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Archiv "Hernienchirurgie: Kann Ultraschall einen OP-Verzicht rechtfertigen?" (08.07.2011)

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A 1528 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 27

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8. Juli 2011

HERNIENCHIRURGIE

Kann Ultraschall einen OP-Verzicht rechtfertigen?

Die Schlagzeile „Leistenbruch-Operation häufig vermeidbar, Ultraschall erkennt

Hernienkomplikation“ darf nach Ansicht von Chirurgen nicht unwidersprochen bleiben.

P

ositive Studienergebnisse sind für die Deutsche Gesell- schaft für Ultraschall in der Medi- zin (DEGUM) ein willkommener An- lass, um über neue Einsatzmöglich- keiten der Sonographie zu informie- ren: zum Beispiel über den „Power- Ultraschall“ bei Problemen an den Achillessehnen von Läufern (1) oder zur Prävention des plötzlichen Kindstods von Neugeborenen (2).

Auch Chirurgen könnten mit Hil- fe der Sonographie Hernienkompli- kationen im Vorfeld eines Eingriffs erkennen (3). Auf diese Weise ließen sich jährlich bis zu 30 000 Operatio- nen vermeiden, teilte die DEGUM mit und verwies auf eine Studie von Dr. med. Helmar Gai an der Hambur- ger Klinik Fleetinsel (4) (Kasten).

Der Autor plädiert in seiner Publikation für eine Differenzie- rung des beobachtenden Abwartens („watchful waiting“) bei beschwer- defreien Patienten, das die Euro - pean Hernia Society (EHS) in ihren

Leitlinien empfiehlt (5). Die sono- graphische Einteilung in drei Her- nientypen soll dem Operateur die Entscheidung erleichtern, ob eine asymptomatische Hernie operiert werden muss oder nicht. „Tatsache ist – und das war bislang überhaupt nicht bekannt –, dass 18 Prozent der Patienten mit einem Leistenbruch überhaupt keine Beschwerden ha- ben“, berichtete Gai.

Nur Hernien vom Typ C neigen zur Inkarzeration

Diese asymptomatischen Patienten unterteilt er anhand der sonographi- schen Morphologie ihrer Hernien.

Bei Patienten mit Hernien vom Typ A („Beule“) und Typ B („Röhre“) ist nach diesem Schema keine Ope- ration erforderlich, weil keine Ge- fahr einer Inkarzeration besteht. Le- diglich Hernien vom Typ C („Sand- uhr“) neigen nach seiner Beobach- tung aufgrund ihrer Morphologie zu Einklemmungen. Sie sollten daher

unabhängig von der Symptomatik operiert werden. „Das Problem ist, dass eine Hernie in Deutschland grundsätzlich als OP-Indikation gilt“, schrieb Gai. In den USA würde man eher zuwarten und – als schwerwiegendste Komplikation – eine Notfalloperation wegen Inkar- zeration in Kauf nehmen. Bei die- sen Patienten könne die standardi- sierte sonographische Untersuchung weitere Sicherheit bezüglich poten- zieller Inkarzerationsgefahr geben und unter Umständen einen OP- Verzicht rechtfertigen.

„Selbst ein erfahrener Opera- teur, der jährlich 600 Hernien ope- riert, hat ein bis zwei Patienten, die nach dem Eingriff chronische Leis- tenschmerzen entwickeln“, erläu- terte Gai. „Umso schlimmer, wenn es ein beschwerdefreier Patient war, der eigentlich keine Operation benötigt hätte.“

Weniger zu operieren, würde den Chirurgen Dr. med. Michael Schweins (Köln) zwar nicht stören, ihm missfielen vielmehr die Klassi- fizierung von Gai und die Ableitung von OP-Empfehlungen auf Basis dreier sonographisch identifizier - barer Hernientypen: „Dies ist aus meiner Sicht durch die Publikation weder belegt noch wirklich prak - tikabel.“ Als „Operateur mit großer Erfahrung und gleichzeitig guten Ultraschallkenntnissen“ habe Gai zwar versucht, den Ultraschall als Entscheidungskriterium zu etablie- ren. „Seine Arbeit zeigt aber, dass nahezu ausschließlich das Vorliegen von Symptomen seine Operationsin- dikation bestimmt. Nur 0,06 Prozent aller Patienten haben eventuell von seiner sonomorphologischen Ein- teilung profitiert“, sagt Schweins mit Blick auf die Studiendaten im Jährlich werden

in Deutschland mehr als 350 000 Hernienoperatio- nen durchgeführt.

Über das Netzwerk Herniamed können alle Chirurgen an einer internetba- sierten Qualitätssi- cherungsstudie teil- nehmen (www.her niamed.de).

Foto: Thomas/SPL/Agentur Focus

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8. Juli 2011 A 1529 Gespräch mit dem Deutschen Ärz-

teblatt.

Der Chirurg gab außerdem zu be- denken, dass es bei Hernien weder eine Spontanheilung noch konserva- tive Therapien mit Dauererfolg gebe.

„Man kann bei den asymptomati- schen Hernien sicher diskutieren, ob man grundsätzlich sofort operieren muss oder ob man einen späteren und günstigeren Zeitpunkt abwarten sollte“, meinte Schweins. „Abwarten heißt aber immer auch – neben dem Risiko einer Inkarzeration –, dass die Operation später aufwendiger wird.“

Denn mit der Zeit werde der Bruch größer, und auch Verwachsungen durch die Gleitbewegung des Bruchs nähmen zu. Zugleich stiegen Alter und Komorbidität der Patienten.

Darüber hinaus kritisierte Schweins auch den Umgang der DEGUM mit Gais Publikation. In deren Pressemitteilung ist nämlich von einer „Studie an 7 000 Patien- ten“ die Rede, obwohl Gai nur knapp 3 200 Patienten in seine retrospekti- ve Beobachtungsstudie eingeschlos- sen hatte. Die Zahl 7 000 taucht zwar in der Studie auf, beziffert aber nur die insgesamt seit 1994 an der Hamburger Fleetinsel mit Ultra- schall untersuchten Hernienpatien- ten. „Die vorsichtigen Interpretatio- nen des Autors in seiner originären Publikation werden durch die Pres- semitteilung überzeichnet und legen damit Schlussfolgerungen nahe, die durch diese Beobachtungsstudie gar nicht belegbar sind“, sagte Schweins.

Von dieser fachinternen Diskus- sion konnte die breite Öffentlich- keit allerdings nichts ahnen. Denn selbst in der Fachpresse kursierten lediglich plakative Überschriften wie „Leistenbruch-Operation laut Ultraschallgesellschaft häufig ver- meidbar“ (6), „Ultraschall hilft, Leis- tenbruch-OP häufig zu vermeiden“

(7) oder gar „Achtung, Schallkopf im Schritt!“ (8).

Allen Veröffentlichungen gemein war der Verweis auf die vermeintli- chen 7 000 Studienteilnehmer. Und auch die zentrale Botschaft von Gai, dass sich seine Untersuchung aus- schließlich auf asymptomatische Hernienpatienten beziehe, tauchte in den Kurzberichten entweder nur am Rande oder gar nicht auf. Eilige

Journalisten kürzen Pressemittei- lungen nämlich gern von hinten und arbeiten nur mit den ersten Absät- zen der Textvorlage. Wichtige oder relativierende Aussagen, die erst im weiteren Verlauf der DEGUM- Pressemitteilung auftauchten, hat- ten auf diese Weise keine Chance auf ein breites Publikum.

Publikation der Arbeit in Fachzeitschrift abgelehnt Der Vorsitzende der Deutschen Her- niengesellschaft, Prof. Dr. med. Vol- ker Schumpelick (Universitätsklini- kum Aachen), äußerte sich verhal- ten kritisch zu den Ergebnissen von Gais Studie: „Die Arbeit zeugt zwar von einer bemerkenswerten Be- schäftigung mit der sonographi- schen Diagnostik von Leistenher- nien, aber sie liefert keine wesentli- chen neuen Erkenntnisse.“ Gai ver- deutliche lediglich, dass es sinnvoll sei, sich als Hernienchirurg mit so- nographischer Diagnostik zu be- schäftigen. Schumpelick betonte, dass es sich bei der Publikation nicht um eine wissenschaftliche und evidenzbasierte Studie, sondern um eine Beobachtungsstudie und Mei- nungsäußerung handele. Aus die- sem Grunde habe er als Gutachter eine Publikation der Arbeit in der Zeitschrift „Hernia“ abgelehnt.

Schumpelick kritisierte die von Gai postulierte Klassifikation aller

Leistenhernien in drei Typen: „Es kommt mir sportiv vor, daraus tat- sächlich therapeutische Konsequen- zen abzuleiten.“ Es gebe zwar durchaus Hinweise auf ein unter- schiedliches Inkarzerationsrisiko bestimmter Hernienformen, „aber ich habe in 25 Jahren der Beschäfti- gung mit Leistenhernien auch inkar- zerierte Hernien gesehen, die zuvor eine Flaschenform hatten“, erzählte Schumpelick. „Man kann doch nicht glauben, dass sich alle 250 000 Her- nien, die in Deutschland pro Jahr operiert werden, in lediglich drei Typen einteilen lassen. Das wäre ge- nauso vermessen, als wolle man alle Singvögel in lediglich drei Arten einteilen.“

Der Argumentation des Köl- ner Hernienchirurgen Schweins woll- te sich Schumpelick allerdings auch nicht anschließen: „Es ist nicht so, dass über kurz oder lang alle Her- nien operiert werden müssen. Es gibt tatsächlich Fälle, in denen eine Operation verzichtbar ist.“ Die Ent- scheidung über Operation oder OP- Verzicht hänge aber von sehr vielen Faktoren ab: „Das ist ein weites Feld. Dazu zählt, ob jemand sport- lich aktiv ist, wie er sich ernährt, wie alt er ist, und noch vieles mehr“,

sagte Schumpelick. ■

Antje Thiel

@

Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit2711

Methode: In den letzten 16 Jahren wurde bei mehr als 7 000 Patienten mit Leistenhernie ei- ne präoperative Sonographie durchgeführt und mit den intraoperativen Befunden verglichen.

Im Zeitraum vom 1. Januar 2002 bis 31. De- zember 2007 wurden 2 758 Patienten mit Leistenhernie in unserer Klinik operiert und 425 Patienten mit der Diagnose Leistenhernie unter sonographischer Kontrolle konservativ behandelt. Diese Patienten wurden bei aus- bleibenden Beschwerden jährlich kontrolliert, bei Symptomen sofort.

Ergebnisse: In allen Fällen bestand eine exak- te Korrelation zwischen dem Ultraschallbefund und dem intraoperativen Befund bezüglich der drei Hernienformen: Typ A (Beulenform)

23 Prozent, Typ B (Röhrenform) 55 Prozent, Typ C (Sanduhrform) 22 Prozent. In keinem Fall mit konservativem Vorgehen musste zwischen den Untersuchungsintervallen eine notfallmäßige Hernienoperation durchgeführt werden.

Schlussfolgerung: Sonomorphologische Kri- terien erlauben präoperativ eine Einteilung in drei Hernienformen und eine sichere Einschät- zung über die Notwendigkeit einer Leistenher- nien-Operation bei asymptomatischen Patien- ten. Künftig scheint ein solches Vorgehen we- sentlich sicherer als nur „watchful waiting“.

Gai, Helmar: Ultraschall von Leistenhernien. Morphologische Klassifikation für ein potenziell konservatives Vorgehen bei asymptomatischen Patienten. In: Ultraschall in Med 2010; 31:

258–63.

HERNIENSTUDIE: METHODE UND ERGEBNISSE

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Kann Ultraschall einen OP-Verzicht rechtfertigen?

Die Schlagzeile „Leistenbruch-Operation häufig vermeidbar, Ultraschall erkennt

Hernienkomplikation “darf nach Ansicht von Chirurgen nicht unwidersprochen bleiben.

LITERATUR

1. Hirschmüller et al.: Powerdopplersonogra- phische Befunde der Achillessehne von 953 Langstreckenläufern – eine Quer- schnittsstudie. In: Ultraschall in der Medizin 2010; doi: 10.1055/s-0029–1245189 2. Untersuchung von 18 000 Neugeborenen

am Klinikum Bamberg seit 1998, präsen- tiert bei einer DEGUM-Pressekonferenz am 21. Oktober 2010 in Mainz.

3. Pressemitteilung der DEGUM vom 27. Sep- tember 2010.

4. Gai, Helmar: Ultraschall von Leistenhernien.

Morphologische Klassifikation für ein po- tenziell konservatives Vorgehen bei asymp- tomatischen Patienten. In: Ultraschall in Med 2010; 31: 258–63.

5. Simons MP et al.: European Hernia Society (EHS) guidelines on the treatment of ingui- nal hernia in adult patients. In: Hernia 2009; 13: 343–403.

6. Deutsches Ärzteblatt Online, 28. September 2010.

7. Ärzte Zeitung Online, 1. Oktober 2010.

8. Doccheck-Newsletter vom 4. November 2010.

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