A282 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 5⏐⏐2. Februar 2007
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eute Wolfsburg, morgen New York! Neo Rauch, Leipziger Maler und Hochschulprofessor (seit 2005), wird im Mai 2007 im Metro- politan Museum am Central Park gezeigt werden – und es dann end- gültig geschafft haben. Vor allem die kunstmarkensüchtigen Ameri- kaner sind vernarrt in die „Leipzig School“, deren Kühlerfigur der 46- jährige Rauch gleichsam ist. Platz 79 auf dem aktuellen „Capital“- Kunstkompass, Preise jenseits der 200 000 Euro, Tendenz stark stei- gend. Sein Entdecker, Galerist und Vermarkter Judy Lybke kann Rauch- Zeichen verkaufen, die noch gar nicht aufgestiegen sind.Einem Maler wie Anselm Kiefer erging es einst ähnlich, er hat das Rückzugsgefecht geschafft und ist ein guter Künstler geblieben. Rauch muss das erst noch beweisen. Erfolg kann furchtbar sein, nur wenige überleben ihn. Nach der derzeitigen ersten großen Einzelpräsentation (80 Gemälde) im Kunstmuseum Wolfsburg, künstlerisches Zwi- schenfazit eines bislang zumindest galeristisch gesteuerten Malerle-
bens von 13 Jahren Dauer, wird es erst richtig losgehen. „Neo Rauch – Neue Rollen. Bilder 1993 bis heu- te“, so der Ausstellungstitel. Gale- rist Lybke entdeckte ihn 1993, wo- bei Rauch auch schon zuvor malte, was etwa nicht nur 1988 in der „X.
Kunstausstellung der DDR“ zu be- trachten war. Rauch ist in Leipzig (bei Professor Rink) durch die wie auch immer figurative Schule des wie auch immer Sozialistischen Realismus gegangen. Doch auch Rauch selber stieß 1992/93, gleich- sam Lybke-parallel, „auf erste grund- legende Selbstwahrnehmungsaspek- te im Zuge des Arbeitens“, wie in ei- nem aktuellen Interview zu lesen ist.
Wann und ob überhaupt „die Fort- setzung des Traums mit anderen Mitteln“ – so Neo Rauch über die Malerei Neo Rauchs – aus dem Pro- gramm-Angebot des Kunst-Zeit- geists herausgenommen wird, ist vergleichbar den weiten Feldern sei- ner 3 ⫻⫻4 Meter-Formate.
Was macht den Erfolg des Phäno- mens Neo Rauch aus? Der Blick auf die aktuellen Bilder offenbart zu- nehmend Bild-Geschichten aus dem
Angst-Untergrund unserer Seele, die aber dennoch grell-visuell durch Lese-Bilder unterhalten werden will, das Deuten und Palavern darü- ber inbegriffen: Debile, geklonte Figuren-Automaten stehen als ver- fügbare Hinrichtungskommandos zur Verfügung. Neben dem Werbe- schild „Plazenta“ begeben sich Frauen zur Entnahme der Stamm- zellen, dazu Schreibtischtäter als gestürzte Krüppel neben den Akten.
Der Künstler trommelt dabei für den Tanzbären – oder wird er von ihm angefallen? Dieses ganze „Der Rückzug“ (2006) genannte Spekta- kel findet statt vor einer verbliche- nen Idyllen-Architektur. Mit jenem
„Plazenta“-Schild leistet sich Rauch bereits ein Selbstzitat. Denn in einer großformatigen Tondo-Serie ent- wirft er schon 1993 eine Motiv-Par- allele als düsteres Zeichengemisch.
Rauch, der sich inzwischen selber in einer Spanne von Giotto bis Bacon sieht, vermalt gleichsam diese Welt aus grell-industrieller Giftigkeit, ge- netischer Entgleisung und aus Ab- ziehfiguren in irgendeiner fremdbe- stimmten Bewegungsstarre.
In der Arbeit „Abstraktion“ (2005) soll offensichtlich die große Ost- West-Kunstdebatte auf die maleri- sche Tagesordnung kommen. Wie Rauch sich entscheidet, angesichts eines verkniffenen Weißkittels vor einer Staffelei mit viel Weiß und wenigen Linien, ist klar. Draußen werden von gewaltigen Aktionisten die Säbel gezückt und ganz links scheint Neo, wie eine Stifterfigur des symbolisch aufgeladenen Ge- genstands, zu einer neuen maleri- schen Lebensversicherung ansetzen zu wollen.
Neo Rauch spricht als Pathos- Produzent nicht nur besonders Amerika an, vor allem trifft er punktgenau auf den tristen „Sanie- rungsfall Deutschland“. I Roland Groß
NEO RAUCH
Retrospektive in Wolfsburg
Das Phänomen eines deutschen Malerei-Erfolgs wird besichtigt.
Die AAuusssstteelllluunngg ist bis 11. März 2007 im Kunstmuseum Wolfsburg (Hollerplatz 1) zu sehen. Öffnungszeiten: diens- tags von 11 bis 20 Uhr, mittwochs bis sonntags von 11 bis 18 Uhr, Telefon: 0 53 61/2 66 90. Der im DuMont-Verlag erschienene Katalog kostet in der Ausstellung 28 Euro, im Buchhandel 39,90 Euro. Die erste Auflage ist bereits ver- griffen. Internet: www.kunstmuseum-wolfsburg.de