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Archiv "Die Karten des Imaginären" (24.02.1984)

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Die Karten des Imaginären

Die Erzählung „Rogomelec" von Leonor Fini

Leonor Fini, die italienische Malerin, in Buenos Aires geboren, wuchs in Triest auf und lebt seit den dreißiger Jahren in Paris. Sie stand dem Kreis der Surrealisten nahe (Max Ernst, Dali, de Chiri- co), verfolgte jedoch stets ihren eigenen Weg und Stil. Mit „Rogo- melec" ist jetzt ihre erste Erzählung ins Deutsche übertragen worden; der Bericht folgt den Regeln des Traumes, entsprechend verwirrend sind die Karten des Imaginären gemischt. Was ist das für ein Sanatorium, was für ein altes Kloster mit seinen Kurgästen, die einem alten Stummfilm entlaufen zu sein scheinen, der seltsa- men Diät und den fragwürdigen Mönchen, die sich einem unbe- kannten Gott geweiht haben? Eine kurze Leseprobe mag einen Einblick geben:

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

FEUILLETON

Die Katze setzte sich als Erste an den Tisch.

Ohne mit der Wimper zu zucken, fixierte sie den Mann ihr gegen- über, einen Versicherungsbeam- ten, wie mir schien. Böses Gesicht.

Sie war entrüstet, als er ihr unter dem Tisch die Pfote berührte.

„Die Berührung", murmelte sie.

Der Mäzen, den sie vom Sehen kannte, wollte seinen Mantel nicht ablegen, eine Art Sommerfell aus Schmetterlingsflügeln. Wen woll- te er betören? Er erzählte, daß er an Haarausfall litt und wie er ge- heilt worden war. Der Kapitän platzte vor Lachen und fragte ihn, ob auch die Schamhaare ausge- fallen seien.

Die Katze sah mich an, wies auf den Mäzen und sagte: „Rastaquo- ere!" Niemand merkte, daß sie ge- sprochen hatte. Mein Nachbar war ein Exilrumäne, ein Prinz. Er hatte Stilaugen, „ganz in Facet- ten". Es war unerklärlich.

Er konnte einen prismatischen Blick haben, so wie Fliegen. Das nennt man „Magna" sagte er und

bat um Entschuldigung, weil er

„mit Akzent" spreche.

Die Nahrung bestand aus „Kon- serven" und drei Mal mußte ich wiederholen: „Ich rauche nicht."

Die ohrenbetäubende Musik setz- te einen Augenblick aus. Der Ka- pitän lud uns in den Nebenraum ein, wo er unsere Pässe abstem- peln wollte. Er setzte sich an ei- nen Tisch — und da setzte er seine Hörner auf.

Der Saal war schnell überfüllt. Da war eine Gruppe grau gekleideter Nonnen, die ihre übel riechenden Röcke schwangen.

Eine spindeldürre Brünette ging auf den Kapitän zu. Er küßte ihr die Hand. „Sie riechen angenehm nach Pfeffer", sagte er zu ihr. Sie buchstabierte ihren Namen: „As- pasie Aphendulis." „Griechin?", fragte der Kapitän. „Nein, Tirole- rin ... "

In diesem Augenblick drangen durch den Haupteingang dicke, robuste junge Leute ein, die mit ihren feisten roten Knien wackel- ten und Zither oder Zieharmonika

Eine Zeichnung von Leonor Fini aus der Erzählung „Rogomelec"

spielten. Gehörten sie zur Reise- gesellschaft oder waren sie die Emanation eines einfachen Wor- tes?

Plötzlich spürte ich hinter dem Bullauge den Blick der Frau vom Landesteg mit dem aufgelösten Haar. Ihre Gegenwart war über- mächtig. Vor dieser Frau hätte ich gern „die Haut gewechselt"; dann hätte sie mich mit unvergeßlich fi- xem Blick angesehen ...

Kurz darauf war ich in meiner Ka- bine, die Atmosphäre schien mir ungewöhnlich drückend. Man kam, mich aufzuwecken und um mir zu sagen, ich müsse schnell aussteigen, das Schiff würde nur eine halbe Stunde festmachen.

Es war das erste Dorf. Fast einen ganzen Tag mußte ich dort ver- bringen. Erst am Spätnachmittag, fast am Abend, würde das Motor- boot mich nach Rogomelec brin- gen.

Leonor Fini: Rogomelec, Verlag Vix-ä- vis, Berlin, 1983, 10 Zeichnungen der Au- torin, aus dem Französischen über- setzt von Gerhard Weber, Paperback, 14,80 DM

534 (96) Heft 8 vom 24. Februar 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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