erkennung und somit breite Anwen- dung als Ersatz für Tierexperimente erfährt", sagte Sonntag. Der Medizi- ner kritisierte, daß sich die Behörden schwer damit tun, alternative Test- methoden anzuerkennen.
Tierexperimente sind noch im- mer ein Bestandteil der Ausbildung von Biologen und Medizinern. „Be- reits im Studium stumpfen so ange- hende Ärzte ab", kritisierte Tier- schützerin Ingeborg Livaditis diese Praxis. Am Institut für Neurobiolo- gie der Universität Heidelberg wurde ein Computerprogramm entwickelt, welches das Verhalten von Ionenka- nälen in einer erregbaren Membran simuliert. Die Studenten können nun diese Aktionspotentiale auslösen, in- dem sie die „Zelle" wie in einem Ex- periment durch Strompulse stimulie- ren. Es können die wichtigen Para- meter, wie absolute und relative Re- fraktärzeit, und die Schwelle der Er- regung bestimmt werden, wie es im Rahmen eines Praktikumsversuches nicht durchgeführt werden kann
„Wir glauben, daß die Computersi- mulation didaktisch besser zur Aus- bildung von Studenten geeignet ist als ein Tier- oder Organversuch", er- klärte der Heidelberger Biologe Thomas Müller. Allein an der Biolo- gischen Fakultät der Universität Hei- delberg lassen sich dadurch jährlich mindestens 45 Frösche „einsparen".
Bisher gab es bereits 250 Nachfragen nach dem Computerprogramm, das kostenlos bezogen werden kann.
Langfristig ist geplant, Simulations- programme für synaptische Aktivi- tät, Muskelphysiologie und Kreis- laufregulation zu entwickeln. „In der Medizinerausbildung sind bestimmte Tierversuche unverzichtbar, um Zu- sammenhänge physiologischer Art zu erkennen", glaubt dagegen Fritz H. Kemper vom Institut für Pharma- kologie und Toxikologie der Univer- sität Münster.
Nicht zuletzt aufgrund der mas- siven öffentlichen Kritik ist die Zahl der Tierversuche in den letzten Jah- ren drastisch zurückgegangen.
„Trotz steigender Anforderung an die Arzneimittelsicherheit konnte der Einsatz von Tieren in der Phar- maforschung seit 1977 um 70 Pro- zent reduziert werden", sagte Mi- chael Vogt vom Bundesverband der
Pharmazeutischen Industrie. Die Zahl der Versuchstiere ließe sich in Zukunft weiter verringern.
Bei dem Pharmaunternehmen Knoll beruhten bereits rund 50 Pro- zent aller Experimente inzwischen auf Ersatz- oder Ergänzungsmetho- den zum herkömmlichen Tierver- such, berichtete Horst Kreisgott, Tierschutzbeauftragter bei Knoll.
Neben den zur Krankenhausbe- handlung zugelassenen Hochschul- kliniken, Plankrankenhäusern und Vertragskrankenhäusern entwickelt sich zunehmend eine vierte Kategorie von Krankenhäusern. Für sie tragen allein die Krankenkassen die Ver- antwortung. Gemeint sind die Kran- kenhäuser, welche sich über den Weg der Kostenerstattung finanzie- ren. Diese Möglichkeit wurde im Jahr 1989 im letzten Augenblick in das „Gesundheits-Reformgesetz"
(SGB V) aufgenommen Findige An- bieter bieten verstärkt Teilbereiche der Krankenversorgung mit neuen Begriffen, neuen Behandlungsfor- men oder neuen Operationstechni- ken in neuen, meist kleinen Fach- krankenhäusern an. Beginnend mit einer ausschließlich privaten Ab- rechnung drängen sie über den Weg von Kostenerstattungen zuerst mit einer Krankenkasse, der dann aus Konkurrenzgründen andere folgen, in Richtung Versorgungsvertrag und schließlich in den Krankenhausplan.
Neben diesen Häusern gewin- nen auch die Praxisgemeinschaften, beginnend mit verschiedenen For- men des ambulanten Operierens — unter den Begriffen „Tagesklinik"
oder „Praxisklinik" — zunehmend an Bedeutung. Diese Einrichtungen drängen, nach erfolgter Vorhaltung einiger Betten, für die als Privatkli- nik problemlos eine Konzession er- teilt wird, in den Markt.
Von diesen Einrichtungen wird häufig auf die im Vergleich zum Krankenhaus betriebswirtschaftlich scheinbar kostengünstigere Lei-
„In Zukunft werden wir auf Tierver- suche aber nicht ganz verzichten können", glaubt Wolfgang Hardegg, emeritierter Direktor des Instituts für Versuchstierkunde der Universi- tät Heidelberg. Die Belastung des Tieres lasse sich aber reduzieren.
Tierversuchsgegnerin Ingeborg Liva- ditis: „Jede Reduzierung ist aber ein Fortschritt." Ulrich Willenberg
stungserbringung hingewiesen. Of- fensichtlich wird es dabei als selbst- verständlich angesehen, daß die glei- chen Operationen in Krankenhaus und Praxis unter verschiedenen Vor- aussetzungen stattfinden können.
Während im Krankenhaus die Ein- haltung von Krankenhausbauverord- nungen, DIN- und sonstigen Nor- men, Be- und Entlüftungsvorschrif- ten usw. nicht zuletzt mit dem Hin- weis auf krankenhaushygienische Er- fordernisse mit den entsprechenden Kostenfolgen verbindlich vorgege- ben ist, gibt es vergleichbare Vor- schriften in der Praxis nicht.
Bei der Einführung dieser zu- sätzlichen Einrichtungen im Gesund- heitswesen wird zudem im Hinblick auf die Ausgaben für die Kranken- kassen eine wesentliche Tatsache übersehen: Die kumulative Wirkung übersteigt, nicht zuletzt als Folge des komplexen Gesundheitssystems, deutlich die substitutive Wirkung.
Die neuen Einrichtungen bekommen außerdem meist sowohl die morali- sche (Humanität, Fortschritt, Bür- gernähe) als auch eine scheinbar plausible „betriebswirtschaftliche"
(vergleichsweise niedrigere Kosten der zusätzlichen Einrichtung) Recht- fertigung mitgeliefert. Das Bewußt- sein, etwas Neues, Richtiges und Not- wendiges zu tun, und dies dazu noch
„wirtschaftlich", ist zweifellos nicht geeignet, den Expansionsdrang die- ser Einrichtungen zu bremsen. Daß dadurch die Ausgaben der gesetzli- chen Krankenkassen weiter steigen, scheint nicht weiter zu stören.
Dr. jur. Ernst Bruckenberger
Vom „Kostenerstattungskrankenhaus"
zur Praxisklinik
A1-1408 (20) Dt. Ärztebl. 89, Heft 16, 17. April 1992