so die These Prof.

Dr. Georg Heubecks in einer Ver- gleichsstudie über Einkommen und soziale Absicherung bei Zahnärz- ten und Beamten, Baden-Baden 1976). Darum sind auf Dauer ange- stellte Ärzte teurer als selbständi- ge. Dafür nur drei Beispiele:

Nach den Polikliniken der Universi- täten dürfte die Deutsche Klinik für Diagnostik (DKD) in Wiesbaden das größte Ambulatorium der Bun-

Kostentherapie

durch die freie Praxis

Krankenhäuser — „teure Lehrstätten"

Rudolf Lehming

2390 Heft 38 vom 16. September 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(2)

Krankenhauspflege amb. Arztleistungen Arzneimittelverbrauch zahnarztl. Leistungen mit Prothetik

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IMEM•

35

20' 15' 10' 45 40

5 ;- ej PP

1960 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 Ausgabenanteile der gesetzlichen Krankenversicherung für Kran-

ken(haus)pflege lt. Arbeits- und sozialstatistische Mitteilungen des BMA

Spektrum der Woche Aufsätze Notizen

Kostenentlastung durch freie Praxis

desrepublik Deutschland unterhal- ten. Hier arbeiten über 40 qualifi- zierte angestellte Ärzte ohne das Recht zu privatärztlicher Nebentä- tigkeit. Diese angestellten Ärzte er- halten von der Kassenärztlichen Vereinigung die gleichen Gebühren wie freipraktizierende. Aber die DKD kommt damit nicht aus. Jähr- lich fehlen ihr mehrere Millionen DM. Dabei bezahlen die selbstzah- lenden Patienten die vierfachen Sätze der GOÄ, fast dreimal soviel wie die Kassenärztlichen Vereini- gungen. Nebenbei bemerkt, auch der Pflegesatz deckt die Kosten der DKD nicht. Würde er so festge- setzt, daß er die Benutzerkosten deckt, würden selbst Universitäts- kliniken vor Neid erblassen. Darum, hat die Behörde zwei Jahre nach Inkrafttreten der Bundespflegesatz- verordnung für die DKD immer

noch keinen Pflegesatz festgesetzt.

Nicht viel anders ist es in Herdek- ke/Ruhr. Das Gemeinnützige Ge- meinschaftskrankenhaus unterhält ein größeres Ambulatorium. Die festangestellten Ärzte haben kein Liquidationsrecht; der Kranken- hausträger liquidiert als Institution.

Auch hier gibt es auf den ersten Blick keinen Unterschied zwischen Kassen- und Privatpatienten. Einen

gibt es doch: Die selbstzahlenden Patienten (in Herdecke sind es rund 18 Prozent) haben höhere Ge- bühren zu entrichten als die Kas- senärztlichen Vereinigungen. Wür- den die Privatpatienten das Ge- meinnützige Gemeinschaftskran- kenhaus bestreiken, müßte es Kon- kurs anmelden, obwohl der Pflege- satz schon 1974 mit 140 DM etwa 30 Prozent über dem Pflegesatz vergleichbarer, doppelt so großer Krankenhäuser lag.

Schließlich noch ein Blick auf die stationäre Versorgung durch ange- stellte Ärzte. Beschränken wir die- sen Blick auf die wesentlichen Ausgabenanteile der GKV für Heilkosten. Nach den Arbeits- und sozialstatistischen Mitteilungen des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung haben die Aus- gaben für die Behandlung durch Zahnärzte, für Zahnersatz und für Arzneimittel von 1960 bis 1974 un- gefähr den gleichen Teil einge- nommen. Aber der Ausgabenanteil für Krankenhauspflege stieg von 1960 bis 1974 um zehn Prozent- punkte. Um den gleichen Anteil fie- len die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für die kas- senärztliche Versorgung (Darstel- lung unten).

Nun könnte einer sagen, die Ver- sicherten kommen immer häufiger ins Krankenhaus. Infolgedessen müssen die Krankenhauskosten stärker ansteigen. Aber das ist ein Trugschluß. Zwar stieg die Kran- kenhaushäufigkeit von 1960 bis 1974 von 12,48 auf 15,90 Prozent.

Aber in der gleichen Zeit fiel die durchschnittliche Verweildauer in den Akut- und Sonderkrankenhäu- sern von 28,7 Tagen auf 22,7 Tage.

Gleichgeblieben sind die Kranken- hauspflegetage pro Einwohner:

3,58 Tage im Jahre 1960 und 3,61 Tage im Jahre 1974. Pro Nase hat das Krankenhaus also 1974 nicht einmal 1 Prozent mehr Pflegetage erbracht als 1960. Trotzdem ist der Ausgabenteil der GKV für Kranken- hauspflege um rund 10 Prozent ge- stiegen. Das ist ein eindeutiger Be- weis für den Kostenprimat kran- kenhausärztlicher Versorgung. Da- bei soll nicht bestritten werden, daß die Kosten für die kassenärztli- che Versorgung steiler gestiegen sind als allgemeine Lebenshal- tungskosten und Durchschnittslöh- ne. Aber der Trendvergleich zeigt doch eindeutig, wo das Zentrum der Kostenexpansion liegt.

Teure Lehrstätten

Der Kostenführer Krankenhaus ist aber die Lehrstätte für die kassen- ärztliche Versorgung. Im Hörsaal wie am Krankenbett, stets stößt der lernende Arzt auf Kranke, die für die klinische Behandlung oder Un- tersuchung vorselektiert sind. An dieser Selektion führt auch die so- genannte prästationäre Diagnostik nicht vorbei. Ob eine Diagnostik zur Einweisung ins Krankenhaus führt, hängt doch vom Untersu- chungsergebnis ab. Nehmen wir an, nach einem solchen Ergebnis ist eine stationäre Behandlung nicht erforderlich. Ist die vorange- gangene Diagnostik dann prästa- tionär zu nennen? Prästationär kann eine Diagnostik sowohl in der Einzel- oder Gruppenpraxis als auch im Krankenhaus oder Ambu- latorium werden.

Was dem freipraktizierenden Kas- senarzt fehlt, sind nicht Medizi-

2392 Heft 38 vom 16. September 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Kostenentlastung durch freie Praxis

nisch-technische Zentren (MTZ), sondern wirtschaftlich denkende Lehrmeister. Doch gerade diese angestellten Krankenhausärzte sind es bislang überhaupt nicht ge- wohnt, nach den Kosten ihrer Un- tersuchungen, Behandlungen und Verordnungen zu fragen. Darum kann durch eine Überführung der Kassenärzte ins Angestelltenver- hältnis nichts billiger werden. Eher durch die Einführung des Wirt- schaftlichkeitsprinzips in Lehre und Forschung. Der überproportio- nale Kostenanstieg ist doch allein dadurch zu bremsen, daß Leistun- gen abgebaut oder wenigstens durch preisgünstigere ersetzt wer- den. Die bloße Kostenverschie- bung auf andere Träger oder den Versicherten selbst ist ein neuroti- sches Symptom. Kostendämpfung wird dadurch nur vorgetäuscht.

Teure Lehren

Angestellte Krankenhausärzte be- kommen das gesamte Spektrum der Klagen und Symptome von Pa- tienten einer Allgemeinpraxis kaum zu Gesicht. Werden sie in der Am- bulanz tätig, handeln sie als Klini- ker. Deren Patienten sind aber be- reits durch das Sieb der niederge- lassenen Ärzte vorgefiltert. Verein- facht ausgedrückt: In Unkenntnis der individuellen Lebens- und Krankheitsgeschichte und in Un- kenntnis der Erkrankungshäufig- keiten einer unselektierten Praxis erbringen angestellte Kranken- hausärzte in der Ambulanz über- flüssige Leistungen, überflüssig im Vergleich zu den Leistungen er- fahrener niedergelassener Haus- ärzte. Welche Leistungen durch die Kenntnis der Lebensumstände des Patienten und des Krankheits- verlaufs im Einzelfall überflüssig werden, das lernt der Arzt gerade nicht im Krankenhaus. Er lernt es erst nach seiner Niederlassung in eigener Praxis, sei es als Autodi- dakt, sei es durch die Kassenärztli- che Vereinigung.

Kliniker haben es im allgemeinen nicht nötig, Patienten zu führen.

Nach einer durchschnittlichen Ver- weilzeit von 17,2 Tagen (1974) ver-

lassen die Patienten das Akutkran- kenhaus und damit den Einflußbe- reich des Klinikers. Infolgedessen liegt ihre Führung und Motivation allenfalls beim Pflege- und Assi- stenzpersonal oder bei speziell vorgebildeten Ärzten. Andererseits werden Erfolgserlebnisse im soma- tischen Bereich der Klinik allzu leicht auf den psychischen und psychosomatischen übertragen. So entsteht der Glaube der Kranken- hausärzte an den Erfolg stationärer Kuren, bis hin zur Fastenkur in Form einer Null-Diät.

Die endokrinologische Abteilung der Universität Frankfurt hat 1968 bis 1971 für 50 alimentär Fettleibi- ge 58 solcher Fastenkuren durch- geführt. Bei einem Durchschnitt von 30,6 Tagen waren das 1774 Pflegetage mit einer durchschnittli- chen Gewichtsabnahme von 403

ZITAT

„Scheißegal!"

„Um es ganz klar zu sagen:

Es ist mir scheißegal, wieviel mein Arzt verdient! Hauptsa- che: Er ist immer für mich da!

Und bisher war er immer da, bei Zahnschmerzen und bei Bauchweh, für mich und für meine Angehörigen, bei Tag in der Praxis und bei Nacht, wenn er kommen mußte.

Der Willy Brandt und der Hel- mut Schmidt und manch an- derer Genosse verdient be- stimmt mehr als mancher Arzt. Soll ich mal einen von ihnen mitten in der Nacht an- rufen, damit er kommt und mit mir diskutiert???

Meinen Arzt brauch ich, aber auf die Politiker kann ich gut verzichten, also laßt meinen Arzt in Ruhe!"

Leserbrief in der schleswig- holsteinischen SPD-Mitglie- derzeitschrift „wir", Mai 1976

Gramm. Für den Verlust von einem Kilogramm Körpergewicht, das sich eine Fettleibige auf eigene Ko- sten zugelegt hatte, mußte die All- gemeinheit im Jahre 1970 schon 433 DM aufbringen, für ihre 86,5 kg Übergewicht also 37 454,50 DM.

Der Bericht der Frankfurter Uni-Kli- nik im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT schließt mit den Worten: „Wir konnten die Hälfte unserer Patien- ten nach durchschnittlich zwei Jah- ren kontrollieren; bei 18 Prozent konnte ein voller Langzeiterfolg festgestellt werden. Dieses Ergeb- nis wird in der Literatur in der Re- gel bestätigt. Günstigere Langzeit- ergebnisse sind wohl nur zu errei- chen, wenn die Patienten nach Ab- schluß der Fastenkur unter ständi- ger Betreuung von Arzt und Diätas- sistenten verbleiben, mit denen sie den ,Kampf gegen das Überge- wicht' aufgenommen und erfolg- reich eingeleitet haben." (DÄ Heft 19/1975, Seite 1350)

30 Prozent der Erwachsenen und 80 Prozent erwachsener Diabetiker sollen dem gleichen Aufsatz zufol- ge übergewichtig sein. Ein zweijäh- riges Durchhalten des Normalge- wichts gilt bereits als Langzeiter- folg, erreicht bei 18 Prozent der Kuren und bei Kosten bis zu 37 455 DM. Das Ganze vor dem Hinter- grund der bekannten FdH-Regel

„Friß die Hälfte". So etwas kenn- zeichnet die wirtschaftliche Blind- heit angestellter Krankenhausärzte, auch wenn sie von namhaften Pro- fessoren geführt werden. Die Leh- ren solcher Professoren führen zu entsprechenden Verschreibungen in der kassenärztlichen Versor- gung, die Verschreibungen wieder- um zu Kassenleistungen, wenn der Nichtjurist die Rechtsprechung der Sozialgerichte richtig versteht.

Aber nicht alles, was medizinisch machbar ist, ist menschlich und wirtschaftlich auch vertretbar. Die private Krankenversicherung (PKV) ist jedenfalls entschlossen, die me- dizinische Notwendigkeit derart teurer und auf Dauer erfolgloser Kuren zu bestreiten. Würden die Zivilgerichte diesen Entschluß stüt- zen, könnten sie vielleicht sogar zu einer besseren und billigeren kas-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 38 vom 16. September 1976 2393

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Kostenentlastung durch freie Praxis

senärztlichen Versorgung beitra- gen. Hier können Kosten tatsäch- lich eingespart werden, weil nutzlo- se Leistungen entfallen. Ähnliches gilt für sogenannte Raucherent- wöhnungskuren.

Die entscheidenden Möglichkeiten einer kostengünstigen kassenärztli- chen Versorgung liegen ohne Zweifel in der Hand der Kassenärz- te. Letzten Endes zählt nur das, was der Kassenarzt diagnostisch und therapeutisch tut oder unter- läßt, was er verordnet oder nicht verordnet, was mitunter nicht nur billiger, sondern auch besser ist.

Die Ausbildung der Kassenärzte liegt allerdings in fremder Hand.

Langfristig ist es darum nötig, die ärztlichen Lehrmeister in den Krankenhäusern wirtschaftlich zu belehren.

Beteiligte Patienten

Aber nicht nur die Ärzte, auch die Versicherten können zu einer bes- seren und billigeren kassenärztli- chen Versorgung beitragen, und das nicht nur durch gesunde Le- bensweise und regelmäßige Vor- sorgeuntersuchungen. Patienten sind doch nicht bloße Objekte der kassenärztlichen Versorgung. Nicht selten führt ihre aktive Beteiligung an der Therapie zu einer besseren und billigeren Medizin.

Selbstbeteiligung, Selbstbehalt und Beitragsrückgewähr stammen ur- sprünglich aus dem Vokabular der privaten Krankenversicherungen.

Gewisse Differenzierungen er- scheinen zum besseren Verständ- nis ebenso wichtig wie klare Defi- nitionen. Sonst führt jede Diskus- sion zu Mißverständnissen. Unter- scheiden sollte man zwischen Selbstbehalt, Kostenbeteiligung und Selbstbeteiligung, auch wenn sie gemischt vorkommen.

1. Als Selbstbehalt bis zu einer vereinbarten Höhe von 200 bis 2000 DM pro Jahr sind Krankheitskosten nachzuweisen, bevor die Versiche- rung mit ihren Leistungen einsetzt.

Dieser Jahresselbstbehalt stellt ei- nen variablen Zusatzbeitrag für er-

krankte Versicherte dar. Die Ge- sunden sparen ihn. Genaugenom- men werden aber nur Schadenbe- arbeitungskosten eingespart. Ähnli- ches gilt für die gewinnunabhängi- ge Beitragsrückgewähr an Versi- cherte, die keine Krankheitskosten nachweisen. Kann der Selbstbehalt oder seine Höhe frei gewählt wer- den, treten offensichtlich Entmi- schungsprozesse auf, die nicht zu Beitragsersparnissen, sondern zu Beitragsverschiebungen führen.

2. Die unmittelbare Kostenbeteili- gung des Versicherten hört nicht

— wie der Selbstbehalt — bei ei- nem vereinbarten Grenzwert auf.

Beim Prozentualsystem trägt der Versicherte in jedem Fall den ver- einbarten Prozentsatz der Kosten.

Beim Maximalsystem fängt die Ko- stenbeteiligung erst bei einem ver- einbarten Grenzwert an, sei es ein Höchstsatz, sei es ein bestimmtes Vielfaches der Sätze einer Gebüh-

renordnung.

3. Die beschränkte Selbstbeteili- gung kann alle diagnostischen Lei- stungen aussparen und sich auf die Therapieformen beschränken, bei denen ein Behandlungserfolg von der Mitwirkung des Patienten besonders abhängt. Denken Sie an Abmagerungs- und Entziehungsku- ren. Denken Sie an Kieferorthopä- die und Psychotherapie. Diese be- schränkte Selbstbeteiligung unter- liegt nicht der Wahl der Versicher- ten. Sie trifft alle in gleicher Weise und kann die Versichertengemein- schaft vor unnötigen Ausgaben be- wahren.

4. Die Übertragung von Prinzipien der privaten Krankenversicherung auf die gesetzliche überspringt grundsätzliche Unterschiede und führt leicht zu schwerwiegenden Fehlern. Darum kann vor einer un- bedachten Übertragung der Selbst- beteiligung auf die gesetzliche Krankenversicherung nicht ein- dringlich genug gewarnt werden.

Anschrift des Verfassers:

Rudolf Lehming Aachener Straße 300 5000 Köln 41

BRIEF AN DIE REDAKTION

VORSORGE

Zu dem Artikel von Dr. med. Ferdinand Oeter und Dr. med. Dietrich Oeter:

„Ordnung im eigenen Haus", erschie- nen in den Heften 10 und 11/1976 des DEUTSCHEN ÄRZTEBLATTS:

Auch die Verkehrspolitik gehört dazu

Den Herren Kollegen Oeter ge- bührt Dank, das Problem „motori- sierter Individualverkehr" einmal angeschnitten zu haben. Doch es sind ja nicht nur die volkswirt- schaftlichen Aspekte, unter denen noch aufgeführt werden können ...

sondern für uns Ärzte sollte vor al- lem die gesundheitspolitische Re- levanz dieses Themas mit allen in- dividuellen und kollektiven Folgen wichtig sein. Wir müssen erkennen, daß Verkehrspolitik auch ein Be- reich gesundheitlicher Vorsorge ist. Epidemiologische Daten aus verschiedenen Ländern weisen doch eindringlich darauf hin, daß, von Unfällen einmal abgesehen, Lärm, Abgase, Psychostreß, Einen- gung des Lebensraumes, Verlust von Spielflächen für Kinder u. v. a.

Krankheiten verursachen oder zu- mindest entscheidend mitbedingen, die viel persönliches Leid und nicht abschätzbare Kosten nach sich ziehen. Vor allem dieses Wis- sen sollte Ärzte dazu treiben, sich politisch aktiv für eine Drosselung des motorisierten Individualver- kehrs auf ein vernünftiges Maß ein- zusetzen. Sofern nicht direkte poli- tische Betätigung in den Parteien vorgezogen wird, sollten wir uns zumindest die Mühe machen, Pro- gramme und Kandidaten der Par- teien auch einmal auf solche, lang- fristig gesundheitspolitisch sehr wichtige Themen hin zu durch- leuchten, wobei Probleme gleicher Relevanz zum Beispiel in der Ener- giepolitik (vor allem Atomener- gie) und in den politischen Voraus- setzungen der Nahrungsmittelpro- duktion zu suchen sind.

Dr. med. Peter Meyer Kaiserstraße 80

7630 Lahr

2394 Heft 38 vom 16. September 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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