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er ausgereifteste Teil der Koaliti- onsvereinbarung von Union und SPD ist ihr 47-seitiger Anhang. Er enthält bereits im Wortlaut die Blau- pause für ein künftiges Gesetz zur Neu- ordnung des Bundesstaates, das Anfang nächsten Jahres in den Bundestag ein- gebracht werden soll. Begünstigt wer- den vor allem die Länder durch die ge- plante Föderalismusreform. Sie erhal- ten deutlich mehr Kompetenzen, auch bei Bildung und Forschung.Die Rahmengesetzgebungskompe- tenz des Bundes wird abgeschafft – ein- deutig ein Verhandlungserfolg für die Union. Mit Bestürzung reagierten des- halb einige SPD-Politiker auf den Aus- gang des seit 2003 schwelenden Födera- lismusstreits. Es drohe eine Katastrophe für den Forschungsstandort Deutsch- land, sagte die noch amtierende Bundes- forschungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD). Die designierte Bundesbildungs- ministerin Annette Schavan (CDU) ver- teidigte dagegen die geplante Stärkung der Länderkompetenzen. Mehr Zentra- lismus sei kontraproduktiv.
Win-win-Situation für alle Beteiligten
Auch über die schnelle Einigung (be- reits am 7. November) zeigten sich Poli- tiker wie Verbände überrascht. Für Verwunderung sieht Volker Kröning aber keinen Grund. Dank der Vorar- beit der Föderalismuskommission und der beiden Vorsitzenden Franz Münte- fering (SPD) und Edmund Stoiber (CSU) sei die Koalitionsarbeitsgruppe mit der verfügbaren Zeit ausgekom- men, sagte der SPD-Föderalismusex- perte und künftige Berichterstatter sei- ner Fraktion für das Gesetzgebungs- verfahren dem Deutschen Ärzteblatt.
Kröning, der der früheren Kommission angehörte und an den Koalitionsge- sprächen zur Föderalismusreform mit- wirkte, erläuterte, die nur wenigen offe- nen Fragen seien in „guter Zusammen- arbeit“ und durch parallele Gespräche mit den Oppositionsparteien zügig gelöst worden.
Für problematisch hält Kröning die Änderungen im Bereich Bildung nicht.
Wie bisher bleibe die Berufsbildung in der Kompetenz des Bundes und die Schulbildung Angelegenheit der Län- der. Dagegen solle die Zuständigkeit für die Gesetzgebung im Hochschulrecht – bis auf Hochschulzulassung und -ab- schlüsse – auf die Länder übergehen.
Neu strukturiert werden auch die Ge- meinschaftsaufgaben nach Artikel 91a und 91b Grundgesetz. Der Hochschul- bau ist danach künftig keine „Gemein- schaftsaufgabe“ mehr, sondern geht auf die Länder über. Bis 2019 werde der Bund jedoch 70 Prozent der bisher dafür aufgewandten Mittel an die Länder überweisen, bis 2013 zweckgebunden, erklärte Kröning. Der Rest stehe weiter- hin für die Finanzierung überregional bedeutender Projekte bereit, darunter für Großgeräte und für Bauten.
„Im Übrigen bleibt es dabei“, betonte Kröning, „Bund und Länder wirken bei der Forschungsförderung zusammen.“
An die Stelle der „Bildungsplanung“
tritt jedoch ein Zusammenwirken beider Ebenen bei einer „gesamtstaatlichen Bildungsberichterstattung“. Kröning ist überzeugt: „Bei der Einigung handelt es sich um eine Win-win-Situation für alle Beteiligten.“ Die Sorgen von SPD-Par- teigenossen kann Kröning zwar verste- hen: „Aber das Land muss jetzt zu- kunftsfähig gemacht werden.“
Die Zukunft deutscher Hochschulen nach der Föderalismusreform sieht der Wissenschaftsrat (WR) „zwar nicht
schwarz, aber grau“. WR-Generalse- kretär Wedig von Heyden kritisiert, dass Hochschul-Sonderprogramme künftig gesetzlich ausgeschlossen sein sollen.
„Wir versuchen, Nachbesserungen zu er- reichen“, sagte von Heyden. Keine Än- derungsmöglichkeiten sieht der Wissen- schaftsrat hingegen beim Hochschulbau.
Dieser wird entsprechend der Gesetzes- vorlage nahezu völlig in den Verantwor- tungsbereich der Länder übergehen. Die Regelung, wonach diese für jeden inve- stierten Euro einen Euro vom Bund er- halten, entfällt. Der Wissenschaftsrat be- fürchtet deshalb, dass Universitätsklini- ka in „ärmeren“ Bundesländern bald vermehrt zum Verkauf an private Betrei- ber anstehen könnten.
Gefälle in der
Hochschullandschaft
Auch Prof. Dr. Bernhard Kempen, Präsi- dent des Deutschen Hochschulverban- des, ist überzeugt, dass sich die Kompe- tenzzersplitterung als nachteilig erwei- sen wird. „Wir werden ein starkes Nord- Süd- sowie ein Ost-West-Gefälle in der Hochschullandschaft bekommen“, pro- gnostizierte er gegenüber dem Deut- schen Ärzteblatt. Bisher sei Deutsch- lands Stärke eine flächendeckende Qua- lität gewesen. Ferner befürchtet der Ver- band einen „Besoldungswettbewerb nach unten“. Die unterschiedliche Be- zahlung der Professoren und weiteren Beamten, die künftig im Ermessen der Länder liegen soll, behindere die Mobi- lität von Spitzenkräften.
Ansonsten wird die Föderalismusre- form das Recht der Freien Berufe, ihrer Alterssicherung und ihre Organisati- on in Kammern vermutlich nur gering- fügig beeinflussen. „Die Auswirkungen sind jedoch komplex und bedürfen näherer Analyse“, sagt Kröning. Unmit- telbar zu überblicken sind für den Rechtsanwalt die Veränderungen bei der konkurrierenden Gesetzgebung.
„Künftig ist der Bund zuständig für das Recht des Apothekenwesens, der Arz- neien, der Medizinprodukte, der Heil- und Betäubungsmittel sowie der Gif- te“, erklärt Kröning. Das Recht der be- rufsständischen Versorgungswerke blei- be hingegen auch künftig in Länder- kompetenz.Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann P O L I T I K
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A3228 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 47⏐⏐25. November 2005