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Archiv "Ganzheit im Testlauf" (11.07.1986)

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Die Aussage „Wer heilt, hat recht" gilt zwar nach wie vor, aber wir sollten uns da- bei immer bewußt werden, womit „er" geheilt wird.

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Professor Siegfried Häußler

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

KURZBERICHTE

Ganzheit im Testlauf

Was eigentlich ist „ganzheitliche Medizin"? Dieser Frage war ein Nachmittags-Symposium gewid- met, das die Kassenärztliche Ver- einigung Nordwürttemberg in ih- rem Stuttgarter Haus gemeinsam mit der Kassenärztlichen Bundes- vereinigung Mitte Juni veranstaltet hat.

Professor Siegfried Häußler, KBV- und KV-Vorsitzender, sprach da- von, daß Vorurteile abgebaut wer- den müßten. Und die gibt es zu- hauf, auf beiden Seiten — und die- ser Begriff „beide Seiten" ist schon wieder ein Vorurteil. Gibt es den Gegensatz zwischen natur- wissenschaftlicher (gleich Schul-) und „ganzheitlicher Medizin"?

Der Kliniker sagte: Nein. Es war der Tübinger Internist Professor Hans-Erhard Bock. Ganzheit: eine Integrationsmethode, um Leib, Geist und Seele miteinander zu verbinden, aber auch um das Zu- sammengehen von vielen Fächern zu ermöglichen und um Philoso- phie (Werte), Psychologie (Verste- hen), Soziologie (Umwelt) und Ökonomie (Wirtschaftlichkeit) in der ärztlichen Tätigkeit am und mit dem Patienten anzuwenden.

Descartes gibt es nicht mehr, sag- te der ganzheitliche Mediziner am Rednerpult, Dr. Helmut Milz (Arzt für Allgemeinmedizin, er arztet al- lerdings nicht mehr, sondern ist WHO-Beamter in Kopenhagen).

Der Mensch ist nicht Objekt natur- wissenschaftlicher Gesetzmäßig- keiten, sondern leidendes Subjekt.

Verleugnung naturwissenschaft- licher Erkenntnisse, konterte Pro- fessor Bock, kommt für einen aus- gebildeten Arzt dem Verrat an sei- ner Approbation gleich.

Allerdings, der Ganzheitsmedizi- ner hatte ansonsten nicht allzuviel anzubieten: Alternative Therapie- richtungen — er schilderte als Bei- spiele ausführlich drei, das Auto- gene Training, Biofeedback und die Feldenkrais-Methode (ist letz-

tere „alternativ"? Sie beruht dar- auf, daß ein bisher für richtig ge- haltenes naturwissenschaftliches Gesetz offenbar doch nicht stimmt). All dies sind Methoden, die eine aktive Mitarbeit des Pa- tienten erfordern, und das soll überhaupt das Kennzeichen ganz- heitlicher Medizin sein — dem Menschen die Subjekt-Rolle wie- der zu verschaffen. Vorsicht, mahnte Bock, das kann gelegent- lich auch zur Hypochondrie füh- ren (und, sagte eine spätere Red- nerin, zur Gefahr, narzißtisch mit sich umzugehen).

Aber: Eine bloße Sammlung alter- nativer Methoden kann ganzheit- liche Medizin auch nicht sein: also braucht es andere Denkansätze —

neu sind sie nicht, denn Dr. Milz brachte da nicht viel anderes als die umwelt- und gesellschaftsver- ändernden, also politischen For- derungen, die seit 1968 im Schwange sind, aktualisiert mit Tschernobyl. Immerhin war sein Hinweis darauf bedenkenswert, daß auch ein Mensch, bei dem alle schulmedizinischen Diagosen o. B. signalisieren, sich krank füh- len, Schmerzen haben kann. Soll dieser Mensch auf die „Ebene der Psychotherapie delegiert" wer- den? Nach Ansicht des Referenten eine müßige Frage, denn Psy- chotherapie ist heute weitgehend in die Schulmedizin integriert, wenn auch nicht mit allen ihren

„Schulen".

Doch ein 2300 Jahre alter Satz von Platon, den Professor Bock zitier-

te, ist noch nicht ganz unaktuell:

„Das ist der große Fehler bei der Behandlung der Krankheiten, daß es Ärzte für den Körper und Ärzte für die Seele gibt, wo beides doch nicht getrennt werden kann ...

aber gerade das übersehen die griechischen Ärzte, und nur dar- um sind sie gegen so viele Krank- heiten machtlos. Sie sehen näm- lich niemals das Ganze" (Charmi- des).

Eine Gesundheitspolitikerin hatte das letzte Wort. Als Sozialwissen- schaftlerin nahm Gesundheitsmi- nisterin Professor Rita Süssmuth das von Professor Bock gelieferte Stichwort von der anthropologi- schen Medizin auf: „Ganzheitliche Medizin" ist ein Such-, nicht ein Zielbegriff. Die Gesundheitspolitik müsse den Rahmen setzen für ei- nen besseren Umgang des Arztes mit dem Patienten —Stichwort: Zu- wendungszeit. Die Suche nach Ganzheitlichem müsse Konse- quenzen haben für die Ausbildung

— Stichworte: Ethik, Kleingruppen- studium (wörtlich sprach die Mini- sterin von Studentenzahlen, die ärztlich und für die Patienten zu- mutbar seien), und Professor Bock sekundierte: Ich wünsche mir die Führung eines Arzt-Patien- ten-Gesprächs als Aufgabe in der ärztlichen Prüfung!

Frau Süssmuth weiter: Wir wün- schen uns Ärzte mit erweitertem Wissenschaftsverständnis, denen Philosophie kein Fremdwort ist:

„Wenn wir nicht Wissenschaft und Bildung miteinander verbinden, dann mag die Medizin technisch noch besser werden, aber human schlechter!"

Professor Häußler war am Schluß sehr zufrieden und sprach von ei- nem „historischen Tag". Und er wies darauf hin, daß sich am näch- sten Tag in demselben Saal dieje- nigen Kassenärzte versammeln würden, die den Testlauf des neu- en Bewertungsmaßstabes absol- vieren, ein Maßstab, der den wirt- schaftlichen Rahmen für wohlver- standene ganzheitliche Medizin setzen soll. Walter Burkart 2010 (34) Heft 28/29 vom 11. Juli 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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