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Gebt dem Nationalstaat eine Chance!

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Academic year: 2022

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Der erneute militärische Konflikt zwi- schen Israel und den Palästinensern sowie der israelisch-libane sische Krieg haben uns daran erinnert, dass ein wie auch immer gearteter „neuer“

Naher Osten ohne eine vorherige um- fassende Lösung des arabisch-israeli- schen Konflikts nicht entstehen wird.

Westliche Politiker wären deshalb gut beraten, mit neuen oder zumindest überarbeiteten Plänen für eine inter- national unterstützte Verhandlungs- runde aufzuwarten, die alle Parteien mit unmittelbaren Interessen in dem Konflikt bzw. an seiner Lösung – Isra- el, die PLO und die Palästinensische Autorität (PA), den Libanon und Syri- en – einbezieht und auch andere regi- onale Staaten in einen multilateralen Prozess einbindet. Dabei müssen sie die gegenwärtigen strukturellen poli- tischen und ideologischen Entwick- lungen in der Region beachten, die sich auf jeden Versuch, die Region zu stabilisieren, auswirken werden – diese beinhalten nach Meinung des Autors eine Hinwendung zum Unilateralis- mus im arabisch-israelischen Verhält- nis, eine Welle des Konfessionalismus, die den Nationalstaat in der gesamten Region schwächt, und, was hilfreicher sein könnte, eine Bereitschaft, über Sicherheit im subregionalen Rahmen nachzudenken.

Das unilaterale Paradigma

Um mit dem israelisch-palästinensi- schen Konflikt zu beginnen: Es ist

bemerkenswert, in welchem Ausmaß Unilateralismus seit dem Scheitern der Verhandlungen im Jahr 2000 zur vorherrschenden Vorgehensweise ge- worden ist, oder zum neuen Paradig- ma der intraregionalen Beziehungen, wie der israelische Wissenschaftler Shai Feldman es genannt hat. „Keinen Partner zu haben“ ist zur Schicksals- ideologie geworden: Mit Arafat im Amt, so wurde argumentiert, habe es für Israel keinen Partner auf der pa- lästinensischen Seite gegeben; der

„nice guy“ Abu Mazen sei bisher viel zu schwach, um ein Partner zu wer- den; Hamas könne es nicht werden, solange sie Israel nicht anerkenne.

Diese Herangehensweise macht es tat- sächlich den Akteuren auf beiden Sei- ten leicht: Die Israelis brauchen sich nicht zu fragen, ob ihre eigene Politik potenzielle Partner geschwächt hat;

und die Radikalen der Hamas können argumentieren, dass Israel mit ihnen sowieso nicht reden wird – warum sollten sie sich also anpassen?

Akademische, politikorientierte For schung mag daran interessiert sein zu untersuchen, ob eine Reihe von konstruktiven unilateralen Schritten – beispielsweise Israels unilateraler Rückzug aus dem Gaza-Streifen im Jahr 2005 oder die gleichermaßen unilaterale Waffenruhe, die Hamas etwa ein Jahr lang durchhielt – zu einer Stabilisierung führen könnte oder sogar eine De-facto-zwei-Staa- ten-Lösung erlaubt: ein Staat und ein

Dr. VOLKER PERTHES, geb.1958, ist Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Sein jüngstes Buch

„Orientalische Promenaden.

Der Nahe und Mittlere Osten im Umbruch“

erschien 2006.

Gebt dem Nationalstaat eine Chance!

Frieden im Nahen Osten: Neue Barrieren eines alten Konflikts

von Volker Perthes

Sicherheit ist unteilbar: So lautete das Credo fast aller Parteien des Nahen Ostens. Liegt Israel mit den Palästinensern im Streit, müssen auch die Golf-Staaten an den Tisch. Doch der Krieg im Libanon, Aufstände im Irak und konfessionell-religiöse Spannungen in der Region zeigen: Nur eine subregionale, an nationalen Interessen ausgerichtete Konferenz bietet Aussicht auf Frieden – auch für den arabisch-israelischen Konflikt.

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Quasi-Staat, die Seite an Seite existie- ren, nicht so friedlich, wie es die inter- nationale Gemeinschaft gerne hätte, aber zumindest ohne gegeneinander Krieg zu führen. Die Realität zeichne- te ein anderes Bild und beinhaltet möglicherweise auch Entwicklungen, die weder politische Theorie noch gängige politische Weisheit erwartet hätten: Wir erleben bereits, wie zwei Demokratien – oder zumindest eine etablierte Demokratie und eine demo- kratisch gewählte Regierung – gegen- einander Krieg führen. Wir sehen möglicherweise den totalen Zusam- menbruch der Palästinensischen Au- tonomiebehörde, den ersten Staatszer- fall ohne Staat. Oder, ein anderes mögliches Szenario, wir könnten den ersten arabischen Militärputsch unter der Schirmherrschaft der westlichen Demokratieagenda für den so genann- ten „Broader Middle East and North Africa“ gewärtigen.

Die westliche und besonders euro- päische Politik gegenüber der Palästi- nensischen Autorität und der Hamas- Regierung war möglicherweise kon- traproduktiv im Hinblick auf Europas erklärtes Ziel, die Institutionenbildung in Palästina zu fördern, den politi- schen Prozess zwischen Israelis und Palästinensern wieder in Gang zu bringen und demokratische Tenden- zen in der Region als Ganzes zu stär- ken. Politiker und politikorientierte Forschung werden nach den langfris- tigen Konsequenzen des westlichen Umgangs mit der Hamas-Regierung fragen müssen, nicht zuletzt für Euro- pas Legitimität und Überzeugungs- kraft in der Region. Es fällt auf, dass die arabische öffentliche Meinung die europäische Politik gegenüber der Hamas – insbesondere die Kürzung der finanziellen Unterstützung für die Palästinensische Autonomiebehörde und die Entscheidung, Gespräche mit Repräsentanten der Behörde auszu-

setzen, bis ihre Führer genau die politi- schen Erklärungen abgeben, die die in- ternationale Gemeinschaft zu Recht hören will – und die ganz andere EU- Politik gegenüber Iran gleichwohl als Ausdruck einer einheitlichen Politik betrachtet: als grundsätzlich unfreund- lichen, wenn nicht sogar feindlichen oder neopaternalistischen Versuch westlicher Staaten, Muslimen und muslimischen Staaten ihre legitimen Interessen zu verweigern. In diesem Zusammenhang gewinnt der iranische Präsident Machmud Achmadinedschad in der arabischen Welt an Popularität, weil er als ein Führer erscheint, der dem Westen die Stirn bietet. Nur der Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah, je- doch keines der arabischen Regime und keiner der Könige oder Präsidenten der arabischen Welt, vermag es gegenwär- tig, die Gefühle der Massen auf dieselbe Art und Weise zu mobilisieren.

Pluralistischer Autoritarismus und Institutionenbildung

Gewiss, der etatistische panarabische Nationalismus ist nach dem Fall des baathistischen Regimes in Bagdad und dem erzwungenen Rückzug Syriens aus dem Libanon schwer angeschla- gen. Gleichzeitig haben so gut wie alle Regime der arabischen Welt gemerkt, dass sie sich irgendwie gegenüber ihren Bürgern öffnen müssen. Eine Form von liberalisierter Autokratie oder plu- ralistischem Autoritarismus könnte sich als mittelfristig haltbares Regie- rungssystem in vielen Ländern der Region erweisen. Dabei sind Wahlen, auch wenn sie manipuliert werden, mittlerweile ein Teil des politischen Ambientes geworden, auf das sogar die autoritärsten Regime nicht mehr verzichten wollen. Es gibt allerdings ein Paradox, das nicht übersehen wer- den sollte: Die meisten dieser Parla- ments- oder Präsidentschaftswahlen werden immer noch abgehalten, um

Wir erleben bereits, wie zwei Demokratien – oder zumindest eine etablierte Demokratie und eine demokratisch gewählte

Regierung – gegeneinander Krieg führen.

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jeden substanziellen Wandel, vor allem auf der Ebene der führenden Entschei- dungsträger, zu verhindern. In den seltenen Fällen, in denen Wahlen doch politischen Wandel herbeiführen, ge- hören die Gewinner gewöhnlich zu einer Variante des politischen Islams – wie in den Fällen Iran und Palästina – und riskieren, von westlichen Mäch- ten nicht als Partner akzeptiert zu werden. Dies verleiht der westlichen

„Demokratiekampagne“ nicht allzu viel Glaubwürdigkeit und verstärkt den be- schriebenen Trend eher.

Obwohl die Siege der Islamisten zu- mindest teilweise durch das Versagen der so genannten „säkularen“ arabi- schen Regime erklärt werden können, sollte man mit der Behauptung vor- sichtig sein, dass die arabischen Staa- ten generell ihre Legitimität verloren hätten. Einige der Regime haben sie verloren, aber bei weitem nicht alle:

Wahrscheinlich würden nur wenige Einwohner der Vereinigten Arabi- schen Emirate, Kuwaits, des Libanon oder Marokkos und nur eine Minder- heit der Ägypter und Saudis, um nur einige Staaten zu nennen, ihre jeweili- ge Regierung illegitim nennen. Das Problem ist vielmehr, dass die meisten Staaten ineffektiv und schwach sind – gleich, ob diese Schwäche ein Resul- tat ihrer Ineffektivität oder externer Zwangsmaßnahmen und Interventio- nen ist – und daran scheitern, ihre Bürger mit grundlegenden öffentlichen Gütern wie Sicherheit, Wohlfahrt und einer funktionierenden Infrastruktur zu versorgen. Deshalb sollten sich westliche Politiker und Experten fra- gen, ob und wie der Westen die Priori- täten seiner Politik gegenüber diesen Staaten neu setzen muss: Wahrschein- lich können externe Akteure durch die Konzentration auf den Aufbau ef- fektiver Institutionen, auf Rechtsstaat- lichkeit und Menschenrechte viel mehr für die Menschen der Region

und für regionale Stabilität tun als durch lautstarke Rufe nach Freiheit und schnellen Wahlen. Bessere Regie- rungsführung und stabile Institutio- nen werden dabei helfen, eine Umwelt zu schaffen, in der jene Mittelklasse entstehen und wachsen kann, die als soziale Basis für Pluralismus und De- mokratie benötigt wird.

Konstruktionen von Gemeinschaft Solch eine Unterstützung bei der Staats bildung ist zudem notwendig, um den Staaten dabei zu helfen, ihr Monopol legitimer Macht zurückzuge- winnen und die regionale Politik zu- rück in die Hände von Nationalstaaten zu bringen. Nichtstaatliche Akteure haben immer eine Rolle in den Kon- flikten des Nahen und Mittleren Os- tens gespielt, hauptsächlich – der pro- minenteste Fall ist die PLO –, weil sie um die Verwirklichung eigener Staat- lichkeit kämpften. Im Gegensatz dazu strebt die Hisbollah nicht danach, einen eigenen Staat zu gründen. Sie ist eine libanesische Partei, die behauptet, für die Schiiten im Libanon, wenn nicht sogar für „die Muslime“ im Gan- zen zu sprechen, sie verhält sich, als ob sie ein religiöses Mandat, nicht nur eines von ihren Wählern habe und maßt sich sogar an, einem anderen Staat den Krieg zu erklären. Dies hat zu einer merkwürdigen dreiseitigen Konfrontation geführt, bei der Hisbol- lah Krieg gegen Israel führt, Israel gegen den Libanon, und der libanesi- sche Staat, repräsentiert durch seine demokratisch gewählte Regierung, in- ternationale Hilfe fordert, um die Kämpfe zu beenden und seine Souve- ränität wiederherzustellen.

Andere Staaten in der Region könn- ten sich bald ähnlichen Herausforde- rungen ausgesetzt sehen. Ethnisch- nationalistische oder konfessionalisti- sche Konstrukte gewinnen an Einfluss in regionalen politischen Diskursen.

Nichtstaatliche Akteure haben immer eine Rolle in den Konflikten des Nahen und Mittleren Ostens gespielt, hauptsächlich – der prominenteste Fall ist die PLO –, weil sie um die Verwirklichung eigener Staatlichkeit kämpften.

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Politiker, die von einer „schiitischen Achse“, „sunnitischem Widerstand“

oder, im gleichen Kontext, von „schiiti- schem Öl“ sprechen, verstärken damit konfessionsgebundene Ängste und Ani mositäten und untergraben die in- stitutionelle Basis ihrer eigenen Macht.

In Diskussionen mit Intellektuellen und Politikern in Damaskus oder Amman, Riad oder Teheran stehen konfessionelle Vorurteile hoch im Kurs.

Es ist nicht mehr ungewöhnlich, gebil- dete Jordanier, Syrer oder kuwaitische Sunniten über die „schiitisch-amerika- nische“ Allianz oder sogar von einer

„schiitisch-amerikanisch-israelischen“

Verschwörung gegen den Libanon, den Irak und die arabische Welt als Ganzes reden zu hören. Die Stimmungslage ist bereits die eines regionalen Bürger- kriegs zwischen Sunniten und Schii- ten. „Man kann es riechen“, erklärte mir ein liberaler syrischer Beobachter.

„Und man kann nichts dagegen tun“, fügte ein anderer hinzu.

Bürgerkriege sind natürlich keine Naturkatastrophen, sie entstehen in- nerhalb der „zivilen“ Gesellschaften der Länder, in denen sie stattfinden.

Allerdings spielen auch externe Ak- teure eine Rolle; sie können dazu bei- tragen, solche Konflikte zu vermeiden oder sie auslösen. Westliche Politiker werden darüber nachdenken müssen, wie ihre natürlicherweise staats- zentrierte Außenpolitik mit solchen trans nationalen Phänomenen umge- hen kann – völlig verkehrt und enorm gefährlich sind Ideen, ethnische Grup- pen gegeneinander auszuspielen oder ethno-nationalistische und konfessio- nelle Differenzen zu verstärken, um unfreundliche Regierungen zu schwä- chen oder zu bestrafen. Im Gegenteil:

Wir brauchen vielleicht sogar ernst- hafte Bemühungen zur Rettung des Nationalstaats im Nahen und Mittle- ren Osten. Europa und die USA haben ein vitales Interesse daran, dass der

nahöstliche Nationalstaat der wichtigs- te Referenzrahmen der Politik bleibt.

Konfessionalistische oder ethnische Span nungen lassen sich, wie so viele Libanesen, Iraker oder Sudanesen in Vergangenheit oder Gegenwart erlebt haben, nicht kontrollieren. Sie schwä- chen Staaten eher als dass sie Regime unter Veränderungsdruck setzen. Mit schwachen oder fragmentierten Staa- ten ist keine verlässliche wirtschaft- liche oder politische Partnerschaft mög- lich; noch weniger lassen sich mit ihnen regionale Sicherheitsstrukturen auf- bauen. Israel kann mit Nationalstaaten Frieden schließen, nicht aber mit trans- nationalen religiösen oder konfessio- nellen Bewegungen. Die schwindende Rolle des Nationalstaats mag einigen Europäern oder anderen, die über die Vorzüge einer postwestfälischen, supra- nationalen Integration und Souveräni- tät nachdenken, als ansprechende Op- tion erscheinen. Allerdings wird im heutigen Mittleren Osten jeder Nieder- gang des Nationalstaats als primärer Referenzrahmen der Politik nicht zu regionaler Integration, sondern viel- mehr zu präwestfälischen Organisa- tions- und Konfliktformen führen.

Irak, Iran und die Tugenden subregionaler Sicherheit

Bisher ist der Irak, wo die möglichen ethno-nationalistischen Kriege Wir- kung zeigen, auch die Hauptprojekti- onsfläche regionaler konfessionalisti- scher Konflikte. Demokratische Ver- fahren, zumindest was Wahlen und Abstimmungen angeht, sind hier zwar akzeptiert und genutzt worden, im Ergebnis aber sehen wir ein konfessi- onsgebundenes Wahlverhalten, die Entwicklung einer konfessionalisti- schen politischen Szene sowie einen vor sich hin schwelenden Bürgerkrieg unter amerikanischem Protektorat. Ei- nige Beobachter sprechen von einem iranisch-saudischen bzw. schiitisch-

Völlig verkehrt und enorm gefährlich sind Ideen, ethnische Gruppen gegeneinander auszuspielen, um unfreundliche Regierungen zu schwächen oder zu bestrafen.

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sunnitischen Stellvertreterkrieg. Ver- mutlich wird nur die Ankündigung eines Abzugsdatums für die US-Trup- pen den Irakis bewusst machen, dass sie sich selbst miteinander in einer Weise auseinander setzen müssen, die ihren Staat entweder rettet oder zer- stört. Gleichzeitig scheint es unab- dingbar, alle Nachbarstaaten des Irak in Bemühungen um ein multilaterales regionales Sicherheitsarrangement zu involvieren. Was im Irak passiert, hat enorme regionale Auswirkungen. Der Irak wird zur Angelegenheit der natio- nalen Sicherheitsstrategie und Innen- politik verschiedener Nachbarländer:

In der Türkei befürchtet man ver- mehrt kurdischen Separatismus; Län- der wie Saudi-Arabien und Jordanien müssen mit der wachsenden Kluft zwischen ihrer politischen Allianz mit den USA und dem radikalen Antiame- rikanismus in der Bevölkerung klar- kommen, wobei dies nicht nur auf Jugendliche, sondern auch auf einen substanziellen Teil der gesellschaft- lichen und politischen Elite zutrifft;

Syrien muss die Rückkehr eigener Landsleute fürchten, die zum Dschi- had im Irak ausgezogen sind.

Kein Nachbarland hat ein Rezept für den Irak. Die iranische Führung wünscht sich zwar den Abzug der Amerikaner, allerdings nicht zu früh.

Alle Länder haben Angst vor einer Destabilisierung und wollen, dass die USA wieder herrichten, was sie zer- schlagen haben. Gleichzeitig hoffen aber Teile der Eliten dieser Länder, dass die USA für ihren Versuch be- straft werden, den Irak und die Regi- on nach ihren eigenen Vorstellungen neu zu gestalten. Während alle Angst vor dem totalen Kollaps und Zerfall des Irak haben, fürchten manche einen Wiederaufbau unter schiiti- scher Führung noch mehr.

Regionale Sicherheit gehört auf jeden Fall auf die Tagesordnung. Ex-

terne Akteure können Schritte in diese Richtung unternehmen, wie dies ja auch im Rahmen der Verhandlungen der EU-3 mit Iran über dessen Atom- programm geschehen ist. Der Westen und die internationale Gemeinschaft sind sich über die Gefahren einer un- gehinderten Entwicklung des irani- schen Atomprogramms einig. Über die Interessen und Ziele Teherans herrscht nicht unbedingt Einigkeit.

Dies reflektiert die Wirklichkeit inso- fern, als Teheran kein einheitlicher Akteur ist: Innerhalb der iranischen politischen Elite gibt es mehrere Strö- mungen mit unterschiedlichen Zielen, auch in Bezug auf das iranische Atom- programm. Die Sicherheit des Staates sowie die des Regimes sind aber zwei- fellos für die gesamte politische Elite von Bedeutung. Daher war es nur richtig, dass Washington sich dem eu- ropäischen Angebot an Tehe ran, das Vorschläge für ein regionales Sicher- heitsforum beinhaltet, angeschlossen und im Prinzip auch direkten Gesprä- chen zugestimmt hat.

Über einen angemessenen Rahmen, auch über die Teilnehmer und The- men eines solchen Forums, wird auf politischer und Thinktank-Ebene nach gedacht werden müssen. Wichti- ger jedoch ist, dass ein subregionaler Sicherheitsansatz – einer, der sich auf die Sicherheit in der Golf-Region kon- zentriert – möglich erscheint. In den neunziger Jahren war das nicht der Fall, da fast alle Parteien in der Region darauf bestanden, dass die Sicherheit des Nahen und Mittleren Ostens un- teilbar sei und dass jeder Versuch, Si- cherheitsfragen der Golf-Region vom arabisch-israelischen Konflikt zu tren- nen, fehlschlagen müsse. Vertreter der Arabischen Liga sind immer noch die- ser Meinung. Doch die geopolitische Wahrnehmung der lokalen Akteure hat sich geändert. Der Iran betrachtet Israel als Gegenspieler und Gefahr,

Während alle Angst vor dem totalen Kollaps und Zerfall des Irak haben, fürchten manche einen Wiederaufbau unter schiitischer Führung noch mehr.

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denkt aber sehr viel intensiver über Sicherheitspolitik am Persischen Golf nach. Da die arabischen Golf-Monar- chien den Iran und seinen Einfluss auf den Irak als größte Herausforde- rung betrachten, wollen sie den ara- bisch- israelischen Konflikt überhaupt nicht auf der Agenda haben. Ein jün- gerer Vorschlag des saudischen Au- ßenministers, eine massenvernich- tungswaffenfreie Zone am Golf zu etablieren, hat dies unterstrichen. Er brachte damit indirekt zum Ausdruck, dass Bemühungen um Entspannung in diesem Teil der Region nicht mit dem arabisch-israelischen Konflikt oder mit Israels Atomwaffen ver- knüpft werden sollten. Auch wenn der Weg zu einer massenvernich- tungswaffenfreien Zone lang sein dürfte, wird man sich in einem sol- chen Forum leichter über vertrauens- bildende Maßnahmen einigen können als in einem, das alle Staaten in der Region vom Maschrek bis zum Persi- schen Golf umfasst.

Eine neue Madrider Konferenz?

Auch für den Nahen Osten gilt, dass ein subregionaler, an nationalen Inter- essen ausgerichteter Ansatz Erfolg versprechen könnte. Die Hoffnung, dass ein weiterer Waffenstillstand bzw.

der Einsatz internationaler Truppen – so nötig sie sein mögen – zu lang anhaltender Stabilisierung führen werde, ist dagegen kaum realistisch.

Möglicherweise müssen wir auf ein Konfliktlösungsmodell zurückgreifen, das in den neunziger Jahren schon einmal Erfolg zu versprechen schien:

eine internationale Konferenz des Typs Madrid, die alle Akteure mit legi- timen Interessen – in erster Linie also Israel, die PLO und die Palästinensi- sche Autorität, Syrien sowie Libanon – zusammenbringt, um die ungelösten Probleme anzugehen. Die Hauptinter- essen der Beteiligten unterscheiden

sich, sie widersprechen sich aber nicht: Etwas vereinfacht dargestellt will Israel Sicherheit, die Palästinenser wollen einen Staat, Libanon will seine Souveränität wiederherstellen, und Syrien will die von Israel besetzten Golan höhen zurückerhalten.

Interessanterweise stößt das Modell subregionaler Konfliktlösung auch bei einigen der direkt involvierten Kon- fliktparteien auf Interesse. Nicht nur die Palästinenser wehren sich dage- gen, dass Iran die palästinensische Sache gewissermaßen hijackt und sich in die Auseinandersetzungen mit Israel einmischt. Auch Syrien will nicht, dass seine Agenda Israel gegen- über und Bemühungen um eine Beile- gung des arabisch-israelischen Konf- likts von Iran bestimmt werden. Syri- en würde seine bilateralen Beziehun- gen zu Iran nicht einfach aufgeben, wenn es ernsthafte Chancen sähe, die Golanhöhen durch einen neuen Frie- densprozess zurückzugewinnen. Aber es würde Iran sicher nicht als Teilneh- mer einer nahöstlichen Friedens- konferenz sehen wollen: „Wir wollen einen Friedensprozess; sie haben eine andere Agenda“, lautet in etwa die Antwort, die man von hohen syri- schen Vertretern hören würde.

Eine nahöstliche Friedenskonferenz nach Madrider Vorbild müsste die rati- onalen, nationalen Interessen der teil- nehmenden bestehenden und Staaten im Aufbau thematisieren. Damit würde auch die regionale Debatte wie- der auf jene Fragen konzentriert, die von Staaten bearbeitet und durch Ab- kommen geregelt werden können – Fragen von Land und Frieden, von Souveränität und Sicherheit. Friedens- schaffung in diesem Sinne würde die Nationalstaaten des Nahen Ostens stärken und ihnen eine neue Chance geben. Sie könnte auch dazu beitragen, einige der zerstörerischen transnatio- nalen Trends wieder einzuhegen.

Auch für den Nahen Osten gilt, dass ein subregionaler, an nationalen Interessen ausgerichteter Ansatz Erfolg versprechen könnte.

Referenzen

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