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Der Bund muss seine Berggebietsförderung überprüfen | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

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Academic year: 2022

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BERGGEBIETE

6 Die Volkswirtschaft  10 / 2017

Die Restriktionen der Zweitwohnungsgesetzge- bung und die sinkende Nachfrage nach Ferien- immobilien reduzieren die Umsätze im Bauge- werbe und erschweren Um- und Neubauten in der Hotellerie. Der starke Franken verschlech- tert die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz gegenüber den ausländischen Ferien- destinationen. Die alpinen Tourismusregionen verzeichnen teilweise stark rückläufige Logier- nächte (siehe Abbildung 3). Gleichzeitig bedro- hen sinkende Strompreise die Einnahmen der Gebirgskantone und -gemeinden aus dem Was- serzins. Trotzdem: Im Vergleich zu den ländli- chen Regionen vieler OECD-Mitgliedsstaaten fallen die entwicklungspolitischen Herausforde- rungen der Schweizer Bergregionen gering aus.

In der Frühjahrssession 2017 hat der Natio- nalrat ein Postulat1 des Bündner SVP-National- rats Heinz Brand überwiesen. Der Bundesrat wird damit beauftragt, einen Bericht über die mit- tel- und langfristige wirtschaftliche Entwicklung

D

ie Berggebiete prägen das Bild der Schweiz und spielen im kollektiven Selbstverständ- nis eine wichtige Rolle. Sie sind nicht nur Le- bensraum rund eines Viertels der Schweizer Bevölkerung, sondern haben darüber hinaus wichtige Funktionen als Identifikations-, Wirt- schafts- und Erholungsraum mit besonders ho- hen Natur- und Landschaftswerten. Damit sind sie wichtig für das Land und spielen für die nachhaltige Entwicklung eine zentrale Rolle.

Wirtschaftliche Herausforderungen nehmen zu

Die wirtschaftlichen Herausforderungen der Berggebiete haben sich in jüngster Zeit akzentu- iert. Durch die topografischen Hindernisse und die geringe Dichte an Bevölkerung und Unter- nehmen haben die Berggebiete im Vergleich mit den grossen Zentren des Mittellandes grundsätz- lich schwierigere Voraussetzungen für die wirt- schaftliche Entwicklung. Während die Bevölke- rung schweizweit wächst, nimmt sie in einigen Regionen des Alpenraums und der Voralpen ab (siehe Abbildung 1). Der Anteil Personen über 64 Jahren wächst im Berggebiet stärker als in der üb- rigen Schweiz (siehe Abbildung 2). Hinzu kom- men jetzt zusätzliche externe Schocks, welche die wirtschaftliche Basis des Berggebiets bedrohen.

Der Bund muss seine Berggebiets- förderung überprüfen

Frankenstärke, Zweitwohnungsinitiative und sinkende Wasserzinse machen den Berg- gebieten zu schaffen. Hat der Bund eine Strategie, um die Berggebiete zu unterstützen?

Ein Postulat verlangt vom Bundesrat eine Antwort.  Annette Spoerri

Abstract  Die Berggebiete sind wichtige Lebens-, Wirtschafts- und Natur- räume für die Schweiz. Doch sie stehen unter erhöhtem wirtschaftlichem Druck. Der Bund verfügt über eine breite Palette an Instrumenten und Massnahmen, um die Akteure im Berggebiet zu unterstützen. Dieses Ins- trumentarium gilt es nun aufgrund eines parlamentarischen Auftrags zu überprüfen und bei Bedarf weiterzuentwickeln. Letztlich kann der Bund aller dings nur Anreize für Eigeninitiative setzen. Denn der Strukturwandel muss in erster Linie von den privaten Akteuren getragen werden.

1 Postulat 15.3228: «Be- richt über die Entwick- lungsperspektiven des Alpenbogens auf- grund der veränder- ten wirtschaftlichen Rahmenbedingun- gen». Weiterführen- de Informationen auf Parlament.ch.

Was umfasst das «Berggebiet»?

Eine einheitliche geografische oder statistische Definition, was in der Schweiz unter «Berggebiet» oder «Alpenbogen» verstan- den wird, existiert nicht. Zwar offiziell, aber veraltet ist die De- finition der Ende 2007 ausgelaufenen Investitionshilfegesetz- gebung (IHG) des Bundes. Sie unterscheidet im Alpenraum und im Jura total 54 Regionen. Diese Regionen basieren einerseits auf sozioökonomischen Kriterien und auf funktionalräumlichen Verflechtungen, anderseits aber auch auf einem politischen Aushandlungsprozess.

Verschiedene Sektoralpolitiken des Bundes kennen räumliche Differenzierungen ihrer Zielgebiete, die in der einen oder anderen Form eine Annäherung an das Berggebiet vornehmen. Der natio- nale Finanzausgleich definiert die geografisch- topografischen Sonderlasten etwa über drei Kriterien: Höhenlage, Steilheit und feingliedrige Besiedlung. Der landwirtschaftliche Produktions- kataster erfasst erschwerende Produktionsverhältnisse und Le- bensbedingungen, die bei der Anwendung des Landwirtschafts- gesetzes angemessen zu berücksichtigen sind.

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FOKUS

Die Volkswirtschaft  10 / 2017 7

Der Strukturwandel setzt dem Bündner Dorf Bivio am Julierpass zu. 2016 fusionierte es mit weiteren Dörfern zur Gemeinde Surses.

KEYSTONE

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BERGGEBIETE

8 Die Volkswirtschaft  10 / 2017

des Alpenbogens aufgrund der veränderten wirt- schaftlichen Rahmenbedingungen vorzulegen.

Gemäss dem Postulatstext soll der Bericht kon- krete inhaltliche und zeitliche Massnahmen auf- zeigen, wie der Bund trotz der dramatisch verän- derten Rahmenbedingungen die wirtschaftliche Existenz und Entwicklung des Alpenbogens wei- terhin sicherstellen und der absehbaren Abwande- rung wirksam begegnen will. Der Bundesrat muss das Postulat innert zweier Jahre beantworten.

In funktionalen Räumen denken

Tatsache ist, dass der Alpenbogen nicht homo- gen ist und unterschiedliche Raumtypen darin vorkommen (siehe Kasten). Multifunktionale Tal- böden mit grösseren Agglomerationen wie Chur oder Siders stehen nicht vor den gleichen Chancen und Herausforderungen wie alpine Tourismus- zentren oder periphere Räume. Um die wirtschaft- liche Entwicklung des Alpenraums zu stimulie- ren, braucht es räumlich differenzierte Strategien, welche die Chancen und Herausforderungen der unterschiedlichen Raumtypen berücksichtigen und die positiven Wechselwirkungen zu nutzen versuchen. Stadt und Land sind eng funktional verflochten und wechselseitig abhängig voneinan- der. Das Denken und Handeln in Stadt-Land-über- greifenden funktionalen Räumen ist zentral für eine nachhaltige Raumentwicklung und zielfüh- render als starre Definitionen. Zu diesem Credo bekennt sich die Schweiz sowohl in ihrem Raum- konzept als auch in den UNO-Zielen für nachhalti- ge Entwicklung (Sustainable Development Goals).

Breite Palette an Instrumenten

Der Bund setzt bereits eine Vielzahl von Sekto- ralpolitiken ein, die ihre Wirkung grösstenteils in den Berggebieten und ländlichen Räumen der Schweiz entfalten: die Neue Regionalpoli- tik (NRP), die Tourismuspolitik, die Pärkepolitik zur Förderung von Nationalpärken und regio- nalen Naturpärken, die Landwirtschaftspolitik, den Finanzausgleich (NFA) und viele mehr (sie- he Abbildung 4). Da ein Grossteil der Agglomera- tionen im ländlichen Raum und einige sogar im Berggebiet liegen, ist auch die Agglomerations- politik für die ländlichen Räume und Berggebie- te ein relevantes Förderinstrument.

  2,50 – 3,49        1,50 –2,49         1,00 – 1,49       0,00 – 0,99      -1,50 – 0,00

Abb. 2: Veränderung des Anteils Einwohner über 64 Jahren in Prozent- punkten (2010–2015)

BFS, REGIOSUISSE / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

  2,00 – 2,99        1,00 – 1,99         0,50 – 1,00       0,00 – 0,49      -0,50 – 0,00         -1,5 – -0,51

Abb. 1: Jährliches Bevölkerungswachstum in Prozent (2010–2015)

BFS, REGIOSUISSE / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Die Karten bilden die sogenannten MS-Regionen ab. Dabei handelt es sich um Kleinarbeitsmarktgebiete mit funktionaler Orientierung auf regionale Zentren.

  > 29,99        20,00 – 29,99         10,00 – 19,99       0,00 – 9,99      -10,00 – 0,00         -20,00 – -10,01         -30,00 – -20,01         < -30,00

BFS, REGIOSUISSE / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Abb. 3: Veränderung der Logiernächte (Total) in Prozent (2010–2016)

Den übergeordneten strategischen Orientie- rungsrahmen bilden das Raumkonzept Schweiz und die Politik für die ländlichen Räume und Berggebiete (P-LRB), die der Bundesrat gemein- sam mit der weiterentwickelten Agglomerations-

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FOKUS

Die Volkswirtschaft  10 / 2017 9 Abb. 4: Beiträge des Bundes an die kohärente Raumentwicklung, in Franken

Bundesamt für Landwirtschaft   a Direktzahlungen Landwirtschaft b Produktion und Absatz Landwirtschaft c Grundlagenverbesserung und Sozialmassnahmen

Eidgenössische Finanzverwaltung     Ressourcen-, Lasten- und Härteausgleich

  Bundesamt für Verkehr / Bundesamt für Strassen

Regionaler Personenverkehr

Bundesamt für Raumentwicklung

Agglomerationsprogramme «Verkehr und Sied- lung»

Bundesamt für Umwelt       a 60 Mio. Schutzwald b 40 Mio. Revitaliserung Gewässer c 20 Mio. Bewirtschaftung Gewässerraum d 17 Mio. Pärke

e 12 Mio. Waldwirtschaft f 10 Mio. Waldbiodiversität

Staatssekretariat für Wirtschaft a 50 Mio. Neue Regionalpolitik b 20 Mio. Impulsprogramm Tourismus c 7,5 Mio. Innotour

Bundesamt für Raumentwicklung / Staats sekretariat für Wirtschaft Massnahmen AggloPol und P-LRB

Die Grafik zeigt die Beiträge für alle Räume, nicht nur das Berggebiet. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

politik im Februar 2015 verabschiedet hat. Diese beiden Querschnittspolitiken tragen zu einer ko- härenten Raumentwicklung in der Schweiz bei.

Die P-LRB ist im Wesentlichen eine strategische Klammer, um die Ziele und Beiträge des Bun- des für das Berggebiet und die ländlichen Räu- me zu bündeln und zu koordinieren. Sie fördert spezifische Massnahmen – vorwiegend im Gou- vernanzbereich –, um die Wirkung und die Syn- ergienutzung zwischen den Sektoralpolitiken zu verbessern.

Anreize für private Initiativen

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) betrachtet das Postulat Brand als Chance, die Politik für die ländlichen Räume und Bergge- biete in wirtschaftlichen Belangen zu schärfen und zu konkretisieren. Dazu soll die Zusam- menarbeit mit den interessierten Verbänden vertieft werden. So bieten sich etwa im Tou- rismus Ansatzpunkte, um das Berggebiet ver- stärkt zu unterstützen. Hier gilt es, den Struk- turwandel weiterhin fokussiert zu begleiten und zu unterstützen. Der Bund überarbeitet dazu aktuell seine Tourismusstrategie. Inhalt- lich stehen vier Themen im Vordergrund: Digi- talisierung, Unternehmertum, Rahmenbedin- gungen und Attraktivität des Angebots. Die Strategie soll im Herbst vom Bundesrat verab- schiedet werden.

Die Chancen der Digitalisierung besser zu nut- zen, wird verstärkt auch im Fokus der NRP stehen.

Hierzu lässt das Seco zurzeit eine Studie erarbei- ten, welche den Chancen und Risiken der Digitali- sierung für die Zielgebiete der NRP auf den Grund geht. Einen interessanten Fundus an Ideen für die weiter gehende Förderung der wirtschaftli- chen Entwicklung des Schweizer Berggebiets bie- tet auch die Studie «Strukturwandel im Schwei- zer Berggebiet» des wirtschaftsnahen Thinktanks Avenir Suisse.2

Letztendlich muss die Bewältigung des Struk- turwandels aber primär von den privaten Akteu- ren im Berggebiet getragen werden. Der Bund kann subsidiär zu Kantonen und Gemeinden gezielt und marktorientiert Anreize für Eigeninitiative und Innovation privater Akteure setzen, die den Strukturwandel ermöglichen. Und er kann dazu beitragen, Härten abzufedern. Dabei soll aber kei- nesfalls der Strukturwandel behindert werden.

Annette Spoerri

Stellvertretende Leiterin im Ressort Regional- und Raumordnungspolitik, Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), Bern

a

2800 Mio. 3280 Mio. 993 Mio.

300 Mio.

a b c d a

e f b

444 Mio.

c 200 Mio.

SECO, ARE / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

cb

2 Siehe auch den Bei- trag von Daniel Müller- Jentsch auf Seite 10.

Referenzen

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