Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 5|
3. Februar 2012 A 179 MINDESTMENGEN IN DER GESETZLICHEN KRANKENVERSICHERUNGWarten auf das höchste Gericht
Nachdem das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg 41 Kliniken Recht gab, die gegen Mindestmengen in der Neonatologie geklagt hatten, setzt der Gemeinsame Bundesausschuss diese bis zur Entscheidung des Bundessozialgerichts aus.
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inn und Zweck von Mindest- mengenvorgaben in der ge- setzlichen Krankenversicherung ist es, Krankenhäuser oder auch Ärzte gegebenenfalls vom Leistungsge- schehen auszuschließen, um die Qualität der Leistungserbringung zu sichern. Und genau da beginnt nach Auffassung von Liana Ra- demske von der Krankenhausgesell- schaft Mecklenburg-Vorpommern das Problem: „Wenn man auf diese Art und Weise in die Grundrechte der Leistungserbringer eingreift – ich verweise auf das Grundrecht der freien Berufsausübung nach Artikel 12 und das Grundrecht auf Eigen- tum nach Artikel 14 –, dann muss man das sehr genau begründen“, er- läuterte die Juristin am 25. Januar bei einem Rechtssymposium des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) in Berlin. Es reiche einfach nicht aus, eine allgemeine statisti- sche Korrelation zwischen Leis- tungsmenge und Ergebnisqualität herzuleiten. Vielmehr müsse eine echte Kausalität zwischen Menge und Qualität nachgewiesen werden.Ganz ähnlich begründete das Landessozialgericht (LSG) Berlin- Brandenburg sein Urteil vom 21.
Dezember 2011 zugunsten der 41 Krankenhäuser, die gegen die Erhö- hung der Mindestmenge in der Neonatologie von 14 auf 30 Fälle im Jahr geklagt hatten. Die vom Gesetz geforderte Abhängigkeit der Leistungsqualität von der Leis- tungsmenge „in besonderem Maße“
sei nicht hinreichend belegt, mein- ten die Richter und verwiesen auf ein Gutachten des Instituts für Qua- lität und Wirtschaftlichkeit im Ge- sundheitswesen vom August 2008, wonach keine kausalen Zusammen- hänge zwischen Mengen und Quali- tät bei der Versorgung Frühgebore- ner nachweisbar seien. Der G-BA
setzte daraufhin am 20. Januar 2012 die Mindestmengen zur Versorgung von Frühgeborenen mit einem Ge- burtsgewicht von unter 1 250 Gramm aus – „bis zu einer Ent- scheidung des Bundessozialge- richts“, wie der G-BA-Vorsitzende Dr. Rainer Hess beim Mindestmen- gensymposium in Berlin erneut be- tonte. Im September 2011 hatte der G-BA auch bereits die Mindest- mengen bei Kniegelenk-Totalendo- prothesen bis auf weiteres ausge- setzt, ebenfalls nach einem Urteil des LSG Berlin-Brandenburg, das bundesweit zuständig ist für Streit- fälle dieser Art.
Prof. Dr. Friedhelm Hase von der Universität Bremen hält den von Rademske und vom LSG Berlin- Brandenburg geforderten Nachweis einer evidenzbasierten Kausalbe- ziehung zwischen Menge und Qua- lität für so nicht erfüllbar: „Mit die- sem Argument wird die Mindest- mengenregelung grundsätzlich blo- ckiert.“ Die Vorstellung, durch sta- tistische Erhebungen oder andere wissenschaftliche Studien sei von irgendeiner Seite für eine bestimm- te Leistung ein präziser Mindest- mengenwert zu begründen, sollte daher aufgegeben werden.
Prof. Dr. Max Geraedts von der Universität Witten/Herdecke hatte zuvor betont, dass methodische Probleme der vorliegenden Volu- men-Ergebnis-Studien eine sichere Einschätzung der Evidenz unmög- lich machten: „Zwar sind höhere Leistungsmengen von Ärzten und
Krankenhäusern in vielen Studien mit besseren Patientenergebnissen assoziiert, dabei sind die Fallzahlen aber nur einer von vielen qualitäts- beeinflussenden Parametern.“ So gebe es Anzeichen dafür, dass frü- here Qualitätsergebnisse von Ein- richtungen eine höhere Wertigkeit für Qualität darstellten als die Er- füllung einer Mindestmenge.
Dass die Evidenz für einen Zu- sammenhang zwischen der Fallzahl und der Qualität bei der Versorgung von Frühgeborenen sehr schwach ist, bestreitet der G-BA-Vorsitzende Hess nicht: „Mir persönlich hat da- mals, als ich für die Mindestmengen
in der Neonatologie votierte, diese schwache Evidenz jedoch genügt – im Sinne des Schutzes dieser klei- nen Säuglinge.“ Der G-BA dränge auf eine höchstrichterliche Klärung des Sachverhalts, um seinen gesetz- lichen Auftrag hinsichtlich der Fest- legung von Mindestmengen zum Zwecke der Qualitätssicherung in der medizinischen Versorgung künftig ausführen zu können. Für den G-BA sei dies eine Frage von immenser Bedeutung, betonte Hess:
„Aber auch wenn wir diesen Pro- zess vor dem Bundessozialgericht verlieren, ist das für mich insofern ein Sieg, weil dann die Rechtsfrage endlich einmal geklärt ist.“ Der Konflikt innerhalb des G-BA habe sich in dieser Frage so zugespitzt, dass ihn die Selbstverwaltungspart- ner ohne Hilfe von außen kaum mehr lösen könnten.
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Jens Flintrop
„ Höhere Mengen sind in vielen Studien mit besseren Ergebnissen assoziiert. Sie sind aber nur einer von vielen Parametern.
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Max Geraedts, Universität Witten/Herdecke