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Archiv "Interdisziplinäre Zusammenarbeit aus der Sicht des Chirurgen" (22.01.1976)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

„Allgemeinchirurgie"

in der Verteidigung?

Der Wunsch mancher Chirurgen, die „Allgemeinchirurgie" als Grundeinheit der Chirurgie zu be- wahren, wird nicht selten als af- fekt- oder gar interessenbetonte Verteidigung von Privilegien emp- funden, die im Interesse der Demo- kratisierung und Humanisierung der Spitäler schleunigst abge- schafft gehören. An zwei einfachen Beispielen soll gezeigt werden, daß dem nicht so ist.

An das Spital A mit 120 Betten in der chirurgischen Abteilung wer- den ein Viszeralchirurg und ein Chirurg des Bewegungsapparates berufen. Um den Notfalldienst zu gewährleisten, müssen entweder beide als „Kettenhunde" jederzeit erreichbar sein oder vollwertige Vertreter halten, die ihrerseits wie- derum eine gewisse Infrastruktur der Sekretariate und der Abteilun- gen usw., usw. bedingen.

Im Spital B pflegen die zwei Chir- urgen zwar ebenfalls ihre haupt-

sächlichen Interessengebiete, ähn- lich denen im Spital A, waren aber bis zum Verlassen ihrer Weiterbil- dungsstätte voll und kompetent in der Notfallchirurgie verantwortlich tätig. Sie können sich deshalb ge- genseitig vertreten, was die Infra- struktur dieses Spitals ganz we- sentlich vereinfacht und verbilligt.

Ein solches Krankenhaus kann ei- nen Großteil der anfallenden chir- urgischen Alltagsarbeit kompetent erledigen und ist deshalb sozial- medizinisch zweckmäßig, vor al- lem, wenn es mit einem größeren Zentrum zusammenarbeitet und seine eigenen Grenzen respektiert.

Man verzeihe diesen sehr pragma- tischen Anfang. Bekanntlich ist die Chirurgie groß geworden — so groß, daß man ihre Gestaltung füg- lich als Problem interdisziplinärer Zusammenarbeit bezeichnen darf.

Anliegen dieses Aufsatzes ist die Gestaltung der chirurgischen Ar- beitsstätten. Wenn deshalb vor al- lem von „innenpolitischen Proble- men" der Chirurgie gesprochen wird, so heißt das nicht, daß ver- gessen wird, wie sehr die Chirurgie Beleg-Gruppenpraxis

Kosten sowie die Betriebskosten, über den Tagessatz zu finanzieren sein.

Ausblick

Das hier entwickelte Modell der Beleg-Gruppenpraxis hat gute Chancen, bereits in absehbarer Zeit als Modellvorhaben in Schles- wig-Holstein verwirklicht zu wer- den. Die bisherigen Verhandlungen mit der Kassenärztlichen Vereini- gung und den Krankenkassen ha- ben gezeigt, daß die von uns ent- wickelten Finanzierungsvorstellun- gen für Investitionen und Betriebs- kosten bei der Kassenärztlichen Vereinigung prinzipielle Zustim- mung finden. Die Vertreter der Krankenkassen haben in Aussicht gestellt, in Verhandlungen einzu- treten, wenn zu erwarten ist, daß gleichzeitig die allgemeine Betten- quote für Krankenhäuser gesenkt werden kann. Im übrigen soll dann für den Bettenteil einer Beleg- Gruppenpraxis ein angemesse- ner Tagessatz für die Unterbrin- gung gewährt werden, der deutlich unter dem Pflegesatz eines Allge- meinkrankenhaus liegen muß.

Notwendig wird es nunmehr sein, ein Standardprogramm für die me- dizinisch-technische Ausstattung einer Beleg-Gruppenpraxis zu ent- wickeln. Die Vorarbeiten hierzu sind bereits angelaufen. In Ver- bindung mit dem medizinisch-tech- nischen Standardprogramm sind die ärztlichen Leistungen zu sehen, die generell in einer Beleg-Grup- penpraxis ausgeführt werden soll- ten und dementsprechend vergü- tet werden.

Anschriften der Verfasser:

Leitender Ministerialrat Dr. med. Ernst-Johannes Hopf Ministerialrat

Dipl.-Volksw. Karl Brandecker Sozialministerium des Landes Schleswig-Holstein

Brunswiker Straße 16-22 2300 Kiel

FORUM

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

aus der Sicht des Chirurgen

Martin Allgöwer

Im Rahmen der Fortentwicklung der Weiterbildungsordnung wird in Kürze auch wieder über die Frage diskutiert und entschieden wer- den müssen, wieweit die Unfallchirurgie oder die Traumatologie in- nerhalb der Chirurgie eine Sonderstellung einnimmt. Aus Schweizer Sicht erörtert Prof. Allgöwer dieses Problem, wobei er insbesonde- re auf die Bedürfnisse in der Alltagspraxis des kleineren und mittle- ren Krankenhauses hinweist und postuliert, daß der Patient die Inte- gration erwartet. Insofern ist der hier folgende Aufsatz auch eine Fortsetzung der Argumentation von Prof. Koslowski im DEUT- SCHEN ÄRZTEBLATT, Heft 8/1975, Seite 524.

DEUTSCHES .ÄRZTEBLATT Heft 4 vom 22. Januar 1976 201

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Chirurgie

ihre Entwicklung den Anregungen von außen verdankt.

Die Spezialisierungs-„Neurose"

als Element der Kostenexplosion Wir meinen, wir müssen uns und unser Publikum von der übertriebe- nen Spezialisierungsneurose be- freien, weil wir sonst in eine per- fektionistische Medizin hineingera- ten, die wir uns volkswirtschaftlich

in keiner Weise mehr leisten kön- nen. Hier, und nicht in der Verteidi- gung von Privilegien, liegt unser Anliegen.

Die geistige und organisatorische Konzeption unserer größeren chir- urgischen Ausbildungsstätten muß zwei Bedingungen erfüllen:

Sie muß sich sinnvoll in den chirurgischen Dienstleistungsbe- trieb eines Landes einfügen. Das heißt, die Struktur der Weiterbil- dungsstätten darf zwar differenzier- ter und personalintensiver sein als diejenige der peripheren Spitäler, sie soll ihr jedoch nicht diametral entgegenstehen.

Vor allem aber: Die Weiterbil- dungsstätten müssen auf Grund ih- rer Struktur und ihrer Ausbildungs- pläne ein „Weiterbildungsprodukt"

— einen Chirurgen — liefern, wel- cher der späteren relativ breiten Dienstleistung im mittleren und kleinen Spital gewachsen ist, ins- besondere den Situationen der Notfallchirurgie.

Wie verträgt sich das mit der Not- wendigkeit der Spezialisierung? Si- cher ist Spezialisierung das not- wendige Korrelat der enormen Ver- mehrung unseres Wissens. Oft ist sie aber eher als Fatalität denn als Notwendigkeit akzeptiert und nicht entsprechend überprüft worden.

Von der Motivierung her sind wohl zwei Arten der Spezialisierung zu unterscheiden.

Die positive und zukunftsweisende Motivierung ist diejenige, welche aus der Erfülltheit für ein Spezial- problem entsteht. Als Beispiel die-

ne etwa der Chirurg, der von der Pathophysiologie der Papillenfunk- tion dermaßen fasziniert ist, daß er immer weiter in ihre Zusammen- hänge eindringen will. Um ihn her- um mögen sich auch die entspre- chenden klinischen Fälle sammeln.

Diese Art der Spezialisierung, so glaube ich, ist leider die Ausnahme.

Ich möchte auch gleichzeitig fest- halten, daß sie nicht im Gegen- satz zu einer breiteren praktischen chirurgischen Aktivität zu stehen braucht.

Ein großer Teil der Spezialisierun- gen ist aber anders motiviert — sie entspringen der Bequemlichkeit!

Man will ein Gebiet bearbeiten, das zeitlich und intellektuell relativ leicht überschaubar ist. Oft mag bei einer solchen Beschränkung auch Bescheidenheit mit im Spiel sein.

Autonomie und Integration der Spezialdisziplinen ist in vielen Zen- tren ein unvollständig gelöstes Pro- blem. Die Hauptschwierigkeit bei der Verwirklichung entspannter, in- terdisziplinärer Zusammenarbeit dürfte — vor allem für uns Mittel- europäer — darin bestehen, daß wir paradoxerweise gleichzeitig zwei Schritte in scheinbar entge- gengesetzter Richtung unterneh- men müssen, einen vorwärts, weg von der starren, fast neurotischen Spitalhierarchie mit dem Chefarzt als Alleinherrscher, und einen zu- rück in die integrierte chirurgische Abteilung. Den Schritt vorwärts ha- ben wir, zumindest teilweise, be- reits in den letzten 10 bis 20 Jahren vollzogen. Er hat uns die unabhän- gigen, oft aber isolierten Spezial- abteilungen und -Kliniken ge- bracht. Dadurch wurde die Versor- gung der Notfälle und vor allem der Mehrfachverletzten mit kom- plexen Krankheitsbildern er.

schwert. Vom Patienten her ist deshalb die Forderung nach einer vernünftigen Form der integrierten chirurgischen Abteilung deutlich.

Der Schritt zurück in die Integra- tion ist aber nur scheinbar ein Rückschritt, in Tat und Wahrheit verwirklicht die Integration die be- glückende Möglichkeit einer um-

fassenden Patientenbehandlung und bedeutet daher zweifellos auch einen Fortschritt.

Spezialisierung und Unterspeziali- sierung sind sicher eine der haupt- sächlichen Quellen der Personal- vermehrung unserer Spitäler. Sie wurden zu oft nur von den Bedürf- nissen der einzelnen Abteilungen her und weniger unter dem Aspekt der Gesamtplanung konzipiert.

Wenn wir uns zum Beispiel vor Au- gen halten, daß von den 188 Millio- nen des jährlichen Budgets am Basler Kantonspital 135 Millionen Personalkosten darstellen, so illu- striert diese Relation deutlich, wie sehr die personelle Infrastruktur des Spitals die Kostenexplosion bedingt. Vieles daran läßt sich nicht vermeiden, aber bestimmt würde beispielsweise die Analyse des Notfalldienstes verschiedener Spezialkliniken manche Doppel- spurigkeit aufdecken.

Behandlung und Betreuung eines Patienten sollte in der Hand eines Arztes liegen, der sich beraten läßt. Wo liegen die Grenzen, die uns gegen die beiden Extreme si- chern, nämlich einerseits gegen den Arzt, der alles allein beurteilt, entscheidet und tut, und damit We- sentliches verpaßt, und demjenigen, der für jedes Organsystem und jede kleine Komplikation einen Or- ganspezialisten herbeizieht? Si- cher führt der letztgenannte Weg zu weiterer Kostenexplosion. Bei aller 'Respektierung der Speziali- sierung am Zentrum müssen wir weiterhin verantwortungsfreudige Chirurgen erziehen, die sich nicht bei jedem Entscheid ängstlich rückversichern.

Aufgaben und Stellung der Allgemeinchirurgie

Neben den notwendigen und allge- mein bekannten chirurgischen Spezialfächern brauchen wir eine starke Allgemeinchirurgie. Wir kön- nen von den Internisten lernen, was geschieht, wenn man ein gan- zes Fach in Spezialfächer aufteilt, ohne ein Zentrum zu behalten.

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Chirurgie

Heute stehen wir in der inneren Medizin vor der Tatsache, daß die Allgemeinmedizin sich kein beson- deres Arbeitsgebiet reserviert hielt.

Deshalb finden sich an vielen Plät- zen die sogenannten Allgemeinme- diziner und die Spezialisten in ei- ner psychologisch schwierigen Kampfsituation, in der sich keine der beiden Parteien wirklich wohl fühlt.

Die Allgemeinchirurgie ist nicht das, was nach Abzug der Spezial- gebiete übrigbleibt. Sie betreut als Alltagsaufgabe und als For- schungsgebiet die Allgemeinbe- handlung der Patienten, die Weich- teilchirurgie, die Abdominalchirur- gie, einen Teil der Thoraxchirurgie und ist wesentlich beteiligt an der Traumatologie. Sie muß weiterhin Impulse an alle Spezialgebiete ge- ben und bleibt durch den notwen- digen „feed-back" aus diesen Spe- zialgebieten erst lebensfähig.

Intensivmedizin

Wohl kein Gebiet unserer chirurgi- schen Tätigkeit bietet mehr Mög- lichkeiten, aber auch mehr Proble- me der interdisziplinären Zusam- menarbeit als die Intensivpflege, beziehungsweise Intensivmedizin.

Intensivpflege im allgemeinen und im besonderen chirurgische Inten- sivpflege darf aber nicht einer Dis- ziplin unter Ausschluß der anderen

„gehören": nicht der Chirurgie, nicht der Anästhesie, nicht der in- neren Medizin und auch nicht — in Isolation — einer neuen Disziplin, genannt Intensivmedizin. In jedem Spital muß Intensivpflege im grund- sätzlichen eine gemeinsame Ver- antwortung und Verpflichtung der interessierten Disziplinen — be- sonders der Chirurgie, der Anäs- thesie und der inneren Medizin — darstellen.

Unfallchirurgie

Ein wichtiges Anliegen ist die rich- tige Einstellung zur Unfallchirurgie.

1972 versuchte ich es so zu formu- lieren: „Unfallchirurgie liegt irgend-

wie quer über allen von uns im Laufe der letzten Jahrzehnte ent- wickelten, säuberlich konzipierten chirurgischen Spezialitäten."

Historischer Hintergrund des Begriffes

Unfallchirurgie als Fach stellt eine Schöpfung dar, die der „Böhler- schen Vitalität" zu verdanken ist.

Er mußte sie — wie er dem Schrei- benden später persönlich mitteilte

— contre coeur außerhalb der Uni- versitätskliniken verwirklichen. An sich hätte er eine integrierte Be- handlung des Unfallkranken vorge- zogen, aber da das Unfallproblem im Universitätsbereich nicht die notwendige Beachtung fand, sah er sich zu der Gründung spezialisier- ter Behandlungseinrichtungen ge- zwungen.

Die Bedürfnisse der Spitäler unterschiedlicher

Größe sind verschieden

Es wird oft vergessen, daß die Be- dürfnisse des größeren und des kleineren Spitals in bezug auf die Ausbildung seiner Chirurgen recht verschieden sein können.

Weiterhin hat der in der Praxis täti- ge Chirurg ebenfalls spezielle Aus- bildungsbedürfnisse. Kleinere Häu- ser und die meisten Privatklini- ken können sich vom Arbeitsanfall wie auch von den Kosten her ge- trennte Abteilungen für Allgemein- chirurgie und Traumatologie kaum leisten.

Im mittleren und kleineren Spital besteht das Bedürfnis nach Chirur- gen, welche der gesamten Notfall- chirurgie gewachsen sind. Dieser Punkt ist in der Weiterbildung am großen Zentrum zu beachten. Im größeren Krankenhaus kann ohne weiteres ein spezialisiertes Team die Traumatologie betreuen, aber eine solche Einheit muß in ein grö- ßeres Ganzes integriert sein. Die in Weiterbildung stehenden Ärzte sol- len rotieren. Abdominal- und Tho- raxchirurgie können auf einer rein traumatologischen Abteilung weder

gelernt noch in genügender Effi- zienz weitergepflegt werden.

Das mittlere und kleinere Haus ist aber für die Erledigung der chirur- gischen Alltagsarbeiten sehr wich- tig. Für die Schweiz ergibt die Sta- tistik des Jahres 1972, daß von 395 000 chirurgischen Operationen 55 Prozent in den kleineren Spitä- lern (sogenannte B 1- und 13 2- Spitäler) durchgeführt wurden, während auf die größeren Zentren und die größeren Regionalspitäler (A 1- und A 2-Spitäler) nur 45 Pro- zent der Eingriffe entfielen.

Die Schaffung der Unfallchirurgie ist eine isolierte Lösung in Teilen des deutschen Sprachraumes International gesehen, sind Deutschland und Österreich (hinzu kommt noch Zürich) die einzigen Länder, welche zwischen den All- gemeinchirurgen und den Orthopä- den den Unfallchirurgen „einge- schoben" haben, in Deutschland al- lerdings in der Form eines Teilge- bietes der Chirurgie, wobei die Weiterbildungsvorschriften eine enge Verzahnung mit der allgemei- nen Chirurgie beibehalten haben.

Wenn sich beim Traumatisierten die einzelnen Frakturen und die Allgemeinverletzungen säuberlich getrennt behandeln ließen, wäre vielleicht die im angelsächsischen Raume weitgehend übliche Zwei- teilung zweckmäßig, wonach die Chirurgen die Abdominal- und Tho- raxverletzungen, die Orthopäden die Extremitätenverletzungen be- handeln. Auch in Amerika aber ver- mag diese Lösung nicht zu befrie- digen, weil der Polytraumatisierte besondere Probleme stellt, die das dortige System nicht optimal mei- stert. Es haben sich denn auch ei- nige in den chirurgischen Departe- menten integrierte Traumaeinhei- ten gebildet, wie zum Beispiel in Buffalo oder in New York. Sie wer- den von Allgemeinchirurgen ge- führt und vermögen die sogenann- te „Total Care" zu geben — ein- schließlich der Frakturbehandlung.

Diese „Traumatologen" betrachten sich aber als volle Allgemein-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 4 vom 22. Januar 1976 203

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Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen

Interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Chirurgie

chirurgen. Ihre Assistenten bekom- men eine umfassende allgemein- chirurgische Bildung, da sie auch auf den anderen Abteilungen einge- setzt sind.

Es ist eindeutig, daß die alleinige Weiterbildung und die ausschließli- che Betätigung in "Traumatologie"

für die Chirurgie der Körperhöhlen keinen ausreichend hohen Aus- bildungsstand gewährleistet. Will man die Traumatalogen nicht zu reinen Extremitäten-, respektive Frakturchirurgen werden lassen (das heißt zu "Schmalspurorthopä- den"), dann muß ihnen der Zugang zur Abdominal- und Thoraxchirur- gie offenbleiben. Vom Arbeitsanfall auch der größeren Häuser her ge- sehen, wäre dies eine sicher durchaus mögliche Lösung. Sie würde auch die Zukunft weit weni- ger präjudizieren als eine zuneh- mend scharfe Abtrennung zwi- schen Allgemeinchirurgen und Traumatologen.

Ausgangspunkte für eine Regelung Wohin sollen wir steuern? Folgen- de Prämissen scheinen wesentlich:

~ Die Mehrfachverletzung stellt nicht das häufigste, wohl aber das wesentlichste Problem der Trau- matologie dar, insbesondere beim Verkeh rsverl etzten.

~ Übersicht und Entscheidung über einen Behandlungsplan soll- ten in der Hand eines Arztes lie- gen, wobei festzuhalten ist, daß dieser Arzt nicht für alle Behand- lungsnotwendigkeiten kompetent sein muß oder sein kann.

~ Die Mehrzahl der Frakturen stellt keine speziellen indikatori- schen oder technischen Probleme.

Eine Minderzahl von Frakturen ist dagegen in ihrer Indikation und Behandlung sehr anspruchsvoll und verlangt eingehende biome- chanische Kenntnisse und beson- dere chirurgische Fähigkeiten. Sol- che schwierigen Behandlungen - vor allem die Gelenkrekonstruktio- nen - verlangen sowohl vom All-

gemeinchirurgen wie vom Orthopä- den zusätzliche Fertigkeiten.

~ Viele medizinische Momente sprechen für möglichst endgültige Behandlung von Frakturen schon bei der Notfallbehandlung und er- geben damit die Notwendigkeit, entsprechende Ärzte zu jeder Ta- ges- und Nachtzeit in Bereitschaft zu haben. Moderne Notfallfraktur- behandlung stellt deshalb beträcht- liche Anforderungen an die Arbeits- kraft des Arztes. Ein ärztliches Team wird Interesse haben, die in- tensiven Anforderungen des Notfall- betriebes auf möglichst viele kom- petente Kollegen zu verteilen. Das kann je nach lokaler Gegebenheit zwischen Allgemeinchirurgen und Orthopäden, Allgemeinchirurgen und Traumatelogen oder sogar zwischen Traumatalogen und Or- thopäden verwirklicht werden, und zwar um so mehr, je kleiner das entsprechende ärztliche Team ist.

~ Im Hinblick auf die Tatsache, daß die Schaffung der Traumatolo- gie eine auf Teile des deutschspra- chigen Raumes beschränkte und in ihren Auswirkungen noch ungenü- gend erprobte Sonderlösung dar- stellt, sollte jede trennende Regle- mentierung des Verhältnisses von Allgemeinchirurgie und Traumato- logie vermieden werden. Es ist denkbar, daß die "Zwischenstufe"

zwischen Allgemeinr.hirurgen und Orthopäden - der Unfallchirurg - sich als unzweckmäßig erweist. Er entspricht nicht der Spezialisie- rung aus besonderer Vertrautheit mit einem Organsystem. Unfallchir- urgie behandelt ein außerordent- lich heterogenes Krankengut, das Teilaspekte fast jeder etablierten Spezialität enthält. Es sollte des- halb eine Reglementierung die mögliche Reversibilität dieser Ent- wicklung gewährleisten und nicht die relativ künstliche Trennung ze- mentieren. Heute, da fast alle lei- tenden Ärzte größerer unfallchirur- gischer Abteilungen die nötige Grundausbildung und auch eine beträchtliche Erfahrung in Allge- meinchirurgie besitzen, bestehen noch Korrekturmöglichkeiten, die in zehn Jahren nicht mehr gegeben

sind. Dabei sollte man ohne Emo- tionen die Tatsache berücksichti- gen, daß der Traumataloge des deutschen Sprachraumes zwischen den Allgemeinchirurgen und den Orthopäden der übrigen Weit mög- licherweise eine recht schwierige Zwischenstellung einnimmt.

Wem "gehören" die Frakturen?

Ob man sich für die Zukunft wieder eher einer "Zweierlösung" nähert Allgemeinchirurgie einerseits, Orthopädie andererseits -, oder ob man den auf Traumatologie spezialisierten Allgemeinchirurgen als dritten im Bunde sieht, für die Frakturen sollten keine Exklusivitä- ten geschaffen werden. Frakturen müssen für alle drei ein gemeinsa- mes Interessengebiet darstellen, wobei der eine von den Erfahrun- gen und den unterschiedlichen Denkweisen der anderen profitiert.

Bei schwierigen Gelenkproblemen und sekundären Korrekturen wird der Allgemeinchirurg und wohl auch der Traumataloge dankbar die Zusammenarbeit mit dem Or- thopäden in Anspruch nehmen, während dieser für die verschiede- nen Weichteilprobleme und beim polytraumatisierten Patienten von den Erfahrungen der anderen profi- tieren soll.

Was nun?

Wenn wir uns fragen, was nun überwiegen soll, Autonomie oder Integration der einzelnen chirurgi- schen Fachrichtungen, so lassen sich für beide Lösungen gewichti- ge Argumente anführen. Es wird oft geltend gemacht, daß Spezialge- biete sich erst dann voll entfalten, wenn sie Autonomie erreichen.

Solche Entwicklungen das bleibt dabei übersehen - waren weniger der Organisationsform als vielmehr den beteiligten originellen und einsatzfreudigen Pionieren zu- zuschreiben. Schon ihre Nachfol- ger sind oft in der Isolierung nicht mehr so glücklich. Autonomie oder Integration der einzelnen chirurgi- schen Fachrichtungen ist deshalb

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Spektrum der Woche Aufsätze -Notizen

Es ist sehr zu begrüßen, daß Prof.

Schaefer die Geistlosigkeit der heutigen Medizin bemängelt. Ver- fällt er aber dabei nicht dem glei- chen Mechanismus, den er be- kämpft? Prof. Schaefer meint die Psychosomatik völlig durch Tier- versuche erklären zu können, also durch ein quasi materialistisches Modell, bei dem ja gerade das Geistig-Seelische ignoriert wird.

Schaefer schaltet das Seelisch-ln- dividuelle, also die Biographie aus.

Er ersetzt es durch ein pseudo-me- chanistisches Modell, wundert sich, daß der Laie darin dem Wis- senschaftler folgt, und macht es dem Laien sogar noch zum Vor- wurf. Trotz seiner ausgezeichneten theoretischen Erkenntnisse scheint Schaefer selbst ein gutes Beispiel dafür zu bieten, daß sich die Wis- senschaft auf einem bedenklichen Weg befindet, und wie notwendig Selbsterfahrung und Selbstwahr- nehmung insbesondere für den Wissenschaftler sind.

Die Ätiologie der häufigsten Krank- heitsgruppen sieht Schaefer „fast ausschließlich in sozialen Fakto- ren", in „gesellschaftlich vorge- prägtem falschen Verhalten". Wie er aber tiefenpsychologisch rele- vante Faktoren lediglich mit dem

„Meßinstrument" Fragebogen und sogar mit Tierversuchen, also an gänzlich anders gearteten Lebe- wesen, erfassen will, ist uns rätsel- haft.

Nach Boor und Mitscherlich gibt es zwei Formen der psychosomati- schen Medizin: Die eine befaßt sich mit Korrelationen zwischen Psyche und Soma, die sie mit ex- perimentellen Methoden unter- sucht. Die andere geht ganzheitlich vor und versucht das Krankheits- geschehen von der Seite des Pa-

FORUM

tienten und seiner Biographie her zu erkennen. Der naturwissen- schaftlichen Medizin entspricht zwar die „Affektpsychologie" mehr, sie kann aber keine kausale Thera- pie anbieten. Mitscherlich bemän- gelt die Naivität der somatischen Medizin, die so verfährt, als ob es keinen anderen Weg zur Lösung der Aufgabe gäbe. „Meist werden als psychosomatische Forschung Meßergebnisse in psychischen Streßsituationen angeboten. Die Psychologie derartiger Unter- suchungen ist meist von geradezu archaischer Primitivität." Es ist in der Medizin unumgänglich, die Bio- graphie des Erkrankten in die For- schungsmethodik einzubeziehen.

Das ist bei Tierversuchen natürlich unmöglich. — Psychosomatische Tierversuche werden am ungeeig- neten Objekt mit ungeeigneten Mit- teln von unqualifizierten Forschern durchgeführt.

Nach Mitscherlich ist die naturwis- senschaftliche Medizin eine subjekt- lose Medizin. Man kann das psy- chosomatische Ziel nicht ins Auge fassen, wenn man vom Wunsch der Objekterkenntnis behext bleibt und die Subjektivität, die dem Objekt unauflöslich anhaftet, verschweigt.

Die allgemeine Fehlentwicklung der Wissenschaft, die Schaefer be- klagt, hat bekanntlich nach Mit- scherlich zu einer gesetzmäßigen Abstumpfung des ethischen menschlichen Empfindens geführt.

Mitscherlich: „Wenn wir den Schritt von der Veterinärmedizin zur Humanmedizin wagen, müssen wir für ein Gespräch bereit sein."

Nur wenn die Wissenschaft bereit ist, ihre ausbeuterische, fordernde Haltung aufzugeben, könnte sie vielleicht der Menschheit nützen.

Wie die Wissenschaftler bei der Chirurgie

keine echte Alternative, weil wir sie eigentlich nur vom Patienten her betrachten dürfen. Der kranke Mensch verlangt im Endeffekt die Integration. Wir müssen uns indes- sen fragen, welche Momente der Autonomie und welche der Integra- tion wesentlicher sind. Integration tut dort not, wo die Probleme der allgemeinen Patientenbehandlung liegen.

Mir scheint die departementale Or- ganisationsform die mögliche Lö- sung unserer interdisziplinären Probleme darzustellen. In sie kön- nen — ohne Opferung ihrer eige- nen Dynamik — selbständig ge- wordene Disziplinen wieder zu- rückfinden. Alle Beteiligten — nicht zuletzt der Patient — werden davon profitieren. Die Weiterbil- dung der jungen Ärzte wird ver- mehrte Anregung erfahren, und je- des Spezialgebiet zieht sicherlich seinen Nutzen aus dem steten Ver- folgen der Fortschritte anderer Dis- ziplinen, da sich immer wieder Par- allelen ergeben. Die in einer inte- grierten Einrichtung weitergebilde- ten Spitalärzte werden am besten in der Lage sein, als Chefärzte und leitende Ärzte Aufgaben in kleine- ren Spitälern zu übernehmen — sofern sie wirklich bis zu der Über- nahme einer solchen Stelle im Not- falldienst verantwortlich tätig sind.

Ich mache mir keine Illusionen — das Überschneiden der Arbeitsge- biete in den vorgeschlagenen Mo- dellen stellt Probleme der Tole- ranz, die im Alltag nicht immer leicht lösbar sind. Lösen wir sie, so können wir das heutige System in einer menschlich ansprechenden und hinsichtlich der Kosten ver- nünftigen Weise ausbauen. Lösen wir sie nicht, so wird es wohl in re- lativ kurzer Zeit durch ein zentrali- stisches, sehr teures System von Spitalzentren der Spezialisten ab- gelöst.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med.

Martin Allgöwer

Departement für Chirurgie der Universität Basel Kantonsspital

CH-4000 Basel (Schweiz)

Die Zukunft der Medizin

Zu dem Aufsatz von Professor Dr. Hans Schaefer in den Heften 8 und 9/1975

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