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Schremser, Jürgen (2019): Kulturgeschichte geht aufs Ganze. Gastkommentar im Rahmen der Artikelserie „Geschichte wozu?“ des Liechtenstein-Instituts. Liechtensteiner Volksblatt, 6.4.2019.

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Academic year: 2022

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SAMSTAG

6. APRIL 2019

| Inland|13

Geschichte wozu? Eine Artikelserie des Liechtenstein-Instituts

D

en Begriff «Kulturgeschich- te» verstehe ich in Bezug auf die Geschichtswissen- schaften nicht als Bezeich- nung einer Spezialdisziplin neben Politik-, Sozial- oder etwa Technik- geschichte. Kulturgeschichte unter- streicht vielmehr den Anspruch und den Versuch einer historischen Forschung, vergangene menschli- che Lebenswirklichkeiten übergrei- fend, in all ihren materiellen, sozia- len und geistigen Komponenten für uns nachvollziehbar und verständ- lich zu machen. Um beispielsweise die kulturelle Ordnung der atheni- schen Demokratie zu verstehen, sind ihre ökonomische Grundlage in der antiken Sklavenhaltung und der Ausschluss von Frauen aus der Versammlung freier Bürger ebenso bedeutsam wie die Staats- und Tu- gendlehre des griechischen Philoso- phen Aristoteles. Wenden wir uns der jüngeren Demokratiegeschichte in Liechtenstein zu, sollte neben den massgeblichen Verfassungstex- ten und den darauf begründeten In- stitutionen auch die dörfliche und männerdominierte demokratische Praxis berücksichtigt werden.

Eine grosse, zusammenhängende Kulturgeschichte der selbstbe- schränkten Volkssouveränität in Liechtenstein steht zwar noch aus.

Doch beleuchten Einzelstudien – zum Revolutionsjahr 1848, über den Umgang mit Hintersassen im 19.

und zur Diskriminierung von Frau- en im 20. Jahrhundert – wichtige Aspekte eines abstammungs-, be- sitz- und geschlechtsbezogenen de- mokratischen Brauchtums.

Untertanen- und Bauernland

Dass es sich beim besonderen Ver- ständnis von Mitbestimmung in Liechtenstein um ein zählebiges kulturelles Phänomen handelt, zeigt sich auch daran, dass die Dokumen- tation des politischen Lebens im Ausstellungskonzept des Landes- museums unter die Rubrik «herr- schen» fällt. Zentrales Thema sind

«adelige Herrschaft und bäuerliche Untertänigkeit». Tatsächlich kann eine kulturgeschichtliche For- schung mit Gewinn von Gewichtun- gen und Erzählungen in der Gegen- wartsgesellschaft ausgehen, um in den Quellen weit zurückreichende Grundmuster im Denken, Handeln und Empfinden aufzuspüren. Man- ches drängt sich auf, wie eben die unabgeschlossene Geschichte der politischen Machtverhältnisse.

Offenkundig untersuchenswert scheint mir das ganze kulturelle Ge- füge der für Liechtensteins Ge- schichte bestimmenden bäuerlichen Gesellschaft. Von der Zeit der mehr- heitlich betriebenen Landwirtschaft bis zu ihrem Nachleben als eine in Mundarttexten beschworene Dorf- idylle. Einerseits ist die agrarische Lebensform in ihren Besitz- und Rechtsverhältnissen, in ihrer Öko- nomie und politisch-kommunalen Verfassung seit Längerem Thema und erforscht. Gemessen an ihrer langen Dauer fehlen jedoch breitere Einblicke in die Art der sozialen Be- ziehungen, in Welt- und Selbstver- ständnisse, in Religiosität und Na- turauffassungen. Welche Wissens- quellen und Möglichkeiten der Welterfahrung gab es jenseits von Christenlehre und Lesebuch? Wie wirkten die Bindung an Bodenbesitz

und -bewirtschaftung in die Jahre des kapitalgetriebenen Bodenhan- dels; was bedeutete das alltägliche Zusammenleben und -arbeiten mit Nutztieren?

Selbstkritik der historischen Disziplin

Weitere kulturgeschichtliche Strän- ge betreffen jene Stereotype und Vorurteile, mit denen die lokale Be- völkerung eine kulturelle Innen- Aus sen-Grenze, ein Urteil über Zu- gehörigkeit oder aber Fremdheit ge- genüber dem vertrauten Wir getrof- fen hat. Für die Gemeinschaftsbil- dung relevante Rituale und Abgren- zungen wären im Zusammenspiel mit politischen Wir-Behauptungen und Feindbildern zu beschreiben.

Dies betrifft auch die Skala der all- tagssprachlichen bis hetzerischen Ausprägungen des Antisemitismus im Liechtenstein des vergangenen Jahrhunderts: vom «Jod» als Syno- nym des Geldschneiders bis zum

«Weltjudentum» in der liechtenstei- nischen Nazizeitung «Der Um- bruch». Schliesslich bedeutet Kul- turgeschichte auch selbstkritische Befassung mit der historischen Dis- ziplin. Die liechtensteinische Ge- schichtsforschung war über eine lange Zeit eine Männerdomäne, in der die Politikgeschichte und Ver-

fassungsentwicklung seit dem 19.

Jahrhundert einen zentralen Stel- lenwert hatte. Vergleichsweise spät setzte die zeithistorische Auseinan- dersetzung mit den Krisen- und Kriegsjahren ein, ebenso verzögert eine Erforschung der vorpolitischen Machtverhältnisse nach Geschlecht und sozialem Milieu. Diese späte Öffnung zu anderen international üblichen Forschungsthemen ist ein kulturhistorisches Phänomen, das die liechtensteinische Geschichts- forschung mit der «zaghaften und schrittweisen Entwicklung von De- mokratie und Zivilgesellschaft»

(Christoph Maria Merki) in Verbin- dung bringt.

Über den Verfasser

Mag. phil. Jürgen Schremser, Historiker, Wien/Vaduz.

Mit dieser Beitragsreihe möchte das Liechtenstein-Institut die gesellschaftliche Bedeutung der Geschichte und der Geschichts- forschung in ihren verschiedenen Facetten beleuchten. Die inhaltliche Verantwortung für die einzelnen Beiträge liegt jeweils bei den Autorinnen und Autoren.

Kulturgeschichte geht aufs Ganze

JÜRGEN SCHREMSER

historisches-lexikon.li

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Uni Liechtenstein: Diplomfeier mit Auszeichnungen

Ausgezeichnet An der Diplomfeier der Universität Liechtenstein wurden gestern zwei Doktortitel verliehen. 59 Absolventinnen und Absolventen konnten ihre Bachelor- und Masterdiplome in Empfang nehmen. Zudem wurden Auszeichnungen für aussergewöhnliche Leistungen an sechs Absolventen vergeben.

R

ektor ad interim Peter Staub und die jeweiligen Studien- leiter verliehen den anwe- senden Absolventinnen und Absolventen die akademischen Grade in den Bereichen Architektur und Wirtschaftswissenschaften. In ihrer Festrede erklärte Dr. Verena Konrad, Mitglied des Universitäts- rats der Universität Liechtenstein und Direktorin des vai Vorarlberger Architektur Instituts: «Wissenser- werb ist das eine. Viel wichtiger ist noch, wie Sie dieses Wissen einset- zen und wofür Sie sich mit Ihren Fä- higkeiten engagieren. Intellektuelle Grösse liegt in der Fähigkeit zu hin- terfragen, zur kritischen Refl exion Ihrer Umgebung und Ihrer eigenen Handlungen. Sie in diesem Wachs-

tum zu unterstützen, war bis heute die Aufgabe dieser Universität. Wir wünschen Ihnen auf Ihrem Weg Be- gleiter, die Ihnen dabei helfen, wei- ter zu wachsen und die Kraft, dassel- be auch für andere zu tun.»

Aussergewöhnliche Leistungen Sechs Absolventen wurden für ihre aussergewöhnlichen Leistungen mit Preisen von Liechtensteiner Unterneh- men und Verbänden ausgezeichnet.

Auszeichnungen im Bereich Ar- chitektur: Die LIA, die Liechten- steinische Ingenieur- und Archi- tektenvereinigung, zeichnet tradi- tionell die besten Absolventen des Bachelor- und Masterstudiengangs Architektur aus. Die Auszeichnung

im Bachelorstudiengang ging an Simon Johann Westreicher, dieje- nige im Masterstudiengang erhielt Stefan Amann.

Preise für die Wirtschaftswissen- schaften: Die Stiftung «Förderung des technischen Nachwuchses»

der Firma Hilti AG zeichnete wie bereits in den Vorjahren die inno- vativsten Diplomarbeiten aus den Bachelor- und Masterstudiengän- gen Wirtschaftswissenschaften aus. Die Auszeichnung im Ba- chelorstudiengang Betriebswirt- schaftslehre wurde an Ahlem Hamzic verliehen. Der Preis im Be- reich der Masterstudiengänge ging an Flynn Werner (Masterstudien- gang Information Systems).

Der Liechtensteinische Bankenver- band (LBV) zeichnet den besten Durchschnitt aller Module aus dem Bachelorstudiengang Betriebswirt- schaftslehre mit Vertiefung Inter- national Finacial Services sowie aus dem Masterstudiengang Fi- nance aus. Die Auszeichnung im Bachelorstudiengang ging an Mi- chael Vogelsberger. Im Masterstu- diengang wurde die Auszeichnung an Julian Baur verliehen.

Doktorwürden

Wirtschaftswissenschaften, Ar- chitektur und Raumentwick- lung: An der diesjährigen Diplom- feier wurde zwei Studierenden die Doktorwürde verliehen. Wiebke Szymcak erlangte die Doktorwür-

de in Business Economics für ihre Dissertation «Mind over matter, or matter over mind? – Selected expe- riments on the normative claims of neoclassical icons in light of be- havioral realism» verliehen, Dok- torvater ist Prof. Dr. Michael Han- ke.

Vera Kaps erhielt die Doktorwürde für ihre Dissertation «Identitäen planen – Praktiken als Bestandteil aktueller Schweizer Identitätskon- struktion; der Konzeptwettbewerb zur Schweizer Landesausstellung Expo2027», ihr Doktorvater ist Prof. Peter A. Staub, Dipl. AA MSc

LSE. (eps)

Weitere Information gibt es auf der Internetseite www.uni.li.

(Foto: Universität Liechtenstein/Paul Trummer)

Referenzen

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