DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
I
n Sachen Honorarpolitik sind Deutschlands Kassenärzte ziemlich dünnhäutig gewor- den. Zu Recht, wenn man die Entwicklung der letzten Jahre kennt. Die angeblichen Groß- verdiener der Nation — so das of- fenbar nicht kleinzukriegende Image in der veröffentlichten Meinung — sehen ihre tatsächli- che Lage völlig anders: Steigen- de Arztzahlen, steigende Praxis- kosten, steigender Druck von seiten des Gesetzgebers und ei- ne überwiegend gedeckelte Ge- samtvergütung: Das ist kassen- ärztliche Realität.Kein Wunder also, daß füh- rende Vertreter der Kassenärz- teschaft zusammenzucken, wenn der honorarpolitische Hand- lungsbedarf bestritten wird.
Nichts anderes aber haben die Ersatzkassen gerade getan, wie aus einem Interview von Dr.
Eckart Fiedler, dem Haupt- geschäftsführer des Verbandes der Angestellten-Krankenkas-
Ersatzkassen
Lässiges zur Unzeit
sen (VdAK) in Siegburg, mit ei- ner Tageszeitung für Ärzte her- vorgeht. „Wir können uns in die- sem Punkt zurücklehnen", lautet das Ersatzkassen-Fazit zum Sta- tus quo.
Gewiß, die Grundlohnsum- me ist seit 1990 gestiegen — und damit auch die ärztliche Vergü- tung insgesamt. Aber: Ein be- trächtlicher Teil davon wurde durch die steigende Arztzahl aufgezehrt. Gewiß, die Gesund- heitsuntersuchung brachte zu- sätzliches Honorar. Aber: längst nicht für alle Ärzte!
Und die Kostenentwick- lung? Die traf in der Tat alle Ärzte — einige mehr, aber kaum jemanden gering. Einfach liegen
die Dinge also nicht, wenn es um den honorarpolitischen Hand- lungsbedarf geht. Wie ernst es den Kassenärzten damit ist, läßt sich an der prompten Reaktion von Dr. Ulrich Oesingmann auf das Interview ablesen: „Wenn wir von Honorarpolitik reden, dann ist damit nicht allein die Höhe der Honorare gemeint, sondern vor allem die Vergü- tungsstruktur. Und das kann nun wirklich niemanden veranlassen, sich zurückzulehnen", konterte der Vorsitzende der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung...
Wer solche saloppe Auße- rungen mache, so Oesingmann weiter, schätze die Stimmung in der Ärzteschaft völlig falsch ein und riskiere damit eine zusätzli- che Emotionalisierung in einer ohnehin schwierigen Lage. Ho- norarpolitischer Handlungsbe- darf heiße konkret: „Jetzt müs- sen spürbare Fortschritte auf dem Weg zur Einzelleistungs- vergütung folgen!" JM
A
b 1. April wird die Belie- ferung der fünf neuen Bundesländer mit Arz- neimitteln auf eine neue Grund- lage gestellt. An die Stelle des vielumstrittenen generellen Preisabschlages um 55 Prozent, welcher der Pharma-Industrie erhebliche Kopfschmerzen be- reitet hatte, tritt das sogenannte Defizit-Kompensationsmodell.Künftig wird es in dem einheitli- chen Wirtschaftsgebiet Deutsch- land auch einheitliche Arznei- mittelpreise geben. Allerdings:
Die Krankenkassen der neuen Länder werden dennoch entla- stet, denn Hersteller, Großhan- del und Apotheker tragen bis zu einer gewissen Grenze die ent- stehenden Defizite.
Professor Dr. Hans-Rüdiger Vogel, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Phar- mazeutischen Industrie (BPI), sieht durch diese Neuregelung zwei wesentliche Ziele erreicht, die er vor Journalisten in May- schoß erläuterte: Ein ordnungs- politischer Fehler sei rückgängig
Arzneimittelpreise
Einheitlich in
ganz Deutschland
gemacht und die Gefahr einer Übernahme der Abschlagsrege- lung auf das gesamte Bundesge- biet vermindert worden. Außer- dem sei die finanzielle Belastung von Industrie, Großhandel und Apothekern auf „ein hinnehm- bares Maß" reduziert worden.
Vogel verhehlte anderer- seits nicht, daß die Neuregelung auch Wunden hinterlassen habe:
Die Pharmabranche sei der ein- zige Zweig, der per Gesetz zu ei- nem Opfer in Milliardenhöhe für die deutsche Einheit gezwun- gen worden sei. Außerdem hät- ten die Ereignisse um den Jah- resanfang das Image der Phar- ma-Industrie erneut deutlich ge- schädigt. Besonders einschnei- dend würden die finanziellen Belastungen für die ostdeut-
schen Firmen, „die bei der Re- gelung mit den West-Firmen in einem Boot sitzen".
Für die Versicherten ändert sich ab 1. April allerdings wenig.
Das vielbeschriebene „Versor- gungschaos" sei zu großen Tei- len einfach ein „Abrechnungs- chaos" gewesen. Die Festbeträ- ge hätten bei den unerfahrenen Patienten den Eindruck er- weckt, sie seien Opfer der „Pro- fitgier" der Pharma-Industrie gewesen. Auch das Verschrei- bungsverhalten vieler Ärzte ha- be zu Verwirrung in den Apo- theken geführt, da selbst Fieber- thermometer und Zahnpasta verordnet wurden, sagte BPI- Geschäftsführer Dr. Ulrich Vor- derwülbecke. Die allgemeinen Anlaufschwierigkeiten, die sich seit Januar ergeben hätten, seien jedoch heute kein Thema mehr.
Fazit des BPI: Ein Versor- gungschaos hat es nie gegeben — und werde es auch in Zukunft nicht geben. Den Ärzten kann dies im Sinne ihrer Patienten nur recht sein! Kli
Dt. Ärztebl. 88, Heft 13, 28. März 1991 (1) A-1025