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„Die Ernennung einer Stadt zur Kulturhauptstadt Europas erfolgt nicht allein aufgrund dessen, was sie ist oder tut.“259 Vielmehr ist für die Entscheidung der Auswahljury die Vorlage eines konkreten Kulturprogramms ausschlaggebend.

256 Vgl. Palmer RAE/Associates, Study 47,

http://ec.europa.eu/culture/our-programmes-and-actions/doc437_de.htm (29.9.2009).

257 Vgl. Palmer RAE/Associates, Study 47f,

http://ec.europa.eu/culture/our-programmes-and-actions/doc437_de.htm (29.9.2009).

258 Vgl. Palmer RAE/Associates, Study 49,

http://ec.europa.eu/culture/our-programmes-and-actions/doc437_de.htm (29.9.2009).

259 Europäische Gemeinschaften, Leitfaden für Bewerbungen als „Kulturhauptstadt Europas“, http://ec.europa.eu/culture/our-programmes-and-actions/doc629_de.htm (1.10.2009).

50 Jürgen Mittag teilt die Ausgestaltung der Kulturhauptstadtidee in programmatisch-konzeptioneller Perspektive in drei Phasen.260 Eine erste Phase bis 1989 umspannt den Zeitraum, in dem die Kulturstädte Europas lediglich ein auf den Sommer begrenztes Event waren. Der Titel verkörperte damals wenig mehr als ein zusätzliches Etikett auf einem erweiterten Veranstaltungsprogramm zur nationalen Hochkultur. Glasgow führte mit seiner Nominierung zur Kulturstadt Europas im Jahr 1990 eine Wende herbei: Das Programm wurde auf das gesamte Jahr ausgedehnt und die Kulturhauptstadtidee durch den Aufbau einer systematischen Imagewerbung, durch städtebauliche Veränderungen und durch die erstmalige Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten regelrecht revolutioniert.261 Das inhaltliche Konzept Glasgows wurde in den Folgejahren von nahezu jeder weiteren Kulturhauptstadt aufgegriffen. Der gemeinsame Nenner dieser zweiten Phase ist die Umwandlung des Projekts hin zu einem werbewirksamen Publikumsmagneten, mit dem in erster Linie Imagewerbung und die Ankurbelung des Städtetourismus verfolgt werden sollten. Das Jahr 2007 kann als Beginn der dritten Entwicklungsphase angesehen werden:

Die konkretisierten rechtlichen Vorgaben haben dazu beigetragen, dass den Programmen künftiger Kulturhauptstädte explizit eine europäische Dimension verliehen werden muss.262

Ebenso wie das Auswahlverfahren ist auch die inhaltliche Programmkonzeption der Kulturhauptstädte im Beschluss des EP und des Rates aus dem Jahr 2006 geregelt. 263 Das Kulturprogramm hat mehreren Kriterien zu entsprechen, die sich in die Kategorien „Stadt und Bürger“ und „Europäische Dimension“ untergliedern lassen.

In Bezug auf die erstgenannte Kategorie hat die Stadt bei der Erstellung des Kulturprogrammes dafür Sorge zu tragen, das Interesse der in der Stadt und ihrer Umgebung lebenden BürgerInnen zu wecken und ihre Beteiligung zu fördern. Zudem soll

260 Vgl. Mittag, Die Idee der Kulturhauptstadt Europas, in Mittag (Hrsg), Die Idee der Kulturhauptstadt Europas 80.

261 Vgl. ebda.

262 Vgl. Art 4 Beschluss Nr. 1622/2006/EG des EP und des Rates vom 24. Oktober 2006 über die Einrichtung einer Gemeinschaftsaktion zur Förderung der Veranstaltung „Kulturhauptstadt Europas“ für die Jahre 2007 bis 2019, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/culture/our-programmes-and-actions/doc437_de.htm

(29.9.2009).

263 Vgl. Beschluss Nr. 1622/2006/EG des EP und des Rates vom 24. Oktober 2006 über die Einrichtung einer Gemeinschaftsaktion zur Förderung der Veranstaltung „Kulturhauptstadt Europas“ für die Jahre 2007 bis 2019, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/culture/our-programmes-and-actions/doc437_de.htm (29.9.2009).

51 das Programm wichtiger Bestandteil einer langfristigen Strategie für kulturelle und soziale Entwicklung der betreffenden Stadt sein.

Um der Europäischen Dimension Rechnung zu tragen, hat das Kulturhauptstadtprogramm die Zusammenarbeit zwischen KulturakteurInnen, KünstlerInnen und Städten aus anderen MS zu fördern, den Reichtum der kulturellen Vielfalt Europas hervorzuheben und die gemeinsamen Aspekte europäischer Kulturen in den Vordergrund zu rücken. Die europäische Dimension sollte im Zuge des Kulturhauptstadtjahres sowohl in den Veranstaltungsthemen, als auch in der Projektumsetzung zum Ausdruck kommen.264 Der Bewerbungsleitfaden der EU listet in diesem Sinne beispielhaft folgende Themen für das Programm einer Kulturhauptstadt auf:

− In Europa weit verbreitete und bekannte Bewegungen und Stilrichtungen in Kunst und Kultur, die von der Stadt inspiriert wurden oder zu denen sie maßgeblich beigetragen hat.

− Jüngste Bewegungen und Stilrichtungen in Kunst und Kultur.

− Führende Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur, die aus der Stadt stammen und durch ihren Ruhm und/oder ihre Mobilität und ihre Rolle in Europa zu

„europäischen“ Künstlern wurden.

− Darstellung und Würdigung von Aspekten der europäischen Geschichte und Identität und des europäischen Erbes, die in der Stadt bereits vorhanden sind/Sensibilisierung der europäischen Öffentlichkeit für Persönlichkeiten und Ereignisse, die für Geschichte und Kultur der Stadt prägend waren.

− Entwicklung europäischer Themen, aktuelle Herausforderungen für Europa.

− Kooperationen, Koproduktionen, Austausche und andere Formen der Zusammenarbeit zwischen KünstlerInnen, Organisationen und Gruppen aus dem Kulturbereich, die in verschiedenen europäischen Ländern vertreten sind.265

264 Vgl. Europäische Gemeinschaften, Leitfaden für Bewerbungen als „Kulturhauptstadt Europas“, http://ec.europa.eu/culture/our-programmes-and-actions/doc629_de.htm (1.10.2009) 22ff.

265 Vgl. Europäische Gemeinschaften, Leitfaden für Bewerbungen als „Kulturhauptstadt Europas“, http://ec.europa.eu/culture/our-programmes-and-actions/doc629_de.htm (1.10.2009) 22ff.

52 Insbesondere dadurch, dass ein Kulturhauptstadtprogramm viele verschiedene Projekte umfasst, besteht die Gefahr der Verwässerung des Programms.266 Jedenfalls ist darauf zu achten, die Besonderheiten und die Geschichte der jeweiligen Stadt zu berücksichtigen und eine ausgewogene und abwechslungsreiche Mischung der verschiedenen Kunst- und Kultursparten zu bedienen. Eine „einseitige Fixierung auf Hoch-, Stadt-, Lebens-, Frauen-, Jugend-, Unterhaltungs- oder Arbeiterkultur ist unzulässig“, vielmehr sollte sich das Programm aus dem Zusammenspiel und der Vernetzung all dieser Aspekte ergeben.

Weiters ist darauf zu achten, ein ausgewogenes Verhältnis von Groß- und Kleinveranstaltungen zu erzeugen: So genannte „Big Events“ sind zwar medientechnisch besser verwertbar, doch darf die Bedeutung von „kleinen, fast intimen, aber nicht weniger feinen Projekten“ nicht negiert werden.267 Während „Blockbuster events“ große Menschenmassen anziehen, erweisen sich kleine, lokale Initiativen oft als nachhaltigere Programmpunkte.268 Ein erfolgreiches Programm für eine Kulturhauptstadt Europas zeichnet sich laut Max Aufischer dadurch aus, dass es „nicht nur den Seiltanz zwischen

‚Kunstfalle und Medienfalle‘ (Peter Weibel), sondern auch den zwischen Elitärfalle und Banalfalle bewältigt.“269

Vielfach entscheiden sich die Kulturhauptstädte bereits zu Beginn des Bewerbungsverfahrens und der Programmkonzeption für ein übergeordnetes Hauptthema der Veranstaltung.270 So wählte Reykjavik „Culture and Nature“ zum bestimmenden Thema und unterteilte das Kulturprogramm nach den vier Elementen Wind, Erde, Feuer und Wasser; Genua positionierte sich aufgrund seiner geographischen Lage mit dem Titel

„Genoa: Capital of the Sea“,271 Stavanger wählte das Motiv „Open Port“272 und Tallin, das zusammen mit Turku Kulturhauptstadt 2011 ist, präsentiert sich mit dem Slogan

„Everlasting Fairytale“273.

Die meisten Kulturhauptstädte der vergangenen Jahre benötigten für die Programmerstellung etwa drei Jahre, schrieben zu Beginn einen Wettbewerb zur Vorlage

266 Vgl. Aufischer, Stadtkultur. Kulturstadt Europas. Ein persönlicher Bericht (1999) 14f.

267 Vgl. Aufischer, Stadtkultur 15.

268 Vgl. Palmer RAE/Associates, Study 16,

http://ec.europa.eu/culture/our-programmes-and-actions/doc437_de.htm (29.9.2009).

269 Aufischer, Stadtkultur 15.

270 Vgl. Palmer RAE/Associates, Study 16,

http://ec.europa.eu/culture/our-programmes-and-actions/doc437_de.htm (29.9.2009).

271 Vgl. Palmer RAE/Associates, Study 66,

http://ec.europa.eu/culture/our-programmes-and-actions/doc437_de.htm (29.9.2009).

272 Vgl. http://www.stavanger2008.no/?event=about.index (1.10.2009).

273 Vgl. http://www.tallinn2011.ee/eng/flash/index.php (1.10.2009).

53 von Programmideen aus und wählten aus den eingesandten Vorschlägen in etwa 500 Projekte aus verschiedensten Kulturbereichen aus. Im Durchschnitt lagen die Ausgaben für das Kulturprogramm bei 63 Prozent der Gesamtkosten des Kulturhauptstadtjahres.274