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Kulturraum EU: Das Projekt Europäische Kulturhauptstadt" als ein Weg zur Schaffung einer europäischen Identität. Eine rechtshistorische Darstellung.

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Academic year: 2022

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(1)

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades einer Magistra der Rechtswissenschaften

an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz

Kulturraum EU: Das Projekt „Europäische Kulturhauptstadt"

als ein Weg zur Schaffung einer europäischen Identität.

Eine rechtshistorische Darstellung.

vorgelegt von Julia Schuster

eingereicht bei

ao. Univ.-Prof.in Mag.a Dr.in Anita Prettenthaler-Ziegerhofer Institut für Österreichische Rechtsgeschichte

und Europäische Rechtsentwicklung

Graz, im Oktober 2009

(2)

I

Ehrenwörtliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benützt und die den verwendeten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Ich habe diese Diplomarbeit bisher weder im In- noch im Ausland in irgendeiner Form als Prüfungsarbeit vorgelegt.

Graz, Oktober 2009

(3)

II

Vorwort

Geprägt durch mein Zweitstudium, die Kunstgeschichte, bin ich stets auf der Suche nach den Berührungspunkten von Kunst und Recht. Aus diesem Grund freut es mich sehr, dass es mir möglich war, die vorliegende Diplomarbeit über Europäische Kulturhauptstädte und ihren Einfluss auf die Entwicklung einer europäischen Identität zu verfassen.

Genua, Sibiu, Stockholm oder Glasgow sind nur einige ehemalige Europäische Kulturhauptstädte, die ich in den letzten Jahren besuchen konnte. Und überall kann man heute noch die Nachwirkungen des Kulturhauptstadtjahres spüren. Ganze Stadtteile wurden wiederbelebt, verfallene Gebäude renoviert und neue Veranstaltungs- und Ausstellungszentren geschaffen. Das Programm Europäische Kulturhauptstadt geht an keiner Stadt spurlos vorüber; vielmehr formt es sie und macht sie zu einer Anderen!

Besonderer Dank gebührt an dieser Stelle meiner Diplomarbeitsbetreuerin, Frau Mag.a Dr.in Anita Prettenthaler-Ziegerhofer. Durch ihre fundierte und liebevoll-engagierte Betreuung und ihre Begeisterung für interdisziplinäre Forschungsfelder hat sie meine Meinung über den universitären Lehrkörper nachhaltig positiv beeinflusst.

Meinen Freundinnen und Freunden möchte ich danken für das gemeinsame Erleben unglaublicher Glücksmomente und einen niemals langweiligen Alltag. Sie alle haben auf ihre Weise zum Abschluss meines Studiums und zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen.

Besonderer Dank geht an meine langjährige Freundin Romana Rauter für ihre kurzfristige Hilfe und ausgesprochene Genauigkeit beim Korrekturlesen der vorliegenden Arbeit.

Zum größten Dank bin ich meinen Eltern verpflichtet, die meinen Bruder und mich in jedem unserer Ausbildungswünsche bestärken und unterstützen. Durch ihre Förderung und Erziehung haben wir gelernt, uns vielseitig zu interessieren, kritisch zu denken und selbstbewusst zu handeln. Danke!

(4)

III

Abkürzungsverzeichnis

AdR Ausschuss der Regionen

Art Artikel

BM:UKK Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur bzw beziehungsweise

CEP Centrum für Europäische Politik

EACEA Education, Audiovisual and Culture Executive Agency ebda ebenda

EEA Einheitliche Europäische Akte EFRE Europäischer Regionalfonds EG Europäische Gemeinschaft/en

EGKS Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl

EKGS-V Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl EP Europäisches Parlament

EuGH Europäischer Gerichtshof

EUV Vertrag über die Europäische Union EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

EWG-V Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft GASP Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik

GD Generaldirektion Hrsg HerausgeberIn ieS im engeren Sinn iwS im weiteren Sinn MS Mitgliedstaat/en

Rz Randzahl

ua unter anderem usw und so weiter vgl vergleiche

ZBJI Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres

zT zum Teil

(5)

IV

1 EINLEITUNG ... 6

2 DIE ENTWICKLUNG DER KULTURKOMPETENZ UND DER KULTURPOLITIK DER EG .. 8

2.1 KEINE AUSDRÜCKLICHE KULTURKOMPETENZ VOR INKRAFTTRETEN DES VERTRAGES VON MAASTRICHT ... 8

2.1.1 Herleitung einer Kulturkompetenz durch Vertragsinterpretation ... 9

2.1.1.1 Präambel des EWG-V ... 9

2.1.1.2 Art 2 und Art 3 EWG-V: Aufgaben und Zielbestimmungen ... 10

2.1.1.3 Lückenklausel Art 235 EWG-V ... 11

2.1.2 Kultur als Bereichsausnahme ... 11

2.1.3 Gemeinschaftliche Aktivitäten im Kulturbereich ... 12

2.1.4 Ausgewählte bedeutende Dokumente auf dem Weg zum „Kulturartikel“ ... 16

2.1.4.1 „Feierliche Deklaration zur Europäischen Union“ ... 17

2.1.4.2 „Entschließung des EP über die Verstärkung der Gemeinschaftsaktion im Bereich Kultur“ ... 18

2.1.4.3 „Mitteilung der Kommission über das neue Kulturkonzept der Gemeinschaft“ ... 19

2.2 DIE VERTRAGLICHE NIEDERGELEGTE KULTURKOMPETENZ DER EG ... 20

2.2.1 Der Vertrag von Maastricht ... 20

2.2.2 Der Vertrag von Amsterdam ... 21

2.2.3 Der Vertrag von Nizza und der Vertrag von Lissabon ... 21

3 ARTIKEL 151 EGV: EINE ANALYSE DES KULTURARTIKELS ... 22

3.1 DER KULTURBEGRIFF ... 22

3.2 ART 151IEGV:DER BEITRAG DER GEMEINSCHAFT ZUR ENTFALTUNG DER KULTUREN DER MITGLIEDSTAATEN ... 23

3.2.1 Verhältnis der Gemeinschaft zu den Mitgliedstaaten ... 24

3.2.2 Wahrung der nationalen und regionalen Vielfalt der MS ... 24

3.2.3 Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes ... 25

3.3 ART 151IIEGV:DIE KONKRETEN KOMPETENZEN DER GEMEINSCHAFT IM KULTURBEREICH ... 25

3.3.1 Art 151 II 1. Spiegelstrich EGV ... 26

3.3.2 Art 151 II 2. Spiegelstrich EGV ... 27

3.3.3 Art 151 II 3. Spiegelstrich EGV ... 28

3.3.4 Art 151 II 4. Spiegelstrich EGV ... 28

3.3.5 Die einzelnen Handlungsbefugnisse im Art 151 EGV ... 29

3.4 ART 151IIIEGV:INTERNATIONALE ZUSAMMENARBEIT ... 30

3.5 ART 151IVEGV:DIE KULTURVERTRÄGLICHKEITSKLAUSEL ... 31

3.6 ART 151VEGV:VERFAHREN ... 32

3.7 ÄNDERUNGEN DURCH DEN VERTRAG VON LISSABON ... 34

4 EUROPÄISCHE KULTURFÖRDERUNG ... 36

4.1 KULTURFÖRDERUNG DER GEMEINSCHAFT IM WEITEREN SINN ... 36

4.2 KULTURFÖRDERUNG DER GEMEINSCHAFT IM ENGEREN SINN ... 38

4.2.1 Entwicklung ... 38

4.2.2 „Kultur 2007“ ... 40

(6)

V

5 DIE KULTURHAUPTSTADT EUROPAS ... 42

5.1 DIE GESCHICHTE EINER VISION ... 42

5.1.1 Die Rechtsgrundlagen der Europäischen Kulturhauptstadt ... 43

5.1.2 Der Wandel des Kulturhauptstadtkonzeptes in rechtlicher Perspektive ... 44

5.2 BEWERBUNG,AUSWAHLVERFAHREN UND ABWICKLUNG DER AKTION EUROPÄISCHE KULTURHAUPTSTADT ... 46

5.3 MOTIVATIONSGRÜNDE VON KULTURHAUPTSTÄDTEN (AIMS AND OBJECTIVES) ... 48

5.4 PROGRAMMATIK VON KULTURHAUPTSTÄDTEN ... 49

5.5 FINANZIERUNG EUROPÄISCHER KULTURHAUPTSTÄDTE ... 53

5.6 DIE FRAGE DER NACHHALTIGKEIT.WAS BLEIBT VON KULTURHAUPTSTÄDTEN? ... 54

6 GEMEINSAME EUROPÄISCHE IDENTITÄT ... 58

6.1 DEFINITION VON IDENTITÄT ... 58

6.2 DIE EUROPÄISCHE UNION ALS IDENTITÄTSRAUM ... 59

6.2.1 Konstruktionen von europäischer Identität ... 62

6.2.2 Europäische Gemeinsamkeiten ... 63

6.2.3 Die Werte der BürgerInnen und ihre Verbundenheit mit der EU ... 66

6.2.4 Die Symbolik Europas ... 67

6.3 KULTURPOLITIK ALS IDENTITÄTSPOLITIK ... 71

7 DER BEITRAG DER AKTION EUROPÄISCHE KULTURHAUPTSTADT ZUR ENTWICKLUNG EINER EUROPÄISCHEN IDENTITÄT ... 74

7.1 „KULTURBAUSTELLE EUROPA“ ... 74

7.2 SELBSTPOSITIONIERUNG DER KULTURHAUPTSTÄDTE IN DER „MITTEEUROPAS ... 75

7.3 DIE EUROPÄISCHE DIMENSION IN DEN PROGRAMMEN DER KULTURHAUPTSTÄDTE ... 76

7.4 AUSGEWÄHLTE VERANSTALTUNGEN MIT EUROPABEZUG AUS DEM KULTURPROGRAMM VON LINZ09 ... 77

8 SCHLUSSBETRACHTUNG ... 82

LITERATURVERZEICHNIS ... 84

ANHANG ... 91

(7)

6

1 Einleitung

„Tröste dich, Europa! Zeus ist es, der dich geraubt hat; du bist die irdische Göttin des unbesiegten Gottes: unsterblich wird dein Name werden; denn der fremde Weltteil, der dich aufgenommen hat, heißt hinfort Europa.“1 So lauteten die Worte der Aphrodite, mit denen sie die geraubte Europa nach ihrem Erwachen auf der Insel Kreta empfing.

Ein ganzer Kontinent ist nach der schönen Tochter des Königs Agenor benannt. Ein multikultureller Kontinent, der sich über lange Zeit durch Kriege und Spaltungen, Missgunst und Ausbeutung, vor allem jedoch durch eine bis heute ungebrochene Diversität und Vielfalt auszeichnet hat.

Den heutigen VerantwortungsträgerInnen ist klar, dass der Traum eines solchen geeinten Europas nicht allein durch politische, rechtliche, ökonomische und militärische Zusammenarbeit in Erfüllung gehen kann. Vielmehr bedarf es einer Kooperation auf kultureller Ebene, die auf der einen Seite die bestehende Vielfalt der Kulturen Europas bewahrt und auf der anderen Seite eine gemeinsame, kulturelle Identität der Staaten Europas etabliert.

Dies ist das eigentliche Paradoxon der europäischen Kulturpolitik: Sie greift in ein vielfältiges System ein und möchte ein geeintes Europa entwickeln, wenn auch ein in Vielfalt geeintes.

Als Valéry Giscard d’Estaing im Februar 2002 mit seiner Eröffnungsrede vor den Konvent zur Zukunft Europas trat, forderte er die Konventsmitglieder auf, ein geeintes Europa zu erträumen: „Lassen wir uns leiten von dem Bild eines befriedeten Kontinents, […] in dem Geschichte und Geografie endlich miteinander versöhnt sind, so dass alle Staaten Europas, nachdem sie im Westen und im Osten getrennte Wege gegangen sind, gemeinsam ihre Zukunft aufbauen können.“2

Melina Mercouri hatte zu Beginn der 1980er Jahre, als sie ihren AmtskollegInnen ihre Idee von einer Europäischen Kulturhauptstadt unterbreitete, genau dieses Ziel vor Augen. Kultur hat die Fähigkeit, Menschen zu berühren und zu verbinden. Die Europäische Kulturhauptstadt hat sich seit ihrer Erstauflage 1985 zu einem publikumswirksamen Großereignis gemausert, dessen Bekanntheit weit über die Grenzen des jeweiligen Staates hinausreicht. Durch den Titel wird jedoch nicht nur einfach eine Stadt ins Rampenlicht gestellt, vielmehr muss die jeweilige Kulturhauptstadt ein Kulturprogramm mit dezidiert europäischer Dimension entwickeln.

1 Schwab, Die schönsten Sagen des klassischen Altertums3 (1950) 48.

2 D’Estaing, Eröffnungsrede vor dem Konvent zur Zukunft Europas, http://european-convention.eu.int/docs/speeches/3.pdf (12.10.2009).

(8)

7 In der vorliegenden Arbeit geht es um die Frage, ob Kulturhauptstädte dazu beitragen, eine gemeinsame europäische Identität zu schaffen.

Die Entstehungsgeschichte des Konzepts Europäische Kulturhauptstadt ist eng mit der Entwicklung der Kulturkompetenz der Europäischen Union verbunden, weshalb zuerst auf die Geschichte der kulturellen Tätigkeiten und Kompetenzen der Gemeinschaft eingegangen werden soll. Anschließend folgt eine ausführliche Analyse der heutigen Kulturkompetenznorm Art 151 EGV. Als eines der zweifellos wichtigsten Kulturprogramme der EU ist die Aktion Europäische Kulturhauptstadt in eine Fülle von Förderprogrammen eingebettet. Für diese Arbeit spielt das Programm „Kultur 2007“ eine zentrale Rolle, da aus dessen 1. Aktionsbereich auch die Kulturhauptstädte gefördert werden. In einem eigenen Kapitel sollen die Vorrausetzungen, die Bewerbungsmodalitäten und die Anforderungen und Erwartungen von Kulturhauptstädten behandelt werden. Hierbei wird auf Auswahlverfahren, Zielvorstellungen, Programmanforderungen, Finanzierungsaspekte und die Frage der Nachhaltigkeit eingegangen.

Die Definition von Identität und die Klärung der Frage, wie sich eine gemeinsame europäische Identität entwickeln kann, sind die zentralen Fragestellungen im darauffolgenden Kapitel.

Einen Einblick in die Wertvorstellungen und Assoziationen der EU-BürgerInnen und ihr Verbundenheitsgefühl gegenüber der Europäischen Union liefern die aktuellen Ergebnisse der Eurobarometerumfragen der Kommission. Für die Etablierung eines gemeinsamen Identitätsbegriffes und die Deklarierung der EU als Identitätsraum spielen das Dokument über die europäische Identität und der Tindemans-Bericht eine zentrale Rolle.

In Kapitel 7 wird schließlich aufgezeigt, welchen Beitrag eine Kulturhauptstadt zur Etablierung einer gemeinsamen europäischen Identität leistet. Dies geschieht ua anhand ausgewählter Programmpunkte mit europäischer Dimension der Kulturhauptstadt Linz09.

Die Aktion Europäische Kulturhauptstadt ist eines der beliebtesten und bekanntesten EU- Programme. Die bisherigen Kulturhauptstädte ziehen ein immer engmaschigeres Netz über Europa. In der Budapester Erklärung heißt es: „In den Städten hat sich gezeigt, dass es mittels Kultur möglich ist, Energien und Kreativität für gesellschaftlichen Fortschritt zu erschließen, dass Kultur eine – ständig erneuerbare – Ressource darstellt. Diese Kraft und dieses Potential werden für die Gestaltung der Zukunft Europas gebraucht.“3

3 Abgedruckt in: Kulturpolitische Mitteilungen 11 (2005) 37f.

(9)

8

2 Die Entwicklung der Kulturkompetenz und der Kulturpolitik der EG

Obwohl die Organe der Europäischen Gemeinschaften (EG) erst seit dem Inkrafttreten des Vertrages von Maastricht über eine umfassende Kulturkompetenz verfügen, wurden sie bereits davor im kulturellen Bereich tätig. Im Folgenden findet sich eine historische Darstellung der Entwicklung der Kulturkompetenz der EG durch den Versuch der Auslegung der Gründungsverträge und anhand wichtiger Dokumente. Außerdem wird auf die tatsächlichen Tätigkeiten der Gemeinschaft im Kulturbereich vor Inkrafttreten einer Kompetenznorm eingegangen.

2.1 Keine ausdrückliche Kulturkompetenz vor Inkrafttreten des Vertrages von Maastricht

Die Gründungsverträge der „Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl“ (EGKS) aus dem Jahr 1952, der „Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft“ (EWG) und der

„Europäischen Atomgemeinschaft“ (EAG), beide aus dem Jahr 1957, enthielten keine ausdrücklich formulierten Kompetenzen für den Kulturbereich, da diese Gemeinschaften ausschließlich auf die Schaffung eines europäischen Wirtschaftsraumes gerichtet waren.4 Die Grundidee der Gemeinschaften basiert somit auf einem wirtschaftlichen Integrationsgedanken. Dies ist damit zu begründen, dass die Erfahrung mit dem EGKS-V, der 1952 und somit sechs Jahre vor dem EWG-V und dem EAG-V in Kraft getreten war, gezeigt hatte, dass auf europäischer Ebene „Fortschritte im Wirtschaftsbereich am ehesten konsensfähig waren.“5 Handlungsvollmachten, die im weitesten Sinne unter Kultur zu subsumieren wären, fanden sich jedoch im EGKS-V für die Forschung und die Erzeugung bzw. Steigerung des Verbrauchs von Kohle und Stahl in Art 55 § 1 und zum anderen für Umschulungsmaßnahmen von Arbeitnehmern in Art 56.6 Art 9 II EAG-V ermächtigte die Gemeinschaft zur Gründung von Universitäten.

In der deutschen Fassung des EWG-V fand das Wort Kultur an zwei Stellen Erwähnung: in Art 36 und in Art 131.7 Art 36 EWG-V sah Einfuhr-, Ausfuhr-, Durchfuhrverbote und -

4 Vgl. Holthoff, Kulturraum Europa (2008) 71.

5 Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht4 (2009) 10.

6 Vgl. Holthoff, Kulturraum Europa 71.

7 Vgl. Holthoff, Kulturraum Europa 71.

(10)

9 beschränkungen zum Schutze des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Werte als gerechtfertigt an.8 Art 131 EWG-V behandelte Assoziierungsabkommen mit außereuropäischen Ländern und Hoheitsgebieten, zu deren Zielen auch die Förderung der kulturellen Entwicklung jener Staaten zählte.9 Von der ausdrücklichen Formulierung einer gemeinschaftlichen Kulturkompetenz kann in diesen beiden Fällen freilich noch nicht gesprochen werden.

2.1.1 Herleitung einer Kulturkompetenz durch Vertragsinterpretation

Es stellt sich die Frage, ob aus den Vertragstexten eine etwaige Kulturkompetenz der Organe der Gemeinschaft hätte abgeleitet werden können. Zu diesem Zweck sollen im Folgenden die Präambel, Art 2 und Art 3 und die so genannte Lückenklausel Art 235 EWG-V untersucht werden.

2.1.1.1Präambel des EWG-V

In der Präambel des EWG-V kommt der Wunsch der Vertragsparteien zum Ausdruck, mit Abschluss des EWG-V die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker zu schaffen.10 Diese Formulierung könnte auf den Willen hindeuten, die Kultur in die Aktivitäten der Gemeinschaft mit einzubeziehen.11 Niedobitek spricht in diesem Fall von „flankierenden Politiken“ 12 der Gemeinschaft. Damit sind eigenständige Politikbereiche gemeint, die – wenn auch in den Gründungsverträgen nicht ausdrücklich erwähnt − den europäischen Integrationsprozess absichern und unterstützen.13

In einer Präambel werden allerdings immer nur die allgemeinen Zielsetzungen des nachfolgenden Gesetzestextes formuliert, sodass sich daraus die Intention der vertragsschließenden Parteien erkennen lässt, den Integrationsprozess weiterzuführen und der Gemeinschaft zum Zwecke eines immer engeren Zusammenschlusses sukzessive auch weitere Hoheitsrechte zu übertragen.14 In Art 4 Abs. 1 EWG-V war das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung niedergelegt, welches ausschloss, dass „die in der

8 Abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/de/treaties/dat/11957E/tif/11957E.html (14.8.2009).

9 Vgl. Holthoff, Kulturraum Europa 71.

10 Abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/de/treaties/dat/11957E/tif/11957E.html (14.8.2009).

11 Vgl. Holthoff, Kulturraum Europa 71.

12 Niedobitek, Kultur und Europäisches Gemeinschaftsrecht (1992) 286.

13 Vgl. Niedobitek, Kultur 286.

14 Vgl. Holthoff, Kulturraum Europa 72.

(11)

10 Präambel enthaltenen vagen Andeutungen als rechtliche Grundlage für einschlägige Gemeinschaftsaktivitäten in Betracht kommen“.15 Dieses Enumerationsprinzip verhinderte eine umfassende gesetzgeberische Tätigkeit der europäischen Organe; vielmehr waren sie

„an eine beschränkte Palette von Handlungsformen und vorgegebenen Regelungsständen gebunden.“16 Aus der Präambel des EWG-V lässt sich somit keine Kulturkompetenz der Gemeinschaftsorgane ableiten.

2.1.1.2Art 2 und Art 3 EWG-V: Aufgaben und Zielbestimmungen

In Art 2 und Art 3 EWG-V waren die Aufgaben und Zielbestimmungen der Gemeinschaft niedergelegt. Diese Vertragsziele bezogen sich jedoch lediglich auf eine wirtschaftliche Integration und erwähnten den Bereich Kultur nicht.17 Art 2 EWG-V formulierte die Zielbestimmungen der Gemeinschaft folgend: „Aufgabe der Gemeinschaft ist es, durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und die schrittweise Annäherung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten eine harmonische Entwicklung des Wirtschafts- lebens innerhalb der Gemeinschaft, eine beständige und ausgewogene Wirtschafts- ausweitung, eine größere Stabilität, eine beschleunigte Hebung der Lebenshaltung und engere Beziehungen zwischen den Staaten zu fördern, die in dieser Gemeinschaft zusammengeschlossen sind.“18 Ob sich vor allem das letztgenannte Ziel des Art 2 EWG-V – die engere Beziehung zwischen den Staaten zu fördern − allein auf wirtschaftliche Aspekte bezog oder womöglich auch eine kulturelle Komponente umfasste ist strittig.19 Gestützt auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in der Rechtssache 36/74 (Walrave/Koch) vom 12. Dezember 1974, in welchem dieser feststellte, dass sportliche Betätigung nur dann der Gemeinschaftskompetenz unterliegt, wenn sie auch wirtschaftliche Fragestellungen berührt20, ist festzuhalten, dass sich die Kompetenz der Gemeinschaft auf die Wirtschaft beschränkt.21 Kulturelle Aktivitäten konnten unter

„Hebung der Lebenshaltung“ subsumiert werden, wenn sie in einem Kontext wirtschaftlicher Betätigung standen.22 Art 2 und Art 3 EWG-V enthielten somit ebenso

15 Schmahl, Die Kulturkompetenz der Europäischen Gemeinschaft (1996) 26.

16 Behrens, Kultur in der Europäischen Union (2000) 17.

17 Vgl. Schmahl, Kulturkompetenz 26f.

18 Abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/de/treaties/dat/11957E/tif/11957E.html (15.8.2009).

19 Vgl. Niedobitek, Kultur 292.

20 Vgl. Holthoff, Kulturraum Europa 74.

21 Vgl. Schmahl, Kulturkompetenz 27.

22 Vgl. Holthoff, Kulturraum Europa 74.

(12)

11 wenig wie die Präambel des EWG-V eine ableitbare Kulturkompetenz für die Gemeinschaft.

2.1.1.3Lückenklausel Art 235 EWG-V

Um es der EWG zu ermöglichen, die Vertragsziele auch dann zu erreichen, wenn der Vertrag die erforderlichen Handlungskompetenzen nicht enthielte, fand sich in den Schlussbestimmungen des Sechsten Teils des EWG-V die so genannte „Lückenklausel“

des Art 23523: „Erscheint ein Tätigwerden der Gemeinschaft erforderlich, um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes eines ihrer Ziele zu verwirklichen, und sind in diesem Vertrag die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht vorgesehen, so erläßt der Rat einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung der Versammlung die geeigneten Vorschriften.“24 Diese „für die Erschließung neuer Politikbereiche maßgebende[n]

Vorschrift“25 durfte jedoch nicht ohne weiteres für kulturelle Angelegenheiten, sondern nur für Maßnahmen, die einen ökonomischen Bezug aufweisen, herangezogen werden, da ansonsten „das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung bedeutungslos und der Art 235 EWG-V praktisch zu einer „kleinen Kompetenz-Kompetenz“ 26 umgemünzt worden wäre.

Die „Lückenklausel“ sollte nur Anwendung finden, um die nötigen Befugnisse für die Erreichung der gesetzten Ziele des Gemeinsamen Marktes zu erreichen; keinesfalls sollten durch Art 235 EWG-V neue Ziele definiert werden.27

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft weder, wie bereits in Kapitel 2.1 erwähnt, über ausdrückliche noch über aus dem Vertragstext ableitbare Rechtsetzungsbefugnisse im kulturellen Bereich verfügte.

2.1.2 Kultur als Bereichsausnahme

Es stellt sich folglich die Frage, ob der Kulturbereich eine Bereichsausnahme des Vertrages darstellte und daher als Politikbereich ausgeschlossen war.28 Im Vertragstext fanden sich keine Anhaltspunkte für eine solche ausdrückliche Bereichsausnahme. Die

23 Vgl. Holthoff, Kulturraum Europa 74.

24 Abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/de/treaties/dat/11957E/tif/11957E.html (15.8.2009).

25 Niedobitek, Kultur 290.

26 Schmahl, Kulturkompetenz 27.

27 Vgl. Schmahl, Kulturkompetenz 28.

28 Vgl. Holthoff, Kulturraum Europa 76.

(13)

12 Kompetenzen des EWG-V dienten der Erreichung der Vertragsziele und wiesen keine Sachbereiche zu, um ein flexibles und dynamisches Tätigwerden der Gemeinschaft zu ermöglichen. Folglich konnte die Gemeinschaft auch kulturelle Aktivitäten setzen, solange hierbei der Gedanke an den wirtschaftlichen Integrationsprozess im Vordergrund stand.

2.1.3 Gemeinschaftliche Aktivitäten im Kulturbereich

Obgleich die Organe der Gemeinschaften bis zur Einführung des „Kulturartikels“ durch den Vertrag von Maastricht 1992 keine Kulturkompetenzen besaßen, kam es schon in den 70er- und 80er-Jahren zur „Entfaltung einer umfassenden Kulturpolitik.“29 Zahlreiche Aktivitäten beruhten auf unsicheren oder gar nicht vorhandenen Rechtsgrundlagen und die Erklärungen zu den wirtschaftlichen Bezugspunkten kultureller Aktivitäten der Gemeinschaft sowie die Argumente für die Anwendung der „Lückenklausel“ wirken oft sehr bemüht und konstruiert.

Eine Datierung der ersten kulturellen Aktivitäten der EWG fällt schwer. Die Anfänge sind jedoch wohl in der Schlusserklärung der Gipfelkonferenz von Bonn 1961 zu finden, in der es heißt: „Die Zusammenarbeit der sechs muss über den politischen Rahmen im eigentlichen Sinn hinausgehen; sie wird sich insbesondere auf den Bereich des Unterrichtswesens, der Kultur und der Forschung erstrecken, wo sie durch die periodischen Zusammenkünfte der beteiligten Minister sichergestellt werden wird.“30 Die Bonner Schlusserklärung stellte somit schon früh unmissverständlich klar, dass eine politische Zusammenarbeit in wirtschaftlichen Fragen auf Dauer nicht ausreichen würde.31

In den 70er-Jahren wurde der Bereich der Kulturpolitik mit zunehmendem Maße bedeutsam:

Auf den Gipfelkonferenzen von Paris 1972 und Kopenhagen 1973 befassten sich die damals neun Staats- und Regierungschefs mit dem Thema, das sie als einen wichtigen Faktor für die Realisierung einer europäischen Identität und eines europäischen Bewusstseins und somit als eine Voraussetzung für die Europäische Gemeinschaft erachteten.32 Die Konferenz von Kopenhagen endete mit der Absichtserklärung zur

„Schaffung einer Europäischen Union“ und der Erklärung über die „Europäische

29 Vgl. Holthoff, Kulturraum Europa 79.

30 Vgl. Behrens, Kultur in der Europäischen Union 14.

31 Vgl. Holthoff, Kulturraum Europa 80.

32 Vgl. Schwencke, Das Europa der Kulturen – Kulturpolitik in Europa² (2006) 166.

(14)

13 Identität“.33 Mit dieser Erklärung wurde der entscheidende Terminus „Europäische Identität“ in die europäische Integration eingeführt, kulturelle Tätigkeiten der Gemeinschaft wurden nun als identitätsstiftende und gemeinschaftsfördernde Maßnahmen anerkannt.34

1974 forderte das Europäische Parlament (EP) als erstes Organ der EWG die Kommission dazu auf, Kultur in Europa aktiv zu fördern und hierfür auch Budgetmittel zur Verfügung zu stellen.35 Auf der Konferenz der Staats- und Regierungschefs der EG-Staaten in Paris im selben Jahr wurde die künftige Direktwahl des EP beschlossen und der damalige belgische Ministerpräsident Leo Tindemans damit beauftragt, einen Bericht über den Aufbau einer Europäischen Union zu erarbeiten, welcher im Jänner 1976 veröffentlicht wurde.36 Darin wies Leo Tindemans auf die Bedeutung der kulturellen Dimension als menschliche und soziale Konstituante des vereinten Europas hin und prägte den Begriff eines „Europas der Bürger“.37 Der Tindemans-Bericht38 ließ somit „das erstmalige Bewußtsein entstehen, auch auf dem Gebiet der Kultur Gemeinschaftsaktivitäten in Betracht zu ziehen.“39

Die Reaktion der Europäischen Kommission auf Tindemans‘ Bericht erfolgte bereits im darauffolgenden Jahr. 1977 legte sie dem Rat nach Billigung durch das EP40 den ersten kulturellen Aktionsplan der Gemeinschaften in Form der Mitteilung „Die Aktion der Gemeinschaft im kulturellen Bereich“ vor.41 Der inhaltliche Schwerpunkt der Mitteilung lag bei der Anwendung des EWG-V im kulturellen Bereich und der Suche nach der

„Legitimität mit der Beschäftigung im Kulturbereich.“42 Die Kommission bestritt in der Mitteilung, eine eigenständige Kulturpolitik betreiben zu wollen43 und wies darauf hin,

33 Vgl. Schwencke, Europa der Kulturen 434.

34 Vgl. Ratzenböck, EG-Kulturdokumentation³ (1993) 11.

35 Vgl. Holthoff, Kulturraum Europa 80.

36 Vgl. Schwencke, Europa der Kulturen 435.

37 Vgl. Blanke, Europa auf dem Weg zu einer Bildungs- und Kulturgemeinschaft (1994) 3.

38 Der Tindemans-Bericht behandelt nicht ausschließlich kulturelle Aspekte. Vielmehr stellt er eine politische Absichtserklärung dar, die das Ziel der Gründung einer „Europäischen Union“ verfolgt. Vgl. Schmahl, Kulturkompetenz 31.

39 Schmahl, Kulturkompetenz 31.

40 Vgl. Blanke, Bildungs- und Kulturgemeinschaft 90.

41 Vgl. Holthoff, Kulturraum Europa 81.

42 Niedobitek, Kultur 59f.

43 „Wie der kulturelle Bereich nicht die Kultur schlechthin ist, so ist auch die Aktion der Gemeinschaft im kulturellen Bereich keine Kulturpolitik.“

(15)

14 dass es ihr vor allem um die Lösung von wirtschaftlichen und sozialen Konflikten ginge.

Weiters forderte sie mehr Interesse der Gemeinschaften an den gesellschaftlichen und ökonomischen Aspekten der Kultur ein.44 Sämtliche bisherigen Tätigkeitsfelder der Gemeinschaften wurden in der Mitteilung angesprochen:45 Freier Handel mit Kulturgütern, Bekämpfung des Diebstahls von Kulturgütern, Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit von Kulturschaffenden, Steuerharmonisierung im kulturellen Bereich und Soziale Aspekte.

Daneben ist in der Mitteilung die Rede von „Sonstigen Maßnahmen“:46 Beitrag zur Erhaltung der Baudenkmäler, Förderung des Kulturaustausches, Zusammenarbeit zwischen den Kulturinstituten der Mitgliedstaaten und Förderung des sozio-kulturellen Bewußtseins in der Gemeinschaft. Die Mitteilung wurde von einer ersten Welle kultureller Aktivitäten auf Gemeinschaftsebene begleitet.47

Fünf Jahre nach ihrem ersten Tätigwerden im Bereich Kultur ergriff die Kommission 1982 erneut die Initiative mit der Mitteilung „Verstärkung der Gemeinschaftsaktion im Bereich Kultur“ an den Rat und das EP.48 Diesmal lag der Schwerpunkt bei Vorschlägen zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Kulturschaffenden, der Erschließung eines breiteren Publikums und der Erhaltung des architektonischen Erbes.49 Am Ende der 1970er-Jahre und zu Beginn der 1980er-Jahre befand sich die Gemeinschaft in einer tiefen Krise; ihr wurde „Eurosklerose“ diagnostiziert. Streit unter den Mitgliedstaaten (MS) und eine immer nationalstaatlicher werdende Denkweise blockierten bis zum Jahr 1984 die Politik der Gemeinschaft und insbesondere des Europäischen Rates.50

In den Jahren 1982 bis 1986 wurden erste vereinzelte Maßnahmen zu einer gemeinschaftsweiten, gemeinsamen Kulturförderung eingeleitet: Hierbei handelte es sich größtenteils um „symbolische Aktionen und Maßnahmen der damaligen EWG, die auf Breitenwirkung angelegt waren.“51 So wurde etwa 1985 mit der alljährlichen Benennung der „Kulturstadt Europas“ begonnen, ein „Europäisches Poesiefestival“ gegründet oder die

44 Vgl. Holthoff, Kulturraum Europa 81; Blanke, Bildungs- und Kulturgemeinschaft 90.

45 Vgl. Ratzenböck, EG-Kulturdokumentation 14.

46 Vgl. Ratzenböck, EG-Kulturdokumentation 14.

47 Vgl. Behrens, Kultur in der Europäischen Union 14.

48 Vgl. Schmahl, Kulturkompetenz 32.

49 Vgl. Blanke, Bildungs- und Kulturgemeinschaft 90; Schmahl, Kulturkompetenz 32.

50 Vgl. Ziegerhofer-Prettenthaler, Europäische Integrationsrechtsgeschichte (2004) 119.

51 Behrens, Kultur in der Europäischen Union, 15.

(16)

15 Restaurierung von Baudenkmälern von europäischer Bedeutung unterstützt.52 Der Mitteilung der Kommission folgte 1983 die gleichnamige Entschließung des EP, die heute auch als „Fanti-Bericht“ bekannt ist.53

Ebenfalls 1983 - immer noch im Zeitalter der „Eurosklerose“54 - verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs der MS der EG in Stuttgart die „Feierliche Deklaration zur Europäischen Union“, mit der ua eine engere kulturelle Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten beschlossen wurde.55

Seit 1982 fanden regelmäßige Treffen der für Kultur zuständigen MinisterInnen der MS statt.56 1983 wurde eine Dienststelle für Kulturfragen eingerichtet und 1984 nahm der KulturministerInnenrat der Gemeinschaft seine Arbeit auf.57 Erst im November 1988 setzte die Kommission „im Hinblick auf die künftige Entwicklung der Aktion im kulturellen Bereich“ 58 einen Beratenden Ausschuss ein, der dem Kulturministerrat zuarbeitete. Bereits im darauffolgenden Jahr verabschiedete der Beratende Kulturausschuss seinen Schlussbericht mit dem Titel „Kultur für den Bürger des Jahres 2000“ und der Kernaussage „Kultur – eine conditio sine qua non für die Europäische Gemeinschaft“.59 Die Einheitliche Europäische Akte (EEA) wurde 1986 unterzeichnet und trat 1987 in Kraft. Die EEA stellte eine erste Änderung der Verträge von Rom dar, deren Hauptziel die Vollendung des Binnenmarktes bis 1992 war.60 Für den Kulturbereich brachte sie jedoch keine Änderungen mit sich.

Eine dritte kulturpolitisch relevante Mitteilung der Kommission an den Rat und das EP erfolgte 1987. Sie trug den Titel „Neue Impulse für die Aktion der Gemeinschaft im kulturellen Bereich“.61 Die Mitteilung schlug ein Rahmenprogramm für die kulturelle Betätigung der Gemeinschaft für den Zeitraum 1988 bis 1992 vor, welches in fünf Hauptbereiche gegliedert war:62

52 Vgl. Behrens, Kultur in der Europäischen Union. 15.

53 Vgl. Holthoff, Kulturraum Europa 84.

54 Vgl. Ziegerhofer-Prettenthaler, Europäische Integrationsrechtsgeschichte 119.

55 Vgl. Holthoff, Kulturraum Europa 83.

56 Vgl. Schmahl, Kulturkompetenz 32.

57 Vgl. Holthoff, Kulturraum Europa 82.

58 Vgl. Niedobitek, Kultur 69.

59 Vgl. Schwencke, Europa der Kulturen 262f.

60 Vgl. Thun-Hohenstein/Cede/Hafner, Europarecht6 (2008) 8.

61 Vgl. Blanke, Bildungs- und Kulturgemeinschaft 90.

62 Vgl. Blanke, Bildungs- und Kulturgemeinschaft 90f.

(17)

16

− Schaffung eines europäischen Kulturraumes

− Förderung der audiovisuellen Industrie

− Zugang zu kulturellen Ressourcen

− Aus- und Weiterbildung im kulturellen Bereich

− Kultureller Dialog mit der übrigen Welt.

Unter anderem wurde 1990 aufgrund dieses Rahmenprogrammes der „Europäische Kulturmonat“ eingeführt und 1991 startete das erste MEDIA Programm zur Förderung der audiovisuellen Industrie in Europa.63

1992 erfolgten – bereits auf den Vertrag von Maastricht ausgerichtet und in voller Kenntnis der Neuerungen, die dieser Vertrag für den Kultursektor mit sich bringen würde – die Mitteilung der Kommission an den Rat, das EP und den Wirtschafts- und Sozialausschuss mit dem Titel „Neues Kulturkonzept der Gemeinschaft“ und die gleichnamige Entschließung des EP, der so genannte „Barzanti-Bericht“.64 Diese beiden Dokumente belegen, dass die Organe sich mittlerweile um eine stärkere Steuerung kultureller Aktivitäten in Europa bemühten.65

Zu Beginn der 90er-Jahre entfaltete sich also auf europäischer Ebene eine vielfältige Kulturförderung, die sich nicht mehr auf Randbereiche beschränken ließ, sondern, losgelöst von ökonomischen Fragestellungen, an der Entstehung eines „Europas der Bürger“ teilhaben wollte. Der offenkundige Wegfall des wirtschaftlichen Faktors in der Kulturpolitik brachte jedoch die problematische Frage nach einer neuen Ermächtigungsgrundlage mit sich, die Rechtsverbindlichkeit der Entschließungen von Rat und EP waren umstritten und die Kommission musste sich mehrmals „den Vorwurf des

„Ultra-vires-Handelns“ gefallen lassen.“66

2.1.4 Ausgewählte bedeutende Dokumente auf dem Weg zum „Kulturartikel“

Wie auch bereits aus dem vorigen Kapitel hervorgeht, beschäftigten sich die Organe der EG schon vor Schaffung einer Kompetenzgrundlage mit kulturellen Themen. Je ein

63 Vgl. Kulturpolitische Gesellschaft e.V. (Hrsg), Europa fördert Kultur: Aktionen – Programme – Kontakte;

ein Handbuch zur Kulturförderung der Europäischen Union (2002) 17.

64 Vgl. Behrens, Kultur in der Europäischen Union 16; Schwencke, Europa der Kulturen 183.

65 Vgl. Behrens, Kultur in der Europäischen Union 16.

66 Holthoff, Kulturraum Europa 82.

(18)

17 wichtiges Dokument des Europäischen Rates, des EP und der Kommission soll im Folgenden erörtert werden.

2.1.4.1„Feierliche Deklaration zur Europäischen Union“

Die „Feierliche Deklaration zur Europäischen Union“ 67 wurde vom Europäischen Rat, also von den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten, auf der Tagung in Stuttgart am 19. Juni 1983 unterzeichnet.68 Die Deklaration des Rates beinhaltet unter Punkt 1.4.3 das Ziel, „eine engere kulturelle Zusammenarbeit [zu fördern], um das Bewußtsein eines gemeinsamen kulturellen Erbes als Teil der europäischen Identität zu festigen“. Die Phrase

„gemeinsames kulturelles Erbe“ findet sich wieder im heutigen Art 151 I EGV: „Die Gemeinschaft leistet einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter […] Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes.“ Zudem findet sich in der

„Stuttgarter Deklaration“ ein eigenes Kapitel über die kulturelle Zusammenarbeit, worin der Europäische Rat bekundet, unter anderem folgende Bereiche zu fördern, anzuregen oder zu erleichtern:

− Entwicklung einer Europäischen Stiftung und des Europäischen Hochschulinstitutes

− Engere Zusammenarbeit zwischen den Hochschuleinrichtungen, einschließlich des Austausches von Lehrkräften und Studierenden

− Ausbau des Sprachunterrichts

− Verbesserung der Kenntnisse über die anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft

− Bessere Unterrichtung über die Geschichte und Kultur Europas im Hinblick auf die Förderung eines europäischen Bewusstseins

− Prüfung der Zweckmäßigkeit einer gemeinsamen Aktion, um das kulturelle Erbe zu schützen, zur Geltung zu bringen und zu wahren

− Prüfung der Möglichkeit einer Förderung gemeinsamer Tätigkeiten bei der Verbreitung der Kultur

67 Abgedruckt in: Schwencke, Europa der Kulturen 171ff.

68 Vgl. Schwencke, Europa der Kulturen 171.

(19)

18 Der Europäische Rat hat mit dieser Deklaration also schon Bereiche angesprochen, die erst neun Jahre später im Vertrag von Maastricht 1992 ihren Niederschlag finden sollten.69 2.1.4.2„Entschließung des EP über die Verstärkung der Gemeinschaftsaktion im Bereich

Kultur“70

Das EP wurde seiner wichtigen Rolle, die es von Beginn der gemeinschaftlichen kulturellen Betätigung an gespielt hatte, auch bei der Konsolidierung dieser Politik in den achtziger Jahren gerecht.71 1983 legte das EP seinen Kulturbericht zur Verstärkung der Gemeinschaftsaktion im Bereich Kultur vor.72 Zunächst bestätigt die Entschließung, dass die Gemeinschaftsaktion im kulturellen Bereich rechtlich gesehen mit den Bestimmungen des EWG-Vertrages im Einklang steht.

Der wohl bedeutendste Punkt war die zunächst bescheiden wirkende „1-Prozent- Forderung“, wobei ein Prozent des EG-Budgets als Richtwert für die kulturellen Aktivitäten der Gemeinschaft anberaumt wurde, ein Ziel, das heute in etwa verwirklicht ist.73 Weiters enthält die Entschließung unter anderem die Forderung nach Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Kulturschaffenden74 und nach einem „Pass der europäischen Kulturschaffenden“. Dieser sollte wirtschaftliche und soziale Vorteile für Kulturschaffende mit sich bringen, ihnen leichteres und billigeres Reisen ermöglichen und dadurch zu einer Verstärkung des kulturellen Austauschs zwischen den Ländern der Gemeinschaft beitragen.75 Als weiteren wichtigen Punkt hebt die Entschließung die Erhaltung und den Schutz von Kulturgütern hervor, ein Anliegen, das sich im Maastrichter Kulturartikel in der Formulierung „Erhaltung und Schutz des kulturellen Erbes von europäischer Bedeutung“ wiederfindet.76 Die Entwicklung kulturpolitischer Maßnahmen sollte weiters die Kooperationsmöglichkeiten der Kulturinstitutionen ausbauen und internationale Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern fördern. Diese Ziele sind heute in Art 151 III EGV verwirklicht: „Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten fördern die

69 Vgl. Holthoff, Kulturraum Europa 83.

70 Abgedruckt in: Schwencke, Europa der Kulturen 173ff.

71 Vgl. Niedobitek, Kultur 73.

72 Vgl. Schwencke, Europa der Kulturen 167.

73 Vgl. Holthoff, Kulturraum Europa 84.

74 Vgl. Art 151 II, 4. Spiegelstrich EGV.

75 Vgl. Art 151 II, 3. Spiegelstrich EGV.

76 Vgl. Art 151 II, 2. Spiegelstrich EGV.

(20)

19 Zusammenarbeit mit dritten Ländern und den für den Kulturbereich zuständigen internationalen Organisationen, insbesondere mit dem Europarat.“

2.1.4.3„Mitteilung der Kommission über das neue Kulturkonzept der Gemeinschaft“77 Mit der Formulierung dieses neuen Kulturkonzeptes war für die EG am 29. April 1992, wenige Monate vor der Ratifikation des Maastrichter Vertrages, der Wendepunkt der gemeinschaftlichen Kulturpolitik erreicht: Die Kommission stellte fest, dass die bisherige, überwiegend wirtschaftliche Ausrichtung des kulturellen Integrationsprozesses überwunden werden musste und nahm damit bereits Art 128 (heute Art 151) EGV vorweg.78

Wieder wurde in dieser Mitteilung, wie auch in den beiden zuvor aufgeführten Dokumenten, auf die Bedeutung des kulturellen Erbes hingewiesen.79 Im Kulturartikel finden sich bis heute wortwörtlich aus dieser Mitteilung der Kommission entlehnte Wendungen, wie „Unterstützung des künstlerischen und literarischen Schaffens“80 oder

„nichtkommerzieller Kulturaustausch“.81

Die Kommission stellte fest, dass das Jahr 1992 den Beginn einer neuen Epoche darstellt,

„die die Gemeinschaft in erster Linie dazu nutzen sollte, den Arbeitsrahmen für ihr neues Kulturkonzept abzustecken.“ Weiters forderte die Kommission die systematische Einbeziehung der kulturellen Dimension in die Politiken und Programme der Gemeinschaft und, dass dabei allen kulturellen Besonderheiten Rechnung getragen werde, da diese Wesen und Reichtum Europas ausmachen.

Die drei eben behandelten Dokumente europäischer Organe zeigen beispielhaft, wie sich die EG schon bevor sie über eine tatsächliche Kompetenz im Kulturbereich verfügte, mit kulturellen Tätigkeiten befasste. Der mit dem Vertrag von Maastricht eingeführte Art 128, der Kulturartikel, war 1992 daher keine Neuerfindung. Vielmehr finden sich die Vorläufer für die Formulierungen des heutigen Art 151 EGV ua in den erwähnten Entschließungen und Mitteilungen der europäischen Organe.82

77 Abgedruckt in: Schwencke, Europa der Kulturen 179ff.

78 Vgl. Holthoff, Kulturraum Europa 85f.

79 Vgl. Art 151 I EGV.

80 Vgl. Art 151 II, 4. Spiegelstrich EGV.

81 Vgl. Art 151 II, 3. Spiegelstrich EGV.

82 Vgl. Holthoff, Kulturraum Europa 82.

(21)

20 2.2 Die vertragliche niedergelegte Kulturkompetenz der EG

2.2.1 Der Vertrag von Maastricht

Der am 7. Februar 1992 unterzeichnete und am 1. November 1993 in Kraft getretene Vertrag von Maastricht stellt eine Fortsetzung und Vertiefung des europäischen Integrationsprozesses dar, der nun erstmals über wirtschaftliche Aspekte hinaus reicht.83 Durch die Errichtung der Europäischen Union als „Dach“ über den fortbestehenden Gemeinschaften EG (vormals EWG), EGKS und EAG wurde ein einheitlicher institutioneller Rahmen für die Zusammenarbeit zwischen den MS geschaffen.84 Neben der Schaffung der zweiten und dritten Säule der EG (Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (ZBJI)) und der Gründung der Währungsunion85 erlangten vor allem die Absichtserklärung zur Schaffung einer „Unionsbürgerschaft“86 und die Einführung der Art 126 – 129 EGV über Bildung, Kultur und Gesundheitswesen Bedeutung. Die Gemeinschaft verlor mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Maastricht ihren rein wirtschaftlichen Charakter und erreichte eine neue, „politische und kulturelle Dimension“.87 Mit der Aufnahme des Titels IX „Kultur“ in den EGV änderte sich die Zuständigkeit der EU auf dem Gebiet der Kultur grundlegend:88 Die über Jahrzehnte durchgeführte Betätigung der Gemeinschaft wurde mit der Einführung des Art 128 EGV erstmals auf eine rechtliche Grundlage gestellt.89 Doch mit der neuen Kompetenzgrundlage war nicht nur die Legitimierung von bereits seit vielen Jahren durchgeführten gemeinschaftlichen Aktionen im Kulturbereich bezweckt; den MS war es ebenso wichtig, dass eine solche Kompetenz nicht dazu führen durfte, die nationalen Kulturen zu verdrängen.90 „Durch die Einführung des Art 128 EGV [wurden]

deshalb einige bereits von der Gemeinschaft in Anspruch genommene Befugnisse im Kulturbereich abgerundet, aber auch beschränkt.“91 So heißt es im heutigen Art 151 I EGV: „Die Gemeinschaft leistet einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der

83 Vgl. Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht 15.

84 Vgl. Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht 15; Schmahl, Kulturkompetenz 35.

85 Vgl. Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht 15.

86 Vgl. Schwencke, Europa der Kulturen 263.

87 Schmahl, Kulturkomptenz 36.

88 Vgl. Schmahl, Kulturkompetenz 35.

89 Vgl. Blanke, Bildungs- und Kulturgemeinschaft 101.

90 Vgl. Schmahl, Kulturkompetenz 37.

91 Schmahl, Kulturkompetenz 37.

(22)

21 Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt sowie gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes.“

2.2.2 Der Vertrag von Amsterdam

Dem Vertrag von Maastricht folgte 1997 die Unterzeichnung des Vertrages vom Amsterdam, dessen Ziel die Vorbereitung der EU auf die kommende Erweiterung war.92 Dieser Änderungsvertrag enthielt einige Modifikationen und Ergänzungen – auch in Hinblick auf die Kultur – und führte eine völlig neue Nummerierung der Artikel ein. Der Kulturartikel, bisher als Art 128 bezeichnet, trägt seit dem Inkrafttreten des Vertrages vom Amsterdam am 1. Mai 1999 die Bezeichnung Art 151 EGV.

2.2.3 Der Vertrag von Nizza und der Vertrag von Lissabon

Der Vertrag von Nizza, welcher auch heute noch geltendes Recht darstellt, trat mit 1.

Februar 2003 in Kraft, brachte jedoch im Bereich der Kulturkompetenz keine Neuerungen.

Bereits zwei Jahre zuvor war unter der Leitung von Valéry Giscard d’Estaing der

„Konvent zur Zukunft Europas“ („Verfassungskonvent“) mit dem Auftrag eingesetzt worden, einen Entwurf für eine europäische Verfassung vorzubereiten. Der 2003 veröffentlichte Konventsentwurf wurde zur Grundlage für den 2004 vorgelegten, gescheiterten Vertrag über eine Verfassung für Europa sowie für den Vertrag von Lissabon 2007.93 Abgesehen von der Entschärfung des Einstimmigkeitserfordernisses in Art 151 V EGV94 und einer neuen Nummerierung hat sich der Kulturartikel jedoch bis zum heutigen Tag nicht substantiell verändert, weshalb im Folgenden eine ausführlichere Analyse des geltenden Art 151 EGV erfolgen soll.

92 Vgl. Schwencke, Europa der Kulturen 261.

93 Vgl. Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht 16.

94 Vgl. CEP Centrum für europäische Politik, Gegenüberstellung: Vertrag von Nizza – Vertrag von Lissabon, http://www.cep.eu/fileadmin/user_upload/Kurz-Analysen/Vergleich_Reformvertrag_-_Vertrag_von_Nizza_- _Verfassung/Gegenueberstellung_Verfassung_Stand_Oktober_2007_endgueltig.pdf (20.8.2009).

(23)

22

3 Artikel 151 EGV: Eine Analyse des Kulturartikels

Art 151 EGV normiert die kulturelle Tätigkeit der EU und definiert für den Bereich Kultur das Verhältnis der MS zur Gemeinschaft.95 Er enthält Handlungsvorschriften und Tätigkeitsbereiche und legt die Außenbeziehungen der Gemeinschaft fest. Art 151 IV EGV enthält die sogenannte „Kulturverträglichkeitsklausel“ und in Abs V sind die verfahrensrechtlichen Bestimmungen für die kulturellen Aktivitäten der Gemeinschaft niedergelegt.

3.1 Der Kulturbegriff

Art 151 definiert den Begriff Kultur nicht, er setzt vielmehr eine Auslegung davon voraus.96 Da sich aber auch im übrigen Gemeinschaftsrecht keine Legaldefinition von Kultur finden lässt,97 muss an dieser Stelle vorerst auf andere Definitionen zurückgegriffen werden. Vorweg soll gesagt sein, dass Ausdrücke wie „Kultur“ eine gewisse Bandbreite an Bedeutungen haben können, die von diversen Faktoren, wie den Intentionen, dem Kontext oder dem Zweck ihrer Anwendung abhängig sind.98 Der britische Anthropologe Edward B.

Taylor versuchte erstmals 1871 den Terminus zu erklären. Für ihn stellt Kultur ein komplexes Ganzes dar, das Wissen, Kunst, Glauben, Moral, Gesetze, Gebräuche und andere Fähigkeiten und Gewohnheiten umfasst, die sich ein Mensch als Teil einer Gesellschaft erwirbt.99

Die mannigfachen späteren Definitionsversuche von Kultur reichen von der relativ engen Auslegung, dass Kultur durch „values of beauty, goodness and truth, values which cannot be expressed in terms of money, even though they may […] of necessity have a price expressible in money”100 über diejenige der UNESCO, welche besagt, dass Kultur die

„Gesamtheit der unverwechselbaren geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Eigenschaften […], die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen [und die]

über Kunst und Literatur hinaus auch Lebensformen, Formen des Zusammenlebens,

95 Vgl. Fechner in von der Groeben/Schwarze (Hrsg), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft6 (2003), Vorbemerkung zu Art 151 EGV, Rz 1.

96 Vgl. Berggreen-Merkel, Die rechtlichen Aspekte der Kulturpolitik nach dem Maastrichter Vertrag (1995) 11.

97 Vgl. Holthoff, Kulturraum Europa 90.

98 Vgl. Loman/Mortelmans/Post/Watson, Culture and Community Law. Before and after Maastricht (1992) 2.

99 Vgl. Wenzel, Die Informationsgesellschaft in Europa, in Floirmair (Hrsg), Kultur und Identität in Europa, (1996) 144.

100 Thieme, zitiert nach Niedobitek, The Cultural Dimension in EC Law (1997) 63.

(24)

23 Wertesysteme, Traditionen und Überzeugungen umfasst“101 bis hin zur wohl weitreichendsten Begriffsbestimmung, dass man alles Kultur nennen kann, „was durch menschliches Handeln entsteht im Unterschied zu dem, was von Natur aus ist.“102 Sogar anhand dieser kleinen Auswahl an Interpretationsversuchen lässt sich bereits erkennen, dass der Begriff „sich inzwischen fast bis zur Unkenntlichkeit zerfasert hat und alles und jedes Kultur genannt wird.“103

Eine rechtliche Definition von Kultur im Gemeinschaftsrecht kommt ebenfalls einer Quadratur des Kreises gleich.104 Art 151 II EGV zählt einzelne Bereiche auf, doch eine Interpretation dieser Liste als enumerative Aufzählung würde eine Weiterentwicklung erschweren, weshalb im Gemeinschaftsrecht ein dynamischer Kulturbegriff erforderlich ist.105

Traditionell verstehen die MS unter Kultur und Kulturpolitik die Bereiche Bildung, Wissenschaft und Kunst.106 Die Bereiche der Bildung und Wissenschaft sind im EGV in eigenen Artikeln (Art 149f EGV und Art 163-173 EGV) selbstständig geregelt.107 Mit dem Wortlaut des Art 151 EGV wurde ein pragmatischer Ansatz gewählt, der auf tradierte nationale Kulturbegriffe abstellt, weshalb unter Kultur die Disziplinen Literatur, Musik, darstellende und bildende Kunst (Theater, Tanz, Film, audiovisuelle Kunst) sowie die Denkmalpflege, das Brauchtum und der Rundfunk (Hörfunk/Fernsehen) zu verstehen sind.108

3.2 Art 151 I EGV: Der Beitrag der Gemeinschaft zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten

„Die Gemeinschaft leistet einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt sowie gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes.“

101 Präambel der „Allgemeinen Erklärung zur kulturellen Vielfalt“, abrufbar unter:

http://www.unesco.de/443.html?&L=0 (22.8.2009).

102 Hommes, Über den kulturellen Anspruch Europas, in Floimair (Hrsg), Kultur und Identität in Europa 162.

103 Hommes, Über den kulturellen Anspruch Europas, in Floimair (Hrsg) Kultur und Identität in Europa 161.

104 Vgl. Blanke in Callies/Ruffert (Hrsg), EUV/EGV³ (2007), Art 151 EGV Rz 2.

105 Vgl. Fechner in von der Groeben/Schwarze (Hrsg), Kommentar, Art 151 EGV Rz 17.

106 Vgl. Sparr in Schwarze (Hrsg), EU-Kommentar² (2009), Art 151 EGV Rz 5.

107 Vgl. Holthoff, Kulturraum Europa 92.

108 Vgl. Holthoff, Kulturraum Europa 91f.

(25)

24 3.2.1 Verhältnis der Gemeinschaft zu den Mitgliedstaaten

Im ersten Abs von Art 151 EGV kommt die zentrale kulturpolitische Aufgabe der Gemeinschaft zum Ausdruck: Die Wahrung und Förderung der Kulturen der Mitgliedstaaten.109 Gleichzeitig wird das gemeinsame kulturelle Erbe betont. Die Aufgabe der Gemeinschaft ist somit weder die Schaffung einer europäischen Einheitskultur anstelle der nationalen und regionalen Kulturen, noch die alleinige Betonung der Vielfalt. Vielmehr stehen Gemeinsames und Vielfältiges in einem „festen Zusammenhang.“110

Die EU hat laut Abs I „einen Beitrag zu leisten“. Die Kulturpolitik der Gemeinschaft soll jene der MS fördern und diesen zur Entfaltung verhelfen. Damit ist klar, dass die Aufgabe der Gemeinschaft im Wesentlichen darin besteht, die mitgliedsstaatliche Kulturarbeit zu fördern.111 Diese ergänzende Kulturkompetenz ist ein Ausfluss des in Art 5 II EGV niedergelegten Subsidiaritätsprinzips, welches vor allem für den Kulturbereich für bedeutsam erkannt wird.112 Danach darf die Gemeinschaft nur an zwei Bedingungen geknüpft kulturpolitisch tätig werden: Die Pflege und Erhaltung der Kulturen der MS wird von diesen nicht ausreichend wahrgenommen und die Gemeinschaft kann die Aufgabe besser bewerkstelligen, als der jeweilige MS dies könnte.113 Etwaige Konflikte zwischen den Kulturpolitiken der MS und der EU dürften in der Praxis jedoch aufgrund des – noch geltenden – Einstimmigkeitserfordernisses des Art 151 V EGV ausgeschlossen sein.114

3.2.2 Wahrung der nationalen und regionalen Vielfalt der MS

Die Formulierung beschränkt die Handlungsmöglichkeiten der Gemeinschaft115 und macht deutlich, dass der Bezugspunkt der gemeinschaftlichen Kulturpolitik die kulturellen Vorstellungen der MS sind.116 Art 151 I EGV unterstreicht jedoch nicht nur die nationale Kulturvielfalt, sondern betont ausdrücklich die Erhaltungswürdigkeit von Kultur von regionaler Bedeutung, womit wohl auch über Binnengrenzen hinweggehende Regionen

109 Fechner in von der Groeben/Schwarze (Hrsg), Kommentar, Art 151 EG, Rz 2f.

110 Schwencke, Europa der Kulturen 265.

111 Vgl. Holthoff, Kulturraum Europa 93.

112 Vgl. Fechner in von der Groeben/Schwarze (Hrsg), Kommentar, Art 151 EG, Rz 5.

113 Vgl. Fechner in von der Groeben/Schwarze (Hrsg), Kommentar, Art 151 EG, Rz 5; Berggreen-Merkel, Kulturpolitik 13.

114 Vgl. Sparr in Schwarze (Hrsg), EU-Kommentar, Art 151 EGV Rz 9.

115 Vgl. Holthoff, Kulturraum Europa 94.

116 Vgl. Schmahl, Kulturkompetenz 201.

(26)

25 gemeint sind.117 Aufgrund des „Fehlens hinreichend konkreter Handlungsvorgaben kann die Gemeinschaft allerdings nicht in justitiabler Weise auf bestimmte Maßnahmen zur Erhaltung gefährdeter Kulturen festgelegt werden.“118

3.2.3 Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes

Neben dem Ausdruck Kulturen der MS findet sich in Art 151 I EGV auch die Wendung gemeinsames kulturelles Erbe. Hierbei ist auffällig, dass der Begriff „europäische Kultur“

vermieden wurde, obwohl noch wenige Jahre vor Schaffung des Kulturartikels im Aktionsprogramm der Kommission von einer solchen die Rede war.119

Die Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes dient einerseits der Förderung der weiteren Integration und der Stiftung von europäischer Identität, andererseits stellt sie auch klar, dass das Bewusstsein für die gemeinsame Basis einer europäischen Kultur, auf der das Individuelle gedeihen kann, gefördert werden muss.120 Die Grundaussage lautet somit

„gemeinsamer Kern mit individuellem Aufbau statt eines europäischen Überbaus“121, die gemeinschaftliche Kulturpolitik darf jedoch keinesfalls zu Lasten der kulturellen Vielfalt gehen.122

3.3 Art 151 II EGV: Die konkreten Kompetenzen der Gemeinschaft im Kulturbereich

„Die Gemeinschaft fördert durch ihre Tätigkeit die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und unterstützt und ergänzt erforderlichenfalls deren Tätigkeit in folgenden Bereichen:

Verbesserung der Kenntnis und Verbreitung der Kultur und Geschichte der europäischen Völker;

Erhaltung und Schutz des kulturellen Erbes von europäischer Bedeutung;

nichtkommerzieller Kulturaustausch;

künstlerisches und literarisches Schaffen, einschließlich im audiovisuellen Bereich.“

117 Vgl. Fechner in von der Groeben/Schwarze (Hrsg), Kommentar, Art 151 EG, Rz 12.

118 Sparr in Schwarze (Hrsg), EU-Kommentar, Art 151 EGV Rz 12.

119 Vgl. Holthoff, Kulturraum Europa 94f.

120 Vgl. Sparr in Schwarze (Hrsg), EU-Kommentar, Art 151 EGV Rz 13.

121 Sparr in Schwarze (Hrsg), EU-Kommentar, Art 151 EGV Rz 13.

122 Vgl. Schmahl, Kulturkompetenz 202.

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