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Steuererleichterungen bremsen Stellenschwund in Randregionen | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

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Academic year: 2022

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REGIONALPOLITIK

Die Volkswirtschaft  3 / 2020 45

Steuererleichterungen bremsen Stellenschwund in Randregionen

Mit seiner Regionalpolitik belohnt der Bund Unternehmen, die in strukturschwachen Gebieten Arbeitsplätze erhalten. Wie eine neue Studie zeigt, hat das Instrument Wirkung. 

Thomas Kurer

R

egionale Ungleichheiten innerhalb ent­

wickelter Länder haben in letzter Zeit viel Aufmerksamkeit erfahren.1 So hielt der Internationale Währungsfonds etwa fest, dass die Wirtschaftsleistung von Regionen innerhalb eines Landes häufig ähnlich un­

gleich ist wie jene zwischen den Ländern.

Solch anhaltende Ungleichheit kann benach­

teiligten Regionen das Gefühl vermitteln, dass sie zurückgelassen wurden. Zudem kann es zu Unzufriedenheit führen und das Vertrauen in den sozialen Zusammenhalt untergraben.

Nicht zuletzt um solcher Unzufriedenheit entgegenzuwirken und die Ungleichheit zwi­

schen urbanen und ruralen Gebieten zu ver­

kleinern, gehört eine gezielte Regionalpolitik zum Standardrepertoire vieler entwickelter Länder. Eines der umfassendsten Beispiele ist der Regionale Entwicklungsfonds der Euro­

päischen Union.

Aber auch die Schweiz betreibt seit vielen Jahren eine gezielte und systemati­

sche Förderung strukturell benachteiligter Gebiete. So versucht etwa der Bund im Rahmen seiner Regionalpolitik, mithilfe von Steueranreizen die Anzahl Arbeits­

plätze in strukturschwachen Gebieten zu erhöhen. Bei der direkten Bundes­

steuer kann er nämlich unter bestimmten Voraussetzungen eine Reduktion der Unternehmensgewinnsteuer gewähren.

1 Beitrag basiert auf Kurer (2020).

Abstract  Im Rahmen der Regionalpolitik kann der Bund Steuererleichterungen für industrielle Unternehmen gewähren, die Arbeitsplätze in strukturschwachen Ge- bieten schaffen oder neu ausrichten. Die Wirksamkeit des Instruments war bisher umstritten. In einer neuen Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) wurde ein spezielles statistisches Verfahren angewendet, um die Wirksam- keit der Steuererleichterungen zu untersuchen. Die Analyse mit dem sogenannten Regressions-Diskontinuitäts-Design (RDD) zeigt, dass die Einführung des Instru- ments zwar bescheidene, aber doch signifikant positive Effekte auf die regionale Arbeitsmarktentwicklung in den untersuchten Gebieten hat. Generell gingen die Arbeitsplätze im Industriesektor in den wirtschaftlich benachteiligten Gebieten zwi- schen 2008 und 2016 zwar zurück. Der allgemeine Rückgang konnte innerhalb der anspruchsberechtigten Regionen aber leicht abgeschwächt werden.

Von den Steuererleichterungen profitieren Unternehmen, die in der Produktion oder in produktionsnahen Bereichen in struktur­

schwachen Regionen tätig sind und da­

durch Arbeitsplätze schaffen.

Umstrittene Wirksamkeit

Die Wirkung solcher Steuererleichterungen empirisch zu untersuchen, ist kein einfaches Unterfangen. Denn Gemeinden, die in den

Genuss von Steuererleichterungen kom­

men, und Gemeinden, denen die Möglich­

keit nicht zusteht, unterscheiden sich sys­

tematisch. Der Grund: Per Definition steht das Instrument nur strukturschwachen Regionen zu, die im Durchschnitt mit einer schwierigeren Arbeitsmarktsituation kon­

frontiert sind. Ein simpler Vergleich der Arbeitsmarktentwicklung von Gemeinden mit und ohne das Instrument würde also den Effekt unterschätzen.

Grundsätzlich ist jede Wirksamkeits­

analyse mit demselben Problem konfron­

tiert: Es fehlt an einer idealen Vergleichs­

gruppe. Eine mögliche Lösung ist die Randomisierung, bei der die Probanden zufällig in Experimental­ oder Kontroll­

gruppe eingeteilt werden. Randomisierun­

gen gelten gemeinhin als Goldstandard für die Evaluation kausaler Effekte. Denn die zufällige Zuteilung in eine der beiden Gruppen verhindert systematische Unter­

schiede zwischen den Gruppen und sorgt dafür, dass sie sich nur hinsichtlich der Intervention unterscheiden. So kann jeder

1 Verteilung MS­Regionen (Dichte)

­2 ­1 0

Strukturschwächeindikator 1

0,75

0,5

0,25

0 CREDIT SUISSE ECONOMIC RESEARCH. EIGENE DARSTELLUNG DES AUTOREN / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

  Nicht anspruchsberechtigte Regionen für Steuererleichterungen gemäss der Regionalpolitik       Strukturschwache, anspruchsberechtigte Regionen   

Abb. 1: Verteilung der Schweizer Regionen nach Strukturschwäche

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Unterschied im Ergebnis kausal auf die Intervention zurückgeführt werden.

In der Praxis sind randomisierte Experi­

mente allerdings häufig problematisch oder nicht umsetzbar. Zweifelsohne würde eine Anspruchsberechtigung für Steuer­

erleichterungen per Los oder Münzwurf zu Protesten führen. Aus diesem Grund mussten für die Kausalanalyse im nicht ex­

perimentellen Bereich andere Verfahren ent­

wickelt werden. Ein solches Verfahren ist das Regressions­Diskontinuitäts­Design (RDD).

In seiner Urform ist es bereits seit den Sech­

zigerjahren bekannt.2

Diese Methode eignet sich dann, wenn eine Diskontinuität bei der Zuteilung in die Experimental­ und die Kontrollgruppe vor­

liegt. Ein typisches Beispiel dafür sind Punkt­

zahlen an Zulassungsprüfungen. Diese eig­

nen sich zur Messung der Wirkung eines Stu­

diums auf den späteren Lohn. Angenommen, bei einer solchen Prüfung können zwischen 0 und 100 Punkte erreicht werden. Wer eine Punktzahl von 60 erreicht, hat bestanden und ist zum Studium zugelassen. Auch hier würde der simple Vergleich von erfolgreichen und durchgefallenen Personen die Wirkung des Studiums auf den Lohn verzerren. Denn grundsätzlich gibt es eine positive Korrela­

tion sowohl zwischen Punkten und Studium als auch zwischen Punkten und späterem Lohn, weil die Punktzahl auch von Intelligenz, Fleiss und anderem abhängt. Rund um die 60­Punkte­Schwelle gibt es allerdings einen

«Sprung» – eine Diskontinuität – in der Wahr­

scheinlichkeit, ein Studium zu beginnen. Bei der Intelligenz und dem Fleiss gibt es aller­

dings keine solche Diskontinuität. Wenn wir nun also die Prüfungsteilnehmenden ganz knapp unter und über dieser Schwelle von 60 Punkten in die Untersuchung mit ein­

beziehen, können wir davon ausgehen, dass sich diese Personen tatsächlich primär im Bestehen oder Nichtbestehen der Prüfung und damit einzig durch das nachfolgende Studium systematisch unterscheiden.

Wer ist strukturschwach?

Seit einer Reform der Regionalpolitik im Jahr 2008 zeigt sich auch bei den Steuer­

erleichterungen für strukturschwache Re­

gionen eine Diskontinuität wie im obigen Beispiel. Damals fand man, die Kriterien für die Regionen, die anspruchsberechtigt waren, seien zu wenig spezifiziert und müssten neu definiert werden. Im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco)

2 Siehe Thistlethwaite und Campbell (1960).

Abb. 2: Regionen der Schweiz nach Strukturschwäche und Anspruchsberechtigung

  Nicht anspruchsberechtigte Regionen für Steuererleichterungen gemäss der Regionalpolitik       Strukturschwache, anspruchsberechtigte Regionen   

0

­0,5

­1

­1,5

­2

­2,5 0,5 1 1,5

Strukturschwächeindikator

March SZ Zug Nyon VD Morges/Rolle VD Pfannenstiel ZH Zürich La Gruyère FR Monthey/St­Maurice VS Nidwalden/Engelberg OW Gros­de­Vaud Murten FR Glattal/Furttal ZH Lugano TI Vevey/Lavaux VD Fricktal AG GenfKnonaueramt ZH Glâne/Veveyse FR La Sarine FR Oberes Baselbiet BL Sursee/Seetal LU Martigny VS Pays­d'Enhaut VD Zürcher Unterland Zimmerberg ZH Thurtal SG Lausanne Werdenberg SG Bern Innerschwyz Weinland ZH Winterthur ZH Neuenburg Mutschellen AG Sense FR Freiamt AG Baden AG La Broye VD/FR Aigle VD Unteres Baselbiet BL Zürcher Oberland SG Wil SG

Sarneraatal OW Sitten Aarau Thun BE Bellinzona Olten/Gösgen/Gäu SO Rheintal SG Bündner Rheintal Appenzell I.Rh.

Linthgebiet GL Laufental BL Limmattal ZH Aaretal BE Untersee/Rhein TG Willisau LU Schaffhausen

CREDIT SUISSE ECONOMIC RESEARCH, EIGENE DARSTELLUNG DES AUTOREN / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

St. Gallen/Rorschach Erlach/Seeland BE La Vallée VD Luzern Brugg/Zurzach AG Solothurn Biel/Seeland BE Oberthurgau TG Locarno TI Brig VS Burgdorf BE Mendrisio TI Sarganserland SG Einsiedeln SZ Yverdon VD Siders VS Tre Valli TI Oberaargau BE Visp VS Domleschg/Hinterrhein GR Misox GR Val de Travers NEJura Grenchen SO Oberengadin GR Glarner Mittel­/Unterland Prättigau GR La Chaux­de­Fonds NE Berner Jura Saanen/Obersimmental BE Oberland­Ost BE Schwarzwasser BE Kandertal BEUri Surselva GR Oberes Emmental BE Leuk VS Davos GR Entlebuch LU Toggenburg SGThal Unterengadin GR Mittelbünden Glarner Hinterland Goms VS Schanfigg GR

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Der Bund unterstützt struktur- schwache Regionen. Arosa im Schanfigg GR.

KEYSTONE

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Thomas Kurer

Dr. phil. Politikwissenschaft, Senior Researcher, Institut für Politikwissenschaft, Universität Zürich

Literatur

Thistlethwaite, D. L. und Campbell, D. T. (1960).

Regression­Discontinuity Analysis: An Alternative to the Ex Post Facto Experiment. In: Journal of Educatio­

nal Psychology, 51(6), 309–317.

Kurer, Thomas (2020). Regressions­Diskontinuitäts­

Analyse von Steuererleichterungen im Rahmen der Regionalpolitik. Studie im Auftrag des Staatssekreta­

riats für Wirtschaft.

entwickelte die Forschungsabteilung der Credit Suisse ein systematisches Verfahren, um die ökonomische Strukturschwäche zu messen. Das neue Verfahren basierte auf einem synthetischen Indikator zur Regional­

entwicklung, der die 106 vom Bundesamt für Statistik definierten Kleinarbeitsmarkt­

gebiete (sogennante MS­Regionen) der Schweiz nach diversen objektiven, öko­

nomischen Kennzahlen klassifiziert. Ob eine Region strukturschwach ist, hängt dabei unter anderem von der Bevölkerungs­ und der Wirtschaftsentwicklung, von der Ein­

kommenssituation und von der regionalen Arbeitslosigkeit ab.

Ähnliche Regionen vergleichen

Welche Regionen sind also strukturschwach und können das Instrument der Steuer­

erleichterungen anwenden? Der Bund nahm die Standardnormalverteilung des synthe­

tischen Indikators als Basis und entschied sich dafür, dass die untersten 30 Prozent der Verteilung als strukturschwach gelten und förderungsberechtigt sein sollen (siehe Abbildung 1 auf Seite 45). In diesen Regionen sind insgesamt rund 10 Prozent der schweize­

rischen Bevölkerung wohnhaft.

Ein Vergleich zwischen der struktur­

schwächsten Region, dem Bündner Schan­

figg, und der strukturstärksten, der Region March am oberen Zürichsee, wäre natür­

lich nicht geeignet, um die Wirkung der Steuererleichterungen zu untersuchen.

Denn die beiden Regionen unterscheiden sich in allen möglichen Charakteristika systematisch. Hingegen unterscheiden sich die Regionen, die um die 30­Pro­

zent­Schwelle herum positioniert sind, kaum. So ist beispielsweise die Region Siders praktisch gleich strukturschwach wie das Tessiner Tre Valli oder der Berner

Oberaargau. Trotzdem hatten die letzteren beiden Regionen, nicht aber Siders An­

spruch auf Steuererleichterung im Rahmen der Regionalpolitik (siehe Abbildung 2 auf Seite 46). Da die Anspruchsberechtigung auf dem objektiven Strukturschwäche­

indikator basiert, haben die Regionen keine Möglichkeit, zu manipulieren, ob sie Anspruch auf Steuererleichterungen haben oder nicht.

Die Diskontinuität beim Zugang zum Instrument der Steuererleichterungen zwi­

schen den Regionen knapp über und unter dem Schwellenwert ermöglicht eine kausale Wirksamkeitsanalyse. Um zu messen, wie sich die regionale Wirtschaft entwickelt hat, wurde untersucht, wie sich die Anzahl Arbeitsplätze im zweiten Sektor zwischen 2008 und 2016 verändert hat. Dabei soll nur gemessen werden, wie sich die Einführung des Instruments an sich ausgewirkt hat – und nicht, welchen Effekt die tatsächlich bewilligten Steuererleichterungen haben.

Dieser sogenannte Intention­to­Treat­Effekt ist für die Beurteilung von Regionalpolitiken relevant, bei denen die Gemeinden nicht zur Teilnahme gezwungen werden können. In diesem Sinne ist die Nichtteilnahme trotz eigentlicher Anspruchsberechtigung integ­

raler Bestandteil der Steuererleichterungen in der Regionalpolitik.

Positiver Effekt auf Arbeitsmarkt

Wie die Analyse zeigt, hatte die Einführung des Instruments nachweislich positive Ef­

fekte auf die Arbeitsmarktsituation in den betroffenen Gemeinden. Je nach Modell­

spezifikation variiert die Stärke des Effekts leicht, aber im Durchschnitt bewegt er sich in der Grössenordnung von rund 30 Arbeitsplätzen. Konkret heisst das: Obwohl zwischen 2008 und 2016 in den Gemeinden

rund um den Schwellenwert Arbeitsplätze in der Industrie verloren gingen, fiel dieser Rückgang in den Gemeinden gerade über dem Schwellenwert um rund 30 Arbeits­

plätze weniger stark aus als in den Ge­

meinden leicht unter dem Schwellenwert.

Auf den ersten Blick erscheint ein durch­

schnittlicher Effekt von rund 30 Arbeits­

plätzen eher bescheiden. Allerdings sind die prozentualen Effekte im Verhältnis zur Gesamtzahl der Arbeitsplätze in den be­

troffenen Gemeinden durchaus nennens­

wert. Zudem ignoriert das Resultat, ob die Gemeinden über der Schwelle tatsächlich Steuererleichterungen angeboten haben oder nicht. Die Wirkung effektiv gewährter Steuererleichterungen ist zweifellos grös­

ser als der Effekt der generellen Einführung des Instruments. Wegen der relativ klei­

nen Anzahl effektiv gewährter Steuer­

erleichterungen kann dieser direkte Effekt allerdings nicht präzise geschätzt werden.

Referenzen

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