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In 100 Millionen Jahren

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Academic year: 2022

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Wir haben gerade einen außergewöhnlichen Planeten ausgemacht. So außergewöhnlich, dass man es zu Hause wohl in den Nachrichten bringen wird, wo die neuesten Informationen mit großer Spannung und Interesse ver- folgt werden. Noch sind wir in einiger Entfernung von unserer Entdeckung, doch schon jetzt ist klar, dass auf der Oberfl äche dieses Planeten ungewöhnliche und ziem- lich instabile chemische Verhältnisse herrschen. Unsere Sonden konnten nicht nur große Mengen an ungebunde- nem Wasser feststellen, sondern auch – und hier liegt die eigentliche Überraschung – freien Sauerstoff , und das in erheblichen Mengen.

Die Erde in ferner Zukunft: die erste Sichtung

Einhundert Millionen Jahre von heute. Ein Erzähler erscheint auf der Szene und erzählt die Geschichte der menschlichen Spezies.

„Einhundert Million Jahre von heute“ bedeutet dabei: einige Pro-

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In 100 Millionen Jahren

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zent weiter auf der Zeitskala der Erde und etwas weniger als ein Prozent weiter auf der des Universums. Geologisch gesehen ist dies die nahe Zukunft, kosmologisch gesehen sind wir schon fast dort.

Die Erde, die wir heute als die unsere bezeichnen, wird auch in dieser Zukunft noch existieren. Auf ihr wird es mit einiger (aber nicht absoluter) Sicherheit Ozeane geben, eine mit Sauerstoff ange- reicherte Atmosphäre und eine Fülle an komplexen, mehrzelligen Lebensformen.

Die Erde ist kein Durchschnittsplanet, und genau dies wird die Aufmerksamkeit der außerirdischen Entdeckungsreisenden wecken.

Für die erste Fernerkundung benötigen sie auf ihrem Raumschiff nichts weiter als ein einfaches Spektroskop, um sofort zu erkennen, dass die chemisch hochgradig aktive Oberfl äche der Erde alles an- dere als im Gleichgewicht ist. Planeten mit einer sauerstoffreichen Atmosphäre sind außerhalb jeglicher Norm. Selbst aus einer Entfer- nung von vielen Millionen Kilometern muss man erkennen: Dieser Planet ist offensichtlich voller Leben.

Aus näherer Sicht wird man schließlich neben dem Blau der Ozea- ne und dem Braun der Gesteine noch einen grünen Spektralanteil ausmachen können. Er wird vom Leben auf der Oberfl äche des Planeten erzeugt, dem großen Regulator für die chemischen Vor- gänge, die dort ablaufen. Die Besucher wissen zu diesem Zeitpunkt noch nichts von Chlorophyll, dennoch wird der unerwartete grüne Wellenanteil im Spektrum mit Sicherheit ihre Neugier wecken.

Gesteine, Ozeane … und dann dieses grüne Zeug. Mit unseren heutigen Augen betrachtet, sähe die Geographie der Erdoberfl äche zu diesem fernen Zeitpunkt irgendwie vertraut aus – doch etwas stimmt nicht mehr. Die Maßstäbe wirken verzerrt, so als wären sie vom Surrealisten Salvador Dali persönlich zurechtgerückt worden.

Die Landmassen haben sich allesamt verlagert. Aber in welche Rich- tung? Wir können aus heutiger Sicht nicht vorhersagen, wie sich die Landmassen in 100 Millionen Jahren verschoben haben werden.

Wird sich der Atlantik verbreitert haben und der Pazifi k verschmä- lert? Wird sich der ostafrikanische Grabenbruch zu einem Ozean ausgeweitet haben? Oder werden sich die Kontinente zu einem

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Superkontinent vereinigt haben, wie es in der Erdgeschichte schon einmal der Fall war?

Langfristige Vorhersagen tektonischer Vorgänge sind, wie lang- fristige Wettervorhersagen, mit so vielen Unsicherheiten behaftet, dass genauere Prognosen keinen Sinn machen. Es gibt einfach zu viele mögliche Szenarien für die Zukunft. Die Morphologie der Erd- oberfl äche wird sicher anders sein als heute, obwohl sie aus teilweise vertrauten Bausteinen bestehen wird, die wie von einem spielenden Riesenkind umgeordnet wurden.

Wenn wir aber das zukünftige Gesicht der Erdoberfl äche nicht kennen, dann gilt das zwangsläufi g auch für die Verteilung der Temperaturen, denn das globale Klima hängt maßgeblich von der Geographie der Erdoberfl äche ab. Ohne Vorhersage der Geogra- phie ist keine Vorhersage des Klimas möglich. Es gibt einen guten Grund dafür, dass es heute überhaupt Eismassen gibt: Die globale Verteilung der Kontinente und Ozeane verhindert, dass die in den Tropen gespeicherte Wärmeenergie ohne Hindernisse über Meeres- strömungen in die Antarktis , dieser größten Kühltruhe unserer Erde, gelangt.

Vor 100 Millionen Jahren, in der sogenannten Kreidezeit , waren die Landmassen und Ozeane vollkommen anders verteilt als heute.

Damals konnte sich die tropische Wärme weit nach Norden und Sü- den ausbreiten, so dass beide Pole nur kleine (eventuell auch gar kei- ne) Eiskappen trugen. Das nicht als Eis gebundene Wasser musste natürlich woanders vorhanden sein. Tatsächlich lag der Meeresspie- gel in der Kreidezeit um etwa 70 Meter höher und ein weit größerer Teil der Kontinente war demzufolge von Wasser bedeckt.

Wie müssen wir uns nun die Erde der Zukunft vorstellen – als Treibhaus oder als Gefrierschrank? Zur Beantwortung dieser Frage können wir erdgeschichtliche Präzedenzfälle heranziehen. Es gab in der geologischen Vergangenheit der Erde wesentlich mehr Pe- rioden mit Treibhausklima als Kälteperiode n. Auch die Astrophysik hat hier ein gewichtiges Wort mitzureden: In der fernen Zukunft wird die Sonne minimal wärmer sein, gerade genug, um die Erde ein wenig näher an den Punkt zu bringen, an dem die Ozeane ver-

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dunsten und alles Leben verschwinden würde. Mit oder ohne Hilfe des Menschen: Es ist eher wahrscheinlich, dass die Erde zu ihrem Normalzustand zurückkehren wird, nämlich warmem Klima – so wie es einst die Dinosaurier liebten – ohne Eiskappen.

Hier sind wir nun, in der fernen Zukunft: ein warmer Lebensraum mit eher lauwarmen als kalten Meeren; die Erde erscheint blauer als heute, da nun drei Viertel der Landmassen unter Wasser liegen, im Vergleich zu den heutigen zwei Dritteln. Auf den Landfl ächen, die aus dem Wasser ragen, gibt es immer noch viel Grün. Wenn unsere zukünftigen Besucher so etwas wie Erstaunen kennen und über ein ästhetisches Empfi nden verfügen, werden sie diesen Planeten betre- ten wollen. Schnallen wir uns an, es ist Zeit zur Landung.

Die Erde in ferner Zukunft: eine Nahaufnahme

Unsere Fantasie reicht wahrscheinlich nicht aus, um uns das von den Besuchern angetroffene Pfl anzen- und Tierreich vorstellen zu können. Auf alle Fälle würde diese von Leben durchdrungene Welt sie durch ihre Vielfalt in Erstaunen versetzen. Stellen Sie sich das gleiche Szenario einmal in der Kreidezeit vor 100 Millionen Jahren vor: Welcher Besucher hätte angesichts der Dinosaurier und Farne gedacht, dass einst Säugetiere und bunte Blütenpfl anzen die Erde beherrschen werden.

Warum sollte die Erde in der Zukunft nicht von Nagetieren bevölkert sein, vielleicht Nachfahren der heutigen Ratten, die uns als erfolgreiche Kulturfolger schon immer um die ganze Welt be- gleitet haben. Die einzelnen Nagerarten könnten die unterschied- lichsten Größen haben; manche könnten kleiner sein als eine Spitzmaus, andere so groß wie Elefanten und wie diese durch das Grasland ziehen. Eine weitere Art wäre möglicherweise extrem fl ink und dabei stark und mit Killerinstinkt ausgerüstet wie ein Leopard. Alles ist denkbar – warum nicht auch eine oder zwei Spezies von großen unbehaarten Nagern, die in Höhlen leben und sich aus Steinen einfache Werkzeuge fertigen. Zu ihrem Schutz

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bedecken sie sich mit den Häuten der Tiere, die sie erlegt und verspeist haben.

In den Meeren könnten robbenartige Nagetiere umherschwim- men, die ihrerseits von größeren, beutereißenden Killernagern ge- jagt werden, die mit ihren torpedoförmigen Körpern den heutigen Delfi nen und den ausgestorbenen Ichthyosauriern ähneln. Auch Fische könnte man sich in dieser Tiergesellschaft noch vorstellen, sowohl Knochenfi sche als auch Haie mit ihren Knorpelskeletten.

Was die Haie betrifft, muss man allerdings vorsichtig mit Prognosen sein: Bereits heute sind die Haipopulationen durch Überfi schung stark rückläufi g, und das gerade bei den großen Arten in besonders erschreckendem Maße. Von dieser Entwicklung könnten wiederum andere Lebewesen, wie beispielsweise die Tintenfi sche, profi tieren, und sich weitere Lebensräume erobern oder diese sogar beherr- schen.

Nach Ihrer Ankunft werden unsere zukünftigen Forscher für eine geraume Zeit alle Hände voll zu tun haben, schon allein um die vorhandene Fülle an Organismen zu Lande und zu Wasser zu studieren und zu katalogisieren. Sie könnten sich in den endlosen Details dieser Vielfalt verlieren, vielleicht sind sie aber ebenso an der Frage interessiert, was die Erde und ihr Ökosystem in ihrer Ganz- heit zusammenhält und steuert.

Sie werden herausfi nden, dass die Pfl anzen die Grundlage des vielfältigen Lebens auf der Erde sind, indem sie einen Teil des Son- nenlichtes auffangen und den für sie nutzlosen Rest wieder in das All refl ektieren (spätestens jetzt werden unsere Besucher erkennen, woher der bei der ersten Analyse festgestellte grüne Spektralan- teil dieses Planeten stammt). Mithilfe der Energie des eingefan- genen Lichts spalten die Pfl anzen einfache Moleküle wie Wasser und Kohlendioxid auf. Diese Bruchstücke verbinden sie wieder zu komplexen organischen Molekülen, die sie zu ihrem eigenen Mas- seaufbau verwenden, wobei als Nebenprodukt Sauerstoff in die Atmosphäre entweicht. Unter Einsatz weiterer chemischer Kunst- griffe machen die Pfl anzen die Energie, die in einigen der neu syn- thetisierten Kohlenwasserstoffe gespeichert ist, durch Reaktion mit

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Sauerstoff wieder für sich verfügbar. Dabei werden diese organi- schen Moleküle wieder in Kohlendioxid und Wasser zerlegt. Die bei dieser Oxidation (die man Respiration nennt) frei werdende Ener- gie nutzt die Pfl anze, um ihren gesamten biomolekularen Kreislauf anzutreiben.

Bei einer anderen Gruppe von Organismen, den Tieren, sieht die Sache etwas anders aus. Diese sind offensichtlich nicht in der Lage, das Sonnenlicht aufzufangen und aus dessen Energie und einigen einfachen Molekülen ihre Körpermasse aufzubauen. Sie halten sich vielmehr an den Pfl anzen schadlos, die sie als Energie- und Biomas- sequelle nutzen, indem sie sie fressen. Einige ganz gewitzte Spezies umgehen die Mühsal des Pfl anzenfressens und fallen gleich über andere Tiere her, um deren nahrhafte Biomasse für sich zu nutzen.

Wir dürfen annehmen, dass sich unsere zukünftigen Besucher mit dem Phänomen des Lebens auskennen. Somit werden ihnen die hier vorgefundenen, auf komplizierte Weise miteinander verwobenen ökologischen Kreisläufe von Energie und Materie, wie sie durch die Millionen von Arten und Trillionen von einzelnen Lebewesen er- zeugt werden, bekannt vorkommen. Aber wer weiß, vielleicht liegen wir mit dieser Annahme auch völlig falsch. Wir dürfen in unserer Ich-Bezogenheit nicht vergessen, dass sich auf anderen Planeten, die um andere Fixsterne kreisen, völlig abweichende Formen von Leben entwickelt haben können.

Es ist gleichgültig, wie vertraut oder fremd unseren zukünftigen Entdeckern die treibende Kraft ist, die dem System „Leben“ auf der Erde zugrunde liegt. Wir gehen in jedem Fall davon aus, dass sie ein ausgeprägtes Interesse daran haben werden, diese Kraft zu ver- stehen und ihren Ursprung zu erforschen. Somit werden Untersu- chungen der physikalischen und chemischen Zusammenhänge des Lebens auf der Erde einen großen Teil ihrer Forschungstätigkeit ausmachen. Sie werden außerdem verstehen müssen, wie die Ent- wicklungsgeschichte der lebenden Organismen und der von ihnen bewohnten Erde verlief, denn nur so können sie aus ihren Ergebnis- sen ein Gesamtbild des Lebens ableiten und dessen Verhältnis zum festen Erdkörper ins rechte Licht setzen.

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Bald werden unsere Forscher herausfi nden, dass sich diese Ent- wicklungsgeschichte in einem solchen Maße auf der Oberfl äche der Erde wiederfi ndet wie auf keinem anderen Planeten in diesem Sonnensystem – geradezu wie auf einer Mülldeponie. Aus dieser Mülldeponie ist nun eine Schatzkammer geologischer Schichten ge- worden. Es ist höchste Zeit, dass unsere Entdecker beginnen, sich mit diesen Schichten zu befassen.

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