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twas über ein halbes Jahr ist es her, dass die rechtsbürgerliche franzö- sische Regierung unter Premier- minister Jean-Pierre Raffarin die zum 1. Januar in Kraft getretene Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ver- abschiedet hat. Doch noch immer schla- gen die Unmutswellen vor allem bei den niedergelassenen Allgemeinärzten hoch.Ein Rückschritt in archaische Zeiten sei das und eine Gefahr für die solidarische Gesundheitsversorgung, wettert die zweitgrößte Vertretung der Hausärzte, die MGVA (Médecins généralistes de France-Vigilance et Action) auf ihrer Homepage im Internet. Die Allgemein- ärzte fürchten, dass die Radikalkur, mit der Gesundheitsminister Philippe Douste-Blazy das Defizit der staatlichen Versicherung bis Ende 2007 abbauen will, vor allem zu ihren Lasten und zu der der Versicherten gehen wird.
Nachdem die gesetzliche Kranken- versicherung in Frankreich in den letzten Jahren immer weiter ins Minus gerutscht ist – 2002 betrug das Defizit
noch gut sechs Milliarden Euro, im vergangenen Jahr waren es bereits über 13 Milliarden Euro –, sah die Regierung keinen anderen Aus-
weg mehr als eine grundlegende Reform.
Der Verabschiedung des Gesetzes war ein monatelanger Streit im Parlament und mit den Allgemeinmedizi- nern vorausgegangen, der schließlich Ende Januar in Paris in ei- ner Demonstration von Tausenden von Ärzten und Medizinstudenten gipfelte.
Dreh- und Angel- punkt der Reform ist die Einführung eines
Hausarztsystems, kombiniert mit einer dem deutschen Modell nachempfun- denen Praxisgebühr von einem Euro je Besuch. Bis zum 1. Juli haben alle Pati- enten über 16 Jahre nunmehr Zeit, sich einen Hausarzt auszu- wählen, der sie dann gegebenenfalls an einen Spezialisten überweist.
Versicherte, die weiter- hin einen Facharzt ohne Überweisung aufsuchen, müssen dafür künftig mindestens fünf Euro bezahlen. Ausnahmen von der höheren Selbst- beteiligung gelten nur für Behandlungen beim Pädiater, Gynäkologen oder Augenarzt.
Darüber hinaus hat die Regierung die Beiträ- ge zur Sozialversicherung angehoben und will bis
Ende 2007 eine elektronische Kranken- versichertenkarte einführen. Die Ärzte hat Douste-Blazy zudem angehalten, mehr Generika statt der teuren Original- präparate zu verschreiben. In Frankreich beträgt der Anteil der Nachahmerpro- dukte am Arzneimittelmarkt bislang lediglich rund fünf Prozent.
Dass die Einführung eines Hausarzt- systems die Allgemeinärzte nicht glück- lich stimmt, verwundert nur auf den ersten Blick. Die „Betroffenen“ kriti- sieren, dass die Patienten – trotz höhe- rer Selbstbeteiligung – grundsätzlich weiterhin ungehindert zum Spezialisten gehen können. Sie befürchten, dass
sie dadurch zu reinen
„Türstehern“ im Ge- sundheitssystem de- gradiert werden. „Es kann doch nicht sein, dass sich die Rolle des Hausarztes auf eine ökonomische Vertei- lerfunktion beschrän- ken soll, und das auch noch ohne ausrei- chende Vergütung für die zusätzliche Ver- waltungsarbeit“, kriti- siert Dr. Claude Bron- ner, Präsident der MGVA.Für den Mehr- aufwand durch Über- weisungen sollen die Hausärzte eine jährliche Kopfpauschale von 40 Euro erhalten.
Auch aus Sicht der Patienten ist die Reform des Gesundheitssystems nach Ansicht der MGVA ein Unding: „Für die Versicherten wird es teurer, aber nicht besser“, so der knappe Kommen- tar von Dr. Philippe Sopena von der Hausärztevereinigung. Patienten, die künftig zuerst zum Hausarzt gingen, um sich dann überweisen zu lassen, müss- ten im Regelfall 15,44 Euro statt wie bisher 6,50 Euro zuzahlen, rechnet der Allgemeinarzt vor. Und auch für die gesetzliche Krankenversicherung würde es unterm Strich teurer, da sie künftig sowohl die Konsultationsgebühr für den Hausarzt und den nachfolgenden Facharztbesuch erstatten müsste. Die Regierung indes hält an ihrem Sparkurs fest, zumal drei andere große Ärztever- bände der Reform bereits zugestimmt
haben. Petra Spielberg
T H E M E N D E R Z E I T
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A490 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 8⏐⏐25. Februar 2005
Frankreich
Protest gegen Gesundheitsreform
Französische Hausärzte fühlen sich zu Handlangern der Spezialisten degradiert.
Auf dem Höhepunkt landesweiter Demonstrationen und Streiks im öffentlichen Dienst protestieren Ärzte am 22. Janu- ar in Paris gegen die Reform im Hausarztsektor.
Der Unmut der Ärzte richtet sich ge- gen Gesundheitsminister Philippe Douste-Blazy.
Fotos:Reuters