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ur Zeit im „Sensen- und Heimatmuseum Achern"bei Offenburg: Zwei Ärzte stellen ihre Bilder aus. Die Schau spiegelt zweierlei Ansichten der Welt, unterschiedliche Beobach- tungen, die sich nicht nur in den ver- schiedlichen Maltechniken ausdrük- ken, sondern auch in der Haltung, im Bewußtsein und im Sujet. Beide sind Psychoanalytiker und Psy- chotherapeuten: Jürgen Gotthardt und Rainer Voigt. Sie kennen sich aus gemeinsamer Arbeit und von den Teilnahmen an Gruppenausstel- lungen. Beide sind Autodidakten.
Der jüngere von beiden, Jürgen Gotthardt, 1953 in Bonn geboren, malt seit seiner Jugend, nahm an Ausstellungen als Schüler teil. Doch dann ruhte die Arbeit — bis vor zwei, drei Jahren wieder die Lust geweckt wurde. Äußerer Anlaß war eine In- itiative „Äskulap malt" auf der Karlsruher Therapiewoche, ange- regt durch den kunstfördernden Arzneimittelhersteller G. Pohl-Bos- kamp, Hohenlockstedt.
Jürgen Gotthardt versuchte sich wieder mit Farben und Formen in der garnicht unkomplizierten Aqua- relltechnik, jener scheinbar so zar- ten Materie, dem im Wasser gelö- sten Farbkörper auf leichtem Pa- pierblatt. Was sich nun auf jenem saugenden Malgrund in den letzten beiden Jahren bei ihm getan hat, ist erstaunlich 1985 benutzte er die konkrete Linie, die konkrete Fläche als Maßgabe und gab die Farbe le- diglich als Kolorierung hinzu Nun scheint sich im Laufe des „Experi- mentierens mit Form und Farbe" ei- ne stete Abstraktion festzumachen, die einen sehr viel freieren Umgang mit dem Material erkennen läßt.
Jürgen Gotthardt malt vornehmlich Landschaften, wenige Szenen auch aus der Fasnacht, mit Narren und Masken.
Rainer Voigt, Jahrgang 1940, kam 1959 nach dem Abitur aus sei- ner sächsischen Heimat in die Bun- desrepublik, studierte in Tübigen und München, ließ sich 1981 in Of- fenburg als Psychotherapeut und Analytiker nieder. Während des Studiums begann er zu malen; das war vor 25 Jahren. Und vor zwei Jahren hatte er sich dann zum ersten
Maler-Ärzte stellen
in Aehern aus
Mal in Offenburg an einer Ausstel- ung beteiligt. Bis dahin war es ein nicht einfacher Weg des „Lernens durch Scheitern" gewesen, wie er sich ausdrückt.
Nach langem Suchen (und Scheitern) begegnete ihm die an- throposophische Technik, mit Öl- kreide zu malen und mit Terpentin zu verwischen. Aus solchen Ölkrei- de- und Kohlezeichnungen setzt sich die dreigegliederte Präsentation von Rainer Voigts Werken zusammen.
Das erste Thema beschreibt Szenen aus Ohlsbach anläßlich der 750-Jahr- Oben: Öl-
Kreide-Zeichnung von Dr. med.
Rainer Voigt
Rechts: Aquarell
„Boot am Strand"
von Dr. med.
Jürgen Gotthardt
Feier. In diesem kleinen Ort bei Of- fenburg ist er zu Hause. Liebevoll typisierend bildet er die Menschen ab. Allerdings nicht in „Szenen", wie er selbst es formuliert, sondern vereinzelt hervorgehoben. Kräftig bunt vor weißem Hintergrund ist das Trachtenpaar festgehalten, ebenso ein Mönch oder ein dreschender Bauer, dessen Dreschflegel die Idyl- lisierung verstärkt.
Die „Alemannische Fasent"
und das Märchenbuch für Erwachse- ne von Benmann „Stein und Flöte", das sind die beiden anderen The- men, mit denen Rainer Voigt in die- ser Ausstellung vertreten ist. Die Il- lustrationen zum Märchenbuch
„Stein und Flöte" sind die interes- santesten Arbeiten, formal wie in- haltlich. Durch eidetische Bilder, die er in Holzstrukturen oder Wol- ken entdeckt, mit Kohle skizziert, gibt Voigt den Romanfiguren Ge- stalt — oder besser Gesicht. Wenige grobe Striche, weite plane Flächen, erdige Farben lassen Charaktere er- stehen, deren Defekte offen liegen.
In dieser Arbeitsweise lassen sich Praktiken der Gestalttherapie er- kennen; das heißt, hier nähern sich Beruf und Neigung, beeinflussen und benutzen sich.
Zwei Ärzte — zwei völlig ver- schiedene künstlerische Äußerun- gen, zwei verschiedene Ansätze, zwei verschiedene Techniken, und natürlich auch sehr unterschiedliche Ergebnisse. Diese sind zu sehen im
„Sensen- und Heimatmuseum Achern" bis zum 31. Mai, geöffnet sonntags von 14 bis 18 Uhr.
Klaus Schmitz
A-1504 (80) Dt. Ärztebl. 84, Heft 21, 21. Mai 1987