• Keine Ergebnisse gefunden

Standortfaktoren der Eisen- und Stahlindustrie im Ruhrgebiet während der Industriellen Revolution Der Hoerder Verein im Vergleich

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Standortfaktoren der Eisen- und Stahlindustrie im Ruhrgebiet während der Industriellen Revolution Der Hoerder Verein im Vergleich"

Copied!
17
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Standortfaktoren der Eisen- und Stahlindustrie

im Ruhrgebiet während der „Industriellen Revolution“

Der Hoerder Verein im Vergleich

Dietmar Bleidick

Einführung

Mit dem Begriff der Industriellen Revolution verbindet sich für das Ruhrgebiet die Entstehung des schwerindustriellen Füh- rungssektorkomplexes aus Eisenbahn, Bergbau sowie Eisen- und Stahlindustrie zwischen 1840 und 1870.1 Kennzeichnende Aspek- te dieser Phase waren ein rasantes Wirtschaftswachstum, eine hohe Kapitalintensität sowie eine zentralisierte und bald stär- ker mechanisierte Massenproduktion in großtechnischen Anla- gen. Von besonderer Bedeutung ist dabei der Übergang zu einer selbstragenden Konjunktur und der Aufstieg der Industriewirt- schaft zum wichtigsten Indikator für wirtschaftliche Wechsel- lagen.2 Das Ruhrgebiet ist zudem idealtypisch für die Heraus- bildung industrieller Führungsregionen als Ausgangspunkt späterer Diffusionsprozesse. In ihnen entstehen und sie übertra- gen entscheidende Entwicklungsimpulse, so die seit den 1970er Jahren einhellige Lehrmeinung.3

Der Beitrag untersucht die Standortfaktoren der Montanindustrie in der industriellen Revolution zwischen 1840 und der Gründer- krise der 1870er Jahre. Den Ausgangspunkt bildet aus verschie- denen Gründen der Hoerder Bergwerks- und Hütten-Verein. Der Hoerder Verein markiert die Anfänge der im Folgenden auch als Montanindustrie bezeichneten Eisen- und Stahlindustrie im Dort- munder Raum. Das Unternehmen erschloss mit der 1841 gegrün- deten und seit 1843 tätigen Hermannshütte jedoch nicht nur erst- mals den Osten des entstehenden Ruhrgebiets, sondern war auch 1852 nach deren Umgründung die erste Hütten-Aktiengesell- schaft überhaupt, die zugleich mit einem Kapital von 2 Mio. Ta- lern zu den größten ihrer Art in Deutschland gehörte. Von Beginn an als vertikal strukturierter Montankonzern mit einem Produk- tionsschwerpunkt im Eisenbahnsektor geplant, wurde der Hoer- der Verein innerhalb der Branche zum Vorreiter einer modernen Unternehmenskonzeption, die bald Nachfolger fand und in den folgenden Jahrzehnten zum Branchenstandard avancierte. Ausge- hend von eigenen Kohlen- und Erzvorkommen, deckte das Unter- nehmen die gesamte Wertschöpfungskette mit der Roheisen- und Stahlerzeugung sowie der Weiterverarbeitung zu Zwischen- und Endprodukten ab. In den 1860er Jahren stammte nicht nur rund ein Sechstel der Roheisenproduktion des Ruhrgebiets aus seinem größten Hochofenwerk, sondern der Hoerder Verein war auch führend beim Absatz von Eisen- und Stahlerzeugnissen. (Abb. 1)

Location-determining factors of the iron and steel industry in the Ruhr district during the Industrial Revolution

The Hoerder Bergwerks- und Hütten-Verein in comparison

The Hoerder Verein marks the origins of the mining industry in the Dortmund region. In the Ruhr district, the sector had previous- ly been represented mainly by Hüttengewerkschaft und Handlung Jacobi, Haniel & Huyssen (subsequently Gutehoffnungshütte) in Oberhausen and by Krupp in Essen. Now the Hoerder Verein not only openened up the east of the region for the first time, but in 1852 (following reorganisation of the Hermannshütte, which had been active since 1841) it became the very first Hütten-Aktienge- sellschaft (stock corporation) – and one of the largest organisations of its kind in Germany with equity of two million thaler. Conceived from the outset as a vertically structured mining group, the Hoer- der Verein was the first to implement a modern business model that was soon imitated by others and became established as the sector standard in the decades that followed. Starting with its own coal and ore deposits, the company covered the entire value chain from the production of steel and iron ore to the processing of intermediate and finished products. By the 1860s, the biggest blast furnace plant in the Ruhr was responsible for around one sixth of the total output.

Taking the Hoerder Verein as an example, this paper explores the lo- cation-specific factors for the mining industry from the onset of in- dustrialisation to the Panic of 1873. At its heart is the significance of the classic elements of raw materials, transport, sales and labour and the influence of these considerations on decisions regarding where to locate, plant structure and the success of the company.

Of particular interest are the effects of transition (for example, as driven by technical innovations). Companies with similar general conditions provide a comparative template, as do decisions on loca- tion taken by organisations such as the Bochumer Verein and the Gutehoffnungshütte.

(2)

niger aber sein Binnenstandort in der Region. 2) Bereits in dieser Phase deuteten sich erste Standortvorteile des westlichen Ruhr- gebiets gegenüber dem östlichen an, die sich dann jedoch erst später stärker auswirkten. 3) Die technische Entwicklung be- saß eine maßgebliche und prägende Bedeutung für den Aufstieg des Ruhrgebiets zum zentralen montanindustriellen Standort Deutschlands.

Im Folgenden werden zunächst allgemeine Aspekte der mon- tanindustriellen Standortwahl erörtert und die Bedeutung der Eisenhüttentechnik für den Montanstandort Ruhrgebiet darge- stellt. Im Hauptteil erfolgt der Vergleich zwischen dem Hoerder Verein und seinen Konkurrenten – zunächst für die erste Grün- dungsperiode der 1840er Jahre und dann für die Expansions- phase der beiden folgenden Jahrzehnte. Dazu wird anhand der Unternehmensentwicklung aufgrund seiner vielfältigen Einflüs- se und Querbeziehungen zunächst der Rohstofffaktor diskutiert.

Die dabei gewonnenen Erkenntnisse bilden die Grundlage zur Erörterung der anderen Orientierungsmuster.

Theoretische Aspekte der Standortwahl

Vorweggeschickt sei, dass es im Untersuchungszeitraum noch keine wissenschaftliche industrielle Standorttheorie gab. Es exis- tierte allein Johann Heinrich von Thünens in den 1830er Jah- ren entwickeltes, jedoch nicht empirisch fundiertes Ringmodell, das anhand der Transportkosten die kreisförmige Anordnung der landwirtschaftlichen Erzeugung um die Absatzzentren be- schrieb. Ebenfalls als Transportkostentheorie formulierte Alfred Weber dann Anfang des 20 Jahrhunderts die erste industrielle Standorttheorie, die im Laufe der Zeit durch weitere Analysezu- sammenhänge erweitert wurde.8

Vor diesem Hintergrund wurde der Hoerder Verein schon unter den Zeitgenossen als Musterbeispiel der Entwicklung betrachtet und publizistisch dementsprechend ausgiebig gewürdigt.4 Darü- ber hinaus bietet er auch aufgrund der vergleichsweise guten Quel- lensituation eine gute Basis für eine vergleichende Untersuchung.

Der Hoerder Verein fand seit den 1970er Jahren Berücksichtigung in diversen Arbeiten, eine Gesamtdarstellung der Unternehmens- geschichte war jedoch, anders als bei den meisten anderen großen Branchenvertretern, bis zu diesem Jahr ein Desiderat.5 Gerade die- se frühe Industrialisierungsphase spielt in der vorhandenen Lite- ratur zur Eisen- und Stahlindustrie mitunter aber auch eine un- tergeordnete Rolle.6 Als Vergleichsfolie dienen Unternehmen mit ähnlichen Gründungszusammenhängen und Standortvorausset- zungen, aber unterschiedlichen Unternehmenskonzepten und lo- kalen Rahmenbedingungen innerhalb der Region: die Phoenix AG für Bergbau und Hüttenbetrieb mit Sitz in Laar bei Duisburg, die Hüttengewerkschaft und Handlung Jacobi, Haniel & Huyssen mit der Gutehoffnungshütte in Sterkrade bei Oberhausen, Krupp in Essen und der Bochumer Verein für Bergbau und Gussstahlfabri- kation.7 Im Vordergrund stehen Fragen nach der Rolle der stand- orttheoretisch zentralen Orientierungsmuster Rohstoffe, Verkehr, Absatz und Arbeit für die Standortentscheidung und die Unter- nehmensentwicklung. Welche Bedeutung und Gewichtung be- saßen die einzelnen Standortfaktoren und welche Wechselwir- kungen bestanden zwischen ihnen? Lassen sich davon abhängig grundlegende Trends für die Unternehmenskonzeption erkennen?

Wie veränderten sich Standortfaktoren und wie reagierten Unter- nehmen auf die Veränderung? Und welche Auswirkungen besa- ßen in diesem Kontext technische Innovationen?

Als Leitbild dienen folgende Thesen: 1) Im Untersuchungszeit- raum war vor allem der Gesamtstandort Ruhrgebiet für den er- folgreichen Aufbau eines Unternehmens relevant, erheblich we-

Abb. 1: Das Hoerder Eisenwerk mit fünf Hochöfen, 1860. (Sammlung Manfred Jablonski)

(3)

Die Wahl des Standorts gehört zu den konstituiven unternehme- rischen Entscheidungen, da sie maßgeblich die Organisation des Unternehmens und dessen Erfolg bestimmt. Sie erfolgt nach ver- schiedenen volks- und betriebswirtschaftlichen Kriterien, den Standortfaktoren.9 (Abb. 2) Dazu gehören als sogenannte harte Standortfaktoren die Verfügbarkeit von Flächen für die Betriebs- anlagen, die Ressourcenverfügbarkeit als Grundlage der laufen- den Produktion, die Infrastruktur bzw. Verkehrsanbindung zum Transport von Rohstoffen und Fertigprodukten, der Arbeits- markt, die Kapitalversorgung sowie die Entfernung und Inten- sität von Absatzmärkten und Konkurrenz. Die Voraussetzung bilden eine ausreichende Kapitalversorgung sowie entsprechen- de politische Rahmenbedingungen. Zu erwähnen sind weiter- hin Aspekte wie die Wirtschaftsordnung, Steuern, Abgaben und Subventionen sowie nicht zuletzt technologische Faktoren. Das unternehmerische Ziel liegt immer darin, die Kostenvorteile ei- nes Erzeugungsortes gegenüber einem anderen abzuwägen und eine möglichst große Differenz zwischen standortbedingten Er- trägen und Aufwendungen zu erreichen, also einen für den ent- sprechenden Produktionsschwerpunkt optimalen Standort zu wählen. Es geht um die Kostenvorteile eines Erzeugungsortes gegenüber einem anderen. Ein idealer Standort mit ausschließ- lich positiven Standortfaktoren ist dabei allein aufgrund deren Heterogenität kaum denkbar. Darüber hinaus bleiben Standort- faktoren nicht stabil, sondern unterliegen einem stetigen Wandel, sodass sich die Gründe einer Ansiedlungsentscheidung im Lau- fe der Zeit auch abschwächen oder gar wegfallen können. Bei ei- nem entsprechend negativen Potenzial ist dann die Neuorgani- sation, Verlagerung oder Aufgabe des Betriebes notwendig.

Vor diesem Hintergrund können als wichtigste standortbestim- mende Merkmale eines Unternehmens die Rohstofforientierung, die Verkehrsorientierung, die Absatzorientierung, die Arbeitsori- entierung und die Abgabenorientierung angesehen werden. Die- se beeinflussen den Standort in unterschiedlicher Gewichtung, jedoch immer in Kombination miteinander. Sind einzelne oder mehrere Standortfaktoren regional besonders ausgeprägt, besit- zen sie eine erhebliche Anziehungskraft und es kommt zu einer Agglomeration von Unternehmen gleicher Tätigkeit. Es entsteht eine wirtschaftliche Monostruktur mit elementaren Stärken, so- lange die ausschlaggebenden Merkmale wirken, und ebensol- chen Problemen, sobald sich die standortbildenden Faktoren abschwächen. Das Ruhrgebiet ist ein typisches Beispiel für eine solche Entwicklung.

Für die betriebswirtschaftliche Standorttheorie lässt sich dies in starker Vereinfachung folgendermaßen zusammenfassen: Bei der Wahl des Produktionsstandortes bestehen theoretisch drei Mög- lichkeiten: erstens beim wichtigsten Rohstofflager, zweitens beim Absatzmarkt und drittens dazwischen. Die Standortentschei- dung erfolgt nun anhand einer Gegenüberstellung der Material- einsatzkosten, der Transportkosten und der Arbeitskosten sowie unter Berücksichtigung von Agglomerationswirkungen. Mate- rialkosten und Transportkosten lassen sich zusammenfassen, da ein Produktionsort, an dem ein zentrales Verbrauchsmateri- al nicht direkt verfügbar ist, in diesem Bereich einen grundsätz- lichen Transportkostenaufwand bzw. -nachteil besitzt. Materi- alkostenunterschiede sind in diesem Sinne als Transportkosten anzusehen, die sich vor allem über die Werte „Gewicht“ und

„Entfernung“ als Funktionen darstellen lassen. Zu unterscheiden ist weiterhin zwischen Materialien, die größtenteils oder im vol- len Gewicht in das Endprodukt eingehen, und den sogenannten Gewichtsverlustmaterialien, bei denen das nur im gewissen Um-

fang oder überhaupt nicht erfolgt. Je höher nun der Gewichts- verlust eines Materials bei der Verarbeitung zum Endprodukt ist, desto mehr tendiert ein Produktionsstandort zum Standort die- ses Einsatzmaterials, da hier der sogenannte Transportkostenmi- nimalpunkt liegt. Dies gilt ebenso für Rohstoffe mit großen Volu- mina und solche, die transportempfindlich sind.

Im Umkehrschluss lässt sich diese Regel auch für entsprechen- de Fertigprodukte anlegen, deren Produktionsort sich in diesem Fall in Richtung Absatzmarkt verschiebt. Arbeitskosten orien- tieren sich an den Transportkosten und werden erst dann zu ei- nem signifikanten Faktor, wenn Einsparungen in diesem Bereich Mehrausgaben in dem anderen übersteigen. Dies natürlich nur unter der Voraussetzung, dass an einem Standort überhaupt aus- reichend Arbeitskräfte verfügbar sind. Ähnliches gilt für Agglo- merationswirkungen, die ebenfalls nur dann ausschlaggebend für eine Standortentscheidung sind, wenn ihre Kosteneffekte hö- her als die des Transports sind.

Rohstofforientierte Industrien entwickelten sich mit dem Auf- kommen des Massentransportmittels Eisenbahn seit dem 19.

Jahrhundert, und das bildete bereits den Ansatz Webers, meist nach diesem Muster und weisen z. T. bis heute eine hohe Stand- ortnähe zu den Beschaffungsorten auf. Dies gilt sowohl für zahl- reiche Bereiche der Nahrungsmittel- und Holzindustrie als auch insbesondere für alle verarbeitenden Bereiche bergbaulich ge- wonnener Rohstoffe wie die Elektrizitätserzeugung durch kon- ventionelle Kraftwerke, die Steine- und Erdenindustrie, die Ze- mentindustrie und die Eisen- und Stahlindustrie. Deren Anlagen entstanden aufgrund der hohen Verbrauchsmengen und Ge- wichte ihrer Einsatzstoffe auf den Rohstofflagern, also entweder auf der Brennstoffseite oder auf der Rohstoffseite.10

Faktor Steinkohle – Die Bedeutung der Hüttentechnik für den Standort Ruhrgebiet

Vor diesem Hintergrund lässt sich die Frage nach den Gründen für die Entstehung und Entwicklung des Ruhrgebiets zur größ- ten montanindustriellen Region Europas in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts scheinbar leicht beantworten. Das standort-

Standortfaktoren (vereinfacht)

1) Einflussfaktoren der Beschaffungsmärkte • Grund und Boden

• Ressourcen (Roh- und Betriebsstoffe)

• Verkehrsinfrastruktur und Beschaffungstransportkosten • Arbeitsmarkt

• Kapitalmarkt

2) Einflussgrößen der Absatzmärkte • Absatzmarkt und Absatzpotenzial • Absatztransportkosten

3) Einflussgrößen der staatlichen Rahmenbedingungen • Rechts- und Wirtschaftsordnung

• Abgaben (Steuern, Gebühren, Zölle)

Abb. 2: Schematische Darstellung der Standortfaktoren. (eigene Darstel- lung)

(4)

prägende Merkmal bildeten die großen Steinkohlenvorkommen als Grundlage der äußerst energieintensiven Eisen- und Stahl- industrie, die angesichts einer noch wenig entwickelten Wär- meökonomie in den 1850er Jahren rund zehn Tonnen Kohle pro Tonne Endprodukt benötigte. Ein zweiter Blick verdeutlicht je- doch, dass die Verwendung des Brennstoffs Steinkohle nicht al- lein das Ergebnis ihrer prinzipiellen Verfügbarkeit, sondern auch ihrer hüttentechnischen Verwendbarkeit in allen Produktionsbe- reichen war. Solche technischen Aspekte beeinflussten maßgeb- lich die Entstehung des industriellen Führungssektorkomplexes mit seinen starken Synergien zwischen Eisenbahnen, Bergbau und Montanindustrie. Enge gegenseitige Wechselbeziehungen bestanden außerdem zum Maschinenbau.

Ein Blick auf die Eisenhüttentechnik Mitte des 19. Jahrhunderts verdeutlicht die Zusammenhänge. Die Stahlerzeugung umfass- te zwei Produktionsstufen. In der ersten Stufe wurde im Hoch- ofen Roheisen erschmolzen. Als Ausgangsstoffe dienten Erze mit einem Eisengehalt zwischen 30 und 60 %, Holzkohle oder Stein- kohlenkoks sowie als Zuschlagstoff meist Kalkstein.11 (Abb. 3) Dieser unterstützt den Schmelzprozess der sonstigen Bestandtei- le der Erze und ermöglicht deren Abführung in Form von Schla- cke. Eine Mischung dieser Einsatzstoffe, der sogenannten Möller, wurde am oberen Ende des Hochofens eingefüllt, durchlief die- sen und wurde am unteren Ende unter Abtrennung der Schlacke als Roheisen abgestochen. Ein weiteres Produkt war das wäh- rend des Hochofenprozesses entstehende Gichtgas, ein Schwach- gas, das seit den 1860er Jahren zu Heizzwecken verwendet wurde. Reine Steinkohle konnte im Hochofenprozess nicht ver- wendet werden, da sie die Anlagen verstopfte und zudem che- misch unerwünschte Stoffe wie Schwefel enthält, der sich nega- tiv auf die Festigkeitseigenschaften des Roheisens auswirkt. Die Destillation von Kohle im Kokereiprozess beseitigte diese Nach- teile. Obwohl in Schlesien und an der Saar bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vereinzelt Kokshochöfen zum Ein- satz kamen, gelang dies im Ruhrgebiet erst ab 1849.12 Nun wa- ren die technischen Probleme, etwa im Bereich der Luftzufuhr, gelöst und es standen ausreichend verkokbare Steinkohlensorten zur Verfügung. Während im Ruhrgebiet Mitte der 1850er Jahre bereits 90 % des Roheisens auf diesem Weg produziert wurde, spielte der traditionelle Holzkohlenhochofen in holzreichen Re- gionen wie dem Siegerland noch erheblich länger eine größere Rolle. Mitunter wurden auch beide Kohlenarten gemischt.13

Das aus dem Hochofen kommende Roheisen war aufgrund sei- nes hohen Kohlenstoffgehaltes nicht schmiedbar, sondern sehr spröde und konnte ohne weitere Bearbeitung nur als Gussei- sen verwendet werden. Zur Herstellung von Schmiedeeisen, für das sich erst seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts der Begriff Stahl durchsetzte, war daher ein zweiter Verarbeitungs- schritt notwendig. Die Absenkung des Kohlenstoffgehaltes er- folgte durch das sogenannte Frischen, einen Oxidationsprozess, bei dem neben dem Kohlenstoff auch weitere Begleitstoffe wie Silizium, Mangan und Phosphor auf dem Eisen quasi heraus- gebrannt wurden. Traditionell erfolgte dies durch wiederholtes Einschmelzen des Roheisens im Frischfeuer mit Holzkohle, wo- bei das Metall durch einen Gebläsestrom hindurchtropfte und dabei umfassend mit dem Luftsauerstoff in Berührung kam. Seit den 1820er Jahren verbreitete sich in Deutschland langsam das bereits vier Jahrzehnte zuvor in England entwickelte Flamm- ofenfrischen oder Puddelverfahren, das den Einsatz von Stein- kohle ermöglichte.14 Im Puddelofen wurde eine Roheisenmenge eingeschmolzen und äußerst arbeitsaufwendig durch ständiges Umrühren von Hand gefrischt. Die durch die Verringerung des Kohlenstoffgehaltes nun zähflüssige Masse musste zur Erzielung einer gleichmäßigen Qualität noch weiter durchgearbeitet und umgefaltet werden. Das Puddeln erlaubte gegenüber dem tradi- tionellen Herdfrischen eine erhebliche Produktivitätssteigerung und erlaubte damit ein Blick auf die Potenziale der kommenden Massenstahlverfahren. Die chemischen und physikalischen Hin- tergründe der Verarbeitungsprozesse blieben dabei im gesamten 19. Jahrhundert noch weitgehend unbekannt. Sie wurden erst im 20. Jahrhundert nach und nach wissenschaftlich geklärt. Die er- folgreiche Implementierung und Nutzung neuer Verfahrenstech- niken basierte im Untersuchungszeitraum in der Regel auf lang- jährigen Versuchen und den dabei gewonnenen Erfahrungen.

Den aktuellen Prozessstatus und die Produktqualität signalisier- ten nicht wissenschaftliche Analysen, sondern vielfach visuelle Eindrücke wie Form, Farbe und Aussehen von Flammen, Schla- cken und Oberflächen sowie Verarbeitungsproben.

Auf die Roheisen- und Stahlerzeugung folgte die Weiterverarbei- tung zu sogenanntem Stabeisen, Halbzeugen und Endproduk- ten in Gießereien, Hammerwerken, Schmieden und Walzwer- ken, hier vielfach unter erneuter Erhitzung mit entsprechendem Kohlenbedarf. Die Anwendung großtechnischer Maschinensys- teme war im Montansektor von elementarer Bedeutung für die Abb. 3: Prozesse der Eisen- und Stahlproduktion Mitte des 19. Jahrhunderts. (eigene Darstellung)

Produktionsstufe Verfahren Produkt

traditionell modern/großindustriell

1. Stufe Erzschmelzen

Holzkohlenhochofen Kokshochofen Roheisen

2. Stufe Roheisenfrischen

Herdfeuer (Holzkohle) Puddelöfen (Steinkohle) Schmiedeeisen (Stahl)

Weiterverarbeitung Formen

Hammer Walzwerk, Hammer Stabeisen

Eisenguss Eisen- und Stahlguss Gussprodukte

(5)

Einführung der industriellen Massenerzeugung in großen, zen- tralisierten Produktionsstätten mit organisierter Arbeitsteilung.

Eine wichtige Funktion in diesem Kontext besaß die Dampfma- schine, die als leistungsstarke Kraftmaschine die Industrie un- abhängig von den Standorten und Schwächen der Wasserkraft machte. Sie war in mehrfacher Hinsicht von erheblicher Rele- vanz. Zunächst erlaubte sie die Installation von Gebläsemaschi- nen, die den Hochöfen ausreichende Luftmengen zuführten.

Gleichzeitig bildete sie die Grundvoraussetzung für den Betrieb von Walzanlagen, den ersten wirklichen Arbeitsmaschinen in der Branche. Ohne diese neue Weiterverarbeitungstechnik wäre das Leistungspotenzial des Puddelverfahrens nicht nutzbar gewe- sen. Dazu sorgte der hohe Brennstoffverbrauch der Dampfma- schinen für einen weiteren Bedeutungszuwachs der Steinkohle als Standortfaktor. Und nicht zuletzt ermöglichte sie den Antrieb von Pumpen zur Wasserhaltung und damit im Steinkohlenberg- bau den Übergang zum Tiefbau, sodass die großen Kohlenvor- kommen des Ruhrgebiets erschlossen werden konnten.

Warum kam es nun im Ruhrgebiet erst in den 1850er Jahren zu einer stärkeren montanindustriellen Konzentration, obwohl die grundlegenden technischen Verfahren und auch die Anlagen be- reits verfügbar waren? Immerhin arbeitete die traditionelle Ei- senerzeugung auf den Erzlagerstätten seit Jahrhunderten mit ihnen. Diese verteilte sich bis dahin in Deutschland punktuell an zahlreichen Standorten auf den Erzlagerstätten. Hüttenwer- ke existierten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts u. a. in Bayern, Württemberg, Baden, Sachsen, Hessen, Braunschweig, Thüringen und im Hannoverschen.15 Der Schwerpunkt lag hier in den süddeutschen Regionen. Dazu kamen die preußischen Landesteile Schlesien, Westfalen und Rheinland. Die westli- chen Zentren lagen in der Eifel, an der Mosel, an der Saar und im Hunsrück sowie – alles überragend – im Siegerland, wo zwi- schenzeitlich mehr als 80 % des preußischen Roheisens erzeugt wurde.16

Auch im gesamtdeutschen Maßstab war das Siegerland die mit großem Abstand führende Erzeugungsregion. Den Ausschlag gaben in allen Fällen die Erzlagerstätten, da Holz prinzipi- ell überall in der Nähe verfügbar war und die Transportkosten für dieses Gewichtsverlustmaterial damit nur eine geringe Rol- le spielten. Bedeutende Lagerstätten erzeugten enorme Agglo- merationseffekte und zogen in der Regel auch eine ausreichende Anzahl von Arbeitskräften an. Die vielfach bekundeten Fälle von regionalem Holzmangel führten dagegen nicht zu einer Verlage- rung der Erzeugungsstätten, sondern zur Betriebsreduzierung oder Betriebseinstellung. Im Siegerland sorgte eine ausgeklü- gelte Haubergswirtschaft, die die Waldnutzung mit umfassen- den Kultivierungsmaßnahmen verband, für eine ausreichende Brennstoffversorgung, doch führte die limitierte Holzbasis schon früh zu einer Regulierung der Produktion. Neben den Erzen bil- deten Holzkohlen und die Wasserkraft hier weitere wichtige Standortmerkmale, doch waren diese naturbedingt limitiert.17 Die Problematik der Eisenindustrie bestand in der Überführung der traditionellen, holzkohlenbasierten Verfahren auf den Stein- kohlenbetrieb. Mit dem Puddelverfahren war das bereits für die zweite Verarbeitungsstufe gelungen, doch konnten dessen Leis- tungspotenziale nicht ohne eine entsprechende Roheisenerzeu- gung zur Entfaltung kommen. Der endgültige Durchbruch zum Kokshochofen gelang im Ruhrgebiet aber erst nach Überwin- dung zahlreicher technischer Schwierigkeiten vor allem im Be- reich der Winderhitzung. Damit war dieser Flaschenhals in der Prozesskette beseitigt.18

Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass der Entwick- lungsschub der deutschen Eisen und Stahlindustrie in der In- dustriellen Revolution in einer Kombination neuer Maschinen und Verfahrenstechniken sowie einer Substitution des Brenn- stoffs Holzkohle durch die Steinkohle bestand. Und gerade die- ser letzte Aspekt war das wohl qualitativ wichtigste Resultat die- ser Epoche, denn die ausreichende energetische Grundlage bot die wichtigste Voraussetzung für die Ausdehnung der Produk- tion und deren Zentralisierung in Steinkohlenrevieren. Das Erz wanderte nun zur Kohle, sodass der Faktor Steinkohle bei al- len im Untersuchungszeitraum entstandenen Unternehmen als maßgeblich für die Standortwahl einzustufen ist. Dem hatten die Standorte der holzkohlenbasierten, vorindustriellen Eisenerzeu- gung meist nur wenig entgegenzusetzen.

Die Bedeutung der Rohstoffversorgung für den Standort des Hoerder Vereins

Die Grundlage des 1852 entstandenen Hoerder Vereins bil- dete die Hermannshütte, die bereits 1841 von Hermann Die- drich Piepenstock gegründet worden war.19 (Abb. 4) Piepen- stock entstammte einer Iserlohner Gewerbefamilie und damit aus der südlich und südöstlich des späteren Ruhrgebiets lie- genden bergisch-märkischen Kleineisenregion. Aus der Nadel- produktion kommend, legte er ab 1829 bei Hohenlimburg zu- nächst ein Draht- und Eisenwalzwerk sowie eine Eisengießerei an, um Weißblech zu erzeugen. Die Anlage verarbeitete zuge- kauftes Roheisen aus dem Siegerland, aus England und Belgien und folgte damit den zeittypischen Bezugswegen für dieses Pro- dukt. Gleichzeitig ließ Piepenstock die Grafschaft Limburg syste- matisch und erfolgreich mit dem Ziel auf Erzvorkommen unter- suchen, Roheisen in einem eigenen Hüttenwerk zu erschmelzen.

Außerdem hegte er die nicht erfüllte Hoffnung auf die Entde- ckung von Kohlenvorkommen. Der Bau einer Anfang 1837 be- antragten Hochofenanlage auf Grundlage lokaler Erzvorkom- men scheiterte schließlich aufgrund von Schwierigkeiten beim Erwerb von Grundstücken und Wasserrechten an der Lenne.

Piepenstock disponierte nun neu und erwarb 1840 Ländereien in Hörde, nur gut 10 km nördlich von Hohenlimburg, aber bereits im Steinkohlenrevier liegend. Diese Entscheidung ist im Ruhrge- biet der erste Beleg für die Zugkraft der Steinkohle zulasten des Erzes, denn für einen Werksstandort auf dem Brennstoff gab er den auf dem Erz auf. Daraus folgte zwar die Konsequenz, zu- nächst auch auf den Hochofen zu verzichten, doch verbanden Abb. 4: Die Hermannshütte, 1852. (© thyssenkrupp Corporate Archives)

(6)

sich damit nur Vorteile, denn allein unter Transportaspekten war der Einkauf von Roheisen erheblich günstiger als die Verhüttung eigener Erze mit Holzkohlen. Ein weiterer wichtiger Standortfak- tor Hördes war im Hinblick auf die Wasserintensität der Erzeu- gungs- und Verarbeitungsprozesse die Lage an der Emscher.

Dazu kam eine Neuausrichtung der Produktionspalette. Piepen- stock verfolgte große Pläne und orientierte sich bereits drei Jahre vor Gründung der ersten Eisenbahngesellschaften im Ruhrgebiet an dem erwarteten großen Bedarf des sehr jungen Perspektiv- sektors Eisenbahn – und dies zu einer Zeit, als das Streckennetz im Deutschen Zollverein noch nicht einmal 500 km erreichte. Die 1843 eröffnete Hermannshütte profitierte schließlich stark vom ersten Eisenbahnboom und stieg innerhalb von nur wenigen Jahren zu einem führenden Montanunternehmen Deutschlands auf. Dem entsprach auch die Anlagenkonzeption und -kapazi- tät. Hatte das Unternehmen mit acht Pudelöfen, einem Hammer- werk, drei Walzwerken und drei Dampfmaschinen sowie einer Maschinenbauwerkstatt, einer Schmiede und einer Gießerei be- gonnen, arbeiteten 1849 bereits 42 Pudelöfen und 21 Schweiß- öfen, sieben Walzwerke und zwölf Dampfmaschinen sowie eine Werkstatt für Eisenbahnräder. Das Unternehmen verfügte damit über die größte Anzahl an Puddelöfen und mit wohl über 1.000 Arbeitern auch über eine der größten Industriebelegschaften in Deutschland, lag aber aufgrund des breiteren Produktspektrums bei der Gesamterzeugung nur an dritter Stelle der Erzeuger im Montansektor.20

Die Spitze markierten zwei erheblich ältere Werke, Eberhard Hoeschs Lendersdorfer Hütte bei Düren und die Gutehoffnungs- hütte bei Oberhausen. Hoesch verfügte über einen ähnlichen Fa- milienhintergrund wie Piepenstock und begann bereits 1824 mit dem Ausbau der zu diesem Zweck erworbenen Lendersdorfer Hütte zu einem Puddelwerk, dem bald auch Hochöfen angeglie- dert wurden. Sie kann daher als erstes integriertes Hüttenwerk Westdeutschlands angesehen werden und besaß eine dem Hoer- der Verein ähnliche Betriebsstruktur und Absatzausrichtung. Die Rohstoffbasis der bereits im 17. Jahrhundert entstandenen Hüt- te bildeten örtliche Erzvorkommen und unter Hoesch dann auch Steinkohlen des benachbarten Aachener Reviers. Die Erweite- rung des Werkes 1847 erfolgte dann durch den Bau eines Puddel- und Walzwerkes in Eschweiler bei Aachen direkt auf der Stein- kohlenbasis und wie bei der Hermannshütte ohne Hochofen.21 Den Gründungsimpuls gab erneut der wachsende Eisenbahnbe- darf. Nach gleichem Muster entstanden in den 1840er Jahren im Raum Eschweiler/Aachen zwei weitere bedeutende weiterverar- beitende Hüttenwerke, die Firmen T. Michiels & Co und Piedbo- euf & Co.22

Parallelen zu dieser Entwicklung und gleiche Ansiedlungsmo- tive sind im Ruhrgebiet bei der Firma Mayer und Kühne, dem späteren Bochumer Verein, erkennbar. Deren Werksgründung er- folgte 1842 in unmittelbarer Nähe zur ersten Bochumer Tiefbau- zeche Präsident an der Landstraße Richtung Essen.23 Die Stand- ortwahl folgte einer Brennstoff- und Transportorientierung. Die Firma Krupp entstand bereits 1811 am Familienstammsitz in Es- sen.24 Beide produzierten mit nur wenigen Dutzend Arbeitern vorrangig Gussprodukte und sind damit in dieser Zeit nur be- dingt vergleichbar mit den Großbetrieben des Eisenbahnsek- tors. Dies gilt auch für die Friedrich Wilhelms-Hütte in Mül- heim mit einem Schwerpunkt im Maschinenbau und ebenfalls Gussprodukten. Das Unternehmen war bereits 1811 durch Jo- hann Dinnendahl gegründet worden, nahm 1841 einen Holzkoh- lenhochofen und schließlich 1849 den ersten Kokshochofen im

Ruhrgebiet in Betrieb und wurde 1852 in eine Aktiengesellschaft umgegründet.25

Auch die Gutehoffnungshütte der Industriellenfamilie Haniel bei Sterkrade im Raum Oberhausen besaß in den 1840er Jahren eine historisch bedingt andere Struktur. Das mit Abstand älteste Hüttenwerk des Ruhrgebiets geht zurück auf drei konkurrieren- de Unternehmen, darunter das namensgebende, die in der zwei- ten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Raum Oberhausen gegründet worden waren, um örtliche oberflächennahe Raseneisenerze zu verarbeiten.26 Diesem traditionellen Standortfaktor Erz entspre- chend, verfügten sie auch über die ersten Hochöfen in der Re- gion und eine umfangreiche eigene Holzkohlenproduktion. Die direkte Nachbarschaft resultierte aus der unterschiedlichen ter- ritorialen Zugehörigkeit in diesem „Dreiländereck“ zwischen dem Stift Essen, dem kölnischen Vest Recklinghausen und dem preußischen Kleve. Nach der Übernahme und Zusammenfas- sung der Unternehmen durch die Familie Haniel Anfang des 19.

Jahrhunderts wurden die Produktion und der Hochofenbetrieb auf die Gutehoffnungshütte konzentriert. Das Unternehmen er- zeugte ein breites Spektrum an Eisen- und Stahlprodukten, be- gann als eines der ersten Ruhrgebiet schon den 1820er Jahren mit dem Maschinenbau, orientierte sich bereits Mitte der 1830er Jah- re in Richtung Eisenbahnbedarf und baute zu diesem Zweck ei- nige Kilometer südlich der Hütte an der Emscher ein neues Pud- del- und Walzwerk. In den beiden folgenden Jahrzehnten erwies sich der solitäre Standort im Norden des Ruhrgebiets als gewis- se Belastung. Die Kosten und schwierige Versorgungslage der Holzkohle entwerteten die Erzgrundlage, während der Stein- kohlenbergbau die Region erst Mitte der 1850er Jahre erreichte.

Im Vergleich zu den anderen Unternehmen verteuerte der wei- te Landtransport insbesondere den Zukauf von Brennstoffen.

Ein vorindustrieller Standortvorteil wandelte sich damit bereits während der frühen Industriellen Revolution zunächst zu einem Nachteil.

Seit Anfang der 1850er Jahre entwickelte sich die Eisen- und Stahlindustrie mit ihren vor- und nachgelagerten Bereichen Bergbau, Eisenbahn und Maschinenbau endgültig zum schwer- industriellen Führungssektorkomplex und Motor der Indus- trialisierung. In der zwischen 1852 und 1857 herrschenden Hochkonjunktur verzeichneten die Montanindustrie und der Steinkohlenbergbau eine extreme Gründungs- und Expansions- welle, deren Zentrum im Ruhrgebiet lag. Die standortbildende Kraft der Steinkohle steigerte sich nun noch einmal und behielt diese Funktion bis zum Ersten Weltkrieg. Ursächlich waren in diesem Kontext der rasante Ausbau der Förderkapazitäten durch die Nordwanderung des Bergbaus in bislang unerschlossene Ge- biete. Dazu kamen als verstärkende Faktoren die im Vergleich zu anderen Steinkohlenrevieren erhebliche Transportempfindlich- keit des Ruhrkohlenkokses und die im Vergleich zu anderen Re- vieren insgesamt erheblich bessere Verkokbarkeit der Ruhrkohle.

Hatte die Förderung 1851 erstmals die Grenze von 2 Mio. t über- schritten, versechsfachte sich die Menge bis 1873 auf 16 Mio. t.

(Abb. 5) Dies entsprach einer durchschnittlichen jährlichen Stei- gerung von knapp 10 %, während sich der Anteil des Ruhrge- biets an der preußischen Förderung von rund 40 % auf 50 % erhöhte, bei geringeren Wachstumswerten in den 1850er und hö- heren in den 1860er Jahren. Relativ identische Wachstumsraten erzielte die preußische und deutsche Roheisenproduktion. Das Ruhrgebiet erreichte hier in diesem Zeitraum dagegen mit einer Gesamtseigerung von 12.500 t auf 360.000 t jährliche Wachstums- raten von fast 20 % und damit fast das Doppelte des preußischen

(7)

Durchschnitts.27 (Abb. 6) Diese überaus hohen Zuwächse wur- den durch die flächendeckende Einführung des Kokshochofens erreicht, der bis 1870 die Holzkohlenhochöfen fast vollständig verdrängte. (Abb. 7) Die Steigerung der Roheisenproduktion von 2.800 % gegenüber einer Steigerung der Steinkohlenförderung von 700 % innerhalb von zwei Jahrzehnten verweist dabei so- wohl auf die technische Entwicklung der Hochöfen als auch auf die starken wärmeökonomischen Potenziale integrierter Wer- ke und die Existenz reiner Roheisenerzeuger. Allerdings ist hier

festzustellen, dass die Zuwachsraten im Verlauf der 1850er Jah- re geradezu explodierten und das Ruhrgebiet die älteren Eisen- regionen wie das Siegerland und Schlesien in dieser Zeit rasch überholte, diese dann aber während der 1860er Jahre ebenfalls ei- nen Entwicklungsschub verzeichneten. Vor diesem Hintergrund stagnierte der Anteil der Region an der preußischen Gesamtpro- duktion in diesem Jahrzehnt bei rund 35 %.

Bei der Unternehmensentwicklung lassen sich vor diesem Hin- tergrund bis Anfang der 1870er Jahre drei unterschiedliche Vari- Abb. 5: Steinkohleförderung im Ruhrgebiet und in Preußen, 1850-1870. (eigene Darstellung nach: Verein für die Bergbaulichen Interessen 1904, Bd. 10, S. 52-53)

Abb. 6: Roheisenerzeugung im Ruhrgebiet und in Preußen, 1840-1870. (eigene Darstellung nach: Verein für die Bergbaulichen Interessen 1904, Bd. 12, S.

25-26; Marchand 1939, S. 70, 88)

(8)

anten feststellen: Erstens dehnten bestehende Unternehmen der zweiten Verarbeitungsstufe, also die älteren Puddel- und Walz- werke, ihre Aktivitäten durch die Errichtung von Hochofen- anlagen auf die erste Stufe aus. Die Vollentwicklung zu einem integrierten Montankomplex durch die Angliederung einer Koh- len- und Erzbasis folgte teilweise mit einem zeitlichen Abstand.

Zweitens kam es zur Neugründung von Unternehmen mit die-

ser Struktur und drittens eben von Hochofenwerken ohne Wei- terverarbeitung, die nur für den Markt produzierten und die zahlreichen Unternehmen versorgten, die allein auf die Stahl- erzeugung und die Weiterverarbeitung spezialisiert waren und Roheisen hinzukauften. Allein bis 1857 entstanden im Ruhrge- biet rund 25 neue Hochöfen mit Steinkohlenbetrieb sowie im nä- heren Umfeld weitere acht.28 (Abb. 8) Neben dem Standortfak- Abb. 7: Durchsetzung des Kokshochofens im Ruhrgebiet. (eigene Darstellung nach: Verein für die Bergbaulichen Interessen 1904, Bd. 12, S. 22)

Abb. 8: Hochofenwerke im rheinisch-westfälischen Industriegebiet, 1857. (Rasch 2015, S. 166)

(9)

tor Steinkohle erhielt die Entwicklung einen besonderen Impuls durch die Entdeckung von aus zeitgenössischer Perspektive be- deutenden Eisenerzvorkommen am Südrand des Ruhrgebietes zwischen Hohenlimburg und Sprockhövel. Mit den aufgrund ihrer Vergesellschaftung mit Steinkohlevorkommen als Koh- leneisenstein bezeichneten und ab 1849 an zahlreichen Stellen nachgewiesenen Erzen wuchs der Rohstofffaktor des Standorts Ruhrgebiets noch einmal an. Auch wenn verlässliche Zahlen über den Anteil des Kohleneisensteins bei der Roheisenerzeu- gung fehlen, so lässt sich doch bis Ende der 1860er Jahre ein durchgängiger sicherer Selbstversorgungsgrad der Region von einem Viertel bis zu einem Drittel annehmen.29 (Abb. 9)

Das früheste und herausragende Beispiel für die erste Gruppe, die Erweiterung bestehender Anlagen um eine Roheisenerzeu- gung, ist der Hoerder Verein. Bereits 1847 war die Hermannshüt- te aus dem Gesamtunternehmen Piepenstock herausgelöst und als Unternehmen verselbständigt worden. Bis Ende des Jahr- zehnts wurde der beschriebene Ausbau des Werkes abgeschlos- sen, und nun bot sich der Glücksfall, als einziges bestehendes Unternehmen der Branche im Ruhrgebiet von einer erheblichen Standortaufwertung zu profitieren, denn im Raum Hörde befan- den sich wichtige Kohleneisensteinlagerstätten. Da die Verbin- dung von Kohle und Erz in einer Lagerstätte aus Schottland be- kannt war und als wichtige Voraussetzung für die Vorherrschaft der britischen Industrie aufgefasst wurde, euphorisierte die Per- spektive auf eine rasche Verkürzung des Rückstandes gegenüber der ausländischen Konkurrenz enorm.

Noch 1850 begannen positive Verhüttungsproben mit Hörder Er- zen und wahrscheinlich umgehend die Planungen zur Bildung des ersten vertikal strukturierten Eisenhüttenkonzerns Deutsch- lands durch Rückwärtsintegration in den Rohstoffsektor und die Roheisenerzeugung. Anfang 1852 erhielt das Unternehmen die staatliche Genehmigung zur Umwandlung in eine Aktiengesell- schaft, die gesellschaftsrechtlich bis zur Aktienrechtsnovelle 1870 vorgeschrieben war. Das Grundkapital betrug 2 Mio. Taler. Um- gehend begann der Bau eines Hochofenwerkes – des Hoerder Eisenwerks - mit sechs Hochöfen, von denen vier bis 1855 und die beiden anderen bis 1864 fertiggestellt wurden. Bis Ende der

1850er Jahre nahmen mit dem Hoerder Kohlenwerk auch die un- ternehmenseigene Steinkohlenzeche und mehrere Eisensteingru- ben die Förderung auf.30 (Abb. 10, 11, 12)

Das Hoerder Eisenwerk lag nicht unmittelbar bei der Hermanns- hütte im Osten von Hörde, sondern aufgrund eines unzureichen- den Grundstücksangebots im Westen des Ortszentrums. Und auch das Kohlenwerk und die Eisensteingruben, die ab 1852 in Betrieb gingen, befanden sich im Umfeld der Stadt verstreut, so- dass das Unternehmen einen gewissen Transportaufwand nicht vermeiden konnte. Angesichts der langen Lieferwege zuvor wurde diese Situation jedoch nicht als problematisch betrachtet, sondern galt als erhebliche Verbesserung. Erst 1860 war die Her- mannshütte durch eine Bahnverbindung mit dem Kohlenwerk und 1871 mit dem Eisenwerk verbunden. Folglich erlaubten das Standortpotenzial und die darauf zurückzuführende Anlageer- weiterung die Ausnutzung zwar nicht aller, aber doch mehrerer Vorteile integrierter Unternehmen. Dazu gehörten insbesonde- re Synergien beim Betriebsaufwand, die aus dem Rohstoffbezug zu Selbstkosten sowie aus den umfassenderen Möglichkeiten zur Kontrolle und Planung der Produktion resultierten. Im Vergleich zu konzentrierten Standorten verhinderte die Trennung von Er- zeugung und Weiterverarbeitung allerdings die Ausnutzung wärmeökonomischer Effekte. Zu nennen sind hier die Verwen- dung der Gichtgase der Hochöfen und der Abhitze der Kokerei in der Hermannshütte sowie vor allem die Weiterverarbeitung des Roheisens ohne vollständige Abkühlung. Solche Aspekte spielten zwar in der hier betrachteten Take-off-Phase der Indust- rialisierung noch eine untergeordnete Rolle, bedeuteten aber eine Hypothek für die Zukunft. (Abb. 13)

Die Dimension des Ausbauprojektes des Hoerder Vereins ver- deutlicht das ursprüngliche und schließlich nicht realisierbare Ziel einer äußerst ambitionierten Gesamtproduktion von 90.000 Jahrestonnen Roheisen mit acht Öfen. Dies entsprach in etwa dem Niveau der Gesamterzeugung in Rheinland und Westfa- len einschließlich dem Siegerland im Gründungsjahr sowie dem Vierfachen der Ruhrgebietserzeugung. Schließlich erreichte das Unternehmen Ende der 1860er Jahre eine Gesamtproduktion von 60.000 t und lag damit weiter an der Spitze der Erzeuger, nach- Abb. 9: Eisenerzproduktion des Ruhrgebiets, 1850-1870. (eigene Darstellung nach: Verein für die Bergbaulichen Interessen 1904, Bd. 12, S. 24-25)

(10)

dem diese Position bereits zehn Jahre zuvor erreicht worden war.

Das Erzeugungsprogramm umfasste weiterhin ein weites Spekt- rum, doch bestand eine starke Abhängigkeit vom Eisenbahnsek- tor, denn Schienen, Räder und Radsätze machten bis zu 70 % der Produktion aus. Damit war der Hoerder Verein ein typisches Un- ternehmen der Branche, da auch die Konkurrenten eine ähnliche Ausrichtung verfolgten.

Das Vorbild des Hoerder Vereins löste im Ruhrgebiet umgehend eine überschäumende Gründungs- und Expansionseuphorie aus, die mitunter stark spekulative Züge trug. Zwischen 1852 und 1858 wurden in der Region 35 Bergwerks- und Montangesell-

schaften mit einem Kapital von rund 30 Millionen Talern konzes- sioniert, darunter der größere Teil reine Bergbaugesellschaften.31 Im Folgenden wird diese Entwicklung zunächst in einem ers- ten Teil für das östliche und südliche Ruhrgebiet mit den kom- binierten Standortfaktoren Steinkohle und Kohleneisenstein und in einem zweiten Schritt für das restliche Ruhrgebiet mit dem Hauptstandortfaktor Steinkohle betrachtet. Ein wichtiges Unter- scheidungsmerkmal stellen dabei die Impulse für die Unterneh- mensentstehung und -entwicklung dar.

Ein bedeutender Teil der angesprochenen Neugründungen ent- fiel auf 14 Unternehmen im Großraum Dortmund, davon acht Zechen und sechs teilweise integrierte Werke im Eisen- und Stahlbereich. Mit der Aplerbecker Hütte, der Dortmunder Hüt- te und der Paulinenhütte ist bei mindestens drei dieser Unter- nehmen neben der Steinkohle durch ihre Hochofenprojekte ein eindeutiger Standortbezug zum Rohstoff Erz erkennbar. Sie soll- ten die Wirtschaftskrise der Jahre 1857 bis 1859 wegen ihrer Un- terkapitalisierung jedoch nicht überstehen und gingen bereits während des Aufbaus der Werksanlagen Konkurs.32 Erst in den 1860er Jahren wurden im Raum Dortmund von der Aplerbecker Hütte und der von Born‘schen Hochofenanlage sechs weitere Hochöfen in Betrieb genommen, sodass hier 1870 zwölf Öfen in drei Werken bestanden, von denen neben dem Hoerder Verein ein zweites einheimische Erze verhüttete.33

Auch im sonstigen Ruhrgebiet blieben die Einflüsse des Stand- ortfaktors Erz schließlich begrenzt und weitgehend auf die Lage der Vorkommen beschränkt. Mit der Henrichshütte direkt an der Ruhr bei Hattingen und der Hasslinghauser Hütte bei Sprockhö- vel entstanden 1853/54 im Süden des mittleren Ruhrgebietes nur zwei weitere Unternehmen auf dieser Basis. Die Sogwirkung des Kohleneisensteins überstrahlte dabei die hinsichtlich der Ver- kehrs- und Versorgungsinfrastruktur wenig optimale Lage der Werke. Während die Heinrichshütte noch im Eisenbahnzeitalter auf das veraltete Transportmittel Ruhrschifffahrt bzw. den Land- transport setzte, litt die Hasslinghauser Hütte u. a. an Schwie- rigkeiten bei der Wasserversorgung.34 Der Name „Neu Schott- land“ der Hasslinghauser Betreibergesellschaft zeigte die großen Hoffnungen auf eine Entwicklung nach britischen Vorbild, so- dass selbst deren völlig unzureichende Möglichkeiten am Stand- ort aus dem Blick gerieten.

Nicht nur hier, sondern auch beim Hoerder Verein verlor der Standortfaktor Kohleneisenstein bereits in den 1860er Jahren an Bedeutung, um sich für die auf dieser Grundlage arbeiten- den Werke schließlich im Vergleich zur Eisen- und Stahlindus- trie im mittleren und westlichen Ruhrgebiet zu einem Nachteil zu entwickeln. Ausschlaggebend dafür waren mehrere Aspek- te. Erstens waren die Vorräte erheblich geringer als angenommen und die Lagerstätten zudem stark gestört, was die Förderung er- schwerte und verteuerte. Zweitens entsprach die Qualität nicht vollständig den Anforderungen. So musste etwa der Hoerder Verein weiterhin fremde Erze und auch Roheisen nicht nur zur Mengenerweiterung, sondern auch zur Sicherung von Produkt- standards beziehen. Und drittens sorgte die technische Entwick- lung bei der Stahlerzeugung für eine weitere Schwächung der Erzbasis. Das in den 1850er Jahren erfundene Bessemer-Verfah- ren revolutionierte das Frischen von Roheisen zu Stahl, indem es das Verfahren mechanisierte und das arbeitsaufwändige Pud- deln nach und nach verdrängte.35

Das Roheisen wurde dabei in großen feuerfest ausgekleideten Be- hältern, den sogenannten Konvertern, durch das Einblasen von Luft gefrischt, wobei Kohlenstoff und sonstige unerwünschte Be- Abb. 10: Eisensteingrube Argus, 1860er Jahre. (Hoerder Bergwerks- und

Hüttenverein 1904, S. 9)

Abb. 11: Das Hoerder Eisenwerk mit sechs Hochöfen, 1866. (Hoerder Berg- werks- und Hüttenverein 1904, S. 15)

Abb. 12: Das Hoerder Kohlenwerk, Schachtanlage Schleswig, 1866. (Hoer- der Bergwerks- und Hüttenverein 1904, S. 51)

Abb. 13: Die Hermannshütte, 1866. (Hoerder Bergwerks- und Hüttenver- ein 1904, S. 18)

(11)

gleitstoffe herausoxidierten. Dieses erste wirkliche Massenstahl- verfahren potenzierte die Leistungsfähigkeit des Frischvorgangs durch eine erhebliche Verringerung des Zeitbedarfs von 24 Stun- den auf 20 Minuten für dieselbe Menge und bot darüber hinaus erstmals die Möglichkeit, große Mengen flüssigen Stahls zu erzeu- gen.36 Dies war ein weiterer Vorteil gegenüber dem zähen Schmie- deeisen aus dem Puddelverfahren, denn der Flussstahl bedeute- te auch einen Quantensprung für das Gießereiwesen. Allerdings konnten aufgrund der chemischen Beschaffenheit der Konverter- auskleidung mit dem Bessemer-Verfahren ausschließlich phos- phorarme Erze eingesetzt werden, und die waren in Deutschland äußerst selten. Allein im Siegerland existierten einige bedeuten- de Vorkommen. Das Verfahren wurde von Krupp, dem Hoerder Verein und dem Bochumer Verein Mitte der 1860er Jahre einge- führt, setzte sich jedoch erst im folgenden Jahrzehnt durch. In die- ser Zeit begann auch der rasche Anstieg des Anteils ausländischer Erze am Hochofeneinsatz auf 30 % im Jahr 1882 und der entspre- chend schnelle Niedergang des Puddelverfahrens.37

Auch im mittleren und westlichen Ruhrgebiet fand das Beispiel des Hoerder Vereins umgehend Resonanz. Zu erwähnen sind da- bei insbesondere die Gutehoffnungshütte und die Phoenix AG.

Auch die Gutehoffnungshütte vollzog eine Rückwärtsintegration, allerdings beschränkte sich diese aufgrund der, wenn auch gerin- gen, so doch vorhandenen Erzbasis und der bereits bestehenden Hochöfen streng genommen auf die Angliederung einer eigenen Steinkohlenversorgung durch die Zeche Oberhausen, die 1857 in Betrieb ging.38 Gleichzeitig machte das Unternehmen jedoch ei- nen qualitativen wie quantitativen Sprung, denn die Errichtung der neuen Eisenhütte Oberhausen mit sechs Steinkohlenhochöfen zwischen 1853 und 1863 besiegelte das Ende der älteren Holzkoh- lenanlage und beendete zugleich die Abhängigkeit von fremden Roheisenbezügen. Zwischenzeitlich bestanden allerdings drei getrennte Produktionsstandorte. Die Gutehoffnungshütte wur- de nun zum Roheisenanbieter und verstärkte das Geschäftsfeld durch die Erweiterung des Hochofenwerks um vier Öfen ab Ende der 1860er Jahre. Der Ausbau der Verarbeitungskapazitäten blieb bewusst hinter diesem Sektor zurück. Gleichzeitig war auch die Gutehoffnungshütte ähnlich wie der Hoerder Verein auf Zukäufe besonderer Qualitäten angewiesen. Ähnliches galt für die Erzsei- te. Hier überstiegen die Bezüge von Kohleneisenstein und insbe- sondere von Erzen aus dem Lahn-Dill-Gebiet die eigenen Rasen- eisenerzmengen erheblich. Auch wenn sich das Hochofenwerk wie beim Hoerder Verein in einiger Entfernung von den anderen Anlagen befand, profitierte das Unternehmen von dessen direkter Lage an der Köln-Mindener Eisenbahn, seiner Nähe zum Rhein und den besseren Steinkohlenqualitäten im Norden des Ruhrge- biets. Schon in dieser frühen Phase besaß die Gutehoffnungshütte damit erhebliche Standortvorteile gegenüber den östlichen Kon- kurrenten, die sich mit der Einführung des Bessemer-Verfahrens ab 1870 noch verstärkten.

Ähnliches galt auch für den Phoenix.39 Das Unternehmen ent- stand wie der Hoerder Verein Ende 1852 durch die Überführung der Eschweiler Firma T. Michiels & Co. in eine Aktiengesellschaft, jedoch mit einem etwas geringeren Kapital von 1,5 Mio. Talern.

Und der Sprung ins Ruhrgebiet erfolgte nun mit der gleichen In- tention, aber einer völlig anderen, an Dezentralität orientierten und gleichzeitig erhebliche spekulative Züge tragenden Strategie.

Es ging um den Aufbau einer integrierten Hüttenaktiengesell- schaft auf Grundlage der Verarbeitungsanlagen im Stammwerk.

Zwischen 1854 und 1856 entstanden mit dem zentralen Stand- ortfaktor Wassertransport eine Hochofenanlage mit vier Öfen in

Laar bei Duisburg, denen auch noch Weiterverarbeitungsanlagen angegliedert werden sollten. Die Erzversorgung basierte auf zahl- reichen Erzgruben in Nassau, an der Lahn, an der Mosel und im Siegerland, wo zudem zwei Holzkohlenhochöfen betrieben wur- den. Gleichzeitig errichtete der Phoenix drei Hochöfen in Kupfer- dreh bei Essen. Als Erzgrundlage dienten hier Kohleneisenstein- gruben aus dem nahen Velberter Raum, die ebenso angepachtet wurden wie zwei Steinkohlenzechen. Drittens wurde 1855 ein Hochofenwerk in Borbeck nördlich von Essen mit vier Öfen er- worben, dessen Steinkohlenzeche Rheinelbe, die später zum Aus- gangspunkt der Gelsenkirchener Bergwerks-AG wurde, jedoch verkauft. Daneben verfügte das Unternehmen über Kalksteinbrü- che, sodass der Phoenix in dieser Industrialisierungsphase von al- len Unternehmen die mit Abstand tiefste Integration und Diversi- fizierung in alle Richtungen besaß.

Die Heterogenität dieses Firmengeflechtes macht eine Standort- analyse obsolet. Ein direktes Standortkonzept ist bei vier Hoch- ofenstandorten und drei Verarbeitungsstandorten nicht erkennbar – am ehesten scheinen hier die Erzgruben maßgebend. Zusam- menfassend lässt sich jedoch feststellen, dass die Standortentschei- dungen dem Ziel einer jeweiligen völligen Produktionsautonomie folgten, indem möglichst viele positive Standortfaktoren gebün- delt und dabei auch lokale Gegebenheiten berücksichtigt wurden.

So besaßen alle Werke von Beginn an neben der Rohstoffgrundla- ge auch einen Eisenbahnanschluss. Mit diesem modernen, diversi- fizierten Konzept war der Phoenix seiner Zeit weit voraus. In die- ser frühen Industrialisierungsphase nahm es dem Unternehmen jedoch die Flexibilität auf der Einkaufsseite und stellte durch die die Mehrfachstrukturen einen erheblichen Kostenfaktor dar. Be- reits in der Wirtschaftskrise der ausgehenden 1850er Jahre wurde der Phoenix zum Sanierungsfall.

Eine völlig andere Entwicklung verfolgten der Bochumer Verein und Krupp in Essen. Beide waren wie die Gutehoffnungshütte und der Hoerder Verein ältere Gründungen. Sie orientierten sich in den in den 1850er Jahren stärker in Richtung Eisenbahnbedarf, konzentrierten sich aber weiterhin ebenso auf die Gussstahler- zeugung auf Basis zugekauften Roheisens und führten daher auch als erste Unternehmen das Bessemer-Verfahren ein. Auch folgten sie bis in die 1870er Jahre nicht dem Trend der Rück- wärtsintegration im Ruhrgebiet durch den Hochofenbau und die Angliederung einer Rohstoffbasis. Krupp erwarb erst Mitte der 1860er Jahre Erzgruben und zwei Hochofenanlagen in Bendorf bei Koblenz, die ausgebaut wurden. Die Bedeutung des Stein- kohlenstandorts Ruhrgebiet wuchs bei Krupp dann in den 1870er Jahren durch den Ankauf des Hochofenwerks Johanneshütte bei Duisburg und der Zeche Hannover bei Bochum.40 In dieser Phase sicherte er sich zudem weitere Erzgruben in Deutschland und als erster auch im Ausland. Krupp kann daher für die erste Industri- alisierungsphase eine starke Marktorientierung und unter Stand- ortaspekten eine späte Erzorientierung nach Beispiel des Phoe- nix attestiert werden. Möglich wurde dies vor allem durch den frühen Bahnanschluss des Werkes.

Der Bochumer Verein entstand 1854 durch Umgründung der Fir- ma Mayer & Kühne in eine Aktiengesellschaft. Auch hier entwi- ckelte sich erst in der zweiten Hälfte der 1860er Jahren eine stär- kere Tendenz zur Eigenversorgung mit dem Erwerb einer ersten Zeche bei Bochum, Maria Anna & Steinbank, und der erfolglosen Pacht eines Hochofenwerkes in der Eifel.41 In dieser Zeit erhielt das Werk auch einen Eisenbahnanschluss. Und erst in den 1870er Jahren nahm der Bochumer Verein die Roheisenerzeugung in ei- ner eigenen Hochofenanlage auf. Auf den grundsätzlichen Un-

(12)

ternehmenserfolg hatte diese unterschiedliche Entwicklung nur geringen Einfluss. Alle Unternehmen erzielten ungeachtet ihres Standortes im Ruhrgebiet und ihrer Unternehmensentwicklung in den 1850er und 1860er Jahren insgesamt hohe Erträge.42 Damit ergab sich folgendes Gesamtbild: 1870 bestanden im Ruhr- gebiet 15 Hochofenwerke, davon drei im östlichen, fünf im mitt- leren und sieben im westlichen Raum. Auch bei den Puddelöfen hatte es eine Verschiebung gegeben. Hatte 1855 noch das östliche Ruhrgebiet mit einem Anteil von mehr als 50 % als Standort do- miniert, verlor es in den folgenden Jahren diesen Status zuguns- ten des mittleren Ruhrgebiets, das seinen Anteil, auch auf Kosten des westlichen Ruhrgebiets, von rund 10 % auf ein Drittel stei- gern konnte. (Abb. 14)

Andere Standortfaktoren

Was bedeuten diese Beispiele nun für die Bewertung der anderen Standortfaktoren des Ruhrgebiets? Hier zeigt sich ein ambiva- lentes Bild, doch ist zunächst allgemein festzustellen, dass hinter der alles überragenden Dominanz des Rohstofffaktors Steinkoh- le alle anderen in unterschiedlichen Graden verblassen und hier daher zusammengefasst behandelt werden. Die Transportorien- tierung besaß im Untersuchungszeitraum eine ebenfalls starke und im Laufe der Zeit zunehmende Bedeutung, denn die Infra- struktur und Kapazität des Transportsektors wirkten maßgeblich auf die Unternehmensstruktur und das Unternehmenskonzept.

Nur eine leistungsstarke Verkehrsinfrastruktur erlaubte den Be- zug und Vertrieb der ansteigenden Rohstoff- und Produktmen- gen. Neben dem zugleich standortbildenden Faktor Steinkoh- le wurde der Transportsektor damit zu einem gleichwertigen standortprägenden Faktor, und dies gilt sowohl für die Eisen- bahn als auch für den Wassertransport. (Abb. 15)

Das Ruhrgebiet wurde seit 1849 von zwei Eisenbahnlinien er- schlossen, jedoch zunächst nur in der Peripherie. Dortmund al- lerdings wurde zum ersten Eisenbahnknotenpunkt der Regi- on.43 Hier trafen sich die Linien der 1847 in Betrieb gegangenen

Köln-Mindener Eisenbahn, die den Norden der Region durch- querte, und der aus Süden von Düsseldorf über Elberfeld kom- menden Bergisch-Märkischen Eisenbahn. Erst 1862 wurde die zentrale Ost-West-Strecke zwischen den Hellwegstädten fertig- gestellt, nachdem im Vorjahr das Siegerland angebunden wor- den war. Mit der konkurrierenden zentralen Ruhrgebietsstrecke der Rheinischen Eisenbahn war der Ausbau des übergeordneten regionalen Schienennetzes bis 1874 abgeschlossen. Den wichtigs- ten Knotenpunkt bildete nun Duisburg mit drei Bahnhöfen der großen Gesellschaften. Kleinere Teilstrecken und Werksanschlüs- se ergänzten das System ebenso wie weitere überregionale Ver- bindungen.

Für die vorgestellten Unternehmen zeigt sich in diesem Kontext folgendes Bild, wobei zwischen den Wirkungen des Orientie- rungsfaktors Transport für die Standortwahl und die Standort- entwicklung unterschieden werden muss. Bei den alten Unter- nehmen Gutehoffnungshütte und Krupp sowie den Gründungen der frühen 1840er Jahre Hoerder Verein und Bochumer Verein be- stand mangels anderer Möglichkeiten anfangs zwangsläufig eine Abhängigkeit vom Straßenverkehr. Hier kam diese Entwicklung zu spät. Ein Eisenbahnanschluss und der Faktor Transport spiel- ten für die Standortentscheidung allenfalls eine untergeordnete, wenn nicht sogar keine Rolle. Ganz anders sah dies beim 1852 gegründeten Phoenix aus. Hier wurde die jetzt vorhandene Ei- senbahninfrastruktur zu einer Kerngröße der Standortwahl wie auch des Unternehmenskonzepts und damit für die Unterneh- mensentwicklung. Wie reagierten nun die älteren Werke auf die veränderte Situation? Auch hier bestanden Unterschiede. Krupp baute schnell einen Anschluss an die Köln-Mindener-Bahn, der sein marktorientiertes Konzept erst möglich machte. Die Gute- hoffnungshütte errichtete ihr neues Hochofenwerk aus densel- ben Gründen direkt an der Bahnlinie und verschob das Produk- tionszentrum endgültig von Sterkrade in Richtung Oberhausen.

Bei beiden ist damit eine deutliche Transportorientierung er- kennbar. Im Gegensatz dazu akzeptierten der Bochumer Verein und der Hoerder Verein aus nicht nachvollziehbaren Gründen selbst dann noch die Abhängigkeit vom Landtransport, als ein Abb. 14: Anzahl und Lage der Puddelöfen im Ruhrgebiet. Eigene Darstellung nach Teuteberg 1984, S. 185)

(13)

Bahnanschluss möglich gewesen wäre und entschlossen sich erst vergleichsweise spät zu einer direkten Anbindung.

Welche Bedeutung besaß der Wassertransport? Die Ruhr spiel- te als Transportweg keine Rolle für die Montanindustrie. Allen- falls für die Hattinger Henrichshütte sind hier Bezüge anzuneh- men. Die Entstehung aller Hochofenstandorte in der Nähe des Rheins entsprach dagegen einer eindeutigen Transportorientie- rung. Sie sind vorrangig durch die Anbindung an die Wasser- straße geprägt und dann in zweiter Linie durch die Bahnanbin- dung. Die Standortentscheidung und Werksentwicklung folgte damit vordergründig diesen Kriterien. Im Vergleich zum Faktor Steinkohle kann dem Transport hier sogar ein höheres Gewicht beigemessen werden. Aber selbst die aufgrund der Nähe zum Rhein offenkundigen transporttechnischen Vorteile des west-

lichen Ruhrgebiets erreichten noch in den 1870er Jahren keine standortbestimmende Dominanz. Die beiden bedeutenden mon- tanindustriellen Unternehmensgründungen des Jahrzehnts ne- gierten diesen Standortfaktor sogar völlig. So verlegte Hoesch ab 1871 seinen Unternehmensschwerpunkt aus dem Raum Aa- chen/Düren in den Dortmunder Norden, obwohl das Unterneh- men ausschließlich transportaufwändiges Roheisen aus England und dem Siegerland verarbeitete. Die ebenfalls in Dortmund an- sässige, 1872 entstandene Union AG versuchte mit der Zusam- menfassung zahlreicher Werke im Osten und Süden des Ruhrge- biets erfolglos die Phoenix AG zu kopieren.44

Insgesamt ist für die Montanindustrie innerhalb des Ruhrgebiets während der Industriellen Revolution eine sehr hohe Standort- treue feststellbar. Standortverändernde Faktoren wie eine bes- Abb. 15: Das Eisenbahnnetz im Ruhrgebiet, 1879. (Verein für die Bergbaulichen Interessen 1904, Bd. 10, Tafel IX)

(14)

sere Bahninfrastruktur oder die Nordwanderung des Bergbaus führten nur im Fall der Gutehoffnungshütte zur Verlagerung be- stehender Produktionsstätten.

In ihrer Bedeutung erheblich zurück fielen die Orientierungskri- terien Absatz und Arbeitsmarkt. Die Absatzorientierung spiel- te bei der Standortwahl nur eine untergeordnete Rolle, denn sie wurde zunächst vollständig von der Rohstofforientierung und der Transportorientierung überlagert. Allerdings wirkte sich bei der Standortentscheidung zunächst der Zufall aus, dass die Hauptabsatzmärkte der frühen Eisen- und Stahlindustrie des Ruhrgebiets in der benachbarten Kleineisenregion des Sauer- landes und des Bergischen Landes lagen. Somit bot eine Ent- scheidung für den Steinkohlenstandort zugleich Synergien beim Produktvertrieb auf der Straße. Mit der zunehmenden Doppel- funktion des Eisenbahnsektors als Transportmittel und Hauptab- satzgebiet ergab sich für die Unternehmen schließlich eine ideale Konstellation. Produktion und Markt waren regional konzen- triert, denn ein Großteil der Schienen und sonstigen Güter wur- de anfangs im Großraum des Ruhrgebiets verwendet und konnte per Bahn direkt dorthin geliefert werden. Die zentrale Lage der Region in Westeuropa und ihre sehr gute Bahnanbindung erwies sich zudem als idealer Standort für die Markterschließung auch in entfernteren Gebieten.

Im Gegensatz dazu ist eine direkte Arbeitsorientierung für die Montanindustrie wie für den Bergbau kaum erkennbar. Mit der Werksgründung verband sich die Erwartung, am Standort über ausreichend Arbeitskräfte verfügen zu können, da diese im Ver- lauf der Zeit quasi automatisch durch den Bau und Betrieb an- gezogen würden. Die gezielte Anwerbung von Ingenieuren und anderen Fachleuten hing hingegen von vornherein nicht vom Standort, sondern von der Höhe des Einkommens ab.45 Bereits während des ersten Gründerbooms in den 1850er Jahren erwie- sen sich die Hoffnung jedoch als verfehlt, denn die örtlichen Ar- beitsmärkte waren mit dem Bedarf der zahlreichen neuen Un- ternehmen überfordert. Die Verfügbarkeit von Arbeitskräften wurde damit zu einem limitierenden Faktor für die Produktion und zwischenzeitlich als Standortfaktor etwas aufgewertet. Dies galt insbesondere für Standorte, die auf der grünen Wiese ent- standen waren. Ein extremes Beispiel bildete der Hoerder Ver- ein, der bereits 1855 2.600 Arbeiter direkt und weitere 750 über Subunternehmer beschäftigte. Mit Familienmitgliedern ent- sprach das rund 10.000 Personen oder fast dem doppelten der Einwohnerzahl Hördes bzw. 20 % der Bevölkerung des Rau- mes Dortmund.46 Im gesamten Ruhrgebiet herrschte ein Mangel an Facharbeitern wie etwa Puddler, denn dieser Prozess war äu- ßerst arbeitsintensiv und erforderte nicht nur große Körperkraft und Ausdauer, sondern auch Geschicklichkeit und Erfahrungs- wissen. Mit der ruhigeren wirtschaftlichen Entwicklung in den 1860er Jahren und der wachsenden Bevölkerung schwächte sich das Problem ab, ohne jedoch ganz zu verschwinden. Der Bau von Arbeitersiedlungen als standortverbessernde Maßnahme er- zielte angesichts des noch geringen Umfangs während der In- dustriellen Revolution nur marginale Effekte.

Auch die Kapitalverfügbarkeit stellte für das Ruhrgebiet wäh- rend der Industriellen Revolution kein standortbildendes und schließlich auch kein standortprägendes Kriterium dar. Es war ausreichend Kapital vorhanden, wie die zahlreichen Unterneh- mensgründungen der 1850er Jahre belegen, wenn auch nicht im Ruhrgebiet selbst und ungeachtet der teilweise unzureichen- den Kapitalausstattung einzelner Unternehmen, die angesichts fehlender Erfahrungen auf fehlerhafte Prognosen zurückzufüh-

ren war.47 Die Investitionen in Unternehmen der Montanindus- trie und des Bergbaus stammten in besonderem Maße aus dem Rheinland und seiner Bankenmetropole Köln, als auch aus dem benachbarten Ausland mit Frankreich, Belgien und England als wichtigsten Nationen. Eine besondere Rolle besaß der A. Schaaff- hausen‘sche Bankverein, der nicht nur maßgeblich die Entwick- lung des Hoerder Vereins steuerte, sondern auch beim Bochumer Verein engagiert war.48 Banken und Investoren suchten ständig nach guten Anlagemöglichkeiten, und hier boten Produzenten von Eisenbahnmaterial im aufstrebende Ruhrgebiet ungeachtet ihrer regionalen Lage herausragende Perspektiven.

Standort und Unternehmenserfolg

Welche Bedeutung besaß nun der Standort für den Unterneh- menserfolg? Hierzu lassen sich angesichts der zahlreichen Ein- flussfaktoren kaum konkrete und tragfähige Aussagen treffen.

Als Kriterium kann die Ausschüttungspraxis der Unternehmen herangezogen werden, denn die Höhe der Dividenden spiegelt den Ertrag. Allerdings war dieser im Untersuchungszeitraum stark von dennoch recht freizügigen Bilanzierungsmethoden und damit den Interessen der Anteilseigner abhängig, sodass auch hier gewisse Abstriche hinsichtlich der Aussagefähigkeit zu ma- chen sind. Die drei Kapitalgesellschaften Hoerder Verein, Bochu- mer Verein und Phoenix zahlten zwischen ihrer Gründung und dem Jahr 1870 eine Dividende von durchschnittlich jeweils etwa 8 %, allerdings mit teilweise starken jährlichen Schwankungen.

Die Personengesellschaft Gutehoffnungshütte zahlte durchgän- gig 4 %, doch war die Höhe der Ausschüttung auf diesen Wert begrenzt.49 Weitere Gewinnanteile verblieben im Unternehmen.

Die Einzelgesellschaft Krupp reinvestierte ebenfalls einen großen Teil der Erträge und wuchs zum größten deutschen Industrieun- ternehmen. Folglich besaßen die Rechtsform, die Unternehmens- konzeption und die Unternehmensorganisation und damit der Unternehmensstandort innerhalb des Ruhrgebiets nur eine ge- ringe Bedeutung für den Betriebserfolg. Den Ausschlag scheint hier die über zwei Jahrzehnte insgesamt sehr gute Nachfrage des Eisenbahnsektors gegeben zu haben. Es fällt jedoch auf, dass der Hoerder Verein in der zweiten Hälfte der 1860er Jahre eine stark rückläufige Dividendenzahlung verzeichnete, während der Bo- chumer Verein und der Phoenix Rekordgewinne auswiesen. Dies hing insbesondere mit den hohen Kosten und den geringen Er- trägen der unternehmenseigenen Rohstoffbetriebe zusammen, ist also eindeutig als standortbedingt bzw. aus dem Wandel von Standortfaktoren resultierend zu interpretieren.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Standortfakto- ren der Eisen- und Stahlindustrie des Ruhrgebiets in der Indus- triellen Revolution einem raschen Wandel unterlagen. Die Ver- änderungen betrafen infolge der rasanten wirtschaftlichen und technischen Entwicklung vor allem die frühen Gründungen. Im Untersuchungszeitraum wurden die Steinkohlenvorkommen zum alles überragenden Standortfaktor des Ruhrgebiets. Aus- schlaggebend dafür waren erstens sowohl die Größe der Lager- stätten als auch die in Deutschland einzigartige, herausragende Eignung der Kohlen für den Kokereiprozess. Und zweitens hüt- tentechnische Innovationen wie das Pudelverfahren, der Koks-

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

An sonnigen Wochenenden und Feiertagen sind die Uferzonen von Mosel und Lahn an Orten des Vorkommens von Natrix tessellata oft mit Wochen- endurlaubern geradezu

Da er aber seine Frau über alles liebte und Angst hatte, das diese vielleicht sogar sterbenskrank ob ihres unerfüllten Wunsch nach den Rapunzel wurde, entschloss er sich eines Tages

Tel. 089 / 54 82 98 63  Fax 089 / 54 82 98 18  fa@bund‐naturschutz.de  www.bund‐naturschutz.de   . BN‐Kreisgruppe  

Auf keinen Fall darf das Planfeststellungsverfahren für den ersten Abschnitt (Rohrdorf) in der vorgesehenen Ausbau-Form eingeleitet werden, weil dadurch die Realisierung einer

Die bisherige Verkehrsentwicklung sowie die, der Planung des Bundes bzw. Freistaates zugrunde liegende Prognose der Verkehrsbelegungen rechtfertigen keinen durchgängi-

Der derzeitige sechsspurige Ausbau der A 8 öst- lich von Augsburg führt deutlich vor Augen was auch bei uns droht, wobei die Eingriffe zwischen Rosenheim und Salzburg noch

Eine Neuplanung des Abschnittes Rosenheim – Felden auf der Grundlage eines generellen Tempolimits und keine Aufnahme des Abschnittes Felden bis Landesgrenze in

Wir wollen eine maßvolle Lösung zur Verbesserung der A 8 Ost und keinen Maximalausbau, mit dem unsere schöne Voralpenlandschaft dauerhaft. verschandelt und