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Einführung in die Philosophie

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Einführung

in die Philosophie

Philosophie, Weltanschauung, Wissenschaft

Von

Victor Kraft

o. Professor der Philosophie an der Universität Wien

1950

Springer-Verlag Wien GmbH

(2)

ISBN 978-3-7091-3517-4 ISBN 978-3-7091-3516-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-7091-3516-7

Alle Rechte, in8be~ondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten Copyright 1950 by Springer-Verlag Wien Ursprünglich erschienin bei Springer-Verlag in Vienna

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Vorwort.

Wenn zu den vielen Einführungen in die Philosophic hier eine neue hinzutritt, kann das nur damit gerechtfertigt wer·

(Ien, daß sie etwas leistet, was bisher so nicht vorliegt. Da~

ist hier erstens die grumlsä!}liche und möglichst strengt' Wahrung der Wissenschaftlichkeit der Philosophie. Gegen.

über aller dogmatischen Konstruktion und gegenüber aller pastoralen Lebensphilosophie &011 hier die Philosophie alb Wissenschaft gefaßt werden. Was sie durch wissenschaftliche Erkenntnis gehen kann und was nicht, soll in eingehender Begründung dargelegt werden. Daß es auch andere Artcll.

Philosophie zu treiben, gibt. wird nicht geleugnet, aber klar geschieden. Ein zweiter R.>"htfertigungsgrullli liegt darin.

daß die hier gegehene Darstellung der Philosophie durch keine der gegenwärtigen Einführungen erse!}t wird, weder hinsichtlich des Weltbegriffes noch weniger hinsichtlich der

\Vertlehre.

Es kann nicht die Aufgabe einer Einführung sein, dil' Philosophie in allen ihren Zweigen und in ihrer Geschieht., in einer zusammengedrängten Übersicht mit einer Fülle von Namen und Fachausdrücken vorzulegen. Dergleichen kann ein Kompendium zur Wiederholung für Prüfungen abgeben, aber es kann nicht in das Verständnis der Philosophie ein·

führen. Die meist übliche Vorführung der verschiedenen Rich·

tungen in der Philosophie mit einer kurzen, kritischen Stel·

lungnahme zu einer jeden ist dazu nicht geeignet. Nicht nur, daß diese Richtungen zu einem großen Teil nur historische und gar nicht aktuelle sind, sondern auch, daß sie nur in sehr gedrängter Form besprochen werden kiinnen, kann nur eine oberflächliche Kenntnis vermitteln. Eine solche Speisenkartt'- von Meinungen kann nur verwirren; sie kann bloß dazu an·

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IV Vorwort.

leiten, sich daraus nach seinen Vorurteilen welche zu wählen.

Ein so zerfahrenes Bild von der Philosophie dem Anfänger hinzustellen, ist nur eine Auswirkung des Historismus. Dar·

um habe ich es für richtig gehalten, in ausführlichen Dar- legungen klar zu machen. wie sich die Philosophie als Wis- senschaft gestaltet. Die Spezialgehiete der Ethik, der Ästhe.

tik, der Erkenntnislehre und der Logik sind hingegen nicht ausführlich behandelt. Die G run dia gen der Ethik und der Ästhetik werden schon in der allgemeinen Wertlehre ge- geben und in den allgemeinen Erörterungen werden die Be- dingungen wissenschaftlicher Erkenntnis und auch die wich·

tigsten historischen und gegenwärtigen Meinungsverschiedeu- heiten darüber auseinandergesellt. Aber eine wirkliche Ein- führung in diese Spezialdisziplinen erfordert eine ebenso ausführliche Darstellung wie die der allgemeinen Einführung.

Eine repetitorienartige übersicht kann ihr Verständnis nicht vermitteln. Um die Auffassung zu erleichtern, ist das We- sentliche durch Sperrdruck herausgehohen. überdies wird durch die Kolumnentitel auf .ieder Seite fortlaufend der Ge- dankengang in Scblagwörtern angegebell.

An Literatur habe ich nur deutsche Werke genannt, weil auf die Kenntnis fremder Sprachen nicht allgemein zu rech- nen i!!t, und auch von den deutschen nur eine Auswahl, auf die der Anfänger hingewiesen wird. Eine lange Liste, in deI"

die verschiedensten Werke unterschiedslos aufgeführt wer- den, kann ihn nur ratlos la8sen. TJm ihm für die BenüllUllg den Weg zu weisen, müssen die einzelnen Werke ihrer Art wHI ihrem Standpunkt nach charakterisiert werden. Dazu dient anch die Angabe ihres Umfanges dnrch die Seiten- zahlen. Die Anmerkungen enthalten nur Belege uud Litera- turnaehweise und gehen über den Rahmen der Einführung hinaus, weil sie viel spezieller sind. Deshalb sind sie auch.

um im Text nicht zu storen, an den Schluß gestellt.

Wie n, im November 1949.

V. Kraft.

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Inhaltsverzeichnis.

Seite

Ein lei tun g. Philo.ophie, Welt. und Lehensanschauung

I. Historismer Teil 5

1. Philosophil' als Wissen überhaupt 5

2. Philosophil' 01. Weltanscbauung, Differenzierung des GI"

samtwusens

3. Philosophie als Theorie der Lebensführung .J.. Philosophie als Lebenspraxis

5. Philosophie als Religionsersoti

6. Philosophie als weltliches Gesamtwissen 7. Philosophie als Welt. und Lebensansicbt 8. Philosophie als Erkenutnisll'hre

9. Philosophie als Problem H. Erkenntniskritischer Teil

1. Philosophie als Welt· und Lehtmsan.icbt 2. Philosophie als Erkenntnis

a) Die Bedingungen der Erkenntnis

h) Erkenntnis·Kritik der philosophischen Systeme ü) des Rationalismus

ß) des Intuitionismus

9 12 14 16 21 28 39

·t2 47 50 '17

50

52 52

;;9

In.

Systematischer Teil 68

A. Das System der Welt 68

1. Wirklichkeits· Erkenntnis und Metaphysik 68 ::!. Das philosophische Welthild als Systl'm der realwissen.

st-haftlimen Erkenntnis 75

B. Das System der Werle 87

1. Werte und Tatsamen 87

2. Begriffsbestimmungen 90

3. Wert.lntuitionismus und Werl.Empirismus 91

t Empirisme Wert.Erkenntnis 96

5. Allgemeingültigkeit von Wertungen 99

a) Objektive Werturteile 101

b) überindhiduelle Wertungen lOS

6. Rationale Begründung VOll Wl'lrturteilen 114

7. Die Rangordnung der Werte 118

8. Normensysteme 121

(6)

Vf Inhaltsverzeichnis.

C. Die philosophismen Sp"zial-Diszi(llinen 1. Dil' Ethik

2. Die Ästhetik

~. Die Erkenntnislehre

~. Die Logik

;). Die übrigeu philosophismtm Spezial-Disziplin .. "

Anmerknngen Litel a tnrhinweis.'

Seite

123 123 133 139 J.l6 148 151 1.'18

(7)

Einleitung.

Philosophie, Welt· und Lehensanschauung.

Wer sich nicht rein akademisch, literarhistorisch mit der Philosophie beschäftigt, wer ein lebendiges Verhältnis zu ihr besißt, der ist im allgemeinen auf einem der folgeuden Wege zu ihr gekommeu. Ein häufiger Weg ist wohl der, daß man in ihr einen Ersr!ß Eilr die religiöse Weltanschauung sucht. Wenn die traditionelle Welt- und Lebensansicht, die von der Religion geboten wird, ihre Selbstverständlichkeit und überzeugungskraft eingebüßt hat, dann wird man zur Philosophie geführt - wenn man sich nicht mit den Resten des Glaubens begnügt oder wenn man sich überhaupt keine Gedanken darüber macht, sondern in den praktischen Inter- essen des Tages aufgeht.

Man kann aber auch selbständig und unmittelbar von sei- nen persönlichen Erlebnisseu und Erfordernissen aus, so na- mentlich auch Jugendliche in der Reifezeit, zu prinzipiellen Fra- gen in Bezug auf die Welt und das Leben gelangen. Gewöhnlich und in erster Linie gehen sie vom Menschen aus. Sie be- treffen seine Stellung in der Welt und die Gestaltung seines Lebens. Es erwachsen die Fragen, was der Tod bedeutet und was der Sinn des Lebens ist, welche Güter vor anderen erstrebenswert sind, nach den Zielen der Bildung usw. Unsere politischen Parteien sind Weltanschauungsparteien und die Auseinanderseßung mit ihnen kann darum schließlich zur Philosophie hinleiten. Wer sich sein Dasein allgemein zu- rechtzulegen sucht und den Blick über das Persönliche hin- allslenkt, der kommt damit zur Philosophie.

Auch von den Fachwissenschaften bel' führt ein Weg zu ihr. Es tauchen hier Fragen auf, die nicht mehr sachliche Fragen des betreffenden Sachgebietes sind, sondern weit

Kraft, Philosophie.

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2 Philosophiscbe Weitanschaullllg.

allgemeineren Charakter tragen. Eine solche Frage ist es z. B., was die Ergebnisse der Physik eigentlich bedeuten.

Enthüllen sie uns eine objektive Wirklichkeit, die wahre Beschaffenheit der Natur gegenüber ihrer wahrnehmbaren, oder geben sie lediglich quantitath"e Beziehungen innerhalb der Wahrnehmungswelt1? Eine andere solche Frage ist die, wodurch die historischen Vorgänge bestimmt werden. Sind es freie Zielse!}ungen der handelnden Personen, freie Schöp.

fungen der Kün6tler und Denker oder sind es unpersönliche F'aktoren, allgemeine Bedingungen - Entwicklungsrichtuu- gen, Rassenanlagen, geistige Strömungen oder die Technik und die Produktionshedingungen? Es sind teils Fragen, wel·

ehe die Erkenntnis betreffen, teil~ solche, welche mit dem Wel tbild zusammenhängen.

Was die Phi los 0 phi e danach leisten soll, was man von ihr verlangt, das kann man zusammenfassend am besten bezeichnen als K I ars tell u n g des P r i n z i pie II e Ti,

d e lS sen, was für die W e I t, für das Leb e n, für das E r k e n n e n fun cl a m e n tal i lS t, was das Grundsät~·

liehe daran bildet. Das macht den Gehalt einer We I t - u n cl Leb e n san s eh a u u n g und E r k e n n t n i sie h r e aus.

Das ist nun aber nicht ausschließlich eine Sache det·

Philosophie. Eine Weltanschauung ist vielmehr zuerst vom

Mytho~ und von der Religion gegeben worden; und auch in der Kunst kann sie zum Ausdruck gebracht werden. In der Philosophie wird eine Weh· und Lebensanschauung in b e - g r i f f I ich e r Formulierung und als ein s y s t e m a t i s ehe [' Zusammenhang von Aussagen gegeben; sie wird in abstrakter und allgemeiner Weise ausgesprochen. Sie erhebt Anspruch auf W a h r h e i t. Sie will nicht bloß Vorstellungen aus- malen, sondern sie möchte von der Wahrheit ihrer Behaup- tungen überzeugen. Darum bringt sie Argumente für sie bei.

Dadurch unterscheidet sich Philosophie von den anderen Formen, in denen Welt- und Lebensanschauung auftret"11 kann.

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Weltanschauung in Religion und Kunst. 3 In der mythischen Form ist sie konkret, anschaulich, er- zählend dargestellt, wie in (Ier Dichtung. So wird die Welt- entstehung durch Götterhandlungen in einem historischen Bericht erzählt. In der Theologie nimmt die Weltanschauung hingegen vielfach begriffliche .I<'orm an und nähert sich der Philosophie. Aber sie scheidet sich von ihr doch immer da- durch, daß sie sich auf eine übernatürliche Quelle, auf eine Erlenchtung, eine Offenbarung als le\ste Grundlage beruft, während die Philosophie an die eigene Einsicht appelliert und rational vorgeht, auch wenn sie, wie S c h 0 pe n hau e r, einen irrationalen Charakter der Welt auseinanderse\st.

Daß in der Dichtung eine WeJtanschauung ihren Aus- druck finden kann, dafür genügt ein Hinweis auf die home- rischen Epen und die Edda mit ihrem Eingreifen der Götter, auf die griechischen Tragödien mit ihren Moralproblemen, auf Dan t e s Göttliche Komödie, G 0 e t h e s Faust, I b - sen s Dramen, auf die Romane von Dos t 0

i

e w ski und Z 0 I a und darauf, daß es katholische und nationalsoziali- stische Dichtung gibt. Aber auch die bildende Kunst, mIn- destens die Malerei, ist imstande, eine Weltanschauung zur Darstellung zu bringen. Man denke nur an die viele religiöse Malerei, die freilich immer erst noch der Interpretation be- darf, oder an Darstellungen kultur-kritischer Themen, wie sie G 0 y a und D a u m i e r in ihren graphischen Blättern von den Schrecken des Krieges, von der Ungerechtigkeit der Justiz usw. gegeben haben, mit denen sie offensichtlich An- klagen von einem idealen Standpunkt aus erheben wollen.

Oder man denke an die Bilder von W a t t e a u und .1<' r a - gon a r cl und B 0 u ehe r, in denen der Epikureismus einer aristokratischen Gesellschaft sich ausspricht. Und selbst dit' Musik ist fähig, eine Weltanschauung ihrem Gefühlsgehalt nach zum Ausdruck zu bringen, wie die 9. Symphonie und die "Missa solemnis" von B e e t h 0 v e n beweisen und die 9. Symphonie von B r u c k n e r, die nicht nur auf dem Titel- blatt "dem lieben Gott" gewidmet ist, oder das Vorspiel zum 3. Akt von "Lohengrin" oder das zum 2. Akt des "Par-

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4 Weltanschauung in Philosophie, Heligion und Kunst.

sifal" von W a g ne r2 • Aber die Kunst beg r ü nd e teine Welt- und Lebensanschauung nicht. Sie steUt sie einfach hin, sie zeigt sie bildhaft in konkreter Gestaltung oder gefühls- mäßig in ihrer Lebensstimmung.

Wie in der Philosophie, crhebt die Weltanschauung auch in der Religion den Anspruch auf Wahrheit, und auch in der Kunst ist ~ie meist (aber nicht immer) als gültige gemeint.

Welt- und LebeIlsanschauungen sind nun in mannigfacher Gestalt entwickelt worden. Auch die Philosophie hat die Frageu nach dem Prinzipiellen in Welt, Leben und Erkennen im Laufe der Geschichte in sehr verschiedener Weisc beant- wortet .. Das soll ein Überhlick über dic geschichtliche Ent- wicklvng der Philosophie zeigen.

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I. Historischer Teil.

1. Philosophie als Wissen überhanpt.

Zum erstenmal ist von "Philosophie" die Rede im 5. Jahr- hundert v. Chr. hei den Griechen. (Der Sache nach trat sie ungefähr zur seihen Zeit wie bei den Griechen, im 6. Jahr- hundert v. Chr., auch iu China und noch früher bei den In- dern auf.) Was damals als "Philosophie" bezeichnet wurde, war aber noch nicht das spezifische Gebiet der Welt- und Lehensanschauung; es war vielmehr das W iss e n im all·

g e m ein e n, das t h e 0 l' e t i s ehe I n t e res s e übe l' •

hau p t. Charakteristisch ist dafür, was bei Her 0 d 0 t von Solo n .gesagt wird: daß er "philosophierend" viele Länder

"um des Kennen-Iernens willen" besucht habe. "Philoso- phierend" meint hier: aus bloßer Wißbegierde, nicht wie man sonst in fremde Länder kam: in Geschäften, als Kaufmann oder als Diplomat oder als Verbannter. Es wird damit eine neue Einstellung gegenüber der Umwelt hervorgehoben: die theoretische gegenüber der praktischen, Wissen um seiner selbst willen, nicht als Mittel für das Handeln.

Und was den Inhalt der Philosophie ausmacht, der uns aus ihren Anfängen fragmentarisch überliefert ist, so ist es auch tatsächlich Wissen der verschiedensten Art, in erster Linie Lehren aus dem Gebiet der Natur. Die jonischen Natur- phi1osophen im 6. und 5. Jahrhundert haben ihre Umwelt zu er- kennen getrachtet. Sie haben sich über die Himmelskörper und die Gestalt der Erde Meinungen gebildet - der zweitälteste von ihnen (A na x i man der im 6. Jh.) hat sogar schon eine Erdkarte entworfen -, sie haben sich den Sonnenauf- und untergang und die Verfinsterungen zu erklären gesucht, sie haben sich über die Erdbeben und den Regenbogen Gedan- ken gemacht und sie haben sich mit den Tieren und Pflan-

(12)

6 Naturphilosophie.

ZCll, ihrer Entstehung und Beseelung beschäftigt. Sie haben

damit Fragen behandelt, die rein spezialwissenschaftliche, astronomische und geographische und biologische sind. Diese Naturphilosophen suchten den Urstoff, aus dem alles ent- standen ist, und das Elementare in den Dingen, das Gleich- bleibende in der Vcränderung. So hat Ern pe d 0 k I e s (iIn 5 . .Th.) die Lehre von den vier Elementen (Erde, WasseJ', Luft und Feuer) aufgestellt und Leu k i pp 0 sund Dem 0 -

kr i tos haben (ebenfalls im 5. Jh.) die Grundgedanken des Atomismus konzipiert. Das waren Fragen, die heute von der Physik und Chemie beantwortet werden und dic man damals durch primitive Spekulationen zu lösen suchte.

Es war eine geistige Wendung von grundsäglicher Be- deutung. Bis dahin herrschte eine mythologische Auffassung in Bezug auf die Welt, wie sie z. B. der Dichter He s iod 0 s (im 6. Jh.) darstellt. Da entsteht die Welt aus dem Chaos, indem Erde und Himmel, Nacht und Tag usw. als göttliche Personifikationen gezeugt und geboren werden. Erdbeben, Gewitter, Verfinsterungen, Krankheiten wurden durch Göt- ter verul·sacht. Solcher mythologischen Auffassung trat nun eine erkenntnismäßige gegenüber, der vermenschlichenden Phantasie sachliche Überlegung.

Auch die zeitgenössische Schule der P y t hag 0 r e e r (vom 6. bis ins 4. Jh.), die eine ethisch.religiöse Gemein- schaft war, pflegte die Mathematik und in Zusammenhang damit die Akustik und stell tc ein System der Planeten und der Welt auf und befaßte sich auch mit medizinischen Lehren. Sie beschäftigte sich also mit den verschiedensten Wissensgebieten.

Auch die Mythologie selbst wurde nun vom Denken er- griffen und gewandelt. Das geschah durch den Begründer der dritten philosophischen Richtung dieser Zeit, der eie a ti - sc h e H, Xe n 0 p h an e s (im 6. Jh.). Auch er hat sich mit den Sternen und meteorologischen Erscheinungen beschäf- tigt. Aber "ein Bemühen war vor allem darauf gerichtet.

eme höhere, geläuterte Auffassung des Göttlichen und des

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Das wahre "\Xiesen der Welt. 7 Wertvollen der landläufigen gegenüber zur Geltung zu brin- gen. Wie er der Schä§ung der sportlichen Wettkämpfe gegen- üher den höheren Wert des Wissens vertrat, so se§te er dem allzumenschlichen Polytheismus der Dichter und des V ülkes einen idealen Monotheismus entgegen. Auch Par me n i des.

der auf seiner Lehre weiterbaute, gab eine ausführliche Na- turphilosophie, obwohl sich dies eigentlich mit seiner Weh- ansicht nicht vereinbarte. Denn er übertrug des X eIl ü - p h an e s Lehre von der Einzigkeit und Unveränderlichkeit der Gottheit auf die Welt und erklärte deshalb alles Wer- den und Vergehen und alle Vielheit für bloßen Schein und Sinnen trug. Die Eleaten haben damit eine Zerspaltung der Welt in zweierlei Wirklichkeiten vorgenommen: die Welt ist nur scheinbar so, wie sie in unserer siunlichen Wahrnehmung sich darstellt; ihrem wahren 'Wesen nach ist Eie anders. Wie sie wirklich ist, kann nur durch das Denken erkannt werden;

was die Wahrnehmung zeigt, ist falsch. Die Eleaten haben damit eine fundamentale Ent.gegense§ung in die Welt auf- fassung eingeführt, die in der ganzen Folgezeit von der größten Bedeutung gewesen ist. Hinter den Sinnenschein zu dringen, das eigentliche Wesen der Welt zu ermitteln, dieses fausti- sche Ziel hat immer wieder die Geister gefesselt. Ein solcheä Erkenntnisstreben, über das, was uns die sinnliche Erfahrung bietet, hinauszukommen, ist es, was man als "Metaphysik·' hezeichnct. Damit se§te nun eine Wissensrichtung ein, der es nicht um eine Erklärung der wahrnehmbaren Naturer- scheinUlIgen zu tun war, sondern die eine paradoxe These über einen anderen Bereich durch rationale Überlegungen zu erweisen ~uchte. Damit trat Argumentieren, Beweisen und Widerlegen, logisches Schließen in den Vordergrund und hildete sich aus. Es war daR Verfahren der "Dialektik", aus

der die Logik hervorging.

Ihre umfassende Ausprägung fand diese allgemeine Denk- richtung durch PI a ton (im 4. Jh.). Der eleatische Gegen- 8a§ von wahrem Sein nnd sinnlicher Erscheinung wurde von ihm, indem er ihn mit dem Gegensa§ von Allgemeinem und

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8 Das wahre Wesen der Welt.

Individuellem verband, zu einer großangelegten Weltansicht ausgebildet. Die wahre und vollkommene Wirklichkeit ist ein übersinnliches, immaterielles Reich des Geistigen, das nur im Denken erfaßt werden kann. Es enthält die ewigen Urhilder aller zeitlichen individuellen Gestaltung. Die sinn- lich erfahrbare, materielle Welt ist nur ihr unvollkommenes Abhil(!. Das Grundsätliehe an PI a ton s Weltansicht liegt darin, daß sie das Allgemeine, das geistig Erfaßbare verselb- ständigt neben die wahrnehmbare Welt steIlt und als den bestimmenden Faktor für diese betrachtet. PI a ton hat da- mit eine Art der Weltauffassung begründet, den erfahrungs-, jenseitigen "Idealismus2 .", die immer wieder erneuert worden und durch Jahrhunderte hindurch lebendig geblieben ist, die eine der bedeutungsvoIIsten in der Geschichte der Philoso·

phie geworden ist. Eine hervorragende Stellung in P I a ton s Lehre nahm die Mathematik ein als das sichere Wissen. Die, Naturphilosophie trat zurück. Aber er behandelte ausführ- lich ein neues Gebiet, das von den ihm vorausgehenden Den- kern, den Sophisten, in das theoretische Interesse einbezogen worden war (siehe später S. 12): das, was für das prakti- sche Leben von grundsätlicher Bedeutung war - das wahr- haft Gute und die beste Staatsverfassung.

In systematischer Weise hat aber erst A r ist 0 tel e s (im 4. Jh.) eine Lehre von der Welt entwickelt, welche der P la ton s zum Teil verwandt, aber auch wesentlich "on ihr verschieden war. A r ist () tel e s zog das Geistige, das Allgemeine in die Welt herein als deren bestimmenden, formgebenden :Faktor, durch den sie nach Zwecken gestaltet wird, so wie für den Leib die Seele die Lehenskraft bildet.

Nur in Gott steht das Geistige getrennt nehen der Welt.

A r ist 0 tel e s hat auch zuerst eine Ethik und eine Staats- lehre gesondert dargestellt und die Logik begründet. P I a - t () n und A r ist 0 tel e s hahen jeder eine große Schule ins Leben gerufen, in der diese Wissensgehiete weitergepflegt wurden. Damit bildete sich ein charakteristisches Gel,iet des Wissens aus, das vorher nur ansatweise und in das Gesamt·

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Weltanschauung innerhalb des Gesamtwissens. 9 wissen verflochten vorhanden war; es betraf cl a s G a n z e cl e r We I tun d cl i e 'We r ted e s Leb e n s, es war das Gebiet der Phi I 0 ;; 0 phi e im s p e z i fis c h e n S in n.

2. Philosophie als Weltanschauung, Differenzierung des Gesamtwissens.

Aber dieses Gebiet war in der Zeit, als es der Sache nach schon da war, noch nicht deutlich aus dem Gesamtwissen herausgehoben und zur engeren Bedeutung von "Philoso·

phie" geworden.' Diese bedeutet bei P I a ton und A r ist 0 -

tel e s noch immer theoretisches Wissen überhaupt. Daß

"Philosophie'" bei P I a ton nur ganz allgemein soviel wie

"Studium" besagt, bezeugen Wendungen wie "Geometrie oder eine andere Philosophies" oder "Musik und jede Philo- sophie4 ". Und dementsprechend verwendet er auch "Philo- sophien" (im Plural) zur Bezeiehnung verschiedener Gebiete des Studiums". Wenn PI a ton von der "Geometrie gemäß der Philosophie" spricht oder von der "Rechenkunst der Philosophiercnden6", so meint er damit die t h e 0 r e t i s c h e Mathematik zum Unterschied von der praktischen Rechen- und Meßkunst der Zimmerleute und Kaufleute. Philosophie wird von P I a ton als das theoretische Verhalten der prak- tischen Betätigung eines Politikers gegenübergestellt7 und von Xe n 0 p h 0 n der eines Strategen od~r Hipparchen8•

Auch wenn A r ist 0 tel e s die Lehre von den Prin- zipien alles Seins gegenüber anderen Wissemzweigen, die sieh nur auf ein einzelnes Gebiet beschränken, als "erste Philoso·

phie" heraushebt", so wird gerade damit eben nur ein e

"Philosophie" anderen "Philosophien", d. i. Wissensgebieten, vorangestellt; es ist damit noch nicht die Philosophie in ihrem späteren Sinn von den Einzelwissenschaften ge- schieden. Daß auch bei ihm mit "Philosophie" nur Wissell- scbaft als Gattungsbegriff gemeint ist, zeigt ein Ausdruek wie

"jede Kunst und PhilosophieH "'. Aber es bahnt sich bei ihm schon eine Differenzierung innerhalb des Gesamtwissens an.

(16)

10 Differenzierung des Gesallltwissens.

Es heben sich einzelne Wissensgebiete in ihrer Verschieden- heit voneinander ab. A ist 0 tel e s unterscheidet die mathematische, die naturwissenschaftliche und die theolo- gische Erkenntnis als die theoretischen "Philosophien" gegen- über der Erkenntnis, die auf das Handeln und das tech- nische Schaffen gerichtet ise'. Und auch dabei ergibt sich wieder eine klare Bestätigung für das, was eben über die·

Bedeutung von "Philosophie" bei ihm gesagt worden ist, denn bei der Anführung dieser Einteilung einer anderen Stelle gebraucht er statt "Philosophie" das Wort "Wissen- schafe2 ". Es handelt sich bei all dem nicht um eine Bedeu- tungsgeschichte des Wortes "Philosophie", sondern um eine Entwicklungsgeschichte des Sachgebietes "Philosophie". Es soll damit gezeigt werden, wie sich Phi los 0 phi e als das spätere spezifische Wissensgebiet erst a Il mäh I ich her aus g e b i I d e t hat.

Wie "Philosophie" noch immer das Gesamtgebiet des Wissens bezeichnet, so hat auch A r ist 0 tel e s seIhst in seinen Schriften das gesamte Wis~en seiner Zeit umspannt:

Mathematik, .Astronomie, Meteorologie, Zoologie -. ein ho- tanisches Werk hat sein Schüler T h e 0 p h r a 8 tos ver- faßt -, Psychologie, Ethik, Staatsverfassung, Redekunst und Poetik. Die Schüler des A r ist 0 tel e s trieben mit Vor- liehe Studien auf einzelnen Wi.ssensgebieten, nicht nur auf naturwissenschaftlichem Gehiet, auch auf dem der Wi~sen­

schafts- und Literaturgeschichte und der Staatsverfas- sungeIl. Durch einen dieser Schüler (D e met rio s P ha- I e r e u s [im 3. Jh. v. ehr.]) wurde diese fachwissenschaft- liehe Betätigung auf das neugegründete große Zentrum ge- lehrter Studien, auf das Museion in Alexandria übertragen und kam dadurch zu immer hreiterer Entfaltung. Es hoben sich dadurch aus dem Gesamtgebiet des theoretischen WiR- sens S 0 n der geh i e t e heraus, die auch bisweilen schon für sich allein spe~ialistisch he trieben wurden, so die Mecha- nik von Ar chi me des (im 3. Jh.), die Physik von Her 0 11'

(im 2. })is 1. .1h.), die Grammatik und Literaturgeschichte

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Differenzierung deo Gesamtwissens. 11 yon Ar ist are h 0 s von Alexandrien (im 2. Jh.). Aber 1m allgemeinen beackerte ein Gelehrter die verschiedensten Par- zellen des großen Feldes der Gesamtwissenschaft. So hat Er a tos t h e ne s, Bibliothekar der alexandrinischen Akade- mie (im 3. Jh.), die erste Messung des Erdumfangcs ausge- führt, das mathematische Problem der Verdoppelung des Würfels gelöst, das erste System der Geographie gegeben, aber auch ein Werk über die Komödie geschrieben und wichtige philosophie- und literaturgeschichtliche Arbeit ge- leistet; vor allem hat er die Chronologie grundlegend bear- beitet. Der Philosoph Pos e i cl 0 n i 0 s (um die Wende vom 2. zum 1. Jh.), der Lehrer des Ci cer 0 und Po m p e jus, hat auf den Gebieten der Geometrie, Astronomie, Natur- wissenschaft, Sprachwissenschaft, Literaturgeschichte und Geschichte ausführlich gearbeitet. Und noch der berühmte Arzt Ga I e nos (im 2. Jh. u. ehr.) hat außer den medizi- nischen auch grammatische und philosophische Schriften ver- faßt. Die verschiedenen WiEsensgebiete waren noch nicht in getrennte Spezialwissenschaften auseinandergetreten, weil der geringe Wissensstoff dazn noch keinen Anlaß gab. Es warcn nur ver s chi e den e R ich tun gen i n n er-

halb des wissenschaftlichen Studiums

übe r hau p 1. Neben der Philosophie als der Gesamtwissen- schaft hatte nur die Medizin und die Geschichtschreibullg eine selbständige Stellung, die erste, weil sie die praktische Kunst eines selbf>ländigen Standes war, die zweite, weil sie gar nicht als theoretisches ·Wissen betrachtet wurde, sondern als literarischer, erzählender Bericht. Auch die Mathematik mit ihren Anwendungen stand mehr oder weniger für sich da. Von P I a ton wurde ihr Studium als "Anregung der Seele zur Umkehr aus dem Werden zum Sein und zur Wahr- heit" empfohlen1:1• Erst in der Schule des Ar ist 0 tel e A wurde ein Wissensgebiet, das Arithmetik, Geometrie, aber auch Astronomie und Musiktheorie umfaßte, als "Mathesis"

besonders bezeichnet14 • So wenig wie einzelne Fachwissen- schaften war auch die Philosophie zu A r ist 0 tel es' Zeit

(18)

12 Philosophie als Theorie det· Lebensführung.

und noch später, als sie der Sache nach schon da war, aus dem aIlgemeinen Wissen a15 ein spezielles Gebiet ausgeson- dert. Daß sich das Bewußtsein ihrer Eigenart immer deut- licher ausprägte, ergab sich aus einer neuen Phase ihrer En twickIung.

3. Philosophie als Theorie der Lebensführung.

In einer Demokratie wie im Athen des 5. Jahrhunderts konn- te jeder Bürger zu öffentlicher Wirksamkeit kommen, indem er in der Volksversammlung oder vor Gericht eine Sache ver- trat, und sein Erfolg hing ab von dem Geschick, mit dem er dies tat. Auf die Fähigkeit, zu reden und zu argumentieren, kam es dabei an und deshalb suchte man sich darin auszu- hilden. Unterricht in der Beredsamkeit und in der Kunst der Debatte gaben Wanderlehrer, die So phi s t e n. Sie·

unterrichteten auch in allgemeiner Bildung: Kosmologie, Grammatik, Erklärung der Dichter, Mythologie und Ge- schichte. Damit erhielt auch das theoretische Interesse eine neue Uichtung- auf das, was für das praktische Leben von geistiger Bedeutung war. Aus diesem Geist ist auch So- kr at e s (im 5. Jh.) hervorgegangen. Aber gegenüber dem negativen Uadikalismus der späteren Sophisten einerseits, anderseits der blinden Tradition gegeniiber hat er durch ei- gene Einsicht den wahren Wert zu finden gesucht, zu er k e n n engestrebt, was das Gute ist und was die Tüchtig- keit im Leben ausmacht. Man suchte sich nun auch darüber auf dem Weg des Wissens klar zu werden wie his dahin über die Umwelt. Das W iss e n e I' 0 her t e sie h d a - mit ein neu e s G e b i e t : die Leb e n s g e s tal tun g.

Das theoretische Wissen erhielt so, wenigstens zu einem Teil, eine praktische Bedeutung, die immer mehr in den Vor- dergrund trat.

Schüler des So k I' a t e S lIahmen tliese Interessenrichtung auf und steIlten verschiedene Lehren auf über das, was dem Leben scinen Wert verleiht. Daraus gingen im 3. Jahrhundert v. Chr. zwei große Schulen hervor, die s t 0 i s ehe und die

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Die philosophischen S(:hulen.

e pik ure i s ehe. Sie bildeten umfassende Systeme aus, die sowohl eine Weltansicht als auch die Grundsät}e des rich- tigen Lebens enthielten. Auf den Lebensgrundsät}en aber lag das Hauptgewicht und in ihnen die originelle Leistung. Die Weltansicht beruhte im wesentlichen auf Gedanken der vor- ausgegangenen Zeit. Es war beiden Schulen gemeinsam, daß sie als das höchste Gut das seelische Wohlbefinden, die innere Zufriedenheit des einzelnen betrachteten - "Eudaimonis- mus" ist seitdem der Name für diese Einstellung geblieben -- und daß sie durch E I' k e n n t ni s ermitteln wollten, was die Erreichung dieses Zieles im Leben verbürgt. Die eine, die epikureische, fand es in der wohlabgewogenen Lust -- es ist die Lehre des "Hedonismus" --, die andere, die stoi- sche, in einer natur- oder vernunftgemäßen Lebensweise.

Diese Schulen gaben die Normen der richtigen Lebensfüh- rung und stellten das Idealbild des Menschen auf, der aus der riehtigen Einsicht in die Güter und Ziele des Lebens sich das Dasein gestaltet und dadurch innerlich frei und allen Schid<.:ungen übcrlegen das Wohlergehen findee5 • Es ist das' Ideal des " Weisen", charakteristisch für die Grundeinstel- lung, durch E I' k e n n t n i s das Leben zu meistern.

So hestanden in Athen seit dem Beginn des 3. Jahrhunderts vier philosophische Schulen, die platonische und die aristoteli- sche, die stoische und die epikureische. Sie waren durch eine äußere Organisation gefestigt und Jahrhunderte hindurch his 529 n. ChI'. in Blüte. Sie behandelten und lehrten alle einen ganz bestimmten Kreis des Wissens: die Welt- und Lebens- ansicht, dazu Logik und eine Lehre von der Erkenntnis.

Was sie voneinander trennte und was jede von ihnen cha- rakterisierte, war die Verschiedenheit ihrer Auffassungen auf diesem Feld, nicht eine Verschiedenheit ihrer Arbeits- gebiete. Durch das, was diesen Schulen gemeinsam war und worin sie sich bekämpften, zeichnete sich im allgemeinen Be- wußtsein ein besonderes, eigenartiges Gebiet des Wissens ah und schied sich von den Sondergebieten, die sich zu der gleichen Zeit besonders in der alexandrinischen Akademie

(20)

14 Die Aussonderung der Philosophie.

immer mehr ausbildeten. Auf dieses besondere Wissensge- biet wurde nun die Bezeichnung "Philosophie"· eingeengt ---- ohne daß deswegen die nrsprüngliche allgemeine Bedeutung verschwand. Die spezifische Bedeutung von "Philosophie'"

findet sichunzweidentig gerade in Zusammenhang mit den philosophischen Schulcn in den Schriften der alexandrini- schen Gelehrten, welche bereits die Geschichte der philoso- phischen Schulen darstellten1t'. Die S 0 n der u 11 g der Philosophie von den damaligen .Fachwis-

I> e n s eh a f t e n wird deutlich von Sen e c a ausge-

sprochen (im 1. Jh. n. ehr.), der es als ungehörig erklärt, daß sich Philosophen mit Grammatik und Mathematik und deren Anwendungen, also den Hauptgruppen der Sonderge- biete, in überflüssigen Detailuntersuchungen beschäftigen1'.

Daß das Wort "Philosophie" aber auch dann noch seine ur- sprüngliche Bedeutung bewahrt hat, zeigt sich in S t ra- bon s Einleitung in seine Geographie (um Christi Geburt):

"Zur Beschäftigung des Philosophen gehörig betrachten wir, wenn irgend eine andere, auch die Geographie."· Zum Beweis dafür führt er an, daß die umfassende Kenntnis, die dazu notwendig ist, "keinem andrem eignet als dem, der das Gött- liche und das Menschliche erforscht, als deren Wissenschaft die Philosophie gilt·'. Und er nennt eine Reihe von "Philu- sophen

1S,\

die sich mit Geographie befaßten, unter ihnen als ersten Ho m e r, dann den Geographen und Autor einer Erdkarte H e kat a i 0 s und den Geschichtsschreiber Polybios!

4. Philosophie als Lebeospraxis.

Dadurch, daß die Philosophie eine Theorie des richtigen Leben,;, aufstelltc, wurde sie fiir weite Kreise von Bedeutung und kam zu immer größercr kultureller Wirksamkeit. In der hellenistisch-römischen Zeit e-rfuhr sie vor allem al,;

Moralphilosophie eine zunehmende Popularisierung. In volks- tümlichen Sittenpredigten, welche moralische Fragen des ge- wöhnlichen Lebens hehandelten und Gesellschaftskritik übten.

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Philosophie als Lebenspraxis. 15 wurden seit dem dritten vorchristlichen Jahrhundert philo.

sophische Gedanken ins Volk getragen. Gewandte Schrift·

steller wie Ci cer 0 gaben sie in leicht verständlicher und angenehm lesbarer Form wieder. Nachdem die alten Mächte, die bisher das Leben geordnet und geleitet hatten, die Volks-.

sitte und die Volksreligion, infolge der Wandlungen im gei.

stigen Leben immer mehr ihre Beueutung verloren, fiel nun diese Aufgabe der Philosophie zu. Die praktische Bedeu- tung der Philosophie, ihre Rolle als Führerin im Leben trat gegenüber einem literarisch-akademischen Lehrbetrieb, wie er zeitweise bestand, immer stärker in den Vordergrund.

Leben lehren, leben helfen, nicht bloß erkennen sollte sie nun. An Stelle einer bloßen Theorie des Lebens trat der Ge- sichtspunkt der praktischen Lebensgestaltung maßgebend hervor, nicht zum wenigsten unter dem Einfluß des prah:- tiseh gerichteten Sinnes der Römer.

Die Entwiddung der Philosophie nahm seit dem 3. Jh.

v. Chr., besonders aber in der römischen Zeit, die bedeu- tungsvolle Wendung, daß sie nicht bloß Wissen blieb, son- dern in die Lebenspraxis einbezogen wurde. Sie sollte die Leitung und Erziehung des Menschen übernehmen, sie sollte eine Umwandlung seines Innern herbeiführen. Als "Heil- mittel der Seele" ("medieina animae") wird sie von den rö- mischen Schriftstellern19 gepriesen und so sagt auch noch der späte POl' P h y l' i 0 s (im 3. Jh. n. Chr.): "Welchen Wert hat die Rede des Philosophen, wenn sie die Krankheiten der Seele nicht zu heilen weiß? Was anderes soll denn der Philo- soph sein als ein Arzt der Seele ?20" "Lebenskunst" ("ars vitae") nennt Ci cer 0 die Philosophie21 • Sie gibt nicht bloß Anweisung zum richtigen Leben, sondern sie ist auch deren Ausführung; sie ist pr akt i s ehe Leb e n s ku n s t und T u gen d - Ü b u n g, nie h t bio ß T u gen d - L ehr e.

So definiert sie Ci cer 0 : "Omnis rerum optimarum cognitio atque in iis ex er ci tat i 0 philosophia nominata ese2 ."

Ebenso bezeichnet Sen e c a die Philosophie nicht bloß als Strehen nach Weisheit, sondern auch all! Streben nach Tu-

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16 Philosophie als Lehenspraxis.

gencF';. Die theoretischen Untersuchungen über die Ethik trateu hinter der moralischen Untel'weisung zeitweise, im 1. Jahrhundert n. ehr., zurück. "Askesis", die Tugendübung, ist im Kreia der (kynischen) Philosophen aufgekommen, nicht erst in der christlichen Askese. Zum Bild der Philosophie ge·

hörte eine bestimmte Lehensführung, Selbstdisziplinierung und Unerschütterlichkeit; sie gehörte so sehr dazu, daß sie fortan 80gar zum hervorstechendsten Merkmal wurde. In die- sem Sinn nennt der Kirchenvater ehr y sos tom u SU die christlicheu Mönche die einzigen echten Philosophen, die es noch gibt. und führt auch den Abraham als "echten Philo- sophen" an, weil er "Geld und Ruhm verachtete" und "über Neid und jede Leidenschaft erhaben war". In der römischen Kaiserzeit hat die Philosophie eine lebendige kulturelle Funk- tion besessen wie niemals mehr in der Folgezeit, auch nicht in der Popularphilosophie der Aufklärungszeit. Für viele der Gebildeten hat die Philosophie in dieser Zeit die Funktion der Religion übernommen. Sie war die Autorität, die ihnen ihre Stellung in der Welt und im Leben formulierte und den inneren Halt gab. Damals hat die Philosophie die Be- deutung erhalten, mehr zu sein als ein bloßes Wissen, eine Bedeutung, die bis heute im allgemeinen Bewußtsein mit ihr verbunden gebiiehen ist"5.

5. Philosophie als Religionscrsa!}.

Aber die Philosophie hat in der Spätantike auch noch in anderer Hinsicht die Funktion der Religion übernommen. Von der zweiten Hälfte des 2. nachchristlichen Jahrhunderts an zeigt sich eine veränderte Geisteshaltung, deren Anfänge allerdings schon Jahrhunderte frühcr26 zu hemerken sind.

l<:ine Religiosität mit Hinneigung zur Mystik macht sich im- mer stärker geltend. Die Mysterien, die alten griechischen (wie die orphischen und die eleusinischen) und (lie neuen aus dem Orient gekommenen (wie die Mysterien der Isis, der Kybele_ des Mithras, des Sabazios, des Bacchos, der Hekate)

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Die religiöse Strömung. 17 blüten27 • Sie verhießen dem Eingeweihten seme Unsterblich- keit und Seligkeit im Jenseits und kamen dadurch einem -verbreiteten Erlösungshedürfnis entgegen, das aus der allgemei- nen Not und Drangsal im dritten nachchristlichen Jahrhun- dert psychologisch nur zu verständlich wird. Erlösung durch die Erkenntnis Gottes war auch die Absicht der halbchrist- lichen Gnosis, die in dieser Zeit entstand. Nationale und lo- kale Gottheiten verbreiteten sich aus den unterworfenen Provinzen, nicht nur aus den orientalischen, wie Isis und Serapis und Kybele, sondern aueh aus den westlichen und nördlichen im römischen Reich, besonders auch im Heer und durch die Legionen in den Garnisonsorten, wie z. B. der Kult des persischen Gottes Milhras. Dadurch vollzog sich eine Ver- mischung der Götter; Hermes wurde mit dem ägyptischen Gott Toth, Herkules mit orientalischen und nordischen Gott- heiten identifiziert und so viele andere. P I u t a r c h (im ]. Jh. n. Chr.) gibt die philosophische Rechtfertigung für diesen religiösen Synkretismus damit, daß in allen den Gott- heiten nur der eine Logos und die eine Vorsehung wirksam sei, aber nur jeweils verschieden benannt und in verschie- dener Weise verehrt werde2B •

In den ersten nachchristlichen Jahrhunderten sette eine zunehmende religiöse Bewegung ein und diese kam auch in der Philosophie zur Geltung. Sie ging darin mit einer sich wandelnden Einstellung zur Erkenntnis Hand in Hand. Seit dem 4. Jahrhundert v. r.hr. hatte sich gegenüber den Lebrender verschiedenen philosophischen Schulen ein kritiseher Zweifel an der Erkenntnis überhaupt erhoben, die S k e psi s. Man hielt alles Wissen für unsicher und leugnete die Möglichkeit wahrer Erkenntnis, weshalb man sich jedes TJrteils enthalten solle. In der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. erlosch nicht nur der Skeptizismus, sondern die kritische Haltung über- haupt. Aber die Skepsis hatte ein Bedürfnis nach einer anderen, höheren Bürgschaft für die Wahrheit als die eigene Vernunft hinterlassen. Man berief sich lieber auf altehrwür- dige Autoritäten, so der im ersten nachchristlichen J ahrhun-

Kraft, Philosophie.

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18 Welt ulld GOlt.

dert wiederauflebende Neu-Pythagoreismus auf Pythagoras.

oder auf Platon oder auf orientalische Weisheit. So betonte Nu me n i 0 s, ein Syrer, Nicht jude (im 2. Jh. n. Chr.), die Übereinstimmung der Philosophie mit den heiligen Lehren der Brahmanen und Magier, (ler Xgypter und der Juden und nannte PI a ton einen ,.altiseh redenden Moses2P",. Der Aberglaube schwoll an und die Magie gewann erhöhte Be·

deutung. Die religiöse Strömung kam in der Philosophie (larill zum Ausdruck, daß man sich in den ersten beiden nach- christlichen Jahrhunderten, vor allem in der platonischen Schu- lc"o, mit dem Gottesbegriff beschäftigte und mit dem Verhältnis Gottes zur Welt. Einerseits strebte man, Gott in immer rei- nerer Weise als vollkommenste geistige Wesenheit zu (lenken, und hub ihn deshalb immer mehr über die Welt hinaus; an- derseits suchte man wieder eine Vermittlung zwischen die- sem weltfernen Gott und der Welt und schob deshalb au·

dere, niederere Gottheiten, einen '"Veltbaumeister, die Welt- seele, Gestirngottheiten, Engeln und Dämonen zwischen dem höchsten Gott und der Welt ein.

Diese Grundgedanken hat Plot i nos (im 3. Jh. n. Chr.) zu einem großartigen System ausgebildet, dem größten del' antiken Philosophie. Dei' höchste Gott steht bei ihm so über allem, daß man ihn mit den uns bekannten Prädikaten nicht beschreiben kann; man kann von ihm nur sagen, daß er Eines und das Gute ist. Er ist der Ursprung von allem anderen, in- dem aus ihm der denkende Geist hervorgeht und aus dieseln die Weltseele und aus dieser die einzelnen Seelen und die sinnliche, die materielle Welt. Alles, was ist. leitet sieh so in absteigender Stllfenreihe, mit zunehmender Unvollkommen- heit und Ahnahme der Realität aus dem einen Ui'grund her.

Dieser innere Zusammenhang der übersinnlichen mit der sinnlichen Welt gibt den Grund dafür, daß Orakel und Weis- sagungen stattfinden können und Einwirkungen auf die über- sinnliche Sphäre durch Magie und Gehet und Opfer und alls

dieser wieder auf die sinnliche '"'feit in Wundern und in ast1'o- logiseher Hinsieht. Durch den mafpriellen Leih ",-inl di.'

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19

menschliche Seele in ihrer übersinnlichen Natur behindert, sie wird ins Sinnliche hinein und vom Übersinnlichen abge- zogen. Ihre Aufgabe ist es, sieh davon wieder zu befreien und über alle die Stufen zum lJrgrund zurückzukehren. Dazu muU sie sich durch Tugendübung von der sinnlichen Welt loslösen und dem Übersinnlichen zuwenden, das sie im Er- kennen erfassen kann, Aber ihr höch~tes Ziel ist es, sich über alles Erkennen und Denken hinaus zu erheben, "vom Wissen abzustehen und vor allem durch Wissen Erfaßbarem"'" und zur Vereinigung mit dem Urgrund zu gelangen, in der sie Ruhe und höchste Seligkeit findet. Das kann nur in einem Zustand mystischer Ekstase geschehen, der dem P lot i nos selbst nur viermal innerhalh von sechs Jahren zuteil gewor- den ist und seinem Schüler P 0 r p h y rio s nur einmal. Da- mit ist aber nun die Philosophie hinausgeführt über den Be- reich des Wissens ins religiör,e Gebiet, in die Mystik.

In der Schule Plot ins ist die Wendung zum Religiösen immer stärker zum Ausdruck gebracht worden. Sein Enkel- schüler Ja m b I ich 0 s (im 4. Jh. n. ehr.) hat im Neu-Pla- tonismus .. in theologisches System für alle die Götter der Zeit geschaffen, 360 an der Zahl, diese dabei allerdings im vergeistigten Sinn ausgedeutet; und Pro klo s (im 5. Jh.) hat dieses System noch ausgebaut, indem er zwischen die Hauptgötter und dem Menschen noch drei Arten göttlicher Wesenheiten einschob: Engel, Dämonen und Heroen. Die Einigung mit der Gottheit wird nach ihm mehr als durch Reinigung der Seele durch Theurgie gewonnen, d. i. durch magische Handlungen, "durch unaussprechliche Zeremonien, durch die heiligen, der Götter würdigen Handlungen, die hoch üher aller Vernunft sind, und durch die Kraft uneagba.

rer, nur den Göttern intelligibler Symbole:12". Der Neu-Pla- tonismus endet in Mystizismus. Das leßte Schulhaupt Da"' m a ski 0 s (im 5. u. 6. Jh.) machte vollen Ernst mit der Transzendenz des Urgrundes und erkannte, daß sein Verhält- nis zur Weh unvorstellbar und unbegreiflich ist. Alle Be- stimmungen des Hervorgehells können nur gleichnisweise gel-

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20 Philosophie als Religionsersa!}.

ten, aber nicht in Wahrheit. Darüber kann es kein Wissen geben. Zum höchsten Einen und den Ausstrahlungen aus ihm bleibt nur ein irrationales, mystisches Verhältnis übrig.

Die neuplatonische Philosophie bildet in ihrer Weltall- sicht zugleich eine Theologie des antiken Heidentums, ein System der Götter aller Art, höherer und niederer. Als sol- che Theologie wurde sie von Kaiser J u I i a n dem Abtrünni- gen (im 4. Jh.) zur Grundlage genommen, als er das Heiden- tum entgegen dem Christentum zu restituieren unternabm.

Die neuplatonische Philosophie war aber mehr als eine Theo- logie. In ihrer Einstellung auf das Heil der Seele, auf Erlö- sung aus den Banden der Sinnlichkeit, in dem Bestreben nach ekstatischer Vereinigung mit der Gottheit, in der Heran- ziehung von Weissagung und Magie war sie nicht mehr nur Theologie, sondern ging sie über in ein praktiscbes Verhal- ten, in eine tatsächliche Lebensführung, und zwar in eine Le- hensführung, die auf das Übersinnliche, Göttliche eingestellt war. Das wird aus dem Leben P lot ins herichtet und von so manchem seincr Anhänger~~. Bezeichnend ist dafür die Version, daß S 0 p a t r 0 s, ein neuplatonisches Schulhaupt, im 4. Jahrhundert von Kaiser K 0 n s t a n tin hingerichtet wor-

den sei untcr der Beschuldigung, einer Getreideflotte durch Ma- gie den Fahrwind genommen zu haben. Die neuplatonische Phi- losophie wandte sich an den g an zen Menschen, nicht bloß an deu reflektierenden - das tat allerdings auch schon vor- her die Stoa und der Epikureismus - , aber sie gestaltete sein Leben aus der Beziehung zu einem höheren, übersinnlichen Reich. Der Neu·Platonismus hatte die kulturelle Funktion einer Religion für die Gebildeten. Er war ein geläuterter E r - satz der traditionellen Religionen. Der Neu- Platonismus sente wie irgend eine Religion die Welt und das Leben in Beziehung zu übernatürlichen Mächten, zu iiber- sinnlichen Wescnhciten, und diese Beziehung war keine bloß theoretische, sondern war maßgebend für die Lebenspraxis, sie llcstimmte die Lebensführung. Und man kann nicht ein- mal sagen, daß ihm der religiöse Kult gefehlt habe, denn

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Philosophie als Religionsersa~. 21 seine Gottheiten hatten ja alle die vielfachen Kulte, die ihnen tatsächlich da oder dort zuteil wurden. Aber wenn man ihm auch nicht geradezu die Stellung einer Religion zubilligen will, weil er nicht in dem Maß praktiziert wurde wie eine Religion, so war er doch zumindestens ein Ersa§ für Re- ligion.

Diesen Charakter hat das werdende Christentum sehr deutlich empfunden. Die einen der Kirchenväter34 haben die neuplatonische Philosophie als Konkurrentin der christli- chen Religion betrachtet, also als ein Phänomen gleicher oder wenigstens nahverwandter Art. und heftig gegen sie polemi- siert. T e r t u I I i a n nennt die Philosophen "die Patriarchen der Häretiker85". Andere Kirchenväter dagegen haben das Christentum als "die wahre und echte Philosophie" be- zeichnet. So erklärte der erste bedeutendere der christli- chen Apologeten, Jus tin (im 2. Jh.), das Christentum für -die allein "sichere und heilsame Philosophieß6"; ebenso hat

o

r i gen e s das Christentum als die Vollendung der griechi- schen Philosophie bezeichnet. Auch A u g u s tin u s sagt von den Neu-Platonikern, niemand sei dem Christentum nä- her gekommen als diese, und erklärt das Christentum als "die Einheit von wahrer Religion und Philosophie3w.

So war also Philosophie im Altertum zu-

crs t t h e 0 r e t i s c h e s W iss e n übe r hau p t, dan n

W e I t - und Leb e n san s ich t, dan n a u c h ein e tatsächliche Lebensführung und schließ- lich fast eine Religion oder doch wenig.

s t e n sei n E I' S atz d a für. Sie hat so sehr verschiedene Funktionen im kultureIlen Leben übernommen.

6. Philosophie als weltliches Gesamtwissen.

Der Sieg des Christentums, seine Anerkennung als Staatsreligion im 4. Jahrhundert haUe eine fundamentale Wandlung in der geistigen Stellung der Philosophie zur Folge. In der Zeit der Ausbildung der christlichen Dogmen

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22 Philosophie als wdtliche~ Wis,ell üherhaupt.

hatte die Philosophie noch selL"t daran mitgewirkt. Von Apo- logeten und Kirchenvätel'l138 ist die heidnische Philosophie, der Platoni"mus und der Stoizismus, zum Aushau der Dog- men verwendet worden. Sobald diese aber in den Grundzügen feststanden (im 4. 1h.), konnte die Philosophie zum Inhalt der christlichen Lehre nichts Wesentliches mehr heitragen. Denn die Welt- und Lehensansicht war durch das Christentum fest- gelegt. Und diese Welt- und Lehensansicht heruhte nicht auf dem eigenen Erkennen, auf der Vernunft, sondern auf über·

natürlicher Offenbarung. Und diese wal' nicht allgemein im·

mer wieder zu erlangen, sie war nur einigen Auserwählten einmal zuteil geworden nnd in den heiligen Schriften ein für allemal niedergelegt. Die WeIt- und Lebensansicht stand un- wandelbar, unanta<;tbar fest. Sie konnte nicht wie bisher in der Philosophie fort· und umgebildet oder gar durch eiue andere ersett werden; sie konnte nicht einmal kritisiert werden. Auf ihrem bisherigen Arbeitsgebiet, der Welt· und Lehensansicht, konnte sich infolgedessen die Philosophie nicht mehr produktiv hetätigen. Jede Selbständigkeit und Neuhildung war da von vornherein ausgeschlossen. Allerdings erlahmte die Philosophie seihst auch immer mehr; in der zwei ten Hälfte des ersten J ahrl ausends wurde sie gänzlich un- produktiv und tradierte nur mehr Exzerpte ihrer Vorzeit.

Die Philosophie erhielt infolgedessen eine andere, eine neue Stellung und Aufgabe. Sie stand neben der Theologie als die E l' keIl n t 11 isa u sei gen e I' Ein sie h L, als das

"natiirliche Licht" gegenüber der Offenbarung, wie es T h 0 •

m a S VOll A q u i n 0 klar ausgesprochen hat. Als solche Er·

kenntuis umspannte sie alles, was auf diesem Weg zu erken- nen war, an weltlichen und auch geistlichen Dingen. Sie wurde so wieder zum natürlichen "Wi~sen überhaupt, zum mensch- lichen G e sam t w iss e n, wie in ihren Anfängen. Sie um- faßte nach überkommener Einteilung die Metaphysik als die allgemeine Lehre vom Sein, die Physik als die Lehre von der Natur und die "sieben freien Künste": Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, A~tronornie und Musik·

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Philo30phie als Hilf", issclIsl'haft der Theologie. 23 theorie. "Philosophie" ist nun wieder gleichbedeutend mit theoretischem Wissen und "Philosoph" bedeutet einfach .. Gelehrter". "Lapis philosophorum" ist nicht "der Stein der Weisen", sondern "der Gelehrten" (so wie ein anderes Pro- dukt der Alchemisten "lana philosophiea" hieß). Diese mit- telalterliche Bedeutung von "Philosophie" hat sich teilweise auch noch in der Neuzeit erhalten, so im Titel der Situng5- herichte der englischen Akademie der Wissenschaften "Phi- losophical Transactions of the Royal Society", die nur natur·

wissenschaftliche Abhandlungen enthalten und mit Philosophie im spezifischen Sinne so wenig zu tun haben wie Newtons phy- sikalisches Hauptwerk "Principia mathematica philosophiae naturalis", 1687. Und sie leht heute noch fort in der Bezeich- nung "Philobophische Fakultät" für die rein theoretischen l"ächer gegenüber den praktischen Fächern der Jurisprudenz und der Medizin.

Das mittelalterliche Wissen entsprang nicht aus selbstän- diger Forschung, sondern aus Schriften, aus der zunächst spärlichen Überlieferung aus dem Altertum. Der Naturfor- schung und der Philologie stand damit kein weiter Raum of- fen und die eigene Kraft dazu war noch gering. Dazu kam, was von ausschlaggebender Bedeutung war, daß das Studium ausschließlich von Geistlichen hetrieben wurde, zuerst in den Klöstern und Dom-Schulen, dann auf den Universitäten. In·

folgedc8sen stand das theologische Interesse durchaus im Vor- dergrund. Darum stand die Aufgabe, die der natürlichen Er- kenntnis, der ,.Philosophie", in erster Linie und als haupt- sächliche erwuchs, im Dienst der Theologie. Es war dieselbe, welche die Philosophie schon bei den Kirchenvätern (C I e - me n" von Ale x a lJ d r i e n und 0 r i gen e s) gehaht hatte: die ge offenbarten Lehren in eine systematische Ord- nung zu bringen und auch durch Vernunftgründe einsichtig zu machen. Es war das Unternehmen, die Dogmatik zu ratio- nalisieren (das zum erstenmal schon der Kirchenvater G r ego r von N y s s a [im <1. Jh.l versucht hatte).

(30)

24 Die scholastische Philosophie.

Es ist von besonderem Interesse, dall dieses Unternehmen zunächst dazu führte, der Vernunfterkenntnis die übergeord- nete, entscheidende Stellung zu geben. Sie sollte über die Wahrheit entscheiden, auch in Bezug auf die religiösen Leh- ren. Im 9. Jahrhundert hatte lohannes Scottus E r i n gen a der Vernunft den Vorrang vor der Autorität zugesprochen und im 11. Jahrhundert wurden (von Be- rengar von Tours, Roscelinus u. a.) grundle- gende Dogmen mit rationalen Argumenten bestritten, so die Unsterblichkeit der Seele, die Geburt Christi aus einer Jung.

frau, die Erlösung durch seinen Tod und seine Auferstehung, die Verwandlung der Substanzen im Abendmahl, die Drei- einigkeit. Das hatte aber einen vernichtenden Rückschlag zur Folge. Das rationale Erkennen, die "Philosophie", wurdc ausdrücklich der Kirchenlehre untergeordnet. Kam es zu einem Widerspruch zwischen beiden, dann mull te das ratio- nale Ergcbnis als Irrlehre aufgegebt>n werden. Das hat von der Mitte rIes 11. Jahrhunderts an')!) unzweideutig festge-

>,tanden.

Aber so wie in geistlichen war auch in weltlichen Dingen das mittelalterliche Wissen auf Au tor i t ä t engesteIlt.

Man betrachtete die überlieferten Lehren, vor allem - aber nicht bloll -- die des A r ist 0 tel e s, als feststehende Wahr- heiten' die man sich nur anzueignen hatte und die man uno bedenklich für weitere Benü§ung zur Grundlage nehmen konnte. Eine selbständige kritische Haltung gegenüber der Überlieferung war nur ausnahmsweise vorhanden. Man erging sich in ihrer immer erneuten Kommentierung, Darstellung und Zusammenfassung.

Da~ Verfahren, das in der Philosophie zur Anwendung kam, war durch die Aufgabe: intellektuelle Bewältigung unll Verarbeitung eines gegebenen Materials, bestimmt. Dazu mußte diebes zuerst verstanden und dann geordnet werden:

es mußte gegliedert unrI wieder zusammengefaßt und in ein System gehracht werden. Dazu diente Definition und Klassi- fikation, weiters die Vergleichung und V ereinhl'i llichung,

(31)

Die Rationalisierung der Dogmen. 25 Harmonisiel'ung bei Divergenzen. Das erforderte Argu- mentation und Beweis durch logisches Schließen. Das V cr- fahren bestand also in der logischen Durcharbeitung des Ma- terials. Es war die "d i ale k t i s c h e" Methode. Darum liegt auch auf dem Gebiet der Logik die weitaus bedeutendste pro- duktive Lei8tung der mittelalterlichen Philosophie.

Da!! große und kühne Unternehmen der Rat ion a I i - sie I' u n g der chI' ist I ich e n L ehr e n ist mit naivem Optimismus hegonnen worden. Unter Berufung auf Au g u - stin ist im 9. Jahrhundert Johannes Scottus E I' i u gen a von der Gleiehset';ung von wahrer Philosophie und wahrer Religion ausgegangen und hat einen Widerspruch zwischen beiden für unmöglich erklärt, weil sie denselben Ursprung in der göttlichen Weisheit haben. Dabei ist er al- lerdings in Konflikt mit der Kirche geraten und als häretisch

erklärt worden. Mit derseihen Zuversicht wollte Ans e I m von Ca nt erb u I' y im 11. Jahrhundert die Theologie durch die Dialektik unterbauen, um den Glauben in Wisscn zu verwandeln. Er glaubte, ohne Heranziehung der Offen- barung allein durch Vernunftgründe das Dasein Gottes uUlI die Trinität, die Menschwerdung Christi und die Erlösung durch ihn erweisen zu können. Aber auf dem Höhepunkt der Scholastik im 13. Jahrhundert hat T horn a s von A q u i n 0 (wie zum Teil schon sein großer Lehrer A I - bel' t u s Mag n u s) erkannt, daß eine stattliche Heihe wich- tigster Dogmen rational nicht zu erweisen ist: die Mensch-- werflung des Logos in Christus, die Auferstehung des Flei·

sches und das Jüngste Gericht und die ewige Seligkeit oder Verdammung, das Fegefeuer, die Schöpfung der Welt, nie Lehre von der Erbsünde und von den Sakramenten. Schon am Ende dcsselben Jahrhullderts hat J 0 h a n ne s Dun s S c 0 t u s einen strengen Beweis für die Eigenschaften Got- tes, wie Allmacht, Allgegenwart, Gerechtigkeit, Vorsehung, und für die Unsterblichkeit der Seele für unmöglich erklärt.

Und eine Generation später, in der ersten Hälfte des 14.

Jahrhunderts, ist W i I hel m von 0 c k harn zu dem

(32)

26 Die Rationalisierung der Dogmen.

SchlufJ gekommen, daß a 11 e Glaubensartikel, selbst das Da- sein Gottes, durch Vernunft weder bewiesen noch auch nur wahracheinlich gemacht werden können, wa~ freilich seine Exkommunikation mitveranlaßte. War bis dahin die Theolo- gie noch in eine des natürlichen Lichts (natnralis) und in eine geoffenharte (revelata) zerfallen, so wurde damit jett die ganze Theologie dem Glauhen überwiesen. Das war das Et'- gebnis der Entwicklung des logischen Denkens in der Schola- stik, das, immer besser geschult, immer strengere Anfonle- rungen an die Stichhältigkeit von Beweisen stellte und immer schärfer logische lTnzulängliehkeit durchschaute. (Übrigens hatte gleich ein Zeitgenosse Ans e Im s von C an tel' bur y.

der Mönch Gau nil 0, dessen Gottesheweis als FehlsehluB erkannt, wie ihn auch T horn a s von A q u i n 0 widerlegte.) Aber kritische und skeptische Konsequenzen in Bezug auf den Glallhensillhalt wurden daraus noch nicht gezogen. Die Glau- benslehren wurden deshalb noch keineswegs als der Ver- nunft widerstreitend betraehlet, sondern als überve1'uünf- tig; wie sie nicht beweisbar waren, so auch nicht widerleghar.

Aber diese Entwicklung hatte eine andere Folge. Das neo gative Ergebnis in Bezug auf eine rationale Theologie lenkte naturgemäß das Interesse von der Theologie üherhaupt ab und dafür trat das w e I t I ich e W iss e n stärker in den Vordergrund. Dieses war von vereinzelten Gelehrten seit dem 10. Jahrhundert immer wieder gepflegt worden"), zuerst auf Grund von Ühersenungel1 mathematischer, astro- nomischer und medizinischer "Werke aus dem Arabischen.

Als aber im 13. Jahrhundert neben den übrigen Wer- ken des Ar ist 0 tel e s auch seine naturkundlichen Schriften bekannt wurden, hatte dieses Studium einen starken Antrieh erhalten. A I her t von B 0 11 s t ä d t, der Lehrer des T h 0 - m a s von A q u i n 0, wegen seiner umfassenden Kenntnisse

"der Große" genannt (im 13. Jh.), hatte den Inhalt dieser Sdll'iften ausführlich dargestellt und zahlreiche eigene Beob- achtullgen, vor allem über Tiere und Pflanzen, beigefügt.

Dieirich von Freiherg in Sachsen (im 13. Jh.) hatte

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