Erste Szene
Großer freier Platz zwischen Kapitol und Forum, von Tempeln und Hallen begrenzt, die sich nach rechts mit mehreren Ausgängen verlieren. Schräg links große Freitreppe, die zu einem Tempelvorplatz führt. Altar, Priester im Hintergrund. Auf dem Platz Volk, im Vordergrund Senatoren und Ritter, da- runter in Gruppen Metellus, Optimius und Nasica; Carbo, Flaccus und die Brüder Gracchus; Laelius, Crassus, Mucianus, Scaevola und Octavius. Sci- pio auf der Höhe der Treppe.
SCIPIO
Vor einem Jahr habt ihr mir anvertraut Das höchste Amt, das Rom zu geben hat.
Der Censor, den ihr wähltet, nahm das Amt, Für das sich Jahre lang kein Träger fand;
Ihr wißt, der Censor hat ein Jahr zu schweigen, Damit er wirken kann. Das Jahr ist um.
Ich stehe hier und gebe Rechenschaft. (Schweigen) Wer Fragen hat, der melde sich zum Wort.
(Schweigen. Alles sieht gespannt auf Nasica und Opimius, Carbo und Tiberius Gracchus. Keiner bewegt sich. Scipio betrachtet, langsam den Kopf wendend, Volk und Senatoren)
Ich habe mehr als vierzig Senatoren Aus dem Senat gestoßen. Keiner hier, Der wissen will, warum? (Schweigen)
Ich habe dann
Achthundert Ritter aus dem Rang gestrichen.
Ist keiner hier, der wissen will, warum? (Schweigen) Prätoren hab ich ihres Amts enthoben,
Weil sie das Recht gedreht, statt Recht zu sprechen, Auch einen Konsul seines Amts entsetzt,
Weil er das Heer verdarb, und einen andern, Weil er geschlossene Verträge brach.
Ihr wollt nicht wissen, Römer, wann und wo? (Schweigen) Ich habe die Gerichte umgestaltet,
Die Bürgerschaft gezählt; den Aufenthalt Der Fremden neu geregelt: manche sind Willkommne Gäste; andre wies ich aus.
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Hat keiner Fragen über die Entscheidung? (Schweigen) Ich habe die Gesetze neu geordnet
Und hier am Forum frei zur Schau gestellt.
(mit scharfem Blick auf Gracchus)
Ist keiner da, der das Gesetz verbessert? (Schweigen) Ist keiner da, der eine Antwort heischt? (Schweigen) Dann leg ich dieses Amt in eure Hände
(gibt den Priestern ein Zeichen, Flammen auf den Altären) Und bitte, daß die Götter freundlich seien.
(mit ausgebreiteten Händen, nach oben schauend) Nehmt unser Opfer gnädig an, ihr Götter – Und helft uns, daß wir unsern Staat bewahren!
(Stumme Bewegung bei den Zuhörenden; Scipio steht schweigend auf der Höhe der Treppe; dann schreitet er langsam die Stufen hinab und geht durch das Volk nach rechts hinaus. Volk und Senatoren folgen. Von außer- halb der Bühne Rufe des Volks: „Heil Scipio!“, die sich langsam verlieren.
Metellus, Opimius und Nasica sind zurückgeblieben) OPIMIUS
(zu Metellus)
Was sagt Ihr wohl zu diesem Streich, Metellus?
METELLUS
Zu was?
OPIMIUS
Zu diesem Schimpf der alten Bräuche.
METELLUS
Wieso?
OPIMIUS
Habt Ihr am Ende nicht bemerkt, Daß er die alten Formen angetastet?
METELLUS
Er schont sie, wo er kann. Was tat er denn?
NASICA
(lächelnd)
Kennt Ihr die Formel nicht, mit der ein Censor
Sein Amt vor allen Göttern Roms beschließt?
METELLUS
Die Formel? Ja. Gewiß. Vor sieben Jahren Hab ich sie selbst gesprochen: Nehmt, ihr Götter, Das Opfer dieser Stunde gnädig an,
Und helft, daß wir des Staates Macht vermehren!
NASICA
So heißt sie!
OPIMIUS
Aber nicht, wie er sie sprach:
„Daß wir den Staat bewahren“!
METELLUS
Sprach er so?
Ich hörte mehr das Ganze als den Teil – Und wenn er so gesprochen hat, ihr Freunde, Dann hat er nur dem ältesten Gebet
Die Wahrheit unsres Tages eingegeben!
Seid nicht zu hart, Opimius, Ihr wißt, Ich bin sein Gegner länger schon als Ihr!
Doch zwingt mich Gegnerschaft, gerecht zu sein.
Der Mann, der uns Karthago niederzwang, Der wird noch ein Gebet verändert dürfen! – Wir sehn uns wohl heut abend, Nasica?
NASICA
Ich denke nicht.
METELLUS
Seid Ihr nicht eingeladen?
NASICA
Natürlich bin ichs. Alle Senatoren,
Die gnädigst noch ihr Amt behalten durften, Sind ja gebeten worden. Aber mancher Wird dieses Gartenfest vermeiden wollen – OPIMIUS
Wer dort gesehen wird, steht im Geruch,
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Daß er nach einem guten Posten strebt!
NASICA
Und diesen Anschein wird man gern vermeiden!
METELLUS
Gewiß, die Mücken drängen sich zum Licht;
Ich bin zu alt, um in Verdacht zu kommen – Ich gehe hin. Ich will mit Scipio,
Bevor er sich ins Hauptquartier begibt, Noch einmal sprechen.
OPIMIUS
Reist er denn so bald?
NASICA
In wenig Tagen. Drüben stehts gefährlich.
OPIMIUS
Numantia?
NASICA
Natürlich!
OPIMIUS
Dieses Nest!
NASICA
Das halbe Spanien steckt in dieser Festung!
OPIMIUS
Dann beißt er sich daran die Zähne aus.
Und wir – wir sind ihn los und rechnen ab.
Die ganze revolutionäre Bande,
Die er geheimnisvoll beschützt und fördert, Auch wenn er ihr die tollsten Streiche wehrt – Die soll erleben, was ein fester Staat,
Befreit von seinem sogenannten Staatsmann, Mit Zucht und Ordnung über sie vermag!
Die Landreform zum Beispiel! Seid versichert, Der beste Wein wird Gift auf meiner Zunge, Wenn ich dran denken muß!
NASICA
So hart betroffen?
OPIMIUS
Wieviele sind es, denen dies Gesetz Nicht an die Wurzeln ihres Daseins ginge?
NASICA
Doch Scipio hat es dann zu Fall gebracht.
OPIMIUS
Er hat es ausgeheckt, um uns zu schrecken.
Glaubt Ihr, daß Laelius, sein nächster Freund, So viel an Mut allein zusammenbrächte, Um dies Gesetz, das seinen Namen trägt, Auch nur zu denken?
(Nasica macht eine zweifelnde Gebärde) Glaubt mir nur: So ists!
(deutet nach der Stelle, wo Scipio stand) Er wollte sehn, wie weit er damit kommt, Um dem Senat Reformen abzupressen.
Und wir – wir haben ihm sein Spiel gespielt, Wir haben nachgegeben, wo wir konnten:
Dann gab er seinem Laelius einen Wink – NASICA
Und Laelius war gekränkt. Vergeßt das nicht!
OPIMIUS
Gekränkt? Für einen Tag. Ihr habt ihn doch Vorhin gesehn, wie er vor Freude strahlte.
NASICA
So einfach liegen diese Dinge nicht;
Denn Scipio wußte nichts von dem Gesetz Und kam vom Lande, um es zu begraben.
OPIMIUS
Seid Ihr Metellus, um gerecht zu sein?
Der findet auch an Scipio keinen Fehler, Der ihm nicht Schritt für Schritt bewiesen wäre!
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Wir dürfen keine Skrupel haben, Freund.
Der Krieg in Spanien ist für uns ein Glück.
Der Himmel gebe, daß er lange dauert – Ob Sieg, ob nicht – das ist mir einerlei,
Wenn uns nur Zeit bleibt, mit dem wilden Haufen Hier schnell und gründlich einmal aufzuräumen.
(Lärm von rechts)
Da hört den Pöbel, wie er brüllt und schreit – Das nennt sich Volk! Und Gracchus in der Mitte!
NASICA
Kommt! Kein Zusammenstoß! Nicht heut und hier – (will ihn mit sich fortziehen)
OPIMIUS
(macht sich los und geht ein paar Stufen hinauf) Ich denke nicht daran, vom Platz zu weichen!
(Octavius von rechts) NASICA
Octavius, Ihr kommt zu guter Zeit – OCTAVIUS
Bringt Euch in Sicherheit. Das Volk verträgt Heut keine harten Mienen.
OPIMIUS
Hör ich recht?
Das Volk verträgt nicht? Pöbel muß vertragen!
OCTAVIUS
Selbst Crassus haben sie – NASICA
Da kommt er selbst.
(Crassus, halb belustigt, halb ärgerlich, von rechts) CRASSUS
Ein wenig ausgepfiffen – weiter nichts.
OCTAVIUS
Das ist der Anfang –
CRASSUS
Alles halb so schlimm!
Doch geht man ihnen besser aus dem Weg.
Gerade dummes Vieh hat seine Launen – Man läßt es brüllen –
OPIMIUS
Wenn der Nasenring Noch sicher sitzt – doch hier ist er gelockert!
CRASSUS
Drum geht man fort!
OCTAVIUS
Und schnell! (mit Crassus ab)
NASICA
(zu Opimius)
Vertretet Ihr
Denn einer wildgewordenen Ochsenherde
Den Weg? – Ich hoffe nein! – Dann kommt! (Beide ab)
(Von rechts, inmitten einer größeren bewegten Menge, zuerst Clodius, dann Tiberius Gracchus, Carbo, Flaccus)
CLODIUS
Dem Crassus nach!
TIBERIUS
Ich bitt Euch, Clodius, Vergeßt nicht, wo wir sind!
CARBO
Wo sind wir denn?
TIBERIUS
In Rom! Und Römer sein, heißt Haltung haben!
VOLK
Heil, Gracchus, Heil! Heil Scipio!
TIBERIUS
Dank, Freunde! Haltet Frieden! Geht nach Hause!
Die Volksversammlung ist kein Maskenfest!
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CLODIUS
(leise zu Carbo)
Noch immer nichts begriffen? Haltung! Haltung!!
Verdammt! (laut) Zum Marsfeld, Leute! Wer noch nicht Nach Hause will! Zum Marsfeld, sag ich euch!
Dort spielt ein neuer Zirkus aus Ägypten!
Der ist so gut wie Crassus!
TIBERIUS
Clodius!
FLACCUS
Er will die Leute nur bei Laune halten!
CLODIUS
(zu Carbo)
Wir sehn uns noch?
CARBO
Natürlich!
CLODIUS
Leute, kommt!
(Clodius mit Volk ab. Tiberius, Carbo, Flaccus bleiben allein zurück) TIBERIUS
Man müßte Clodius etwas kürzer halten!
CARBO
Versuchts!
TIBERIUS
Er treibts zu weit!
CARBO
Nicht weit genug!
Auf einen Menschen, der nach vorne drängt, Sind immer tausend Klötze da, die bremsen!
Seid Ihr mit Eurem Schwager so zufrieden, Daß Ihr verzichtet –
FLACCUS
Carbo – mäßigt Euch!
TIBERIUS
Gewiß, mein Schwager Censor hätte manches Noch ändern können oder ändern müssen, Was nicht geschehn ist. Doch Ihr müßt bedenken, Er ist nicht mehr der Jüngste. Glaubt mir nur:
Für ihn, für seine schwere, dunkle Art Wars viel, wie er mit dem Senat verfuhr.
Er hat mit vielem Plunder aufgeräumt, Es ist genug geschehn, um Recht zu schaffen, Und was versäumt ist, nun, wir holens nach, Wenn er in Spanien ist und uns nicht hindert.
Das Landgesetz zum Beispiel – FLACCUS
Glaubt Ihr wirklich, Daß er in Spanien uns vergessen wird?
VOLK
(aus der Ferne)
Opimius nieder! Nieder! Crassus nieder!
(Zuerst starker, dann abnehmender Lärm) TIBERIUS
Die Leute sind –
(steigt einige Stufen empor, um besser nach links sehen zu können) CARBO
Geschrei und weiter nichts!
(leise zu Flaccus)
Ich wüßte, wie man Scipio drüben hält!
Die Truppen sind – ich weiß – am Rand des Meuterns.
Man hilft im schlimmsten Fall ein wenig nach – Verbindungen –
FLACCUS
Still! Vorsicht! Schweigt davon!
(Der Lärm hat sich gelegt. Tiberius kommt die Stufen herab) CARBO
Ihr seht, der Lärm ist aus.