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Der Szene wird eine Blutauffri- schung gut tun.

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Academic year: 2022

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Monatszeitschrift für Luzern und die Zentralschweiz mit Kulturkalender N

O

1 0 Oktober 2 01 3 CHF 8.– www .null 41.ch

Ein Auftragstheater wird es nicht geben.

Wir haben den Verdacht, dass die NTI zu einer Art Auftragstheater führen könnte.

Ein optimal struktu- riertes neues Theater- haus wird grösser

werden müssen.

Das Luzerner Theater wird nicht aufgelöst, sondern in ein Neues Haus

übergeführt.

Meine Befürchtung ist, dass eine Ökonomisierung der Theaterkultur stattfindet.

Ich habe in den vergangenen Jahren wenig an Schwei- zer Stadt- theatern gesehen, was ich gesell- schaft- lich für rele- vant halte.

Ich bin dagegen, weitere Kultur- gelder für Neubauten

auszugeben.

Dieses Denken in Sparten scheint

mir veraltet.

Der Szene wird eine Blutauffri- schung gut tun.

Ich glaube, dass es neben der Gessnerallee in Zü- rich und der Kaserne Basel in der Schweiz noch Bedarf für eine dritte grosse freie Spielstätte gibt.

Es wird auch darum gehen, alte Pfründe abzugeben.

Das Hauptargu ment für das Ensemble ist die Publikumsbindung.

Die Frage, was mit dem Schauspiel in

Luzern passiert, stimmt uns nicht glücklich.

Zürich ist die unge- krönte Theaterstadt

der Schweiz, wie kann und soll sich da Luzern positionieren?

46 ANTWOrTEN ZuM

«THEATEr WErK LuZErN»

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D I E L I E B E M E I N E R E L T E R N

E I N F I L M V O N P E T E R L I E C H T I

AB 26. SEPTEMBER IM KINO

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Wann sind Sie 21 geworden?

Was haben Sie damals erlebt?

Wie sind Sie erwachsen geworden?

Eine Videoinstallation von Mats Staub

30.8.–27.10.2013

Museum für Kommunikation Helvetiastrasse 16 3005 Bern www.mfk.ch

Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr

21

ANZEIGEN

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EDITOrIAL

3

Martina Kammermann kammermann@kulturmagazin.ch

ein fass aufgemacht

Als im vergangenen April die Projektgruppe «Neue Theater In- frastruktur» ihre Vision eines neu gebauten Theaterplatzes Luzern präsentierte, sorgte das schweizweit für Aufsehen – und führte regional zu vielen Diskussionen. Spekuliert wurde

vor allem über den Standort des neuen Bühnenhau- ses, der in KKL-Nähe sein soll: Plant man wie bei der Salle Modulable das Inseli zu bebauen, obwohl das doch niemand will? Wäre der Lido-Parkplatz eine Möglichkeit? Oder der Standort des jetzigen Luzerner Theaters? Das bleibt vorerst offen, die Devise lautet:

Abwarten, bis das Projekt ausgearbeitet ist.

Bisher nur wenig thematisiert wurde, was das Pro- jekt «Theater Werk Luzern» inhaltlich bedeutet oder bedeuten könnte. Also wie die Theaterhäuser – das neue Bühnenhaus, aber auch der Südpol – aufgebaut werden und zusammenspielen sollten. Und was das Projekt für die Theaterschaffenden selbst bedeutet.

Um diesen Fragen bzw. den Ant- worten darauf näherzukommen, haben wir Personen aus verschie- denen Bereichen rund ums Theater befragt, welche Chancen, Gefahren, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten sie in der Vision «Theater Werk Luzern»

sehen. (Seite 8) Zusammengekommen ist ein bunter, teils widersprüchlicher Kanon an Stimmen. Der ei- nerseits eine Breite an Meinungen aufzeigt, aber auch künftige Konfliktlinien erkennen lässt. Zum Beispiel die zentrale Frage, welche Sparten in welchen Häu- sern angesiedelt sein sollen. Ob dieses Thema ein Fass ohne Boden ist? Wir haben es in diesem Heft einfach mal aufgemacht.

Fässer gewälzt werden aktuell übrigens in der ganzen

Zentralschweiz – die Weinsaison ist auch auf hiesigen

Rebbergen losgegangen. (Seite 16)

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INHaLt

PROGRAMME DER KULTURHÄUSER 44 HSLU Musik

46 Chäslager Stans / Stadtmühle Willisau 48 Romerohaus

50 Kleintheater / Stattkino 52 Südpol / Zwischenbühne 56 Luzerner Theater / LSO 62 Kunstmuseum Luzern

64 Museum im Bellpark / Nidwaldner Museum 66 Historisches Museum / Natur-Museum Luzern 68 Kunsthalle Luzern

76 Kulturlandschaft

22 SPIELEND üBEr GrENZEN Das Balkan-festival «culturescapes.

Balkan 2013» besucht Luzern.

KOLUMNEN

6 gabor feketes hingeschaut

7 Lechts und Rinks: Ruf an die Leberliga 24 gefundenes fressen: Kürbissuppe ade 41 11 fragen an: gabor Kantor

73 Kämpf/steinemann 74 Käptn steffis Rätsel 75 Vermutungen

SERVICE

25 Bau. ein Kurt sigrist auf Reisen 26 Musik. Drei neue Luzerner Platten 29 Wort. Der neue Regener ist da 32 Kunst. neue fotogalerie in Luzern 36 Bühne. ein Blick ins Voralpentheater 38 Kino. Das Leben eines Playboys 69 Impressum

70 Namen / Preise / ausschreibungen 72 Kultursplitter. tipps aus der ganzen

schweiz

KULtURKaLENDER 42 Kinderkulturkalender 43 Veranstaltungen 63 ausstellungen

Titelbild: Mart Meyer

Bilder: Marco Sieber / Mischa Christen

16 GuT IM AuFGANG

Zentralschweizer Weine sind im Kommen.

eine Winzerin und ihr Rebberg.

26 MuSIKALIScH PrODuKTIV gleich drei Luzerner Bands taufen im Oktober ihre neuen Platten.

19 FrEcH uND FrIScH

Radio 3fach feiert sein 15-Jahre-Jubiläum.

ein Kommentar.

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5

GuTEN TAG AuFGELISTET

GuTEN TAG, KurT FLurI

Du bist solothurner stadtpräsident und fDP-nati- onalrat. neu besetzt du auch das amt des Präsi- denten des städteverbands. in dieser funktion sprachst du dich vehement für das comeback der Polizeistunde, ein nächtliches alkoholverkaufs- verbot und höhere mindestpreise für alkoholika aus. Weil es ja schon schlimm ist, wenn am Wo- chenende etwas Leben in die städte kommt.

Wenns mal bizzeli lauter wird. Die Leute, die die ganze Woche gearbeitet haben, spass haben.

Denn städte sind ja vornehmlich bekannt für die heile Welt, die klare Luft und – vor allem – die stille, nachdem die touristen um halb acht mit dem letzten gondeli talwärts gefahren sind. Viel- leicht verwechselst du auch bloss den urbanen Raum, den es in diesem Land durchaus gibt, mit der Riederalp. fakt ist, dass die sperrstunde in den meisten nachbarländern gefallen ist oder ex- trem gedehnt wurde. also c'mon!

Feierlich, 041 – Das Kulturmagazin

Nach der gescheiterten Treibhaus- übernahme durch das Jugendradio 3fach: Wer wen übernehmen könnte:

- Vasco da Gama (inkl. Bluesbar) den Südpol

- Radio Pilatus die Mensa des altersheims Eichhof

- Peter Bitterli das Lucerne Festival - Zentralplus Lu-Wahlen.ch - Die Magdi-Gastig den tatort - Die Buvette das KKL

- Bernhard alpstaeg das Du Pont - Der Seldwyler Landbote die NLZ - Rolf Döbeli (Dobelli) den Hirschmatt Copy-Shop

- Die Partei «Die Partei» die Schweiz GuTEN TAG, HSLu –

TEcHNIK & ArcHITEKTur

Wie du weisst, muss der Kanton Luzern sparen, wo es nur geht, und natürlich auch bei der Bil- dung. man will zwar eine neue Wirtschaftsfakul- tät aufbauen, aber autsch, so eine fakultät ist schon etwas teures. Deshalb sollen sie nun Priva- te finanzieren. in die gleiche Bresche schlägt das neue stipendiengesetz: Künftig erhalten rund 30 Prozent weniger auszubildende stipendien vom Kanton – dafür sollen Private die studenten ver- stärkt unterstützen. gerade unternehmen bezah- len in Luzern schliesslich so wenig steuern wie sonst nirgends in der schweiz – da ist es doch nur anständig, wenn sie den Kanton bei seinen staat- lichen aufgaben unterstützen! und wie nun vor- gehen? für eine möglichst effiziente Vermittlung der studenten an die unternehmen, hast du im september einen konstruktiven input geliefert und die Prüfungsresultate deiner studenten leicht zugänglich aufs netz gestellt. gute idee! Legt man sie künftig ganz offen, dann sehen die Privaten sofort, in wen es sich zu investieren lohnt. einfach und schnell. Da liesse sich für den Kanton be- stimmt auch eine app entwickeln – auch ein spe- zialgebiet von dir!

Transparent, 041 – Das Kulturmagazin

Bilder: Marco Sieber / Mischa Christen

20 SZENIG uNTErWEGS ein Besuch bei den machern

des Luzerner zweikommasieben-magazins.

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es passierte ganz spontan, so wie eigentlich alle richtig tollen er- eignisse. Die gäste waren fein bewirtschaftet, die sonnenstrahlen durchleuchteten den innenhof. es fehlte an nichts, die stimmung war fast auf dem höhepunkt. und dann erklang das akkordeon dieses strassenmusikanten – der sohn hatte ihn seinem Vater als geschenk mitgebracht. ein feuriges tänzchen für das geburts- HiNgeSCHaUT

Strassentango

tagskind, und seine frau gab den Rest dazu. sie hat sich, wie man nun sehen konnte, einen der besten tango-tänzer downtown Lu- zern geschnappt.

Bild und Text Gabor Fekete

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7

LeCHTS UNd RiNKS

Warten auf die Leberliga

Von Christine Weber, Illustration: Stefanie Dietiker an der coop-Kasse in engelberg steht ein

mann mit einem 24er-Pack Bierdosen Prix-garantie (5 dl). Kostet glatte 12.95 franken. «nächste Woche können sie das Bier mit der coop-Karte bezahlen, dann ist es noch billiger», flötet die Verkäuferin und der Kunde strahlt. Das macht dann pro Li- ter Bier weniger als einen franken. Von solchen Preisen kann eine rauchende Per- son nur träumen. für ein Päckli Zigaretten wird den Konsumierenden 7.80 abge- knöpft, tendenz steigend. geplant ist eine erhöhung auf 11.50, womit die Zigarette definitiv zum Luxusgut wird. ist ja klar:

Raucherinnen und Raucher schaden ihrer gesundheit und belasten die Krankenkas- sen. Da sie aber früher sterben, bleibt eine menge geld übrig und die überrissene ta- baksteuer wird für allerlei abstruses einge- setzt. Zum Beispiel für die förderung von einheimischen tabakplantagen (im Luzer- ner hinterland gibt es eine ganze anzahl davon). Rauchende sind nebst allerlei Krebsen und allergien von Passivrauchen- den auch schuld an Depressionen und sei- tensprüngen, an Lustlosigkeit und Burn- outs und wahrscheinlich sogar daran, dass die asylgesuche zunehmen und in den Kindergärten zu wenig schweizerdeutsch gesprochen wird. Das alles hat uns die Lungenliga so lange eingebläut, bis es sogar der hinterletzten Raucherin einleuchtete.

Prävention geglückt.

ganz anders beim alkohol: hier wartet man vergebens auf die Leberliga, obschon das eine potente marktlücke wäre. aggres- sion und gewaltbereitschaft? chaotische fussballfans und randalierende Jugendli- che im ausgang? arbeitsunfähige und ver- wahrloste menschen inklusive kaputten

familien? Pipifax im Vergleich zu den schäden und geruchsbelästigungen, die Rauchende verursachen!

Darum wird einem alkohol an jeder ecke geradezu nachgeschmissen. Das gilt nicht nur für die gnomen-Parade, die schon morgens um zehn stockbesoffen vor den coop-filialen und am Bahnhof rum- hängt, von wo der Weg zum Billigbier be- sonders kurz ist. alkohol ist in allen Berei- chen und altersgruppen, bei jedem Ver- einsanlass und der hinterletzten chilbi omnipräsent. höchste Zeit also für die Le- berliga. und wo bleibt sie? nirgends. einzig die suchtpräventionsstellen stürzen sich in diesen Kampf «Don Quijote gegen die Windmühlen»: Die Wirtschaft will den al- kohol – mit allen nebenwirkungen; das macht alle Präventionsbemühungen zu ei- nem Witz. Wäre alkohol jedoch nur annä- hernd so hoch besteuert wie tabak, würde das im sozialwesen zu traumhaften Zu- ständen führen: Die mühselige finanzie- rung von entzugsstationen, individuellen Wiedereingliederungen und familienthe- rapien wäre gesichert; Psychoanalysen und Kuraufenthalte wären bezahlt. es bliebe sogar genügend geld, um einheimische Bierbrauereien und traditionelle schnaps- brennereien zu subventionieren. genau so, wie das auch beim tabak läuft.

Ps: Dank dem ausgiebigen Velo-Ba shing der nLZ wissen wir jetzt, dass es auch noch schlimmeres als Raucher gibt: Velofahren- de! und ein Online-Leserkommentar dort- selbst gibt noch einen obendrauf: «Velofah- rer sind alles besoffene sozis!»

Dass Rauchen etwas vom Schlimmsten auf Erden ist, wissen wir.

Jetzt wäre es Zeit für die Leberliga.

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46 Antworten

Im april präsentierte die Projektgruppe Neue theater Infrastruktur (NtI)*

ihre Vision «theater Werk Luzern». Mit im Boot sind Stadt und Kanton Luzern, das Luzerner theater, das Lucerne Festival, das Sinfonieorchester Luzern, der Südpol, der Dachverband der Freien theaterschaffenden (aCt) und das KKL. Im Verbund möchte man den theaterplatz Luzern komplett umbauen.

Zum einen soll der freien theaterszene von den bestehenden Mitteln mehr Geld zufliessen. Im Südpol soll für diese ein neues Produktions- und auf- führungshaus entstehen. Regionale, nationale und internationale theater- gruppen sollen dort unter der Führung eines Kuratorenteams arbeiten. Das institutionelle theaterschaffen, also namentlich das Luzerner theater, wird ebenfalls neu strukturiert. Es beginnt beim Gebäude: Da dieses seinen Zenit erreicht hat, möchte man ein neues Bühnenhaus bauen – in KKL- Nähe. Was mit dem Luzerner theater als Institution passieren wird, und wie mit dem neuen Bühnenhaus verbunden sein soll, ist offen. So wie sehr viele andere Fragen, die erst Ende 2015, wenn das Projekt ausgearbeitet ist, beantwortet werden. Dass es gar keine antworten gibt, stimmt aber nicht.

Wir haben uns bei hiesigen theaterschaffenden und Projektmacherinnen, aber auch bei Zuschauern und Experten von aussen umgehört, wie sie zum

«theater Werk» stehen.

*Das Projekt neue theater infrastruktur (nti) ist eine von neun massnahmen des Planungsberichts über die Kulturförderung des Kantons Luzern. Der Planungsbericht als ganzes war bis mitte Juli in der Vernehmlassung.

Die ergebnisse werden ende Jahr veröffentlicht.

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9 THEATEr WErK

Durch das Projekt «Theater Werk Luzern» soll die freie Theaterszene mehr Geld bekommen – und das institutionelle Theaterschaffen, also Ihre Leu- te, folglich wohl weniger.

es ist gut, dass die freie szene besser ausge- stattet werden soll, aber ich finde es nicht gut, wenn man die beiden Bereiche gegen- einander ausspielt. Wir machen in einem gewissen sinne alle das gleiche. Viele von uns haben sowohl in freien ensembles wie an institutionalisierten häusern gearbeitet.

Die frage aber, was insgesamt mit dem schauspiel in Luzern passiert, stimmt uns nicht glücklich. Der Planungsbericht sagt wenig darüber, aber die Vermutung liegt na- he, dass es ein theaterhaus mit fest enga- gierten Künstlern nicht mehr geben wird.

Da geht natürlich etwas verloren! Das thea- ter ist auch ein Kompetenzzentrum. es nimmt die Kultur- und theatervermittlung sehr ernst und ist garant für eine längerfris- tige künstlerische Planung.

Mit KKL und Lucerne Festival im Boot wird die Sparte Musiktheater im neuen Bühnenhaus Auf- wind bekommen. Was bedeutet das für das Schauspiel und den Tanz?

Der Planungsbericht lässt erkennen, dass es auf der einen seite staropern des Lucerne festival geben soll, die für das Kultur-Re- nommee der stadt wichtig sind – auf der an- deren seite sollen die Bedürfnisse der freien szene berücksichtigt werden. Der ganze Be- reich dazwischen ist ein undefiniertes flick- werk. Wie sieht es mit dem grossen theater-

saal aus? meine Befürchtung ist, dass dort mit den verbleibenden mitteln ein unterhal- tungsbetrieb laufen und ein engagiert pro- grammiertes theater kaum mehr eine chance haben wird, also eine Ökonomisie- rung der theaterkultur stattfindet. es ist wichtig, diese gesamtbetrachtung zu ma- chen. sonst besteht die gefahr, dass das en- gagement für die freie szene ein feigenblatt für einsparungen im ganzen schauspielbe- reich bildet.

Braucht ein Theaterhaus zwingend ein eigenes Ensemble?

Ja, es braucht auch theaterhäuser mit festen ensembles. so wie ein solches theaterhaus auch eine zweite, kleinere spielstätte braucht, um dort neue und interessante stü- cke zu realisieren, die nicht unbedingt ein breites Publikum ansprechen. sonst greift nur die mainstream-Linie, was letztlich zu einer Verarmung der Kultur führt.

Andreas Herrmann,

Künstlerischer Leiter schauspiel, Luzerner theater

Dominique Mentha,

Direktor und Künstlerischer Leiter musiktheater,

Luzerner theater

Juliane Lang,

schauspielerin,

ensemble Luzerner theater

Die frage, was mit dem schau- spiel in Luzern passiert, stimmt uns nicht glück- lich.

Wie ist die Stimmung im Luzerner Theater bezüg- lich des Projekts «Theater Werk Luzern»? Fürch- ten Sie um Ihren Job?

Wir machen uns schon sorgen um die Zu- kunft des Luzerner theaters und wir schau- spieler im Besonderen um den erhalt des schauspielensembles. Die Vision lässt dies- bezüglich eine Lücke offen. Wir haben den Verdacht, dass die nti zu einer art auf- tragstheater führen könnte, was die künst- lerische freiheit extrem einschränken wür- de. theaterschaffen sollte nicht nur darauf ausgerichtet werden, dass es möglichst viele Zuschauer anzieht und prioritär marktwirt- schaftliche Kriterien erfüllt. in der geplan- ten finanziellen umstrukturierung sehen wir eine gefahr für das schauspielensemble.

Ist diese Gefahr für das Schauspiel denn besonders gross?

im Planungsbericht wird die Wichtigkeit des musikplatzes Luzern immer wieder betont. Das sehe ich ein, aber die anderen sparten dürfen nicht wegfallen. Das sprechtheater bietet mit dem gesprochenen Wort ganz andere gesellschaftliche und politische handlungsspielräume. Das finde ich unverzichtbar und ich denke, dass sich Luzern ein qualitativ hochstehendes sprechtheaterensemble, das wir, so denke ich zumindest, sind, leisten sollte.

Räumlich wird das Luzerner Theater mit dem Projekt «Theater Werk Luzern» aufgelöst. Welche Szenarien für die Zukunft des Ensembles werden diskutiert?

aufgelöst scheint mir das falsche Wort. Das Luzerner theater wird nicht aufgelöst, son- dern in ein neues haus übergeführt. Da es auch in Zukunft eine/n künstlerische/n Direktor/Direktorin geben soll, wird die neue Leitung in absprache mit der Kultur- politik zu entscheiden haben, wie das haus inhaltlich und strukturell aufgestellt werden soll. fest steht, dass man auch in Zukunft von einem produzierenden theater ausgeht, sicherlich kein gastspielhaus.

Sie sagten einmal, dass Sie die Salle Modulable am liebsten am Standort des Luzerner Theaters bauen würden. Wäre das auch der richtige Stand- ort für das neue Theaterhaus?

aus meiner sicht und aus der sicht des Pub- likums: Ja.

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THEATEr WErK

Das Luzerner Theater soll einem neuen Bühnen- haus weichen. Welche Probleme bringt das jetzige Gebäude denn mit sich? Alles nur eine Frage der Grösse?

Die heutige räumliche situation setzt einem effizienten theaterbetrieb grenzen und lässt keine entwicklung zu. man bedenke, dass die gebäude-grundstruktur, besonders die- jenige des Bühnenbereichs, aus dem 18.

Jahrhundert stammt. auch wenn 1970 mit einem grösseren baulichen eingriff der foy- erbereich angebaut werden konnte und mit der auslagerung der theaterwerkstätten in die Bürgenstrasse mehr Raum geschaffen wurde, hat das gebäude mit der entwick- lung des theaterschaffens nicht schritt hal- ten können. ein optimal strukturiertes neu- es theaterhaus wird automatisch grösser werden müssen. ausserdem könnten mit ei- nem sinnvoll konzipierten Bühnenraum zum Beispiel der auf- und abbau von Kulis- sen mit weniger Personal und in kürzerer Zeit erfolgen. Viele der heutigen arbeitsplät- ze entsprechen nicht den heute geforderten standards.

Peter Klemm,

technischer Direktor, Luzerner theater

Irina Lorez,

choreografin und tänzerin

ursula Hildebrand,

Präsidentin act Zentralschweiz (Berufsverband der freien thea- terschaffenden)

Wir haben mit dem KKL und dem südpol ein genügendes angebot an Räumen.

es entsteht offen- bar der eindruck, dass die freie

szene inexistent sei. Das gegenteil ist der fall.

Mit der NTI soll die freie Szene gestärkt werden.

Wie gross ist die Szene in der Zentralschweiz heute?

Die freie theater szene Zentralschweiz hat für die jetzige spielzeit 13/14 mit gut 440 aufführungen über 100 000 Zuschauer er- rechnet (schweizweit sind es ca. 1,7 millio- nen Zuschauende, ermittelt durch das insti- tut für theaterwissenschaft Bern). Zurzeit sind über 30 Personen bei act Zent- ralschweiz mitglied und über 50 members.

aber nicht alle freien theaterschaffenden sind bei uns angemeldet. immer noch wer- den unsere aktivitäten und Produktionen von den medien auf dem Platz Luzern zu wenig wahrgenommen und besprochen. so entsteht offenbar der eindruck, als ob die freie theater szene praktisch inexistent sei.

Das gegenteil ist der fall. Wir sind da, und das in bunter Vielfalt. eben ist der erste ge- meinsame spielplan 13/14 der freien thea- terschaffenden Zentralschweiz erschienen – ein geballte Ladung Kultur.

Wie stehen Sie zum Projekt «Theater Werk Luzern»?

ich wünsche mir mehr selbstverständlichen austausch von freier szene und dem institu- tionalisierten Kulturbetrieb. Wieder neue hüllen zu schaffen, ist für mich nicht zwin- gend. Wir haben mit dem KKL und dem südpol ein ausreichendes angebot an Räu- men. Wir müssen sie nur füllen und geld bekommen für das, was wir machen wollen.

ich bin dafür, das geld vordringlich für Pro- duktionen auszugeben und nicht für neue strukturen und Räume. Dass die freie szene stärker gewichtet werden soll, finde ich an der Zeit. ich bin überzeugt, dass auch ein verkleinertes Luzerner-theater-ensemble in einem neuen Kontext seine wichtige Rolle spielen könnte.

Der Südpol als neues Zentrum für die freie Thea- terszene – jubeln Sie?

ich juble immer, wenn es ein Zentrum für die freie theaterszene gibt, weil ich das für die zeitgemässe form des theaterwerkens halte, sowohl auf inhaltlicher ebene als auch vom Produktionsprozess her. Der süd- pol ist ein toller Ort, weil er grosszügig ist und viele möglichkeiten bietet.

Sie waren im LT-Ensemble, nun sind Sie freie Schauspielerin. Bedeutet frei wirklich frei?

nein. und ja. man ist ebenso abhängig von standorten, öffentlichen geldern, sponso- ren, guten Kontakten zu Kuratoren und netzwerken. aber – man ist handlungs- fähig. und ich kann frei wählen, welches theater ich mit wem machen will.

Wo ist der Verdienst schlechter?

im freien theater müsste ich sechs Produkti- onen hintereinander machen, um auf einen ähnlichen Jahreslohn zu kommen wie am theater. und das durchgehend. Das ist nicht möglich. Wir investieren viel Zeit und Per- sonal, was ein stadttheaterbetrieb gar nicht hat. Wir nehmen sie uns, und diese freiheit bezahlen wir mit barer münze, weil wir nur die siebenwöchigen Produktionszeiten zah- len können und keine sich über monate zie- hende Recherche.

Susanne Abelein,

freie schauspielerin,

(ehemals ensemble Luzerner

theater, jetzt u. a. capriconnec-

tion Basel)

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THEATEr WErK

11

Der südpol kann nicht

auf ein stamm- publikum

zurückgreifen.

Das Projekt «Theater Werk Luzern» – ein Durch- bruch für das freie Theaterschaffen?

es wurde erkannt, dass die fördergelder sehr ungleich verteilt sind. Dass das theater Werk Luzern diese schieflage etwas weniger schief denkt, ist doch zu begrüssen. es ist einfach:

Wo geld vorhanden ist, kann produziert werden. in diesem sinne eröffnet das Projekt durchaus neue chancen für die freie szene.

ich bin vorsichtig optimistisch: Der Pla- nungsstand gibt erst eine Richtung vor.

Was kann die freie Theaterszene in Luzern leisten, was nicht?

sie kann das Luzerner theater nicht erset- zen. ich meine, dass sich unter dem Dach des Luzerner theaters sehr viel Know-how versammelt, welches abwandern würde, wenn es diese institution nicht mehr gäbe.

es geht aber um Durchlässigkeit, verstehen lernen, dass die freie szene und ein festes haus sehr verschieden ticken und trotzdem zusammenarbeiten können, vorausgesetzt, beide seiten sind dazu bereit. und es wird darum gehen, alte Pfründe abzugeben. Die freie szene kann kostengünstiger produzie- ren, ist flexibler. innovative Projekte gibt es hier wie dort.

Die freie Szene soll im Südpol ein neues Dach über dem Kopf bekommen. Was braucht es sonst noch, dass sich das freie Theaterschaffen weiterentwi- ckeln kann?

es braucht Weitsicht, damit neues entstehen kann, aber Bewährtes deswegen nicht zer- schlagen wird. hand aufs herz: Wir kämp- fen seit mehr als 20 Jahren für bessere Pro- duktionsbedingungen. aber nur wenige theaterschaffende werden von den neuen förderinstrumenten profitieren. Wo wird der schwerpunkt gesetzt? Bei der förderung junger talente? Das macht durchaus sinn.

Der szene wird eine Blutauffrischung, wer- den neue impulse von aussen gut tun. Jung muss allerdings nicht zwangsläufig innova- tiv, bewährt nicht langweilig heissen. es darf nicht vergessen werden, was hier unter schwierigsten Bedingungen von erfahrenen theaterschaffenden bereits heute künstle-

risch auf hohem niveau und mit hohem un- ternehmerischem Risiko geleistet wird.

freie theaterschaffende werden mit dem alter besser, oder sie verschwinden von der Bildfläche. es geht also nicht um ein entwe- der-oder, sondern um ein sowohl-als-auch.

reto Ambauen,

freier Regisseur, Künstlerischer Leiter Voralpentheater

Wie müsste das neue Produktionshaus aufgebaut sein, damit die Freie Szene erfolgreich arbeiten kann?

es braucht mehrjährige gruppenförderun- gen und Produktionsbedingungen, die sich mit denen des Luzerner theaters verglei- chen lassen. es müssen genügend Proberäu- me zur Verfügung stehen. gleichzeitig soll es für die freie szene auf dem theater Werk- platz Luzern weiterhin die möglichkeiten geben, zu forschen, auszuprobieren und auch zu scheitern.

Bettina Glaus,

freie Regisseurin, mitgründerin der Luzerner gruppe «grenzgänger»

Der Südpol ist finanziell prekär unterwegs. Wer braucht also wen – der Südpol das «Theater Werk Luzern» oder umgekehrt?

Prekär ist zu dramatisch formuliert. Der südpol ist unterfinanziert, was vor allem bedeutet, dass das haus sein Potenzial nicht ausschöpfen kann. nun, da das theater auf dem Platz Luzern neu erfunden werden soll, wäre es doch zynisch, wenn sich die finan- zielle situation des südpols nicht dahinge- hend verändern würde, dass das haus sein Potenzial voll ausschöpfen kann.

Gibt es in Luzern genug Publikum für zwei Theaterhäuser?

Die nachfrage nach theater und tanz ist noch nicht sehr gross, weil es für zeitgenös- sischen tanz und zeitgenössisches theater in Luzern keine tradition gibt. Der südpol

Patrick Müller,

Leiter südpol

kann nicht auf ein stammpublikum zu- rückgreifen. Dieses müssen wir aufbauen, indem wir auch neue Leute an diese Kunst- formen heranführen. es geht auch darum, eine möglichst grosse Durchlässigkeit zwi- schen der freien szene und dem institutio- nalisierten Betrieb zu erreichen. Das kann jetzt total neu aufgegleist werden. Davon wird die stadt profitieren und es kann auch zukunftsweisend sein für andere städte. Zu- dem ist es sehr wichtig, dass Luzern ein star- ker Produktionsort wird. Wenn stücke hier erarbeitet werden, können eine annähe- rung und eine stärkere identifizierung statt- finden.

Was passiert mit der Musik?

musik gehört zu unserem haus, das er- scheint mir sonnenklar. Dieses Denken in sparten scheint mir sowieso veraltet. Viel mehr möchten wir die interdisziplinarität gezielt fördern. eine Band soll auch mal eine theaterproduktion eröffnen können, so wie man mit einem speziellen ticket sowohl ein Konzert wie eine theater- oder tanzpro- duktion besuchen kann. Wir sind auch inte- ressiert, musiker zu holen, die szenisch ar- beiten und so ihre ideen realisieren können.

Wenn 2017 die hochschule Luzern – musik neben dem südpol eröffnet, kann das neue Zusammenarbeiten geben. Dann könnte im süden Luzerns ein Pendant entstehen zu dem, was in KKL nähe mit etabliert-grossen Produktionen geplant ist. es macht keinen sinn, wenn sich die freie szene in sparten- kämpfen verliert.

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THEATEr WErK

Die Salle Modulable ist gescheitert. Können Sie mit dem «Theater Werk Luzern» Ihre damalige Vision doch noch verwirklichen?

im Planungsprozess der salle modulable hatten die städtische und kantonale Kultur- förderung sowie die beteiligten Kulturinsti- tutionen das Potenzial einer integrierten theaterzukunft erkannt und das Projekt vollumfänglich unterstützt. Die Vision für ein modernes musiktheater, das uns neue möglichkeiten für die künstlerische Weiter- entwicklung des festivals bietet, besteht nach wie vor. Die erkenntnisse aus dem Projekt der salle modulable wurden in das

«theater Werk Luzern» überführt. Jeden- falls ist das neue Projekt gut gestartet, breit abgestützt und wir werden unsere ideen und erfahrungen einbringen.

Es heisst, vom Salle-Modulable-Spendengeld-Pro- zess auf den Bermudas soll noch Geld ins «Theater Werk Luzern» fliessen. Halten Sie das für realis- tisch?

absolut. Die stiftung salle modulable wird die ihr allenfalls zugesprochenen mittel für die Realisation des modernen (musik-)thea- tersaals im Rahmen des Projekts «theater Werk Luzern» einsetzen und als Katalysator für Veränderung wirken.

Michael Haefliger,

intendant Lucerne festival

Denken Sie, das Projekt «Theater Werk Luzern»

ist von der Bevölkerung gewünscht?

Diesbezüglich gibt es für mich drei Bevölke- rungsgruppen: es gibt die aktiven theater- gänger, die Produktionen der institutionen und auch der freien szene besuchen. Dann gibt es die Leute, die eigentlich gerne ins theater gehen würden, es aus irgendwel- chen gründen aber doch nie tun – eine art latentes Publikum. und dann gibt es eine grosse masse an Leuten, die nie ins theater gehen. Die aktiven wissen um den finan- zierungsbedarf und wollen weiterhin ins theater – sie werden das Projekt unterstüt- zen. Das gleiche gilt wohl auch für die zwei- te gruppe. und jenen, denen theater egal ist, werden wir aufzeigen, dass das Projekt gesellschaftlich wichtig ist, und zählen auf ihre unterstützung.

Ist das Projekt einmal ausgearbeitet, muss es durch die Politik. Wie bringen Sie ein neues Thea- terhaus in Zeiten des Tiefsteuerkurses durch?

(…) Das weiss ich noch nicht. unsere aufga- be ist, bis ende 2015 vorzulegen, wie es gehen könnte. man muss erst wissen, was man will, dann hat man anschliessend auch die argumente.

Was läuft in Ihrem Projekt bisher gut, was schlecht?

ein grosser erfolg ist sicher, dass wir alle Partner an einem tisch haben, dass wir eine ungefähre Vorstellung haben, wo es hinge-

hen soll, und dass wir das Projekt «theater Werk Luzern» in den massnahmenkatalog des kantonalen Planungsberichts über die Kulturförderung sowie in die städtische Kulturagenda einbinden konnten. es ist kein stand-alone-Projekt, sondern ein teil der kulturpolitischen massnahmen.

Und wo sind die Schwierigkeiten?

Die liegen immer im Detail. Über die Vision sind wir uns einig, aber was sie konkret be- deutet, da gehen die meinungen sicher aus- einander. Welche Organisationsformen braucht es? Wie muss das neue gebäude aussehen? und dann wäre noch die stand- ortfrage. aber darüber sprechen wir erst, wenn wir wissen, was für ein haus es braucht.

Stephanie Witschi,

Projektleiterin

«theater Werk Luzern»

Wird in Luzern 2020 ein neues Theaterhaus stehen?

so klar kann man das heute noch nicht sa- gen. Das ist vielleicht etwas sportlich. Klar ist einfach: Wenn 2020 im alten haus an der Reuss grössere investitionen anstehen (die letzten grossen sanierungsarbeiten wurden in den 1990er-Jahren vorgenommen), wird man sich fragen müssen, ob sich das über-

rosie Bitterli,

Kulturbeauftragte stadt Luzern

haupt noch lohnt. Darum suchen wir heute Lösungswege.

Die Ausgaben für das Theaterschaffen sollen mit dem Projekt «Theater Werk Luzern» genau gleich bleiben. Finden Sie das realistisch?

es handelt sich um eine Vorgabe für die nun laufenden Projektierungsarbeiten. Was sich damit machen lässt, werden diese arbeiten zeigen. sollte sich ergeben, dass man damit nichts Zukunftsweisendes machen kann, ist das auch ein ergebnis.

Die erkenntnisse aus dem salle-

modulable-Projekt wurden ins

«theater Werk

Luzern» überführt.

(13)

13 THEATEr WErK

urs Liechti,

theaterbesucher

Was sind Ihre Erwartungen ans «Theater Werk»?

ich bin dagegen, weitere Kulturgelder für neubauten auszugeben. es ist sinnvoller, mit den geldern das professionelle schaffen und die szene der hier tätigen theatermacher zu unterstützen, als sie in weitere Prestigebau- ten zu buttern. es ist auch wichtig, dass die freie szene mehr gelder erhält. Wenn das schauspiel am Luzerner theater dadurch etwas zu kurz kommt, weine ich dem keine träne nach. ich schätze das Luzerner thea- ter für seine Opern, das Ballett oder die mu- sicals. aber die schauspieler haben mich mehr als genug enttäuscht. Da werden oft klassische stücke zurechtgebogen, dass es für meinen geschmack und meine Kennt- nisse nicht mehr goutierbar ist und einer Verhunzung gleichkommt.

Dass der südpol zu einem theaterhaus wer- den soll, da habe ich nichts dagegen. Das könnte ein hervorragender Ort ein. und wenn die freie theaterszene oder auch das Luzerner theater dort mehr produzieren können, ist das ein gewinn.

Wie sind Ihre Erwartungen ans «Theater Werk»?

Wie ich eben in London weile, kommt mir da eine notiz goethes unter: «englische stücke / Das Verruchte des stoffs, / das ab- surde der form, / verwerfliche handlungen.

/ Vermaledeites englisches theater!» und ich denke, so muss es nicht nur in england

Severin Perrig,

theaterbesucher

Zürich ist die ungekrönte theaterstadt der schweiz, wie kann und soll sich da Luzern positionieren?

Kann der Südpol gleichzeitig ein Theaterhaus und ein alternatives Kulturzentrum sein?

Der südpol ist von seiner geschichte her kein alternatives Kulturzentrum, sondern ein städtisch subventioniertes haus der frei- en szene. entscheidend ist daher, was man unter einem alternativen Kulturzentrum heute versteht. und ich glaube, dass diese Vorstellung ein veraltetes modell ist, das heutigen künstlerischen Produktions- und Präsentationsbedingungen nicht mehr ent- spricht. Wichtig scheint mir für den südpol, dass dort denjenigen Künstlerinnen und Künstlern die Räume und Produktionsfor- men zukommen, die dafür den grössten Be- darf und die interessanteste Verwendung in der Region haben. Dabei muss das Ziel sein, dass dieser Kulturort eine qualitative, starke und verbindliche ausstrahlung hat. Ver- bindlich kann zum Beispiel sein, dass er konsequent für das experiment, für neue formen steht – sofern dies finanziell leistbar ist. Was der südpol sein kann, liegt aber auch wesentlich an den mitteln, die er zur Verfügung hat. Die jetzige infrastruktur lässt meines erachtens ein theaterhaus nicht zu, daher müsste ins gebäude inves- tiert werden. grundsätzlich liegt die Zu- kunft von Kulturinstitutionen aber sicher in der Verbindung von sparten und Publika, da sich diese immer selbstverständlicher überschneiden. ein theaterhaus kann mit etablierten und nicht-etablierten Künstlern produzieren. Ob nun im südpol eine Verbin- dung zwischen einem wie auch immer defi- nierten theaterhaus und einem freien Kul- turzentrum möglich ist? grundsätzlich ja.

Die künstlerisch und kulturell unterschied- lichen Bereiche sollen aber nur dann mit- einander verbunden werden, wenn an den Verbindungen ein echtes politisches und ge- sellschaftliches interesse besteht.

Was sind die Erfahrungen am Schauspielhaus Basel, wo die freie Gruppe FADC jetzt Teil des En- sembles und der Schauspieldirektion ist?

Dazu müssten sich die Verantwortlichen äussern. Persönlich und unabhängig vom konkreten Projekt in Basel bezweifle ich,

Philippe Bischof,

Kulturchef Basel, ehem.

Leiter südpol

ob dieser ansatz der integration freier en- sembles in ein stadttheater grundsätzlich sinnvoll ist. ein stadttheater lebt immer noch von seinem festen ensemble, das dann mit verschiedenen Regisseuren arbeitet. ein freies ensemble in einem festen ensemble ist ja nicht per se ein künstlerischer mehr- wert.

(14)

THEATEr WErK

Herr Tobler, der Theaterplatz Luzern soll umge- baut werden. Wie sehr verfolgen Sie das Projekt

«Theater Werk Luzern»?

erstmals gehört habe ich von diesem Projekt im märz 2012. Das Vorhaben, das Luzerner theater neu auszurichten, hat mich interes- siert, da ich in den vergangenen zehn Jah- ren nur noch wenig an schweizer stadtthea- tern gesehen habe, was ich gesellschaftlich für relevant halte. Diese regressive Phase be- gann im sprechtheater – nur darüber kann ich kompetent sprechen – mit den abgängen von Barbara mundel in Luzern, Lars-Ole Walburg in Basel und christoph marthaler in Zürich. seither hat sich in der schweiz ein saturierter Konservatismus breitge- macht. angesichts dieser entwicklung habe ich die Diskussion um das «theater Werk Luzern» mit interesse verfolgt; ich habe das interne Papier vom august 2012 gelesen, in dem die arbeitsgruppe szenarien entwarf.

Das fand ich interessant, da darin grund- sätzlich über die Zukunft des theaters nach- gedacht wurde. Den Zwischenbericht von april 2013, mit dem die arbeitsgruppe erst- mals an die Öffentlichkeit trat, fand ich hin- gegen enttäuschend. Darin wird festgehal- ten, dass die freie szene im südpol bleibt, während der neue theatersaal in der nähe des KKL mit «hochstehenden eigenproduk- tionen» bespielt werden soll. Wie diese zu- stande kommen sollen, wird offen gelassen, aber die unterscheidung zwischen «institu- tionellem» und «freiem theaterschaffen», die es im Bericht gibt, deutet darauf hin, dass man immer noch dem stadttheatersys- tem nachhängt. aber gerade dieses system hat sich in Luzern mangels künstlerischem mut und fehlender innovationskraft nicht bewährt.

Ist so etwas wie das «Theater Werk Luzern» über- haupt sinnvoll? Und was wäre nötig, damit das neue Bühnenhaus sowie das neue Produktions- zentrum Südpol erfolgreich sein könnte?

sinnvoll ist so etwas nur, wenn man vom stadttheatersystem abstand nimmt und bei- de häuser ausschliesslich mit freien Produk- tionen bespielt. Die freie szene hat sich stark

Andreas Tobler,

theaterkritiker

«tages-anzeiger»

professionalisiert und internationalisiert:

auf den festivals und an den freien spiel- stätten sieht man eine Qualität und Vielfalt, die es an schweizer stadttheatern zurzeit nicht gibt. in Luzern müsste man dem Pub- likum wohl zunächst mal zeigen, was freies theater alles sein kann. Das gelingt nur, wenn man bereits erfolgreiche Produktio- nen einlädt. in einer ersten Phase müsste man also beide häuser – den südpol und die neue Bühne – überwiegend mit internatio- nalen gastspielen und Koproduktionen be- spielen. Zugleich müsste man Luzern als Produktionsstandort etablieren: Beide häu- ser zusammen müssten als internationaler Koproduzent auftreten, der inszenierungen ermöglicht, die dann in Luzern zur urauf- führung kommen oder hier gastieren. Dane- ben könnte man ohne Druck eine freie sze- ne in Luzern aufbauen, indem man in den nachwuchs investiert, ihn aufbaut und all- mählich in die nationale und internationale szene einbindet. Letzteres kann man mit Programmschwerpunkten machen, in de- nen man den nachwuchs zusammen mit bereits etablierten Künstlern zeigt. Die Bil- dung von schwerpunkten hat zudem den Vorteil, dass sie dem Publikum Orientierung bieten. ich denke dabei an solche festivals wie «it’s the Real thing» an der Kaserne Basel, das sich dem dokumentarischen the- ater widmete.

Zürich ist die ungekrönte Theaterstadt der Schweiz, wie kann und soll sich da Luzern positi- onieren?

es ist sicher richtig, dass Zürich von der fül- le des angebots die theaterhauptstadt der schweiz ist. aber ich glaube, dass es neben der gessnerallee und der Kaserne Basel in der schweiz noch Bedarf für eine dritte gro- sse freie spielstätte gibt, die eine internatio- nale ausstrahlung hat und zugleich lokal angebunden ist.

Einige Worte zur Qualität der freien Szene in der Schweiz und spezifisch der Innerschweiz?

Die freie szene in der schweiz hat in den vergangenen Jahren herausragende insze- nierungen und neue Ästhetiken hervorge- bracht. ich denke dabei an Boris nikitins bewusstseinsveränderndes manipulations- theater, an thom Luz’ reflektierte inszenie- rungen, mit denen er unmittelbar zu unse- ren sinnen spricht, oder an martin schick, sein. ein «vermaledeites» theater-Werk,

und schon interessiert es mich: theaterleute, die für ein Publikum – beide jeweils für sich ein höchst schwieriger menschenschlag – den grauen nebelflor der Langeweile für ei- nen abend lösen oder spannen. und ihre Produktionen können hunderten verkün- den, was kaum zehn lesen würden. ein neu organisierter theaterplatz in Luzern ver- knüpft sich für mich mit diesem Potenzial.

Luzern hat ein solides ensembletheater, eine anregende freie szene, viele gastspiele, tra- ditionsreiches Laientheater, die sich schwer qualitativ und quantitativ gegeneinander ausspielen lassen und die nicht unter dem erfolgs- und Konkurrenzdruck von Zürich oder Basel stehen. Zu wünschen bleibt höchstens, dass aus all dem neu organisier- ten wiederum ein höchst «vermaledeites»

theater wird. a damned not a fucking the- atre.

Welche Auswirkungen hätte ein neues Theater- haus? Denken Sie, so ein Haus könnte eine ähnli- che Anziehungskraft ausüben wie das KKL?

Dass ein theaterhaus mit der inzwischen in- ternational sehr präsenten ausstrahlung des KKL Luzern mithalten kann, ist eher un- wahrscheinlich. mit einem neuen theater- haus hätte man aber wohl die möglichkeit, die Kulturstadt Luzern in den Bereichen schauspiel, Oper, tanz und musiktheater weiterzuentwickeln.

Marcel Perren,

Direktor Luzern tourismus

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15 THEATEr WErK

der an einer relationalen Ästhetik arbeitet, beispielsweise in «cmmn sns Prjct», in dem er mit dem Publikum die ökonomischen Ba- sisoperationen neu aushandelt. nikitin, Luz und schick sind zurzeit die herausragenden einzelkünstler der schweiz, die auch im ausland erfolgreich sind. Was die inner- schweizer theaterszene anbelangt, so habe ich sie mit sicherheit zu wenig zur Kenntnis genommen. ich kenne einzelne gruppen wie die «grenzgänger», die mit «nico’s Love» furore machten. mir wurde von ver- schiedenen seiten gesagt, dass es so etwas wie eine freie szene in der innerschweiz nicht gibt, was wohl damit zu tun hat, dass Künstler sich eher in grösseren städten an- siedeln, in denen aussicht auf ausreichende förderung besteht. Darin sehe ich denn auch die herausforderung für das «theater Werk Luzern»: es muss Künstler mit opti- malen Bedingungen dafür interessieren, ei- ne oder mehrere Produktionen in Luzern zu erarbeiten. Woher diese Künstler kommen, ob sie nur für eine Produktion oder gleich für mehrere Jahre in Luzern arbeiten wol- len, darf dabei keine Rolle spielen.

Wie haben sich die Sparten Schauspiel, Musikthe- ater und Tanz in der Schweiz in den letzten 20 Jahren entwickelt?

Die sparten wurden vor allem durchlässiger.

man versucht, formen zu verschmelzen.

Viele theater kommunizieren das auch of- fensiv. auch beobachten wir, dass die freie szene und die institutionen punktuell zu- sammenrücken, es gibt öfters Zusammenar- beit.

Es kommt also gar nicht so darauf an, wo welche Sparte angesiedelt ist.

Oh doch. Denn die Zuschauer wünschen sich oft klare sparten – für sie sind diese ein wichtiges Orientierungsmittel. man muss klar versuchen zu zeigen, wo sich die spar-

Mathias Bremgartner,

theaterwissenschaftler universität Bern,

forschungsgruppe theatersyste- me steP (Project on european theatre systems)

ten in einer stadt befinden. sie können durchaus auf verschiedene Orte verteilt sein, aber es braucht hauptzuständigkeiten.

Kann ein neues Bühnenhaus im KKL- und Lucerne-Festival-Umfeld ein Haus für alle und alles sein?

man kann schon ein haus machen, das alles abdeckt. Wenn man von der spitzenoper bis zu fremdvermietungen alles hat, wird es aber möglicherweise schwierig, dem haus eine identität gegenüber dem Publikum zu vermitteln.

Hat sich die Bedeutung des klassischen Theateren- sembles in den letzten 20 Jahren verändert?

eigentlich nicht. Das hauptargument für das ensemble ist immer noch die Publi- kumsbindung. Viele Leute besuchen ein theater in erster Linie, weil sie die schau- spieler darin kennen oder die handschrift eines Regisseurs. Diese Bindung ist sehr wichtig. Die Wiedererkennung kann aber auch über die Profilierung eines hauses als ganzes erfolgen, ohne ein festes ensemble.

Was ist denn besser, ein Theaterhaus mit oder ohne eigenes Ensemble?

ganz am anfang muss die frage stehen, was man mit einem theater will. möchte man die kontinuierliche arbeit einer truppe über Jahre, dann geht der Weg über ein en- semble. Wenn es darum geht, möglichst verschiedene künstlerische ausdrucksfor- men zu präsentieren, dann braucht es dazu kein ensemble. Beide Varianten haben Vor- züge und schwächen.

Sie setzen sich in der Forschungsgruppe STEP mit Theatersystemen in ganz Europa auseinander.

Erzählen Sie uns von Ihrer Arbeit.

Die forschungsgruppe steP gibt es seit 2005. Wir vergleichen theatersysteme in den sieben Ländern Dänemark, estland, ir- land, niederlande, schweiz, slowenien und ungarn. Dabei untersuchen wir das Publi- kum, die theaterformen selbst und ihr Ver- hältnis zueinander, und natürlich die Kul- tur- und förderungspolitik der einzelnen staaten.

Was ist in der Schweiz speziell?

in der schweiz können die theaterformen in Bezug auf ihre Besucherzahlen pyrami- denartig gedacht werden. an der spitze ist

die hier abgedruckten Fragen und antworten sind auszüge aus teilweise längeren interviews.

die komplette Version sowie zusätzliche Stimmen aus der Politik finden Sie auf www.null41.ch/nti das stadttheater, es folgt die freie szene und in der Breite das amateur- und Volksthea- ter. Dessen Dichte ist in der schweiz einzig- artig, es wird mehr Volkstheater produziert als irgendwo sonst in europa.

Was wäre denn ein völlig anderes Beispiel?

in sachen förderungspolitik ist in europa das niederländische system der gegenpol zur schweiz. Dort werden die häuser von den gemeinden finanziert, die ensembles jedoch vom staat – und die touren dann durchs Land. unser system ist dem entge- gengesetzt: einerseits indem wir überhaupt zwischen institutionen und freier szene un- terscheiden, anderseits weil das föderalisti- sche system eine viel komplexere finanzie- rung bewirkt. Jeder Kanton schaut auch ein bisschen für sich.

Ist das niederländische System also effizienter?

Die niederlande galten lange als zukunfts- weisend, jetzt allerdings hat sich das system als instabil erwiesen. als eine liberale Regie- rung an die macht kam, gab es rigorose Kürzungen. Plötzlich gibt es nur noch halb so viele subventionierte gruppen – und das angebot hat sich verkleinert.

Die

Zuschauer wünschen sich klare sparten.

Interviews: Martina Kammermann, Pirmin Bossart, Michael Gasser, Ivan Schnyder.

(16)

Hitzkirch

Sursee

Sempach

Luzern

Vierwaldstättersee Zugersee Baldeggersee

Sempachersee

Stans Alpnach

Kägiswil Horw Kriens

Meggen

Weggis

Schwyz Hochdorf

Altdorf Sarnen

Zug

Freienbach

Nottwil

Steinhausen

Rotkreuz

Küssnacht Beromünster

Bürglen

Silenen Ennetbürgen

Schötz

Triengen

Dagmarsellen

Willisau

Obwalden

Nidwalden Region

Vierwaldstättersee Region Seetal

Region

Sempachersee Region

Wiggertal

Uri Schwyz Zug

Immensee

Entlebuch

Aesch

Der Zentralschweizer Weinbau ist klein, aber fein – und im auf- wärtstrend. Wir haben die Winzerin Edith Mächler auf dem Kaiser- span besucht, der lange der einzige Rebberg im Kanton Luzern war.

Von Susanne Gmür, Bild Marco Sieber

In den

Reben

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WEINBAu

17

D

as Weingut Kaiserspan hat in seiner über 150-jährigen geschichte viele höhen und tiefen und auch viele Besitzerwechsel er- lebt. Das letzte tief ist zwölf Jahre her. Pe- ter mächler war auf dem gut aufgewachsen, das ab 1961 ein normaler Landwirtschaftsbetrieb mit milch- kühen und Obstbäumen war. als er den Betrieb 1990 übernahm, wagte er es, erneut Wein anzubauen. und starb 2001 ganz unvermittelt. seine frau, edith mäch- ler-Britschgi, war damals gerade mal 30, ihre älteste tochter sechs, die Zwillinge vier Jahre alt. aber sie wollte das, was ihr ehemann aufgebaut hatte, unbe- dingt weiterpflegen.

heute sitzt andreas Bachmann neben ihr, in dem sie einen neuen Lebensgefährten gefunden hat und der ihre Leidenschaft fürs gut, den Wein und die fa- milie teilt. sie sind glücklich auf dem Kaiserspan und jeden tag dankbar: «Was will man schöneres mehr?»

Der Blick von ihrem hof auf dem Lindenberg bei gel- fingen mit dem herrschaftlichen Wohnhaus und dem kleinen Rebacker-häuschen (dem einzigen im Kan- ton) ist in der tat wunderschön. unten liegt dunkel- blau der Baldeggersee, ennet dem tal grüne, sanfte hügelzüge. und das Klima: besonders mild, wie über- all im seetal. Die seen, vor Wind schützende hügel, die südlage, die wenigen niederschläge – das sind aus- gezeichnete Voraussetzungen für den Weinbau. und sie werden zurzeit immer besser. Die Weinbauer gehö- ren zu jenen, für die die Klimaerwärmung nicht ein- fach eine schlechte sache ist. «Wir hatten sommer wie in der toskana, der Wein ist dadurch sprunghaft bes- ser geworden.»

Zentralschweizer Weine im Hoch

aber nicht nur das Klima trägt zur guten Qualität des Weins bei, auch die arbeitsweise sei entscheidend, und die habe sich in den letzten 20 Jahren stetig ge- wandelt, erzählt die Winzerin. Zum Beispiel indem man den ertrag nicht einfach möglichst gross, sondern möglichst kostbar werden lässt. auch der naturnahe Weinbau ist eine relativ junge errungenschaft. Dazu gehört unter anderem, dass man das gras auf den Bö- den nur mäht und nicht mehr mit chemie ausrottet.

ausserdem sind die einrichtungen für die Vinifizie- rung, also die Weiterverarbeitung der trauben zu Wein, ständig besser geworden.

gemeinsam und mit der hilfe von freunden und familie haben edith mächler und andreas Bachmann es geschafft, aus dem Kaiserspan ein florierendes

Weingut zu machen, von dem sie leben können und das zudem kontinuierlich wächst. «es ist auch die glo- balisierung und der damit einhergehende effekt, dass die Leute wieder vermehrt auf regionale Produkte zu- rückkommen», erklärt andreas Bachmann ihren er- folg und weshalb sie vom zurückgehenden Weinkon- sum in der schweiz nichts merken, im gegenteil. Der aufwärtstrend gilt übrigens für alle sechs Kantone der Zentralschweiz: Wurden hier vor zehn Jahren noch gut 55 hektaren Wein angebaut, sind es gemäss Bun- desamt für statistik jetzt schon fast 90.

Kein grund, euphorisch zu werden, meint andre- as Bachmann schmunzelnd. als Winzer braucht man nämlich vor allem eins: gelassenheit. Kein Jahr gleicht dem anderen, nichts ist berechenbar, es hängt vom Wetter ab, ob am ende eines Weinjahrs genug und vor allem guter Wein herauskommt. Richtig gut wird er nur, wenn man viel Zeit und herzblut in die Reben in- vestiert, ist edith mächler überzeugt: «Wir könnten noch viel mehr anbauen, aber wir wollen langsam und gesund wachsen.» mit ein grund, weshalb sie ihre Weine nach wie vor von Peter schuler vom benach- barten Weingut heidegg vinifizieren lassen – wie es viele kleinere Betriebe tun. Jenseits von Konkurrenz- denken arbeiten die Winzer im seetal zusammen. so werden auch die grossen maschinen zur Pflege der Rebstöcke, die die junge Winzerfamilie angeschafft hat, nicht nur auf dem eigenen Betrieb eingesetzt.

trotz ihres erfolgs ist edith mächler ganz erstaunt, dass man über sie und ihr Weingut schreiben will. in der Regel sind es wenige grosse Betriebe, die in den medien zum Zuge kommen, wie eben der von Peter schuler in heidegg oder toni Ottiger in Kastanien- baum – der dieses Jahr neue Reben auf dem Krienser sonnenberg anpflanzte. Wenn überhaupt von Zen- tralschweizer Weinen berichtet wird. Denn mit knapp 90 hektaren hat die Zentralschweiz weniger als ein Prozent anteil an der gesamten Weinanbaufläche der schweiz. in statistiken geht sie deshalb oft unter, wenngleich unter szenekennern inzwischen bekannt ist, dass hier qualitativ hochwertige Weine entstehen.

Die reblaus und der Gotthardtunnel

tatsächlich gibt es in der Zentralschweiz rund 40 Win- zerbetriebe, in Luzern sind es 26, wovon zwölf im see- tal beheimatet sind, dem grössten der vier Weinbauge- biete des Kantons. es ist also keineswegs eine exotische sache, zumal hier seit über 800 Jahren Wein angebaut wird. eine tradition, die jedoch ende des 19. Jahrhun-

(18)

in der Zentralschweiz werden auf knapp 88 hektaren fläche von rund 40 Winzern und Winze- rinnen insgesamt 40 sorten Wein angebaut. Die wichtigsten sind bei den weissen trauben der Riesling-silvaner, bei den roten der Blauburgunder. Der Jahrgang 2012 hat 3 925 hektoliter Wein ergeben, das entspricht gut einer halben million flaschen. Vom 22. bis am 26. Oktober kann man die Luzerner Weine an der Weinfachmesse Luvina entdecken – oder man besucht eine Degustation direkt auf den Weingütern: www.luzerner-weine.ch

Weingebiete

(teilweise Weingüter) anbaufläche in

Hektaren Weinproduktion

in Hektolitern Rote Sorten

(19 Sorten insgesamt) Weisse Sorten (21 Sorten insgesamt)

Total Zentralschweiz 87,65 ha 3925 hl 50,45 ha 37,20 ha

Kanton Luzern 42,09 ha 2195 hl 21,68 ha 20,41 ha

Kanton Schwyz 39,48 ha 1488 hl 25,21 ha 14,27 ha

Kanton Zug 1,79 ha 97 hl 0,74 ha 1,05 ha

Kantone

Uri, Obwalden, Nidwalden 4,29 ha 145 hl 2,82 ha 1,47 ha

Häufigste rote Sorten:

- Blauburgunder

(Pinot noir, Clevner, Servagnin) - Zweigelt

- Cabernet Jura - Cabernet dorsa - garanoir - gamaret - dornfelder - Regent

Häufigste weisse Sorten - Müller-Thurgau (Riesling-Silvaner) - Solaris

- Riesling - Pinot gris - Johanniter - Chardonnay - Seyval blanc - Räuschling

Weinbau in der Zentralschweiz

derts fast zum erliegen kam, als der mehltau und ins- besondere die Reblaus grosse teile der Weinanbauge- biete in ganz europa zerstörten und der Bau des gott- hardtunnels den import von tessiner und italienischen Weinen massiv erleichterte. Der Kaiserspan überlebte die Krise als einer der wenigen Rebberge, im Kanton Luzern war er dann über viele Jahrzehnte sogar der einzige. erst 1961 wurden alle Rebstöcke ausgerissen, zu einer Zeit, als es mit dem Weinbau eigentlich schon wieder aufwärts ging.

edith mächler und andreas Bachmann lieben ihre abwechslungsreiche arbeit – neben den Rebstöcken kümmern sie sich um Wald, Obstbäume, Ziegen, scha- fe und Rinder, und sie verkaufen und liefern den Wein selbst. auf über 1,6 hektaren ernten sie die beiden Deutschschweizer Klassiker, den roten Blauburgunder und den weissen Riesling-silvaner, ausserdem Pinot gris, muscat Oliver und auch Zweigelt, der nicht nur im trend liegt, sondern ebenfalls sehr geeignet ist für das hiesige Klima und die Bodenbeschaffenheit. Die beiden cuvées, die sie seit 2008 produzieren, heissen ebenso stolz wie sinnigerweise: der «Kaiser» und die

«Kaiserin». Wie sie schmecken, kann man am 29. und 30. november bei der jährlichen advents-Degustation testen. auch dieser geselligkeit wird Peter mächler, dessen Bildnis im Degustationsraum hoch oben auf einem Regal steht, heiter lächelnd beiwohnen.

edith mächler auf ihrem Weingut, mit Rebacker-häuschen.

Bild Marco Sieber WEINBAu

Quelle: BFS, 2013: «das Weinjahr 2012»

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19 KOMMENTAr

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Grosse Klappe, grosse Mache

Das Jugendradio 3fach feiert diesen monat sein 15-jähriges Beste- hen. Ziemlich genau einen monat vor dem Jubiläumsevent – was für ein timing! – verkündeten die Radiomacher rotzfrech, dass sie das treibhaus übernehmen wollen. 3fach wolle das Jugendhaus

«von der stadt zurück», da diese die falsche trägerin sei. «als ma- cher eines Jugendradios haben wir das bessere gespür für Konzer- te», sagte 3fach-chef Daniel glur zu Zentralplus, man könne das defizitäre haus ertragreicher führen. Besser also als das jetzige treibhaus-team. für dieses war die ansage eine Ohrfeige. Oder eigentlich fast noch fieser: ein schubser von hinten. Denn die treibhaus-crew selbst erfuhr erst durch die stadt und die medien von ihrem glück – und das ist nun wirklich nicht die feine art.

Zudem hört es sich leicht absurd an, wenn ein Jugendradio von der stadt ein haus «zurück» fordert. umso mehr, wenn man ei- nen Blick in die geschichte wirft: schon das Jugendhaus Wärch- hof selig wurde im auftrag der stadt Luzern betrieben, aber von einem Verein geführt. als 1998 die «tribschenstadt»-Überbauung aufgegleist wurde, war klar, dass ein neues haus her musste. Da nun stiess der Verein – verständlicherweise – an seine grenzen.

2002 wandten sich die Wärchhöfler an die stadt. sie richtete es schliesslich, dass nur zwei Jahre später das treibhaus bezogen werden konnte. hier wurde also niemandem etwas weggenom- men. Das heutige Betreiberteam hat unter anderem die aufgabe, Jugendlichen Platz für eigene Veranstaltungen zu bieten und sie dabei zu begleiten. Da gehört scheitern dazu. Dass Besucherzah- len für das treibhaus nicht im Vordergrund stehen, gehört zum Konzept und ist ja eben das gute daran. Bestimmt kann 3fach Konzerte veranstalten – der sprung vom Radiomachen zur sozio- kulturellen animation ist dann aber doch ein anderer. Die Über-

nahmepläne waren denn auch bald vom tisch, das ganze war nicht wirklich zu ende gedacht. (Wie wir sehen, hat sich 3fach auch bereits in einen neuen flirt mit dem Zin-magazin gestürzt.)

man muss aber sagen: Zurückhaltung und politische Korrekt- heit waren es sicherlich nicht, die Radio 3fach gross gemacht ha- ben. nichts zeigt dies besser als das Jubiläumsbuch, das am 15.

Oktober herauskommt. schon die idee des 16-jährigen attilla Révész, mit einem haufen gymnasiasten ein Radio zu gründen, war reichlich abgehoben. aber er schaffte es: nach vier Jahren arbeit bekam 3fach 1998 seine eigene frequenz. unterstützt wur- de es unter anderem von lokalen Radiosendern – unter der Vor- aussetzung, dass 3fach auf klassische Radiowerbung verzichtete.

als die senderchefs das Jugendradio in einem interview öffentlich hinterfragten, liess man sich nicht einschüchtern. so polterte der junge geschäftsführer (und jetzige fuKa-fonds-Präsident) Benji gross in einem Leserbrief an die LZ: «ausserdem, herr spirig (ehem. geschäftsleiter Radio central, anm. d. Red.), zeige ich ih- nen gerne einmal unser senderkonzept. Wir müssen uns zwar

‹nicht die mühe machen, eines zu entwerfen, das standhält›, ha- ben aber trotzdem eines – gut gell??! [sic!] […] mir kommt es oft ein wenig vor, als ob die ‹grossen› ihren sender nur als Produkt sehen, um Werbung zu akquirieren. […] Das Resultat ist ein Ra- dioteppich ohne ecken und Kanten. Radio 3fach hat Kanten – und zwar viele – und zwar absichtlich.»

Die gedanken, die gross hier von sich schleuderte, wurden wenig später in der sendefibel festgeschrieben und zum geistigen fundament von 3fach. ein weiterer meilenstein der 3fach-ge- schichte entstand – wie übrigens auch die treibhaus-idee von Da- niel glur – in einem maZ-Kurs: die altersguillotine. sie sorgt da- für, dass moderatorinnen und Redaktoren nur bis zum 25. Le- bensjahr bei 3fach arbeiten dürfen. Langfristig sicherte die Regelung die identität und die Daseinsberechtigung des Jugendra- dios.

Die geschichte also zeigt: an ideen mangelte es 3fach nie, und aus spontanen aktionen entstand immer wieder Dauerhaftes.

3fach hat eine grosse Klappe, ja, aber manchmal steckt eben auch was grosses dahinter. hier sind Leute am Werk, die es nicht gut, sondern besser machen wollen. und das verdient Respekt, Offen- heit, und das muss sehr wohl gefeiert werden.

Martina Kammermann Jubiläumsevents:

DO 17. Oktober, Vernissage Publikation «15 Jahre 3FAcH».

Fr 18. Oktober, Konzerte Washed Out und Gang colours, Südpol.

SA 19. Oktober, Party in der Mehrzweckhalle Allmend.

(20)

cLuBKuLTur

Gegenwart erzeugen, Gegenwart einfangen

Den Plan, ein musikmagazin mit fokus auf kontemporä- re elektronische musik zu machen, hatte der Design-ma- nagement student Remo Bitzi bereits gefasst, als er den graphic-Design-studenten Kaj Lehmann beim tischten- nis an der hsLu kennenlernte – und ihn besiegte. Die studien sind mittlerweile abgeschlossen, die hoheit im tischtennis ist wechselhaft, und im august erblickte die siebte ausgabe eines vierteljährlich erscheinenden maga- zins über die clubkultur in und um Luzern das Licht der Welt: das zweikommasieben-magazin. Dahinter steht der Verein Präsens edition. und hinter Präsens edition ste- hen Remo Bitzi und Kaj Lehmann.

Mal schauen. und schauen lassen.

«Der moment wird vom gehirn innerhalb von 2,7 se- kunden als Jetzt wahrgenommen, danach als Vergangen- heit», erklärt Lehmann den namen, der die Leitidee des magazins schön darstellt. Bitzi: «Das magazin soll den moment einfangen, die gegenwart der clubkultur.» Die gegenwart einzufangen ist durchaus kein geringer an- spruch. entsprechend offen, wandelbar, sogar «ungreif- bar» versucht man das heft zu halten. eine ausgabe folgt in der gestaltung nicht einfach den vorhergehenden nach, sondern man mache, so Lehmann, jedes mal «ein neues heft». Dadurch sei die arbeit an jeder ausgabe wieder interessant. Die machart ist dabei sehr aufwendig und das magazin mit offensichtlichem enthusiasmus durchdesignt. es ist zu grossen teilen ein magazin für aficionados, für Leute, denen es etwas sagt, wenn auf dem cover interviews mit Jan Rohlf oder Lee gamble an- gekündigt werden. es ist aber auch ein «reflektives maga- zin», wie Remo Bitzi sagt. eines eben, das die gegenwärti- ge clubkultur in Luzern abbildet. eine interessante idee etwa ist die Kolumne einwegkamera: hier wird einem Künstler, der in Luzern auftritt, eine ebensolche einweg- kamera mitgegeben. so kann man durch die augen eines Durchgereisten einen Blick auf die stadt erhaschen. und wenn die fotos an einem ganz anderen Ort geschossen werden, dann ist das halt ein bisschen gegenwart ausser- halb der erwartungshaltung.

zweikommasieben ist als Magazin und Veranstalter zugleich

Chronist und aktivist der Luzerner Clubszene und erzeugt Inter-

esse darüber hinaus. Ein augenschein.

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21 cLuBKuLTur

Das passt zu der entspannten Wir-schauen-mal-was- passiert-einstellung, die Lehmann und Bitzi ausstrahlen.

sie scheinen gut damit zu fahren. nach anfänglichen 300 stück hat das zweikommasieben-magazin mittlerweile eine auflage von 500 stück, bekommt auch aufmerk- samkeit aus dem ausland und wird etwa in Wien oder Berlin verkauft. auch als Veranstalter reüssiert man. im südpol veranstaltet zweikommasieben regelmässig Kon- zerte, mit «Bold» ist eine neue Reihe in Zürich geplant, und auch in der deutschen hauptstadt wurden schon Veranstaltungen realisiert. Dabei suche man diese Rolle gar nicht unbedingt, sondern werde meistens angefragt.

Bitzi: «Wir fühlen uns jeweils sehr geehrt, weil die an- fragen oft von Leuten stammen, deren arbeit wir bewun- dern.» man müsse mittlerweile aber schauen, dass es nicht zu viel werde. im Zentrum soll auch weiterhin das magazin stehen.

«Eigentlich total hirnrissig»

zweikommasieben ist in all seinen Projekten vielleicht exemplarisch für den selbstverwirklichungswillen jun- ger stadtbewohner. sieht man sich die selbstdeklaratio- nen der Personen an, die sich an bisherigen ausgaben des magazins beteiligt haben, stösst man auf eine lange Liste von selbstständigen grafikern, freien autoren, freien musikern, freien Künstlern. generation nebenprojekt.

generation Brotjob. Keinesfalls aber eine blosse spassge- sellschaft. Bitzi: «Der anspruch an uns ist, dass wir uns mit der musik auseinandersetzen. Darum haben wir Par- tys auch schon auf den nachmittag oder Vorabend ange- setzt.» man will damit dem blossen event- und Konsum- gedanken etwas entgegenwirken. Das klappe zwar nicht immer, aber: «Wenn jemand diese auseinandersetzung nicht will und einfach spass haben, dann ist das auch okay.»

Die motivation, die hinter diesen Projekten steckt, ist dabei so einfach wie einleuchtend: man mache es zu ei- nem guten teil für sich selber. aber öffentlich, weil man es teilen möchte. Dabei versucht zweikommasieben, hemmschwellen möglichst zu vermeiden. Die Veranstal- tungsreihe «nacht» im südpol kostet etwa keinen ein- tritt. «auch das heft versuchen wir mit acht franken erschwinglich zu halten. Das deckt gerade die Produkti- onskosten», sagt Lehmann. «eigentlich total hirnrissig», meint Bitzi und lacht.

Patrick Hegglin, Bild: Mischa Christen Vernetzt: Kaj Lehmann und Remo Bitzi.

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