• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Literarische Orte: Am schwarzen Fluss" (06.02.2015)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Literarische Orte: Am schwarzen Fluss" (06.02.2015)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A 244 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 112

|

Heft 6

|

6. Februar 2015

LITERARISCHE ORTE

Am schwarzen Fluss

Verlorene Heimat – Else Lasker-Schüler und ihr Schauspiel „Die Wupper“

D

en Ort ihrer Kindheit und Ju- gend hat sie geliebt, die Else aus Elberfeld, der Stadt der Arbeiter und Fabrikanten, die Stadt der Schieferdächer und der hohen Zie- gelschornsteine, die, roten Schlan- gen gleich, herrisch zur Höhe stie- gen und deren Hauch die Luft ver- giftete, so Lasker-Schüler in der Er- innerung. „Den Atem mussten wir einhalten, kamen wir an den chemi- schen Fabriken vorbei, allerlei scharfe Arzneien und Farbstoffe färben die Wasser, eine Sauce für den Teufel.“ Und doch bekräftigt sie: „Ich bin verliebt in meine zahn- bröckelnde Stadt, wo brüchige Treppen so hoch aufsteigen, unver- mutet in einen süßen Garten oder geheimnisvoll in ein dunkleres Viertel der Stadt.“

Als Else Lasker-Schüler (1869–

1945) so mehrdeutig ihre Liebe erklärt, 1913, in einem Essay an- lässlich des 300-jährigen Stadt - jubiläums, hatte sie Elberfeld und Wuppertal längst verlassen, lebte nach zwei Scheidungen – von Bert- hold Lasker, einem Arzt, und dem Schriftsteller Herwarth Walden – ohne feste Wohnung in Berlin, schrieb zarte und wilde Gedichte und irrlichterte durch die Künstler- szene. Die Sehnsucht nach der ver- lassenen Heimat, dem Ort der Ge- borgenheit im Elternhaus, das sie mit 25 Jahren verlassen hatte, blieb in ihrem im Herzen.

Das „Herz“ spielte bei Lasker- Schüler immer seine Rolle, im Le- ben mit den vielen Freundschaften und im Vokabular. So auch bei ihrer bekanntesten Liebeserklärung an die Heimat, dem Schauspiel „Die Wupper“, entstanden 1909, überar- beitet und uraufgeführt 1919. An- geblich schrieb sie es in einer einzi-

gen Augustnacht. „Ich brachte wahrscheinlich mein Herz ins Flie- ßen,“ erklärt sie. Oder, noch bild- hafter: „Bange Jahre gegoren, floß die Wupper durch das Gewölbe meines Herzens aus dunkler Erin- nerung gepresst.“ Auch „Die Wup- per“ ist eine dieser mehrdeutigen Liebeserklärungen Lasker-Schülers an ihre Heimat. „Eine böse Arbei- termär“, schreibt sie an ihren ersten Verleger, „die sich nie begeben hat- te, aber deren Wirklichkeit phantas- tisch ergreift.“

In der Tat, die Dichterin vermit- telt Wirklichkeit. Nicht nur das Ar- beitermilieu ist realistisch, ja natu- ralistisch gezeichnet, auch das der sogenannten guten Gesellschaft.

Doch über der Fabrikantenvilla in Lasker-Schülers Drama – man sehe sich in Wuppertal als Beispiel eines der schieferverkleideten Palais des Textilbarons Friedrich Engels an – kreist der Pleitegeier und ein Fabri- kantenspross macht sich an eine

Minderjährige aus dem Arbeitermi- lieu heran. Die ziert sich nicht. Man trifft sich auf dem Kirmesplatz. Ei- ne Alte aus der Arbeitersiedlung gibt die Kupplerin, während ihr En- kel sich um die Fabrikantentochter bemüht. Der will nach oben, mit Hilfe der höheren Tochter und einer Karriere als Pfarrer. Da scheut er sich auch nicht, von „den Katholi- schen“ zu „den Evangelischen“ zu wechseln, denn nur dann kann er ja heiraten.

Diese Andeutungen mögen ge- nügen, um zu erkennen, dass Lasker-Schüler kein Fettnäpfchen auslässt. Kein Wunder, dass die Wuppertaler, egal aus welcher Klasse, sich mit diesen Milieu- schilderungen nicht anfreunden mochten. Gerade, weil sie so tref- fend gezeichnet sind. Denn Las- ker-Schüler kennt die Milieus. Aus ihrem wohlhabenden Elternhaus, von der Straße, vom Rummelplatz.

Und sie nimmt die Menschen wie sie sind: gut und böse, intri- gant und redlich, lüstern und verklemmt. Lasker-Schüler be- schreibt, ohne zu verurteilen. Fast liebevoll, ausgenommen den einen Typen, den intriganten Inspektor Dr. jur. Der angelt sich schließlich die höhere Tochter und reißt sich die Firma unter den Nagel, nach- dem sich der pädophile Sohn des Hauses umgebracht hat.

Die Wuppertaler tun sich bis heute schwer mit ihrer Dichterin.

Doch ein Kreis von Freunden und Bewunderern hat die Stadt Wupper- tal, in der Elberfeld 1929 aufging, zu einem Denkmal bewegen kön- nen. Hier beginnt ein Stadtrundgang auf den Spuren Else Lasker-Schü- lers. Viel ist nicht übrig geblie- ben. Bombenkrieg und Wiederauf- Mit ihrer Dichte-

rin Else Lasker- Schüler tun sich die Wuppertaler bis heute schwer – hier eine Porträtaufnah- me aus dem Jahr 1932.

Foto: picture alliance

K U L T U R

(2)

Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 112

|

Heft 6

|

6. Februar 2015 A 245 Über Lasker-Schüler und Wuppertal informiert die

Else-Lasker-Schüler-Geselllschaft e.V. (Herzog- straße 42, 42103 Wuppertal. Telefon 0202 305198). Sie gibt einen Rundbrief heraus und bietet ein anspruchsvolles Veranstaltungspro- gramm. Näheres unter: www.else-lasker-schueler-

gesellschaft.de. Das Schauspiel „Die Wupper“, ergänzt um aufschlussreiche Dokumente zur Ent- stehungsgeschichte und ein Nachwort, ist bei Re- clam erschienen (175 Seiten, 2002, 4,40 Euro), der Gedichtband „Mein blaues Klavier“ bei Suhr- kamp (62 Seiten, 2006, 16,80 Euro).

INFORMATIONEN

bau haben gründlich aufgeräumt.

Immerhin, das Elternhaus steht noch, Sadowastraße 7, eine eher schlichte Doppelhaushälfte, neo- klassisch, dreigeschossig. Von des- sen Turm „immer fröhlich die Fah- ne wehte“ und die weinende Else tröstete, die „als Schulkind schon einige antisemitische Auf- stände auf dem Heimweg“ hat erle- ben müssen. Von diesem Turm stürzte die Elfjährige, als sie wäh- rend eines Gewitters angstvoll nach der „angebeteten Mama“

Ausschau hielt. (Alle Zi- tate, auch die folgenden, nach Lasker-Schülers Er- innerungen)

Der Besucher von heu- te, angekommen vor der Nummer 7, am Fuß einer steil ansteigenden Straße, sucht vergeblich nach dem Turm und erfährt später, einen solchen habe es nie gegeben. Doch Lasker-Schüler erinnert sich ganz präzise, wie sie über die Holzzinnen des Turms auf eine Jalousie stürzte, dort „geborgen wie in meiner Mutter Arm“ liegen blieb, dann

von ihrem zweiten Bruder, der bei der Feuerwehr gewesen sei, hinab- getragen wurde, „von Stufe zu Stu- fe, von Luft zu Luft – immer ging es so durch den Leib – die lange, bange Leiter herab.“ Ob das wirk- lich so war, weiß man nicht. Denn Lasker-Schüler unterscheidet häu- fig nicht zwischen fantasierter und tatsächlicher Wirklichkeit.

Der Elberfelder Turm-Fall ent- puppt sich jedenfalls als Schlüssel- erlebnis: „Ich hatte den Veitstanz bekommen. Onkel Doktor meinte:

Die Folge des Schrecks! Und nann- te mich seitdem ,Springinsfeld`.

Aber ich wusste, ich hatte den Veitstanz bekommen von etwas ganz anderem – vom ersten Schmerz meines Lebens, den auch das schönste Elternhaus nicht hat ver- hindern können.“

Über Turm und Veitstanz rätseln bis heute die Experten. Ein zweites Mal tritt der Veitstanz (oder was immer) in Lasker-Schülers Erinne- rung 30 Jahre später auf, als sie sich

von Herwarth Walden trennt. Auch das ein Sturz aus der Geborgenheit?

Diese scheint Lasker-Schüler stets gesucht, aber nie mehr gefunden zu haben, nachdem sie das heimatliche Wuppertal verlassen hat. Die Sehn- sucht danach aber blieb bis ans Le- bensende, folgt man ihrem Gedicht- band „Mein blaues Klavier“. Er er- schien 1943, in der Emigration, in Jerusalem im „Hebräerland“, wo sie nach langem Umherirren schließlich zur Ruhe kam. Das titel-

gebenden Gedicht („Ich habe zu Hause ein blaues Klavier/Und ken- ne doch keine Note/Es steht im Dunkel der Kellertür/Seitdem die Welt verrohte ….“) entstand 1937 im Schweizer Exil. Es scheint der Dichterin so wichtig gewesen zu sein, dass sie sechs Jahre später ihre letzte Gedichtsammlung danach be- nannte.

Sie blickt aus der Ferne zurück auf die verlorene Heimat, symboli- siert durch das blaue Klavier. In der Sadowastraße 7 wird ein Klavier gestanden haben, wie in jedem gut- bürgerlichen Heim, doch war es ge-

wiss nicht blau. Vielleicht handelte es sich um das Puppenklavier, mit dem die kleine Else zu Hause ge- spielt hat. War es blau? Wie auch immer, „blau“ steht für die Sehn- sucht nach etwas unwiederbringlich Verlorenem. Das blaue Klavier er- scheint in einem Vers als „blaue to- te“. Der Dichterin des „blauen Kla- viers“ bleibt eine vage Hoffnung, sie schließt mit der Bitte: „Ach lie- be Engel öffnet mir/ – Ich aß vom bitteren Brote – /Mir lebend schon die Himmelstür,/ Auch wi- der dem Verbote“.

Von der Sadowastraße laufen wir im allgegenwär- tigen Wuppertaler Regen zur nächsten Haltestelle der Schwebebahn. Lasker- Schüler hat ihre Einwei- hung (1901) nicht miter- lebt, sie doch bei ihrem Heimatbesuch 1913 ken- nengelernt. Sie ist stolz auf den „stahlharten Drachen“, der sich über den schwarz- gefärbten Fluss legt. Und noch immer windet sich das „Bahnschiff durch die Lüfte über das Wasser“.

Das fließt heute nicht mehr schwarz, sondern glasklar durch das Wuppertal, dank Filtern und dem Niedergang der Textilin- dustrie. Unser Bahnschiff schwebt pünktlich nach Fahrplan am einst- mals so berühmten Wuppertaler Schauspielhaus vorbei. Das ist seit fast zwei Jahren geschlossen. Er- öffnet wurde es 1966 mit „Die Wupper“ – allerdings nur als

„zweiter Premiere“. Zuvor wurde der „Nathan“ gegeben. Lessing war weise, nicht so schwierig wie die Lasker-Schüler, und die Stadtväter hatten Angst vor dem Premieren-

publikum.

Norbert Jachertz

Bange Jahre gegoren, floß die Wupper durch das Gewölbe meines Herzens aus dunkler Erinnerung gepresst.

Else Lasker-Schüler

Foto: Ullstein bild

K U L T U R

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Du führst die Schnur immer abwechselnd über und unter die Stöckchen, so dass sich die Schnur schließlich nach jedem Stöckchen überkreuzt.. Es geht leichter, wenn die Stöckchen

Selbstverständlich kann man Schlangen auch essen, ohne selbst krank zu sein, etwa um ihre Kraft und Eleganz in sich aufzunehmen – oder einfach nur ihren Nährwert, um satt zu

Es freute mich schon sehr, dass eine unge- wöhnliche politische Situation so wertge- schätzt wurde, und diese in einem renommier- ten Gymnasium als Testfrage gewählt wurde und Politik

Internationaler Bibliothekskongress des BVÖ 12 Festvortrag: Wendelin Schmidt-Dengler 12. Festlesung: Margit Schreiner

Der „Sächsische Meilenstein 2015 - Preis für erfolgreiche Unternehmensnach- folge“ startet in diesem Jahr mit einem Novum: Neben gelungenen Nachfolgen werden nun zusätzlich

Kriterien wie Mitarbeiter- und Servicequalität, Erreichbarkeit des Hauses, eindeutige Beschilderungen, spezielle Sonderparkplätze für behinderte Menschen und Familien,

A3.1: Informationen über Nichteinhaltung der Parameterwerte bei Wasser für den menschlichen Gebrauch in Wasserversorgungsgebieten, in denen mehr als 1.000 m³ Trinkwasser pro

Vorfilter: Aktivkohleblock im Bajonett- Gehäuse (Austausch alle 6 Monate) , leistungsstarke Pumpe und Umkehr- osmosemembran mit anschließendem Nachfilter AMF zur Chlorentfernung,