DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
EDITORIAL
Katecholamine in der kardiopul- monalen
Reanimation
Hans-Peter Schuster
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atecholamine haben ihren festen und unbestrittenen Stellenwert in der Herz- Lungen-Wiederbelebung. In den letzten Jahren ist jedoch eine lebhafte Diskussion dar- über entstanden, welche Sub- stanz als Mittel der ersten Wahl in der kardiopulmonalen Reanimation bei Kreislaufstill- stand einzusetzen sei. Tradi- tionellerweise war dies das Adrenalin. In den späten 60er Jahren fand jedoch in weiten Bereichen ein Wechsel zugun- sten des neu entwickelten Or- ciprenalin (Alupent®) statt mit der Begründung, daß Orcipre- nalin seltener ventrikuläre Ex- trasystolen und maligne ven-trikuläre Rhythmusstörungen wie Kammertachykardien und Herzkammerflimmern induzie- re, als dies nach Adrenalin der Fall sei.
Dieses Argument beruhte, wie so vieles in der Notfallmedi- zin, im wesentlichen auf empi- rischer Beobachtung und per- sönlicher Überzeugung. Exak- te Vergleichsuntersuchungen am Menschen, wenn über- haupt möglich, liegen nicht vor. Immerhin setzte sich die Lehrmeinung, daß Orciprena- lin als Basismedikament in der kardiopulmonalen Reanima- tion anzuwenden sei, in Deutschland mehr und mehr durch, und es ist offenkundig, daß damit unzählige Reanima- tionen erfolgreich abgeschlos- sen werden konnten. In den USA war eine vergleichbare Entwicklung nicht möglich, da dort Orciprenalin nicht zur Verfügung steht und als Alter- native zu Adrenalin nur Iso- prenalin (Aludrin®) diskutiert werden konnte. Tierexperi- mentelle Studien aus den USA und aus Deutschland kamen in den letzten Jahren zu dem Ergebnis, daß dieser Lehrmei- nung zu widersprechen sei und daß Adrenalin in der kar- diopulmonalen Reanimation als Basismedikament der er- sten Wahl zu gelten habe.
Erwünschte Katecholaminwir- kungen im Rahmen der kar- diopulmonalen Reanimation sind die Steigerung des Schlagvolumens durch positiv inotrope Wirkung, die Stimula- tion der Reizbildung und Erre- gungsleitung am Herzen durch positiv bathmotrope, chronotrope und dromotrope Wirkung sowie eine Stabilisie-
rung des arteriellen Blut- drucks zur Sicherstellung der Koronarperfusion.
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drenalin und Orciprenalin führen aufgrund der Beta- 1-Rezeptoren stimulieren- den Eigenschaften zu einer Zunahme der Kontraktilität des Herzens mit Steigerung des Herzminutenvolumens und Abnahme des enddiastoli- schen Ventrikeldruckes, zu ei- ner Beschleunigung der Herz- frequenz, zur Verkürzung der AV-Überleitungszeit und derRefraktärzeit sowie zu einer Anregung der Reizbildung in tertiären Automatiezentren.
Beide Pharmaka können trä- ges Kammerflimmern in ein grobes, großamplitudiges Kammerflimmern überführen, welches durch elektrische De- fibrillation leichter zu beseiti- gen ist.
Adrenalin und Orciprenalin unterscheiden sich in ihrer Wirkung auf das periphere Gefäßsystem. Orciprenalin ver- fügt über keine faßbare al- phaadrenerge Wirkung und führt daher zu Vasodilatation und Verminderung der Vor- und Nachlast des Herzens, zu einer Verbesserung des peri- pheren Stromzeitvolumens und zu einer Abnahme des peripheren Widerstandes, ver- bunden mit der Gefahr einer arteriellen Druckverminderung mit Abnahme der Koronarper- fusion in kritischen Fällen.
Adrenalin aktiviert dagegen auch die Alpharezeptoren und führt in höheren Dosen zu ei- ner Steigerung des periphe- ren Gefäßwiderstandes durch
2712 (60) Heft 38 vom 19. September 1984 81. Jahrgang Ausgabe A
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Vasokonstriktion. Der arteriel- le Druck steigt an, und ein ausreichender koronarer Per- fusionsdruck wird sicherge- stellt.
Das Kernergebnis der erwähn- ten Tierexperimente bestand darin, daß nur Katecholamine mit einer die Alpharezeptoren stimulierenden Wirkung (Adre- nalin und Dopamin) in der Therapie des experimentellen Kreislaufstillstandes zu einem meßbaren Erfolg führten. Dies galt sowohl für das Modell des asphyktischen als auch für das Modell des fibrillatorisch aus- gelösten Kreislaufstillstandes.
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ie Anwendung von Dop- amin und Adrenalin, wel- che beide über alphare- zeptorenstimulierende Wir- kung verfügen, führte in dem Hundemodell in 90 bis 100 Prozent zu einer erfolgreichen Wiederbelebung. Dobutamin als vorwiegend Beta-1-Rezep- toren stimulierende Substanz hatte dagegen ohne Unter- schied zu den Kontrolltieren ohne Pharmaka nur eine Überlebensrate von 0 bis 30 Prozent.Herzkammerflimmern trat nach Adrenalin statistisch nicht signifikant häufiger auf, als nach Orciprenalin. Der De- fibrillationserfolg war jedoch in der Adrenalingruppe bes- ser. Die Untersucher führten die Überlegenheit von Adrena- lin auf einen höheren diastoli- schen Aortendruck und einen besseren Koronarfluß zurück.
Bei dem Versuch einer Ge- samtbeurteilung der Situation darf nicht vergessen werden,
daß diese Schlußfolgerungen auf zwar wiederholten, jedoch letztlich zahlenmäßig wenigen Hundeexperimenten beruhen.
Dennoch gelangt man zu dem Schluß, daß im Rahmen der kardiopulmonalen Reanima- tion in der Notfallmedizin dem Adrenalin als Mittel der ersten Wahl der Vorzug gegeben werden sollte, falls eine Indi- kation zur Anwendung eines Katecholamins besteht.
Orciprenalin ist als Mittel der zweiten Wahl dann anzuwen- den, wenn nach dem Urteil des reanimierenden Arztes Adrenalin nicht wirksam ist oder der Verdacht besteht, daß durch Adrenalin maligne Arrhythmien ausgelöst oder perpetuiert werden.
Spezielle Hinweise für die An- nahme einer strikten Kontrain- dikation für Orciprenalin im Rahmen der kardiopulmona- len Reanimation ergeben sich nicht. Davon bleibt die Haupt- indikation für Orciprenalin in der Notfallmedizin, die Be- handlung bedrohlicher brady- karder Herzrhythmusstörun- gen, die auf Atropin nicht an- sprechen, unberührt. Auch bleiben zur Behandlung eines Pumpversagens nach primär erfolgreicher kardiopulmona- ler Reanimation Dopamin und Dobutamin, als Dauerinfusion verabreicht, die Medikamente der Wahl.
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atecholamine zählen zu den obligaten Pharmaka in der kardiopulmonalen Reanimation. Darüber darf je- doch nicht vergessen werden, daß der möglichst frühzeitige Einsatz der mechanischen Ba-sismaßnahmen, der Atem- spende oder Beatmung und der Herzmassage, die Grund- lage für den Erfolg jeder kar- diopulmonalen Reanimation darstellt. Die kritische Bedeu- tung der Anoxiezeit, der Zeit zwischen Eintreten des Kreis- laufstillstandes und Einsetzen effektiver Maßnahmen der kar- diopulmonalen Reanimation, war schon in der Ära der inter- nen Herzmassage bekannt und wurde in jüngeren Unter- suchungen über den Nutzen eines Reanimationsbeginnes durch zufällig Anwesende er- neut eindeutig belegt. Die Dis- kussion über die Eignung der Katecholamine für die kardio- pulmonale Reanimation darf nicht dazu führen, die Frage nach der optimalen Durchfüh- rung einer kardiopulmonalen Reanimation auf die Proble- matik der Katecholaminwahl zu verkürzen.
Literatur
Meuret. G. H. et al.: Ist Orciprenalin (Alu- pent) in der Reanimation kontraindiziert?
Intensivmedizin 20 (1983) 263 — Otto, C.
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Crit. Care Med. 9 (1981) 366 — Otto, C. W.
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Crit. Care Med. 9 (1981) 364— Redding, J.
S. et al: Evaluation of drugs for cardiac resuscitation. Anesthesiology 24 (1963) 203-207 — Yakaitus, R. W. et al: Relative importance of alpha und beta adrenergic receptors during resuscitation. Crit. Care Med. 7 (1981) 293
Professor Dr. med.
Hans-Peter Schuster Medizinische Klinik I Städtisches Krankenhaus Hildesheim
Weinberg 1 3200 Hildesheim
Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 38 vom 19. September 1984 (61) 2713