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Archiv "Konjunktur: Anhaltender Druck auf die Sozialkosten Der Konjunkturhimmel hellt sich nur langsam auf" (13.12.1996)

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er Sachverständigenrat und die Wirtschaftswissenschaftli- chen Forschungsinstitute sind sich weitgehend einig: Seit dem Frühsommer hellt sich der Konjunkturhimmel langsam auf; in diesem Jahr dürfte das Brutto- Inlands-Produkt (BIP) real um 1,5 Prozent und im nächsten Jahr um 2,5 Prozent wachsen. Aus diesen Zahlen läßt sich jedoch keine Wachstumsdy- namik ableiten, die zu einem Abbau der hohen Arbeitslosigkeit führen könnte.

Im Gegenteil: Die Investiti- onstätigkeit bleibt vorerst schwach;

die konjunkturelle Belebung stützt sich fast ausschließlich auf die Nach- frage aus dem Ausland und damit auf den Export. In Ostdeutschland ist der Aufholprozeß zum Erliegen gekom- men. Auch rechnen die Sachverstän- digen damit, daß die Zahl der Ar- beitslosen 1997 noch einmal leicht zu- nehmen wird. Die stets sehr aussage- kräftige Umfrage des Deutschen In- dustrie- und Handelstages bei den Unternehmen läßt erkennen, daß die Wachstumserwartungen der Sachver- ständigen eher als zu optimistisch ein- zustufen sind.

Die Sozialversicherungen kön- nen daher nicht mit einem Anstieg der Zahl der Beitragszahler rechnen;

eher ist ein weiterer Rückgang zu er- warten. Der Anstieg der Brutto-Ein- kommen aus unselbständiger Arbeit, der für die Entwicklung der Beitrags- einnahmen der Sozialversicherung mitentscheidend ist, wird überein- stimmend auf 2 Prozent geschätzt.

Angesichts der hohen Defizite in al- len Sicherungssystemen kann daher nicht darauf gehofft werden, daß die finanziellen Probleme der Sozialver- sicherung durch steigende Einnah- men zu mildern oder gar zu lösen sind.

Der Sachverständigenrat und die For-

schungsinstitute fordern daher nach- drücklich die Politik auf, die Refor- men fortzusetzen. Die „fünf Weisen“

mahnen Reformen in der Steuerpoli- tik zur Verbesserung der Struktur der Staatsausgaben, im Arbeitsrecht, bei der Ausgestaltung der Tarifverträge und vor allem der Systeme der sozia- len Sicherheit an. Da in Besitzstände eingegriffen werden müßte, würden bei den Bürgern Besorgnisse und Ängste geweckt. Es werde zu viel vom Sparen geredet, zu wenig werde je- doch davon gesprochen, daß durch Reformen die Grundlage für mehr Beschäftigung, für mehr Wohlstand und für eine verläßlichere soziale Si- cherung geschaffen werden müsse.

Der Rat plädiert in seinem Jah- resgutachten dafür, in der Rentenver- sicherung und vor allem in der Ge- setzlichen Krankenversicherung das Äquivalenzprinzip zu verstärken. Für die Rentenversicherung wird eine verstärkte Kapitaldeckung der An- wartschaften und für die Krankenver-

sicherung der Übergang von der Pflichtversicherung zu einem System mit Versicherungspflicht mit risikoge- rechten Beiträgen und ergänzenden direkten Transferzahlungen an Fami- lien und sozial Schwache empfohlen.

Für beide Vorschläge ist derzeit keine Mehrheit in Sicht. Auch sagt der Sachverständigenrat nur ansatzweise, wie denn der Wechsel der Sozialsyste- me vollzogen werden könne. Für die Rentenversicherung wird eine Zeit- spanne von annähernd 50 Jahren für notwendig gehalten, wenn das gesam- te Rentensystem, das heute aus- schließlich aus Beitragsumlagen und staatlichen Zuschüssen finanziert wird, auf ein System mit Kapital- deckung umgestellt werden sollte.

Wenn man sich an den Sachver- ständigenrat hält, so wird sich die konjunkturelle Aufwärtsentwicklung fortsetzen. Die Nachfrage aus dem Ausland wird „schwungvoll“, aus dem Inland nur verhalten zunehmen.

Die Konjunktur bleibt also gespalten:

Die Exportbranchen und einige indu- strienahe Dienstleistungszweige wer- den weiter Auftrieb erhalten, die auf den Binnenmarkt ausgerichteten Branchen werden im konjunkturellen Schatten verbleiben. Dazu gehören vor allem die Bauwirtschaft, der Han- del, das Verkehrsgewerbe und große Teile des Dienstleistungsgewerbes.

Daß sich der Schwung beim Export nicht auf die Investitionen übertragen hat, erklärt der Rat mit der Unsicher- heit über die künftigen wirtschaftli- chen und finanzpolitischen Rahmen- daten, mit dem Hin und Her in der Steuerpolitik, aber auch damit, daß über die bevorstehenden Lohner- höhungen noch keine Klarheit be- steht. Die Lohnrunde 1997 stehe we- gen der Auseinandersetzungen über die Lohnfortzahlung unter keinem glücklichen Stern.

Der Sachverständigenrat und die Institute rechnen zwar damit, daß es der Politik mit Blick auf die Entschei- dung über die Einführung des Euro gelingen wird, die hohen Haushalts- defizite dieses Jahres 1997 zu verrin- gern. Doch aus heutiger Sicht wird es nicht gelingen, die gesamtstaatliche Neuverschuldung auf 3 Prozent des BIP zu begrenzen, so wie dies der Maastricht-Vertrag als Voraussetzung für die Teilnahme an der Währungs- A-3336 (36) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 50, 13. Dezember 1996

T H E M E N D E R Z E I T BERICHTE

Konjunktur

Anhaltender Druck auf die Sozialkosten

Der Konjunkturhimmel hellt sich nur langsam auf

Tabelle

Die Prognose für die Konjunktur

In Prozent 1996 1997

Bruttoinlandsprodukt 11,5 12,5 Privater Verbrauch 11,75 11,75 Anlageinvestitionen 21,25 11,25 Ausrüstungs-

10,5 13,5 investitionen

Bauinvestitionen 22,25 20,25

Exporte 13,5 16,75

Importe 12,0 14,75

Verbraucherpreise 11,75 11,75 In Millionen

Arbeitslose 3,958 4,065 (registrierte)

Arbeitslose 1,481 1,304 (verdeckte)

Erwerbstätige 34,517 34,474

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union verlangt. Der Politik wird also eine weitere Verschärfung des Konso- lidierungskurses abverlangt, wenn 1999 der Euro termingerecht und un- ter deutscher Beteiligung eingeführt werden soll. Wenn es nicht gelänge, einen strikten Sparkurs durchzuset- zen und durchzuhalten, so bliebe nur die Möglichkeit, entweder die Mehr- wertsteuer oder die Mineralölsteuer zu erhöhen oder aber die Euro-Ein- führung zu verschieben.

Entlastung der privaten Einkommen

Die Ökonomen unterstützen die Abschaffung der Vermögensteuer und der Gewerbekapitalsteuer. Die privaten Einkommen sollten bei der angestrebten Reform der Einkom- mensteuer trotz der schwierigen Haushaltslage um 20 bis 30 Milliarden Mark entlastet werden. Wenn man die Steuersätze auf 20 bis 40 Prozent sen- ke, so ergäben sich Steuerausfälle zwischen 80 und 100 Milliarden Mark.

Diese sollten durch Ausgabenkürzun- gen und den Abbau von Steuerprivi- legien ausgeglichen werden. Der Rat hält am Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit fest. Alles, was im wirtschaftlichen Sinn Einkommen sei, müsse in die Besteuerung einbe- zogen werden. Die Kosten der Ein- kommenserzielung, also Betriebsaus- gaben und Werbungskosten, seien weiterhin von den Brutto-Einkünften abzuziehen. Alle Einkommen sollten zusammengefaßt und in einer Summe dem einheitlichen Steuertarif unter- worfen werden. Alle einkommensbe- zogenen Freibeträge sollten gestri- chen und tarifliche Sonderregelungen für bestimmte Einkommen abge- schafft werden. Verluste bei einer Einkunftsart sollen weiterhin mit Ge- winnen aus anderen Einkunftsarten verrechnet werden können. Nach die- sen Grundsätzen würden unter ande- rem die Freibeträge für Kapitalein- künfte, aber auch die Tarifbegünsti- gung für betriebliche Gewinne entfal- len. Der Rat und die Institute emp- fehlen, am linear-progressiven Tarif festzuhalten und nicht zu einem Stu- fentarif überzugehen.

Bei der Diskussion über die Steu- erpolitik ist freilich zu beachten, daß

alle Pläne unter dem Vorbehalt ste- hen, daß die Konsolidierung der staatlichen Haushalte gelingt, daß sich die immer noch schwache kon- junkturelle Belebung fortsetzt und verstärkt und daß mögliche Steuer- senkungen nicht durch den Anstieg der Sozialbeiträge überkompensiert werden.

Die Tatsache, daß der Renten- beitrag 1997 um 1,1 Prozentpunkte auf 20,3 Prozent angehoben werden muß, zeigt an, daß die Politik auch die Sozialreformen vorantreiben muß.

Ohne ein konstruktives Mitwirken der Opposition wird nur wenig zu er- reichen sein.

Sehr apodiktisch stellt der Sach- verständigenrat fest, daß sich die so- zialen Sicherungssysteme so, wie sie sich heute darstellten, nicht fort- führen ließen. Er spricht sich dafür aus, kollektive Versorgung und Ei- genvorsorge neu zu gewichten. Dafür bietet der Rat drei Grundsätze an:

! In der Sozialversicherung sollte das Prinzip der Äquivalenz von Beitragslast und Versicherungsschutz verstärkt werden.

! Eigenverantwortung und Selbstvorsorge seien zu mobilisieren.

! Soziale Umverteilung, soweit sie geboten sei, sollte über Steuern finanziert werden.

Für die Reform der Krankenver- sicherung werden folgende Leitsätze vorgegeben:

1 In der Krankenversicherung sollten soweit wie möglich Wettbe- werbsbedingungen geschaffen wer- den. Dabei gehe es vor allem um den Leistungswettbewerb zwischen den Kassen und die Wahlmöglichkeiten für die Versicherten.

1 Die Eigenverantwortung der Versicherten ließe sich durch Selbst- beteiligung und Beitragsrückerstat- tung stärken.

1 In größerem Umfang sollte eine Äquivalenz zwischen dem Krankheitsrisiko, den in Anspruch genommenen Leistungen und den Beiträgen hergestellt werden.

1 Solange einkommensabhän- gige Beiträge erhoben würden, sollte der Arbeitgeberbeitrag entfallen, bei entsprechender Anpassung der Brut- tolöhne der Arbeitnehmer.

1 Bei einer weiteren Hinwen- dung zum Äquivalenzprinzip müßte

jeder einzelne versichert werden; die Beiträge wären einkommensunab- hängig.

1 Der Familienlastenausgleich sei dem allgemeinen Steuer- und Transfersystem anzuvertrauen.

Die Sachverständigen sehen die Gestaltung der Versicherungsleistun- gen als entscheidenden Wettbewerbs- parameter für die Krankenkassen an.

Es wird empfohlen, den Risikostruk- turausgleich von Zeit zu Zeit zu über- prüfen, ob und inwieweit er zurückge- führt werden könne. Wettbewerb im ambulanten Bereich würde bedeuten, daß die Krankenkassen mit den Ärz- ten direkt und indirekt über die Kas- senärztlichen Vereinigungen verein-

baren, welche Leistungen in welcher Form und Qualität zu erbringen seien und wie sie vergütet würden. Es sollte den Kassen überlassen bleiben, ob sie unmittelbar Ärzte und Zahnärzte un- ter Vertrag nehmen wollen.

Die Vorschläge der Ökonomen werden die Reformdiskussion weiter anheizen. Ihre Argumente wird man wägen müssen. Die Gefahr ist jedoch groß, daß sich durch so weitgreifende Vorschläge die Fronten weiter verhär- ten werden. Das kann sich durchaus negativ auf das politische und damit auch auf das konjunkturelle Klima im Jahr vor der nächsten Bundestags- wahl auswirken. Die Politik hätte wohl früher das Notwendige und Mögliche tun müssen.

Walter Kannengießer A-3337 Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 50, 13. Dezember 1996 (37)

T H E M E N D E R Z E I T BERICHTE

So rechnen die Wirtschaftsweisen

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