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Im Zuge der Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Identität muss man sich zuerst auf die Suche nach Gemeinsamkeiten machen. Eine Auswahl an möglichen verbindenden Werten und Anschauungen hat Wolf Bloemers zusammengestellt: Er betont die Verschränkung von Politik, Geschichte, Kultur, Religion und Bildung bei der Definition gemeinsamer Werte, wenn er auf die antike Kultur römischer Kaiser, die Christianisierung durch die Klöster, die Hanse, die Kreuzzüge, Reformation und Gegenreformation, die lateinische Sprache, militärische Bündelung gegen die Türken und die Gründung von Universitäten hinweist. Ebenso sieht er die Menschenrechte, Demokratie, Geldwirtschaft, Herrschaft des Rechts, Aufklärung, Kapitalismus, universale Wissenschaft, Freiheitsrechte und die Humanitätsidee als gemeinsame Werte und Ordnungen an. 326

Vielfach findet sich in der Literatur die Meinung, Europa sei keine geografische Größe, sondern aus dem Einfluss dreier Städte bzw Regionen entstanden: Die Essenz, der Ursprung Europas, finde sich in Athen, Rom und Jerusalem.327

324 Vgl. Walkenhorst, Europäischer Integrationsprozeß 191f.

325 Vgl. Cerutti, Politische und kulturelle Identität,

http://www.fes-online-akademie.de/download.php?d=cerutti_identitaet.pdf (5.8.2009)

326 Vgl. Bloemers in Bloemers/Hajkova (Hrsg), Richtung Inklusion in Europa (2006) 44f.

327 Vgl. Belafi, Die christliche Identität Europas- Die Anerkennung einer Tatsache und ihr Nutzen für die Gesellschaft, in Krienke/Belafi (Hrsg), Identitäten in Europa – Europäische Identität (2007) 50.

64 Jean-Claude Trichet zitierte in seiner Rede am Center for Financial Studies im März 2009 aus dem 1924 von Paul Valéry verfassten Essay „L‘Èuropéen“ („Der Europäer“): „Partout où les noms de César, de Gaius, de Trajan et de Virgile, partout où les noms de Moïse et de St Paul, partout où les noms d‘Aristote, de Platon et d‘Euclide ont eu une signification et une autorité simultanées, Là est l’Europe.“328 Dem ersten deutschen Bundespräsidenten, Theodor Heuss, werden folgende Worte zugeschrieben: „Europa ist auf drei Hügeln errichtet worden, der Akropolis von Athen, auf dem Kapitolinischen Hügel in Rom und auf Golgatha in Jerusalem.“329 Um es dezidiert zu sagen, gründet sich Europa aufgrund dieser Zitate auf die griechische Philosophie, das römische Recht und den christlichen Glauben.

Matthias Belafi spricht sich für das Christentum als dominanten Identitätsfaktor Europas aus und meint, dass es aus der europäischen Wissenschaftsgeschichte, aus den Traditionen und aus Kunst, Architektur und Literatur nicht weggedacht werden kann, sondern vielmehr Grundlage für Motivation, Inspiration und Verständnis ist. Der Jahres- und somit Lebensrhythmus ist von christlichen Festen und Feiertagen geprägt; kurzum hat laut Belafi nichts so sehr Europa beeinflusst, wie das Christentum. 330

In den Rechtsakten der europäischen Institutionen sind Verweise auf Europa als christliche Gemeinschaft oder als christliches Abendland nicht zu finden, vielmehr entschied man sich auch nach der letzten kontroversen Diskussion im Rahmen des Verfassungskonventes gegen die Aufnahme der Wendung „christlich-jüdischer Werte und Wurzeln“ in die Verfassung.331

Rémi Brague definierte die kulturellen Außengrenzen Europas anhand der historischen Bruchlinien zur islamischen und zur orthodoxen Welt, während etwa die Grenzen zwischen der katholischen und den reformierten Kirchen innerhalb Europas verlaufen.

Daraus schließt Brague, dass die beiden Letzteren „entschieden europäisch“ sind. Solche Aussagen sind auf zweierlei Weise gefährlich: Einerseits unterschlagen sie die Bedeutung der Säkularisierung und andererseits wird durch diese Trennung das Bestehen der

328 Trichet, Europa – kulturelle Identität – kulturelle Vielfalt,

http://www.ecb.int/press/key/date/2009/html/sp090316_1.de.html (5.8.2009).

Übersetzung: „Überall dort, wo die Namen von Cäsar, von Gaius, von Traian und Virgil, überall dort, wo die Namen von Moses und dem Hl. Paulus, überall dort, wo die Namen von Aristoteles, von Platon oder Euklid Bedeutung und Autorität besitzen, da ist Europa.“

329 Belafi, Die christliche Identität Europas, in Krienke/Belafi (Hrsg), Identitäten in Europa 50.

330 Vgl. Belafi, Die christliche Identität Europas, in Krienke/Belafi (Hrsg), Identitäten in Europa 49f.

331 Vgl. Quenzel, Konstruktionen von Europa. Die europäische Identität und die Kulturpolitik der Europäischen Union (2005) 195.

65 historischen Konfliktlinien neuerlich hervorgehoben und damit die Entstehung einer europäischen Gemeinschaft behindert.332

Bei der Suche nach Verbindendem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass auch Unterschiede ein Spezifikum Europas sind. In zunehmendem Maße sind etwa Regionalisierungsbestrebungen in Spanien oder Belgien, religiöse Segregation zwischen Islam und Christentum, politisch-rechtliche Entzweiungen oder eine Kluftvergrößerung zwischen Arm und Reich zu beobachten.333 Vermeintliche Gemeinsamkeiten können nicht nur identitätsstiftend für Europa sein, sondern auch als ausgrenzende Kriterien dienen:

Man denke hierbei etwa an eine identitätsstiftende Religion, eine Debatte, die mit den Beitrittsbestrebungen der Türkei zur Europäischen Union ebenfalls wieder neu aufgeflammt ist oder an die Geographie, die Europa einerseits als Kontinent eint, andererseits – vor allem im Osten – reichlich ausgefranst ist.334 Doch auch an den anderen Außengrenzen Europas ist eine eindeutige geographische Definition oft nicht möglich und diese natürlichen Grenzen werden aufgrund politischer Zugehörigkeiten durchbrochen; als Beispiele hierfür dienen Spitzbergen, Grönland oder die Kanarischen Inseln.335

Neben einer geografischen, religiösen, ethnischen und wertorientierten Identitätsbildung sieht Gudrun Quenzel ua die Konstruktion einer „negativen Erinnerungsgesellschaft“ als eine Möglichkeit, Europa zu definieren und zu konstruieren. Die Geschichte mit all ihren Kriegen und Katastrophen, mit Unterdrückung und Leid, TäterInnen und Opfern als gemeinsames europäisches Erbe darzustellen, wäre, so Quenzel, ein mutiger Schritt. Der Rat nennt Kolonialismus, Imperialismus, Kriege und Genozid naturgemäß nicht als identitätskonstruierende Erlebnisse und über lange Zeit beschränkte sich die Darstellung der europäischen Geschichte auf die Vermittlung von deren positiven Seiten. Doch auch eine negative Erinnerungsgemeinschaft, also ein gemeinsames Erinnern negativer geschichtlicher Ereignisse, kann für eine europäische Gemeinschaft identitätsstiftend sein.336

332 Vgl. Nowotny, Ethnos oder Demos? Ideologische Implikationen im Diskurs der „europäischen Kultur“, http://eipcp.net/transversal/1100/nowotny/de (12.9.2009).

333 Vgl. Bloemers in Bloemers/Hajkova (Hrsg), Richtung Inklusion 46.

334 Vgl. Guérot, Die Europäische Union zwischen Identität und Interesse, in Anhelm (Hrsg), Was ist europäische Identität im Europa der Kulturen? Oder: Wozu brauchen wir europäische Kulturpolitik? 50.

Loccumer Kulturpolitisches Kolloquium (2006) 50f.

335 Vgl. Quenzel, Konstruktionen von Europa 99.

336 Vgl Quenzel, Konstruktionen von Europa 200, 251.

66 6.2.3 Die Werte der BürgerInnen und ihre Verbundenheit mit der EU

Auch begrenztere Räume als die EG, etwa lokale, regionale oder nationale, können als Identifikationsräume dienen,337 wie es die Ergebnisse im Eurobarometer zeigen. Im Auftrag der Europäischen Kommission werden seit 1973 regelmäßig gemeinschaftsweite Umfragen durchgeführt.338 Im Abstand von wenigen Jahren wird den BürgerInnen der Europäischen Union die Frage gestellt, ob sie sich eher als EuropäerInnen, EuropäerInnen und Nationalstaatsangehörige oder ausschließlich als Angehörige ihres eigenen Nationalstaates sehen und in welchem Maße sie sich ihrem Dorf bzw ihrer Stadt, ihrem Land und der EU verbunden fühlen. Im zweiten Halbjahr 2007 gaben 87 % der BürgerInnen an, sich mit ihrem Dorf bzw ihrer Stadt und 91 % mit ihrem Nationalstaat verbunden zu fühlen;

hingegen gaben nur 49 % eine starke Verbundenheit zur Europäischen Union an.339 Interessant ist, dass die Staatsangehörigen der Gründerstaaten der EG sich mit Ausnahme der Niederlande nach wie vor mehrheitlich mit der EU verbunden fühlen. Weiters spielt das Ausbildungsniveau bei der Beurteilung der Verbundenheit zur EU eine wichtige Rolle:

Lediglich 41 % der EuropäerInnen, die ihre Ausbildung bis zum 15. Lebensjahr beendeten, doch 58 % jener, die ihre Ausbildung zumindest bis zum 20. Lebensjahr fortsetzten, fühlen sich der EU ziemlich oder sehr verbunden.

Der Eurobarometer 69, veröffentlicht im November 2008340, stellte fest, dass 66 % der BürgerInnen der 27 EU-Mitgliedstaaten die Existenz gemeinsamer europäischer Werte bejahen und 54 % von ihnen der Meinung sind, dass die Werte der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft eng beieinander liegen. Auf die Bitte, die drei in ihren Augen wichtigsten gemeinsamen europäischen Werte zu definieren, nannten 45 % den Frieden, 42 % die Menschenrechte und 41 % den Respekt gegenüber menschlichem Leben. Relativ weit zurück lagen Demokratie (27 %), Rechtsstaat und Freiheit des Einzelnen (21 %), Gleichheit (19 %) und Toleranz (16 %).

Im Special Eurobarometer 278: European Cultural Values341, welcher im September 2007 veröffentlicht wurde, charakterisierten sich Frieden, Respekt für Natur und Umwelt und

337 Vgl. Bloemers in Bloemers/Hajkova (Hrsg), Richtung Inklusion 48f.

338 Alle bisherigen Eurobarometer-Ergebnisse sind auf der Homepage der Europäischen Kommission abrufbar: http://ec.europa.eu/public_opinion/standard_en.htm (9.9.2009).

339 Vgl. Eurobarometer 68, http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/eb/eb68/eb_68_de.pdf (9.9.2009).

340 Abrufbar unter: http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/eb/eb69/eb69_values_de.pdf (9.9.2009).

341 Abrufbar unter: http://ec.europa.eu/culture/pdf/doc958_en.pdf (7.9.2009).

67 Soziale Gerechtigkeit und Solidarität als die drei gesellschaftlichen Schlüsselwerte der Gemeinschaft.

Eurobarometer 66, erschienen im Dezember 2006342, gibt den aktuellen Meinungsstand der BürgerInnen der 27 EU-MS zur „Unionsbürgerschaft“ wieder: Auf die Frage „Kommt es vor, dass Sie sich nicht nur als (Nationalität), sondern auch als Europäer fühlen? Ist das oft, manchmal oder nie der Fall?“ antworteten 16 %, dies sei oft, 38 % dies sei manchmal und 43 % dies sei nie der Fall. Der Ausdruck, EuropäerIn zu sein, lässt sich somit auf mehr als die Hälfte aller UnionsbürgerInnen anwenden, es darf hierbei allerdings nicht außer Acht gelassen werden, dass sich knapp über 4 von 10 Personen nie als EuropäerIn fühlen.

Besonders stark identifizieren sich finnische (72 %), griechische (68 %), luxemburgische (67 %) und polnische (65 %) BürgerInnen mit der Unionsbürgerschaft. Eine Analyse zeigt altbekannte Muster: Je höher das Wissen über die EU und je besser die Ausbildung, desto wahrscheinlicher ist die Antwort, sich zumindest manchmal als EuropäerIn zu fühlen.

6.2.4 Die Symbolik Europas

Durch Symbole kann ein gemeinschaftliches Bewusstsein gefördert werden.

Symbolisierung ist ein altes Werkzeug der Politik, welches durch die Einführung von Hoheitszeichen, Feiertagen, Staatsflagge und –hymne, Denkmälern, einheitlichen Dokumenten und Währung vordringlich dazu dient, kollektives Staatsbewusstsein darzustellen und staatliche Legitimität und Identität abzusichern.343 Auf der Suche nach Entstehung von Identität im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses sollen nun einige politische Symbole der Gemeinschaft untersucht werden:

Die Figur der Europa ist wohl das älteste Europa-Symbol, welches im Lauf der Geschichte immer wieder aktualisiert wurde. Der Mythos von der schönen Europa, die von Göttervater Zeus in Form eines Stieres geraubt wird, wurde im Mittelalter christlich umgedeutet, im 16. Jahrhundert als Allegorie der „Dame Europas“ beschrieben und im 20. Jahrhundert zu einer Figur der Satire und Karikatur, um die innere Zerrissenheit eines ganzen Kontinents darzustellen.344 Seit dem 16. Jahrhundert wurden die schöne Europa und der Europamythos oftmals zur visuellen Darstellung des Kontinents herangezogen; allein für den Zeitraum

342 Abrufbar unter: http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/eb/eb66/eb66_de.pdf (10.9.2009).

343 Vgl. Walkenhorst, Europäischer Integrationsprozeß 202f.

344 Vgl. Patel, Europas Symbole – Integrationsgeschichte und Identitätssuche seit 1945, Internationale Politik 4 (2004), 11.

68 zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert sind im europäischen Raum 270 Gemälde nachzuweisen, die den Europamythos thematisieren.345

Im Jahr 1985 beschlossen die Staats- und Regierungschefs der MS auf ihrem Gipfeltreffen in Mailand die Einführung eines Europatages und legten den 9. Mai als Datum fest.346 Dies geschah nicht willkürlich, vielmehr war am 9. Mai 1950 in Paris von Robert Schumann die Erklärung aus der Feder Jean Monnets zur Gründung einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl verlesen und damit der europäische Integrationsprozess in Gang gesetzt worden.347

Wie alle Staaten und internationalen Organisationen brauchte auch die Europäische Gemeinschaft eine einheitliche Fahne, mit der sich die unter ihrem Herrschaftsbereich Lebenden identifizieren konnten. Der Weg hin zur heutigen EU-Fahne war jedoch ein beschwerlicher.348 Bereits 1923 hatte der Begründer der Paneuropa-Bewegung, Richard Graf Coudenhove-Kalergi als Symbol für ein geeintes Europa ein rotes Kreuz in goldener Scheibe auf blauem Grund entworfen. Am Europakongress 1948 in Den Haag einigte man sich auf ein rotes E auf weißem Grund, die Farbe wurde jedoch bereits im folgenden Jahr auf Grün als Farbe der Hoffnung geändert. 1953 wählte der Europarat ein Banner mit 15 goldenen Sternen auf blauem Grund, wenige Jahre darauf wurde auf 12 Sterne reduziert.

Daneben hatten die EGKS, das EP und die Kommission jeweils eigene Embleme – es herrschte vollkommene Unübersichtlichkeit der symbolischen Repräsentation in Europa.

Der Grund, warum sich nicht eine einzige Fahne durchsetzte, mag darin liegen, dass politische Symbole im 20. Jahrhundert hauptsächlich von diktatorischen und autoritären Regimen missbraucht worden waren und die Verantwortlichen dementsprechend zurückhaltend agierten. Weiters wollte man zu Beginn der europäischen Integration auf keinen Fall durch eine ausgeprägte Symbolsprache die Ähnlichkeit der Gemeinschaften mit einem Nationalstaat suggerieren. 1986 übernahm die EG die Fahne des Europarates, die sich schnell als eindeutiges Symbol der heutigen EU durchsetzte.349 Im Eurobarometer 67, welcher im November 2007 veröffentlicht wurde, gaben 95 % der Befragten an, die

345 Vgl. Richter, Die Kunstausstellungen des Europarats, in Mittag (Hrsg), Die Idee der Kulturhauptstadt 47.

346 Vgl. Europäische Gemeinschaften, 9. Mai - Europatag, http://europa.eu/abc/symbols/9-may/euday_de.htm (14.10.2009).

347 Thun-Hohenstein/Cede/Hafner, Europarecht 6.

348 Vgl. Patel, Internationale Politik 2004, 11.

349 Vgl. Patel, Internationale Politik 2004, 11.

69 Europafahne zu kennen, 85 % halten sie für ein gutes Symbol für Europa und immerhin 54

% können sich mit ihr identifizieren.350

Die Europahymne „Ode an die Freude“ wurde 1985 ebenfalls vom Europarat übernommen, der sie bereits seit 1972 als eigene Hymne verwendet. Die Melodie entstammt dem letzten Satz der Neunten Symphonie Ludwig van Beethovens und stellt eine Vertonung des Gedichtes „Ode an die Freude“ von Friedrich Schiller dar. Schiller hatte damit seine idealistische Vision – „alle Menschen werden Brüder“ – in Worte gefasst. Die Europahymne steht für die zentralen Werte Europas: Für Frieden, Freiheit und Solidarität.

Ihr Ziel ist es nicht, die nationalstaatlichen Hymnen der MS zu ersetzen, vielmehr versinnbildlicht sie die gemeinsamen Werte und die Einheit in der Vielfalt.351

Die gemeinsame europäische Währung, der Euro, wurde mit 1. Jänner 2002 eingeführt, seit dem 1. Jänner 2009 besteht der Euroraum aus 16 Staaten.352 Eine einheitliche Währung sollte zum Symbol für die Einheit der europäischen Staaten werden. Doch selbst auf den Euromünzen konnte man nicht auf eine Verbindung von nationalen und europäischen Symbolen verzichten. Um ein gewisses Maß an nationalstaatlicher Identität bewahren zu können, ist die Gestaltung einer Münzseite den jeweiligen MS überlassen, und so zieren typisch nationalstaatliche Symbole die Euromünzen: Österreich entschied sich ua etwa für das Edelweiß, den Stephansdom oder Mozart, Italien ua für das Kolosseum, eine Statue von Umberto Boccioni, Dante Alighieri oder Leonardo da Vincis idealen menschlichen Körper, Griechenland ua für verschiedene Schiffstypen und Europa auf dem Stier, Irland für die keltische Harfe, Deutschland ua für das Brandenburger Tor. Hierbei fällt auf, dass die gewählten Symbole, abgesehen von wenigen abgebildeten Persönlichkeiten (LiteratInnen, MusikerInnen, Staatsoberhäuptern), fast ausschließlich kulturhistorisch relevantes Erbe darstellen.

Der europäischen Kunstgeschichte liegt die Vorstellung zu Grunde, dass sich Europa kulturell weitgehend einheitlich entwickelt hat, was sich in der historischen Abfolge der Stile in Literatur, Architektur, Musik und bildender Kunst widerspiegelt.353 Aus diesem Grund entschied sich der EZB-Rat deshalb bei der Gestaltung der Euro-Banknoten für das

350 Abrufbar unter: http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/eb/eb67/eb67_de.pdf (7.9.2009).

351 Vgl. Europäische Gemeinschaften, Die europäische Hymne, http://europa.eu/abc/symbols/anthem/index_de.htm (14.10.2009).

352 Vgl. Österreichische Nationalbank, Geschichte des Euro,

http://www.oenb.at/de/rund_ums_geld/euro/geschichte_des_euro/geschichte_des_euro.jsp#tcm:14-3089 (10.9.2009).

353 Vgl. Quenzel, Konstruktionen von Europa 113.

70 Thema „Zeitalter und Stile in Europa“.354 Es ist faszinierend, dass sich in den Stilepochen eine europäische Gemeinsamkeit gefunden hat, die jeder Nationalstaat als (zumindest auch) europäisch anerkennen kann. Auf den Banknoten finden sich zahlreiche Gebäude, Kirchen oder Monumente in romanischer, gotischer, barocker oder klassischer Bauweise, im Stil der Renaissance, der Glasarchitektur und der modernen Architektur des 20.

Jahrhunderts auf der einen Seite, während auf der anderen berühmte europäische Brücken abgebildet sind. Mit diesem Design wurde versucht, einerseits den kulturellen Reichtum Europas zu verdeutlichen und andererseits über den Weg der Hervorhebung von Kunst und Kulturerbe einen Brückenschlag zwischen den durch eine gemeinsame Währung vereinten Nationalstaaten – getreu dem Leitspruch „geeint in der Vielfalt“ - zu realisieren. Die Einführung des Euro erscheint heute gelungen, laut dem aktuellen Österreich-Eurobarometer355, veröffentlicht im September 2009, assoziieren 55 Prozent der ÖsterreicherInnen die EU zuallererst mit der gemeinsamen Währung.

Der gescheiterte Verfassungsvertrag sah in Art I-8 eine Aufzählung der Symbole Europas vor.356 Dort heißt es: „Die Flagge der Union stellt einen Kreis von zwölf goldenen Sternen auf blauem Hintergrund dar. Die Hymne der Union entstammt der ‚Ode an die Freude‘ aus der Neunten Symphonie von Ludwig van Beethoven. Der Leitspruch der Union lautet: ‚In Vielfalt geeint‘. Die Währung der Union ist der Euro. Der Europatag wird in der gesamten Union am 9. Mai gefeiert.“357 Der Verfassungsvertrag führte keine neuen Symbole ein, sondern übernahm die bereits vorhandenen, von der EU verwendeten und den BürgerInnen bekannten Symbole und verlieh ihnen Verfassungsrang.358 Um das Scheitern des Vertrages von Lissabon zu verhindern, findet sich im EUV künftig kein Hinweis auf die Symbole der EU mehr. Durch diesen bewussten Verzicht wollte man „alle Anmutungen eines staatlichen oder quasi-staatlichen Charakters der Union […] vermeiden.“359 Nach der Erklärung Nr. 52 zum Vertrag von Lissabon, die allerdings nur von 16 MS abgegeben wurde, dürfen die Symbole der Gemeinschaft jedoch weiterhin verwendet werden.360

354 Vgl. Trichet, Europa – Kulturelle Identität – Kulturelle Vielfalt,

http://www.ecb.int/press/key/date/2009/html/sp090316_1.de.html (9.7.2009).

355 Abrufbar unter: http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/eb/eb71/eb71_en.htm (9.10.2009).

356 Vgl. Streinz/Ohler/Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU. Einführung mit Synopse2 (2008) 65.

357 Abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/JOHtml.do?uri=OJ:C:2004:310:SOM:DE:HTML (14.10.2009).

358 Vgl. Europäische Gemeinschaften, Die Gründungsprinzipien der EU,

http://europa.eu/scadplus/constitution/objectives_de.htm#SYMBOLS (14.10.2009).

359 Streinz/Ohler/Herrmann, Der Vertrag von Lissabon 65.

360 Vgl. Streinz/Ohler/Herrmann, Der Vertrag von Lissabon 66.

71 6.3 Kulturpolitik als Identitätspolitik

In zahlreichen Beschlüssen und Erklärungen weist die Gemeinschaft die Entwicklung und Förderung einer europäischen Identität zu großen Teilen den beiden Bereichen Bildungs- und Kulturpolitik zu.361 Während die Bildungspolitik primär auf SchülerInnen und Jugendliche ausgerichtet ist, kann man mit der Kulturpolitik breite Bevölkerungsschichten erreichen, so zB mit Großereignissen wie der Europäischen Kulturhauptstadt. Die kulturpolitischen Bestrebungen der Gemeinschaft stehen allerdings vor dem Problem, einerseits die kulturelle Einheit fördern zu wollen und andererseits die nationale und regionale kulturelle Vielfalt der MS bewahren zu müssen. Diese Diskrepanz kommt auch in Art 151 I EGV zum Ausdruck, wo es heißt: „Die Gemeinschaft leistet einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt sowie gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes.“

Bereits 20 Jahre vor Inkrafttreten der Kulturklausel mit dem Vertrag von Maastricht fand die Vielfalt der Kulturen eine ausdrückliche Erwähnung im Dokument über die Europäische Identität. Dort heißt es: „Diese Vielfalt der Kulturen im Rahmen einer gemeinsamen europäischen Zivilisation […] sowie die Entschlossenheit, am europäischen Einigungswerk mitzuwirken, verleihen der europäischen Identität ihren unverwechselbaren Charakter und ihre eigene Dynamik. […] Die Entwicklung der europäischen Identität wird sich nach der Dynamik des europäischen Einigungswerks richten. In den Außenbeziehungen werden die Neun vor allem bemüht sein, ihre Identität im Verhältnis zu den anderen politischen Einheiten schrittweise zu bestimmen.“

Leo Tindemans erwähnte in seinem Bericht aus dem Jahr 1976 die Wichtigkeit der Etablierung einer einheitlichen europäischen Identität gegenüber außereuropäischen (insbesondere nordamerikanischen) politischen, wirtschaftlichen oder militärischen

Leo Tindemans erwähnte in seinem Bericht aus dem Jahr 1976 die Wichtigkeit der Etablierung einer einheitlichen europäischen Identität gegenüber außereuropäischen (insbesondere nordamerikanischen) politischen, wirtschaftlichen oder militärischen