A 1630 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 39|
26. September 2014PSYCHISCHE GESUNDHEIT
Arbeit als Belastung und Schutz
Psychische Belastungen am Arbeitsplatz gehören zu den Risikofaktoren für
psychische Störungen. Die Betriebe sollten diese in den Gefährdungsbeurteilungen abbilden, fordern Experten. Doch an der Umsetzung hapert es noch.
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sychische Belastung am Ar- beitsplatz ist einer von vielen Faktoren für die Entstehung von psychischen Störungen. Gleichzei- tig ist Arbeit jedoch auch ein Schutzfaktor, denn psychische Er- krankungen, und als häufigste die Depression, sind bei Arbeitslosen besonders hoch. Die Zusammen- hänge sind komplex. Grund genug für die Organisatoren des Kongres- ses „Psychische Gesundheit 2030“, der am 18. September unter der Schirmherrschaft des Bundesge- sundheitsministeriums in Berlin stattfand, die Arbeitswelt in den Mittelpunkt zu stellen.Als belastend empfinden viele Ar- beitnehmer hohe Verantwortung, ein hohes Arbeitstempo, Multitasking, die Forderung nach Medienkompe- tenz sowie mangelnde Wertschät- zung bei der Arbeit, berichtete Chris- tel Bayer vom Arbeitsministerium Nordrhein-Westfalen anhand einer Beschäftigtenumfrage. Unterneh- men müssten gesundheitsgerechte Arbeitsplätze anbieten und psy- chische Belastungen in den Gefähr- dungsbeurteilungen abbilden. „Bei den Betrieben besteht in dieser Hin- sicht jedoch eine große Unsicherheit, und häufig werden Gefährdungsbe- urteilungen gar nicht durchgeführt“, sagte die Leiterin der Abteilung Ar- beitsschutz. Um psychische Belas- tungen angemessen beurteilen zu können, bedürfe es einer Zusam- menarbeit von Führungskraft, Be- triebsarzt und Betriebsrat. Eine ent- scheidende Rolle spielten insbeson- dere gut geschulte Führungskräfte.
Noch keine Anti-Stress- Verordnung auf Bundesebene
Die Aufgabe der Politik sei es zu- dem, die gesetzlichen Rahmenbe- dingungen festzulegen. „Die soge- nannte Anti-Stress-Verordnung als Ergänzung zum Arbeitsschutzge-setz konnte sich auf Bundesebene noch nicht durchsetzen“, bedauerte Bayer. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hatte im Au- gust angekündigt, 2015 Kriterien für eine solche, unter anderem von den Gewerkschaften geforderte Verordnung vorlegen zu wollen.
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte allerdings gleichzeitig mitgeteilt, dass er bei diesem Thema Arbeitgeber und Ge- werkschaften in der Pflicht sehe und nicht den Gesetzgeber. Davon abgesehen ziele auch das bestehen- de Arbeitsschutzgesetz auf den Schutz der psychischen Gesund- heit. „Wir haben keinen Mangel an Wissen, sondern einen Mangel an Umsetzung in den Betrieben“, be- tonte Bayer jedoch.
Dem Zusammenhang zwischen Depressionen und Arbeitslosigkeit ging Dr. Uwe Rose von der Bun- desanstalt für Arbeitsschutz und Ar- beitsmedizin nach. „Studien zeigen, dass Depressivität negative Auswir- kungen auf die Beschäftigungsfä- higkeit hat“, sagte Rose. Depressio- nen führten häufig zum Jobverlust und in die Langzeitarbeitslosigkeit, bei älteren Arbeitnehmern häufig auch in die Frühverrentung. De- pressionen seien im Übrigen bei Ar- beitslosen sehr hoch. Gleichzeitig gebe es neben dieser Selektionshy- pothese aber auch Evidenz dafür, dass Arbeitslosigkeit krank mache, die Kausalitätshypothese also. „Ar- beitslosigkeit führt zu Überschul- dung, Herz-Kreislauf-Erkrankun- gen, schlechterer psychischer Ge- sundheit und damit schlechteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt“, sagte Rose.
Aus dem Publikum kam der Ein- wand, dass Depressionen gut be- handelbar seien und die Betroffe- nen danach wieder im Betrieb ein- gesetzt werden könnten – die Selek-
tionshypothese also sehr stigmati- sierend wirke. Dieser Aussage schloss sich Dr. med. Andreas Tautz, Chief Medical Officer Cor- porate Health Management der Deutschen Post DHL, an. Bei dem weltweit tätigen Unternehmen habe man sich auf einen Gesundheitsbe- griff festgelegt durch den auch chronisch Kranke am Arbeitsleben teilhaben könnten.
„Burn-out“ heißt woanders schlicht Erschöpfung
Der Vorstandsvorsitzende der Stif- tung Deutsche Depressionshilfe, Prof. Dr. med. Ulrich Hegerl, Leip- zig, wies darauf hin, dass der Be- griff Burn-out meist als Ausweich- begriff für eine Depression verwen- det werde. Die meisten „Burn-out“- Patienten erfüllten die Diagnosekri- terien einer Depression, nämlich Verlust an Interesse und Freude, ge- störten Antrieb und Schlafstörun- gen. „Der Begriff Burn-out ist im Übrigen ein Phänomen in den deutschsprachigen Ländern. Woan- ders heißt es schlicht Erschöpfung“, sagte Hegerl. Eine Depression bes- sere sich nicht durch Ausruhen oder Auszeiten, daher seien auch Krank- schreibungen für die Betroffenen eher kontraproduktiv. Ob Stress - präventionsmaßnahmen Depressio- nen vorbeugen, sei auch fraglich.
„Wichtig ist es vor allem, die Ver- sorgung der Betroffenen zu opti- mieren – hier gibt es noch Verbesse- rungsspielräume“, betonte Hegerl.
Sinnvoll sei auch, Führungskräfte in der Kommunikation mit poten- ziell Betroffenen zu schulen. Eben- so würden psychosoziale Coachings in Job-Centern dazu beitragen, ar- beitslose Betroffene angemessen zu unterstützen. Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe koordiniert ent- sprechende Schulungen.
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Petra Bühring