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Macht in kleinen Händen

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Academic year: 2022

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Medien, Moden, Medizin

«Sind Sie es schon?», fragte die Dame, als ich meinen Patienten aus dem Wartezimmer abholte. Aus dem Augenwinkel sah ich die andere Wartende den Kopf schütteln. «Nein, leider noch nicht», seufzte sie. Was mag sie wohl noch nicht sein, überlegte ich, als sich mein Patient frei machte. Noch nicht ans Internet an - geschlossen? Möglich – sie ist um die sechzig. Nicht geimpft? Vermutlich. Die Grippesaison hat noch nicht begonnen. Noch nicht in den Ferien gewesen? Nein:

Die eine war in den USA, die andere auf einer Kreuz- fahrt. Die Fragerin löste dann das Rätsel, als sie an der Reihe war. «Hat es Ihnen mein Schwiegersohn schon gesagt?», platzte sie strahlend heraus. «Ich bin zum zweiten Mal Grossmutter geworden! Fast vier Kilo wiegt das Schätzeli!» Ich gratulierte. Rekapitulierte den Kindsvater, einen nervösen Dreissiger, und seine stets vergnügte, coole Frau. Grosseltern beim Schwärmen über ihre Enkelkinder zuzuhören ist herzerwärmend.

Lauter ganz besonders schöne, kluge, freundliche Kinder sind es, sie schlafen schon durch, gedeihen prächtig und sind absolut aussergewöhnlich, einmalig, sensationell. Die Ankunft eines neuen Menschleins, der mutige Schritt seiner Eltern hinein in viel Pflicht ändert auch das Leben der frischgebackenen Grosseltern – meist zur Kür. Glaube ich meinen Patienten und Patien- tinnen, dann sind Grosskinder ein Jungbrunnen. Wol- len die Kleinen auf dem Boden mit Lego oder mit Autos spielen, knien sich die Grosseltern aufs Laminat und ignorieren das Knirschen der Knochen wegen Osteoporose. Längst vergessen geglaubte Fertigkei- ten wie Flechtblätter schneiden, Faden abheben, Dra- chen bauen und Weidenflöten schnitzen gehen wieder glatt von der arthrotischen Hand. Das alte Gehirn er - innert sich an Vokabeln, an Kinderverse und -lieder.

Mittagschläfchen? Nein, Spielplatz und aus Bilder - büchern vorlesen, macht wacher. Jäh werden die älte- ren Herrschaften aus ihrem beschaulichen Trott heraus- gerissen, wenn die Kleinen kommen. Doch es wird ihnen reichlich gedankt. Für Dreijährige klingt nichts so

schön wie Grosspapis heiserer Bariton. Für sie gibt es keine bessere Köchin als das Grossmami. Oma und Opa hören geduldig zu, kriti sieren nicht, wissen nicht alles besser. Sondern nicken, leiden mit und trösten.

Primarschüler vertrauen ihnen ihre Sorgen über die treulose beste Freundin an, Teenager den ersten Liebeskummer. Heutige Grosseltern schenken nicht mehr selbstgestrickte Socken aus kratziger Wolle. Sie schmun zeln: «Jugend soll ein einnehmendes Wesen haben!» Lachen verschwörerisch mit ihren Enkeln und weiden sich an den verdutzten Gesichtern deren Eltern. Die haben den Transfer der Nötli nicht mit - bekommen, aber ahnen, dass es hier um mehr geht als um ein Erziehungsziel. Und manchmal erzählen Grosseltern auch mal von einem Streich oder einer Panne aus dem Leben der Enkeleltern … Enkelkinder herrschen: Selbst Karrierefrauen wie Anna und Fran- ziska sind trotz stressigem Berufsleben jede Woche am Jour fixe für die Kleinen da und entlasten deren Eltern.

Hans macht Fotobücher und recherchiert den Familien- stammbaum, weil Teenager Sarah das möchte. Ursel renoviert für Baby Eleanor ihr ganzes Haus. Klein Kevin zuliebe lernt Jakob jetzt noch Jassen, nachdem er sich fünfzig Jahre lang – «sogar im Militär!» – erfolgreich davor gedrückt hat. Für den Ätti ist das Jauchzen der Fünfjährigen, wenn er einen Zaubertrick vorführt, viel schöner als das Jammern der Kollegen über die fallen- den Aktienkurse. Ungleich spannender ist es für das Grosi, mit dem Zehnjährigen zu gamen – wobei beide wissen, dass er sie absichtlich gewinnen lässt –, als mit den Freundinnen über Gebresten zu klagen. Doch wie jede Kur, die etwas taugt, ist auch die Enkelkinderkur sehr anstrengend. Am Abend nach dem Enkelhüten oder -besuch sind die Grosseltern noch erschöpfter als nach zwölf Stunden Fangopackungen und Ther - malschwimmen. Aber glücklich. «Nein, ich bin’s noch nicht!», antworte ich dem Patienten, der mir Fotos seiner ersten Enkelin zeigt. «Aber ich freue mich drauf.

Soll ja grossartig sein, das Grossvatersein.» Er nickt strahlend.

Macht in kleinen Händen

ARSENICUM

632

ARS MEDICI 16 2011

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