SCHWERPUNKT
Die Volkswirtschaft 10/2015 21 wirksame Massnahmen gegen die zunehmende Regulierungstätigkeit. In Analogie zur Schulden
bremse fordert zum Beispiel die liberale Denk
fabrik Avenir Suisse die Einführung einer Regu
lierungsbremse.1
Die Idee eines Regulierungsbudgets analog zum Fiskalbudget kam in den USA schon Ende der Siebzigerjahre auf.2 Da die Berechnung der Kosten und Nutzen von Regulierungen in einer dynamischen Wirtschaft jedoch ausserordent
lich schwierig und aufwendig ist, kam es nie zu einer konkreten Umsetzung.
Mit dem zunehmenden Bewusstsein für die Kosten der Regulierung ist die Debatte in den letzten Jahren mit der Forderung nach einer Re
gulierungsbremse wieder aufgeflammt. Einige
L
ange Zeit lagen die steuerliche Belastung und deren Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft im Fokus der Öffentlichkeit.
In den letzten Jahren hat allerdings auch das Bewusstsein für die regulatorische Belastung zugenommen. Politik und Wirtschaft fordern
Kann «one-in, one-out» die Regulierung bremsen?
Grossbritannien, Deutschland, Frankreich und Kanada setzen seit Kurzem auf den «one
in, oneout»Mechanismus. Damit wollen sie die Zunahme von neuen Regulierungen stoppen. Annetta Holl
Abstract Der Umfang der Rechtssammlung nimmt laufend zu, und es ist eine Tendenz steigender Regulierungskosten beobachtbar. Damit verbunden ist die Forderung aus Politik und Wirtschaft nach wirksamen Gegenmassnahmen. Eine Möglichkeit, den Anstieg zu bremsen, bietet die «one-in, one-out»-Regel, wel- che besagt: Für jede neue Regulierung muss eine bestehende abgeschafft werden.
Grossbritannien, Kanada, Frankreich und Deutschland haben solche Mechanis- men in den letzten Jahren eingeführt. Da sich die Instrumente jedoch von Land zu Land unterscheiden und es kaum Erfahrungswerte gibt, ist es noch zu früh für eine abschliessende Beurteilung.
1 Siehe Beitrag von Peter Buomberger, Avenir Suisse, auf S. 12.
Für jede neue Regulie- rung eine bestehende streichen – auch in der Schweiz? Ein Weibel stösst einen Wagen mit schweren Geset- zesbüchern aus dem
Nationalratssaal. KEYSTO
NE
REGULIERUNGSDICHTE
22 Die Volkswirtschaft 10/2015
Länder wie Grossbritannien, Kanada, Frankreich und Deutschland haben in den letzten vier Jahren spezifische Instrumente eingeführt, um das Re
gulierungswachstum zu bremsen (siehe Tabelle).
Die eingeführten Mechanismen beruhen auf dem
«onein, oneout»Prinzip (OIOO).
Die Regel besagt: Für jede neu einzuführende Norm (onein) muss eine kostenäquivalente Norm abgeschafft werden (oneout). Dies bedingt einerseits eine regelmässige Überprüfung des Regulierungbestandes, um unnötige Regulierun
gen aufzudecken und abzuschaffen. Anderer
seits muss seriös geschätzt werden, wie viel neue Regulierungen kosten.
Briten verdoppeln mit «one-in, two-out»
Grossbritannien, welches traditionell als Vor
reiter im Bereich «Better Regulation» gilt, hat OIOO bereits im Jahr 2011 als Teil eines um
fassenden Programms für weniger und bessere Regulierungen eingeführt. Dazu gehören zum Beispiel eine KMUVerträglichkeitsbeurteilung, Befristungs und Evaluationsklauseln in Ge
setzen sowie der «Red Tape Challenge» – eine Überprüfung der von der Öffentlichkeit am unnötigsten empfundenen Regulierungen mit dem Ziel, diese zu entfernen.
Im Jahr 2013 haben die Briten mit der Einfüh
rung von «onein, twoout» (OITO), welche sogar eine doppelte Kompensation der Kosten einer Re
gulierung fordert, ihre Ambitionen verstärkt, das Regulierungswachstum nicht nur zu stoppen, sondern vielmehr auch den Regulierungsbestand zu senken.
OITO umfasst (wie zuvor OIOO) alle nationa
len Regulierungsvorhaben. EURegulierungen und internationales Recht sind hingegen nicht in seinem Geltungsbereich, es sei denn, das Vor
haben geht weiter als das EURecht.3 Ebenfalls nicht darunter fallen Notstandgesetze, Regu
lierungen, welche systemrelevante Risiken auf dem Finanzmarkt betreffen, sowie Gebühren und Steuern.
Weiter fallen nur die direkten Kosten, wel
che den Unternehmen und Organisationen der Zivilgesellschaft entstehen, unter die Regulie
rungsbremse. Kosten für Staat und Individuen sowie indirekte Kosten zählen hingegen nicht
dazu. Normalerweise müssen die Kosten binnen eines Jahres und innerhalb des jeweiligen Depar
tements kompensiert werden. Ein departements
unabhängiges Aufsichtsorgan – das «Regulatory Policy Committee»– beurteilt und prüft die Be
rechnungen jeweils zusammen mit dem «Impact Assessment», einer Regulierungsfolgenabschät
zung.
Die Kosten tragen die Versicherten
Zweimal jährlich veröffentlicht dieses Auf
sichtsorgan eine Übersicht über alle neuen und abgeschafften Regulierungen und zieht Bilanz über die Leistung der einzel
nen Departemente. In den neun halbjährlichen Berichten seit Einführung der Regulierungs
bremse im Jahr 2011 konnte eine Nettoreduktion der Kosten für die Wirtschaft von über 2 Mil
liarden Pfund ausgewiesen wer
den. Dabei gab es nur in zwei Halbjahresberichten unter dem Strich keine Einsparungen.
Dieser Erfolg muss jedoch re
lativiert werden, wie das folgende Beispiel zeigt:
Die grösste Entlastung in Grossbritannien mit einer Kosteneinsparung von rund 3 Milliarden Pfund fand im ersten halben Jahr nach Einfüh
rung der Regulierungsbremse statt.4 Unterneh
men konnten diese Summe dank der Anbindung der Renten von betrieblichen Rentenversiche
rungen an den Konsumentenpreisindex anstelle des Einzelhandelspreisindexes einsparen. Die Kosten von ebenfalls rund 3 Milliarden Pfund5 – durch eine Abwertung der Rentenansprüche – tragen die Versicherten und somit Privatperso
nen.
Reine Kostenumverteilungen von Unterneh
men hin zu Privatpersonen gelten in diesem Fall unter OIOO als Kostenerleichterungen für die Wirtschaft.6 Im Falle von Grossbritannien wäre somit ein Grossteil der Kostenentlastungen für die Wirtschaft ohne Umverteilung nicht mög
lich gewesen. Für die Wirkung einer Regulie
rungsbremse ist es folglich entscheidend, wie sie konzipiert ist und welche Kosten für welche Ziel
gruppen gemessen werden.
2 DeMuth, Christopher (1980). The Regulatory Budget, Regulation, März, 29-44; Meyers, Roy (1998). Regulatory Budgeting: A Bad Idea Whose Time Has Come? Policy Sciences, vol. 31, 371-384.
3 Wenn die Umsetzung von EU-Richtlinien im nationalen Recht über die Vorgaben der EU hinausgeht, wird dies als «Gold-Plating», in der Schweiz teilweise auch als «Swiss Finish»
bezeichnet.
4 Department for Busi- ness Innovation & Skills (2011). One-in, One-out:
First Statement of New Regulation - January to June 2011.
5 Equivalent Annual Net Cost to Business (EANCB)
6 Department for Work and Pensions (2011).
Impact of the Move to CPI for Occupational Pensions, Impact Assesssment No.
DWP0014
Reine Kostenum
verteilungen von
Unternehmen hin zu
Privatpersonen gelten
in Grossbritannien als
Kostenerleichterungen
für die Wirtschaft.
SCHWERPUNKT
Die Volkswirtschaft 10/2015 23
Kanada verankert «un pour un»
im Gesetz
Kanada hat 2012 mit «un pour un» einen ähn
lichen Mechanismus wie Grossbritannien ein
geführt und ist das erste Land, welches die Regulierungsbremse auch im Gesetz verankert hat7: Jede Einführung oder Änderung einer Re
gulierung, welche zusätzlichen administrativen Aufwand für die Unternehmen mit sich bringt, muss durch eine Senkung des Aufwandes kom
pensiert werden. Zusätzlich muss bei Einfüh
rung einer neuen Regulierung eine bestehende abgeschafft werden.
Die Regel gilt nur für Verordnungen und Er
lasse und Richtlinien, nicht aber für parlamen
tarische Gesetze. Zudem umfasst sie nur den ad
ministrativen Aufwand einer Regulierung, nicht aber die Regulierungskosten (beispielsweise ge
setzlich vorgeschriebene Schutzausrüstungen auf Baustellen). Nach eigenen Angaben konnten in den vergangenen zwei Jahren 19 Regelungen abgeschafft und die Unternehmen von adminis
trativem Aufwand in der Höhe von 21 Millionen kanadischen Dollar entlastet werden.8
7 Seit 2015.
8 Secrétariat du Conseil du Trésor du Canada (2015). Fiche d’évaluati- on 2013-2014 : Mise en œuvre du Plan d’action pour la réduction du fardeau administratif.
9 Circulaire du 17 juillet 2013 relative à la mise en œuvre du gel de la réglementation.
10 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2014). Eck- punkte zur weiteren Entlastung der mittel- ständischen Wirtschaft von Bürokratie, Regie- rungsbeschluss vom 11. Dezember 2014.
Nachbarländer Frankreich und Deutschland ziehen nach
Frankreich hat mit dem «gel de la réglementa
tion» 2013 ein Moratorium für neue Reglemen
tierungen geschaffen, welches bei Verordnun
gen, Rundschreiben und Dekreten angewandt wird.9 Auch hier gilt: Für jede neue Norm muss eine bestehende abgeschafft werden. Im Ge
gensatz zu Grossbritannien beschränkt sich die Regel allerdings nicht nur auf Kosten für die Wirtschaft, sondern umfasst auch Auswirkun
gen auf die Gebietskörperschaften und auf die Individuen – nicht aber Auswirkungen auf Staat und Verwaltung. Ähnlich wie in Grossbritannien und Kanada müssen die Kosten in einer Regulie
rungsfolgenabschätzung ausgewiesen werden, und die Kostenberechnungen der Normen wer
den ebenfalls halbjährlich dargestellt.
Mit Deutschland hat ein weiteres Nach
barland der Schweiz im vergangenen Juli eine OIOORegel eingeführt.10 Diese wird auf alle Regelungsvorhaben der Bundesregierung ange
wandt, welche zusätzliche Regulierungskosten für die Unternehmen bedeuten. Ausgenommen
Grossbritannien Kanada Frankreich Deutschland
Einführung der
«one-in, one-out»-Regel
2011,
ab 2013 «one-in, two-out» 2012 2013 2015
Gesetzliche Verankerung Koalitionsvertrag/
Koalitionsstrategie Bundesgesetz (seit 2015) Kreisschreiben des
Premierministers Kabinettsbeschluss
Betroffene Regulierungen/
Gesetzesstufe
Alle nationalen Regulierungs-
vorhaben Nationale Verordnungen,
Dekrete, Richtlinien Nationale Verordnungen,
Dekrete, Rundschreiben Regelungsvorhaben Bundesregierung
Ausnahmen EU- und internationales Recht, Notstandgesetze,
Finanzmarktregulierung
Umsetzung übergeordneter Regulierungen, erhebliche Gefahrensituationen
EU-Gesetzgebung, Anwen- dung übergeordneter Gesetze
EU-Gesetze bei 1:1-Umsetzung, befristete Gesetze,
Abwehr erheblicher Gefahren Kosten: Adressaten Unternehmen und Organisati-
onen der Zivilgesellschaft Unternehmen Unternehmen, Gebietskörper-
schaften, Individuen Unternehmen Kosten: Kategorien Administrativer Aufwand und
direkte Kosten Administrativer Aufwand Administrativer Aufwand und
direkte Kosten Erfüllungsaufwand Aufsichtsorgan Regulatory Policy Committee Secrétariat du Conseil
du Trésor
Secrétariat Général du Gouvernement
Staatssekretärausschuss Bürokratieabbau
«One-in, one-out»-Regeln in vier ausgewählten Ländern
SECRÉTARIAT DU CONSEIL DU TRÉSOR DU CANADA; BUNDESMINISTERIUM FÜR WIRTSCHAFT UND ENERGIE (DEUTSCHLAND); WWW.LEGIF- RANCE.GOUV.FR (FRANKREICH); DEPARTMENT FOR BUSINESS, INNOVATION & SKILLS (UK).
REGULIERUNGSDICHTE
sind Vorhaben, soweit sie internationales Recht oder EUVorgaben 1:1 umsetzen, der Abwehr er
heblicher Gefahren dienen oder zeitlich begrenz
te Wirkung haben. Grundsätzlich ist jeweils das federführende Ressort für die Kompensation zuständig. Der sogenannte Staatssekretäraus
schuss Bürokratieabbau (STBA) kann die Kom
pensation jedoch in gewissen Fällen deckeln.
Ähnlich wie in Grossbritannien soll dieses Gre
mium halbjährlich über die geplanten Verände
rungen des Erfüllungsaufwandes und die vorge
sehenen Kompensationsmassnahmen berichten.
Noch kaum Erfahrungswerte
Erfahrungsberichte zu «onein, oneout» sind noch rar. Die Unterschiede bezüglich der gesetz
lichen Grundlagen, der Ausgestaltung, der Kos
tenberechnung sowie der Kontrollinstanz der Re
geln in Grossbritannien, Kanada, Frankreich und Deutschland sind zudem gross. Gleichzeitig beste
hen viele offene Fragen, beispielsweise, wieweit
eine Regulierungsbremse die Kompetenzen einer Legislative einschränken darf oder in welchem Verhältnis eine Regulierungsbremse zu interna
tionalem Recht und zu föderalem Recht steht.
Nicht vergessen werden darf: Regulierungen generieren auch Nutzen, welcher bei einer reinen Kostenbetrachtung wie «onein, oneout» ver
nachlässigt wird. Ob die Instrumente das Regu
lierungswachstum stoppen oder bremsen können und wie sie sich auf die langfristige Regulierungs
qualität auswirken, wird sich somit noch zeigen.
Annetta Holl
Hochschulpraktikantin, Ressort Regulierungsanalyse, Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), Bern
Mietmarktregulierung – jenseits der Polemik
CUREM – Center for Urban & Real Estate Management Telefon 044 208 99 99 oder www.curem.uzh.ch
CUREMhorizonte (öffentlicher Anlass), 30. September 2015, 17.30 Uhr, Aula Universität Zürich
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– Prof. Dr. Pascal Gantenbein gibt eine kurze Einführung in die Funktionsweise des Schweizer Mietmarkts.
– Dr. Peter Pontuch hat sämtliche EU-Staaten hinsichtlich ihrer Mietmarktregulierungen sowie deren Effekte analysiert und teilt seine Erkenntnisse.
– Prof. Dr. Bernd Roeck befasst sich mit dem Aufstieg und Niedergang von Volkswirtschaften und wie wir langfristig reich bleiben könnten.
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