Pilzvergiftung
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Giftpilze werden meist infolge Unkenntnis, seltener infolge Verwechslung gegessen. Seit der Einrich- tung von Pilzberatungsstellen ist die Zahl der Todesfälle deutlich zurückgegangen. 90 bis 95 Prozent der tödlichen Pilzvergiftungen entfallen auf den Knollenblätterpilz. Erkrankungen nach Pilzessen sind außerdem möglich nach Genuß verdorbener Speisepilze (toxische Eiweißzersetzungsprodukte), nach Verzehr roher Speisepilze (Kahler Krempling, Hallimasch) und selten infolge Allergie gegen Speisepilze.
Hierbei handelt es sich in der Regel um intestinale Manifestationen mit heftigen Tenesmen einhalb bis zwei Stunden nach der Mahlzeit. Trinken von Alkohol während oder nach dem Essen von gekochten Speisepilzen der Tintlinggruppe (Faltentintling, Schopftintling, Netzstieliger Hexenpilz) kann ein anta- busartiges Syndrom hervorrufen: Rötung von Gesicht und Brustbereich, Kopfschmerzen, Schwindelge- fühl, Tachykardie und Angina pectoris. Die Behandlung ist symptomatisch. Bei Verdacht auf Pilzvergif- tung sollte sich der Arzt danach richten, ob ein Pantherina-Syndrom, ein Muskarin-Syndrom, ein gastroenteritisches Syndrom oder ein Zwei-Phasen-Syndrom mit auffallend langer Latenzzeit nach der Pilzmahlzeit vorliegen. Das therapeutische Handeln orientiert sich also an der vorherrschenden klini- schen Symptomatik.
Symptomatik
Kurze Zeit nach Pilzgenuß (nach etwa 1 bis 2 Stunden) Auftreten von Schwindel, Be- nommenheit, Mydriasis, Mus- kelzucken, Rauschzustand, Tobsucht, Halluzinationen, gelegentlich sogar Koma mit der Gefahr der Atemlähmung I
Kurze Zeit nach Pilzgenuß (in der Regel nach 1 bis 2 Stun- den) Auftreten der ersten Symptome: Sehstörungen, Schwindelgefühl und Übel- keit, Schweißausbruch (dabei Frieren!). Es folgen asthmaar- tige Atemnot, Tenesmen und Diarrhöe, auffallend sind eine Miosis und bradykarde Hypo- tonie.
Y':!-2 Stunden nach Pilzmahl- zeit Auftreten von mehr oder minder starkem Erbrechen und Diarrhöe sowie in schwe- ren Fällen Kollaps. Zentrale Störungen fehlen!
Diagnose
Atropinartiges Vergiftungsbild
~ Pantherina-Syndrom!
Nach Verzehr von Panther- pilzarten und Fliegenpilzarten
Vorherrschende Symptomatik ist die Parasympathikus-Erre- gung
=
~ Muskarin-Syndrom!
Nach Gen.uß von Rißpilzen, Trichterlingen, Gifttäublingen und Röhrlingen (zum Beispiel, Satanspilz).
Das Vergiftungsbild wird be- herrscht von heftiger aktuter Gastroenteritis =
~ gastroenteritisches Syn- drom!
Therapie
Magenentleerung, Adsorben- tien (Kohlekompretten), Ab- führmittel, symptomatisch (Kreislauf!), kein Atropin! Sel- ten einmal kann die atropinar- tige Psychose über Tage an- halten und dabei Selbst- und Gemeingefährlichkeit beste- hen. ln diesen Fällen ist stets Krankenhauseinweisung indi- ziert.
Da die Patienten durch asth- maartige Atemnot und brady- karden Schockzustand ge- fährdet sind, ist die erste the- rapeutische Maßnahme die Gabe von Atropin i. m. oder i. v. und eventuell Kreislauf- mittel wie Depot-Effortil oder Depot-Novadral i. m. Außer- dem Magenentleerung, Kohle- kompretten, Abführmittel. ln schweren Fällen Kranken- hauseinweisung.
Kohlekampretten (etwa 30 g), symptomatisch (Kreislauf!). ln schweren Fällen Kranken- hausei nweisu ng.
Verursacht durch schwach giftige Pilze wie zum Beispiel Schwefelkopf, Kartoffelbovist, Riesenrötling und Ritterling.
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DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 31 vom 4. August 1977 1959
Pilzvergiftung
Symptomatik
Nach auffallend langer La- tenzzeit (6 bis 24 Stunden nach Pilzgenuß gelegentlich noch später), Auftreten hefti- ger gastroenteritischer Er- scheinungen wie plötzliches Erbrechen, profuse Durchfälle und Darmkoliken! Dabei un- getrübte Bewußtseinslage!
Nach etwa 18 bis 24 Stunden Abklingen der Beschwerden und scheinbare Besserung, vom 3. bis 4. Tag nach Pilzge- nuß an Eintrübung des Senso- riums und Zeichen der Leber- erkrankung: Ikterus und ver- größerte, druckschmerzhafte Leber.
Diagnose
Es liegt das sogenannte Zwei- Phasen-Syndrom (gastroente- ritische Phase, hepato-renale Phase) vor, verursacht durch Verzehr von Knollenblätterpil- zen (Juli—Oktober, häufig Ver- wechslung mit Champignons) oder seltener nach Genuß der Frühjahrslorchel (Ende März — Anfang Mai, unterschiedliche Giftigkeit und individuelle Empfindlichkeit, Giftstoffe werden durch Trocknen der Pilze und durch Kochen zer- stört, Kochwasser weg- schütten!).
Es sei ausdrücklich hervorge- hoben, daß hierbei die Magen- Darm-Symptomatik (im Ge- gensatz zu Pilzvergiftungen mit rein gastroenteritischem Syndrom) erst nach einem be- schwerdefreien Intervall von 6-12-24 Stunden nach Pilz- verzehr auftritt! Der Not- dienstarzt sollte sich stets daran erinnern, daß jede Ver- giftungssymptomatik, die erst sechs Stunden nach Pilzmahl- zeit auftritt, grundsätzlich als sehr gefährlich anzusehen ist.
Therapie
Sofortige Krankenhausein- weisung. Außerdem alle Ange- hörigen ausfindig machen, die ebenfalls von der gleichen Pilzmahlzeit gegessen haben.
Auch wenn sie noch be- schwerdefrei sein sollten, ist die Krankenhauseinweisung zur Magenentleerung und Be- obachtung erforderlich.
Bei Verdacht auf Pilzvergiftung ist es wichtigste Aufgabe des Notdienstarztes, die Latenzzeit zwischen Pilzverzehr und Auftreten der ersten klinischen Symptome festzustellen. Längere Latenzzeiten als fünf Stunden sind grundsätzlich als gefährlich anzusehen, der Patient sollte dann in das Krankenhaus eingewiesen werden.
Anschrift des Verfassers:
Privatdozent Dr. 0. Bartels
Medizinische Universitäts-Klinik Erlangen Krankenhausstraße 12
8520 Erlangen Zur Fortbildung
Aktuelle Medizin
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