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Archiv "Biografieforschung: Ein lebendiges Archiv" (09.03.2007)

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 10⏐⏐9. März 2007 A665

K U LT U R

W

enn Frauke von

Troschke sich die weißen Handschuhe über- streift, geht es um Dokumen- te, Originaldokumente des vor acht Jahren von ihr gegründe- ten Deutschen Tagebucharchivs (DTA), die es vor Fett- und Säureangriffen zu schützen gilt.

Dokumente, die sich zum Bei- spiel so lesen: „Heute ist mir et- was Schreckliches eingefallen. Am 3. Nov. ist die Backfischzeit aus.

Denn ich werde doch am 12. Okt.

17 Jahre, und es heißt doch: 17 Jahr, der Wochen 3, ist die Backfischzeit vorbei.“

150 bis 200 Einsendungen

Die bestürzende Erkenntnis über- kam Eva-Barbara H. an einem Juli- Freitag im Jahr 1959, von dem der denkwürdige Tagebucheintrag stammt. Das Teenager-Dokument ist eines von circa 4 500 in der Sammlung des einzigen Deutschen Tagebucharchivs in der südbadi- schen Kreisstadt Emmendingen.

Private Tagebücher, Erinnerun- gen und Briefwechsel werden dort abgegeben, dokumentiert, kopiert, gelesen und systematisch erfasst.

Rund 150 bis 200 Einsendungen von lebenden und verstorbenen All- tags-Beschreibern kommen pro Jahr dazu. Vom Unikat bis zu ge- sammelten Werken ist alles dabei, aber die 14 Umzugskartons mit Ta- gebüchern eines alten Herrn aus 60 Lebensjahren sind bisher Rekord.

Für Frauke von Troschke war und ist es wichtig, dass persönliche Auf- zeichnungen und autobiografische Lebensbeichten als Zeugnisse der Alltags- und Zeitgeschichte nicht im Keller oder auf dem Müll in Ver- gessenheit geraten.

Die Idee, Lebensprotokolle von Privatpersonen zu sammeln und aufzubewahren, um sie für Wissen- schaft und Öffentlichkeit zugäng- lich zu machen, kam der engagier- ten Kommunalpolitikerin bei einer Toskana-Reise. In dem kleinen Ort Pieve di San Stefano lernte sie den italienischen Journalisten Saverio Tutino und sein Archivio Diaristico Nazionale kennen und wurde sich der einschlägigen deutschen Markt- lücke bewusst.

Auch vor Ort, in der südbadi- schen Kleinstadt, traf von Troschke mit ihrer Idee auf offene Ohren.

Oberbürgermeister Stefan Schlatte- rer stellte spontan und unentgeltlich Räumlichkeiten im alten Rathaus zur Verfügung und übernahm die Schirmherrschaft über den ge- meinnützigen Verein, der inzwi- schen 400 zahlende Mitglieder und einen inner circle von 80 ehren- amtlichen Mitarbeitern für den Archivalltag hat. Schwerpunkt und Sisyphus-Syndrom beim Tagebuch- erfassen ist das Lesen. 65 Freiwilli- ge – darunter viele Bibliothekare und Lehrer im Ruhestand – aus der Umgebung, aber auch in ganz Deutschland und auch in Paris, le- sen regelmäßig die Dokumente ge- lebten Lebens, mit allem, was darin

so vorkommt: Liebe, Frust, Ängste, Krankheit, Tod…

Büroleiter Gerhard Seitz: „Ein Großteil der Briefe, Tagebücher und Erinnerungen beschäftigt sich mit der Zeit der beiden Weltkriege, ins- besondere des Zweiten.“ Wie das Pflichttagebuch eines Solda- ten über seine Ausbildung zum Marineoffizier von 1943 bis 1945, die selbstgebastelte Agenda aus einem Stück Uni- form und Zigaretten- papier oder auch Feld- post an die Mutter auf hauchdünner Toiletten- hygiene.

Eines der spektaku- lärsten Exponate hinter Glas ist die fast 80 Meter lange Papierrolle mit ge- zeichnetem Alltagsgrauen aus dem Ersten Weltkrieg.

Die Originale – das älteste 200 Jahre alt – werden nach Registrierung und Kopie auf säurearmem Spezialpapier schonend in Metallspinden gela- gert und nur ausnahmsweise aus- gepackt. Die Lesegruppen und Be- sucher arbeiten in der Regel mit Kopien. Von Troschke: „Die Lese- leistung im DTA ist einmalig und wird umsonst eingebracht – das könnte man auch gar nicht be- zahlen.“

Von Oxford und Cambridge

Besucher und Anfragen kommen von weither, viele, die Kriege betreffend, von den englischen Eli- te-Universitäten Oxford und Cam- bridge. Der Wissenschaftliche Bei- rat von Professoren der Universität Freiburg gibt Auskunft zu sämtli- chen Fragen der Auswertung archi- vierter Dokumente auf dem Gebiet der Biografieforschung.

Für Krankheiten im Tagebuch in- teressieren sich Ärzte, für die 50er- Jahre eine ARD-Dokumentation, für Männergesundheit eine Dokto- randin, für Weihnachten 1944 die ZDF-Redaktion Zeitgeschichte, um nur einige zu nennen. Wie die Haus- herrin es sagt: „Wir sind kein Muse- um, sondern ein lebendiges Archiv, in dem viel gearbeitet wird, und wo jeder das Recht hat, gehört – oder gelesen – zu werden.“ Ulla Bettge

BIOGRAFIEFORSCHUNG

Ein lebendiges Archiv

Circa 4 500 persönliche Lebensauf- zeichnungen, Briefwechsel und Memoiren werden im

Deutschen Tagebuch- archiv gesammelt.

Weitere Informationen:

Deutsches Tage- bucharchiv, Markt- platz 1, 79312 Emmendingen, Telefon: 0 76 41/

57 46 59, Internet: www.tage bucharchiv.de

Fotos:

Deutsches T agebucharchiv

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