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In der Krise von Hyperinflation u

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1 U. Pfister: Deutsche Wirtschaft seit 1850 (WS 2019/20)

»Goldene Zwanziger Jahre«?

1. Haupttendenzen

a. Eine kurze und schwache Erholung bis 1929. (1) Volkseinkommen. Aufgrund der Krise in der Hyperinflation (1923) u. dem industriellen Produktionseinbruch 1926 (»Rationali- sierungskrise«) erholte sich das Volkseinkommen nur beschränkt vom Einbruch des 1.

WK. 1925 lag das reale Volkseinkommen pro Kopf knapp unter, 1929 knapp über dem Niveau von 1913. — (2) Beschäftigung. In der Krise von Hyperinflation u. Stabilisierung 1923/24 stieg die Arbeitslosigkeit von Industriearbeitern über 10%. Mit Ausnahme von 1925 sank sie danach nie unter 8% u. blieb deutlich über dem Niveau von 1920–1922. — (3) Hohe Zinsen. Im internationalen Vergleich lag der kurzfristige Zinssatz nach der Sta- bilisierung von 1924 hoch (z. B. mit Ausnahme der Krise von 1926 um mind. 1–2% über dem Diskontsatz in den USA).

b. Die Entstehung des Sozialstaats (ABELSHAUSER 1987). Die Weimarer Verfassung enthielt (im Unterschied zur BRD) Sozialrechte: Recht u. Pflicht auf Arbeit, Recht auf materielle Versorgung, Gesundheit, Wohnraum; soziale Verpflichtung des Eigentums;

Schutz der Arbeit (Tarifrecht, Sicherheit am Arbeitsplatz, Schutz vor Überausbeutung).

Als Folge (1) Anstieg der Staatsquote. Öffentliche Ausgaben/Volkseinkommen 1909–

1913 14,5%, 1925–1929 25,8%, Steuerquote 1913 9%, 1925 17%. Sozialausgaben ver- dreifachten sich; 1924–1926 wichtige Leistungsgesetze in den Bereichen Sozialfürsorge, Wohnungsbau u. Einführung der Arbeitslosenversicherung. — (2) Staatliche Regelung des Arbeitsmarkts. Nach Zerfall der ZAG (05.11.19, §4.c) Aufbau der staatl. Zwangs- schlichtung von Arbeitskonflikten: 1924–1932 76000 Verfahren mit 4000 staatl. Ver- bindlichkeitserklärungen, die zunehmend an die Stelle von Vereinbarungen unter den Ta- rifparteien traten (BÄHR 1989).

2. Eine fragile außenwirtschaftliche Position

a. Entwicklung des Reparationsregimes. (1) Anfänge. Forderung nach dt. Reparationen im Versailler Vertrag 1919 in unspezifizierter Höhe. Im Londoner Ultimatum (Mai 1921) Festlegung einer hohen Reparationssumme von 132 Mia. Goldmark u. Forderung der Aufnahme sofortiger Zahlungen, der mit der Ruhrbesetzung im Januar 1923 Nachdruck verliehen wurde. — (2) Neuregelung 1924 mit Dawes-Plan, der die Zahlungen erstreckte u. eine Reparationsagentur einrichtete, die bei Transferschwierigkeiten eine Verminde- rung von Zahlungen empfehlen konnte, d. h. Reparationen waren anderen Forderungen gegenüber nachrangig. Unter dem Dawes-Plan wurden bis 1930 ca. 7,6 Mia. RM geleis- tet. Ihre Finanzierung erfolgte v. a. mit Kapitalimporten (s. u.). — (3) Um echte Transfers und einen Vorrang der Reparationszahlungen vor anderen Verpflichtungen zu erreichen, erfolgte ab Frühjahr 1929 die Ausarbeitung des Young-Plans (1930). Zwar wurden die Gesamtschuld herabgesetzt u. die Zahlungen zeitlich weiter gestreckt, aber Reparationen hatten vor anderen Verpflichtungen Vorrang. — (4) Angesichts der deutschen Zahlungs- krise (§2.d) 1931 Hoover-Moratorium u. 1932 Aufhebung der Reparationsschuld im Lausanner Abkommen. Insgesamt wurden ca. 21–30 Mia. RM Reparationen geleistet.

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b. Nomenklatur der Zahlungsbilanz. Übertragungsbilanz = Zinszahlungen auf Kapi- talanlagen + andere Überweisungen (Reparationen, Überweisungen von Gastarbeitern).

Leistungsbilanz = Handelsbilanz (Exporte – Importe) + Dienstleistungsbilanz + Übertra- gungsbilanz. Kapitalbilanz: Kapitalimporte – Kapitalexporte (nicht umgekehrt!). Ge- samtbilanz: Leistungsbilanz + Kapitalbilanz – Veränderung der Zentralbankreserven = 0.

Eine negative Leistungsbilanz kann also entweder durch einen Rückgang der Gold- und Währungsreserven der Zentralbank oder durch Kapitalimporte ausgeglichen werden.

c. Die Zahlungsbilanz in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre. (1) Handelsbilanz. D wies in der Regel aufgrund einer stark negativen Handelsbilanz eine negative Leistungs- bilanz auf. Gründe: (i) Fehlende Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft aufgrund zu höher Löhne?  §3. (ii) Protektionistische Außenhandelspolitik der USA trug zu ak- tiver Handelsbilanz mit Westeuropa bei. — (2) Reparationen umfassten 2,5–3% des Volkseinkommens bzw. knapp 10% der Staatseinnahmen. — (3) Kapitalimporte. Nega- tive Handelsbilanz u. Reparationen wurden durch hohe Kapitalimporte v. a. aus den USA ausgeglichen. 1930 machten die dt. Auslandsschulden 26,5 Mia. RM aus (ca. 40% des Volkseinkommens). Hauptformen: dt. Regierungsanleihen, die durch US-amerikanische Privatanleger gezeichnet wurden; kurzfristige Verschuldung dt. Geschäftsbanken im Aus- land, um von Zinsdifferenzialen zu profitieren. Die Hochzinspolitik der Reichsbank (§1.a/3) diente somit dem Anziehen von Kapitalimporten.

d. Reparationsregime, Kreditrationierung und Zahlungskrise (RITSCHL 2002, Kap.

3). Die Schwere der dt. Wirtschaftskrise ab 1929 hing eng mit der Entwicklung des Re- parationsregimes zusammen. Während Reparationen unter dem Dawes-Plan nachrangig waren, wurden sie unter dem Young-Plan (Höhe ca. 34 Mia. RM) kommerziellen Kredi- ten u. Anleihen (Höhe ca. 25 Mia. RM) gleichgestellt. Die gesamten Auslandsverbind- lichkeiten machten nun etwa 80% des Volkseinkommens, Zinsen + Reparationen mach- ten 1930 ca. 23% der Exporte aus. Vor dem Hintergrund dieses Regimewandels u. eines sinkenden Welthandels sank das Vertrauen in Zahlungswillen u. -fähigkeit Deutschlands rasch; Kapitalimporte gingen 1928–1931 um 79% zurück. Devisenabflüsse trugen zur Schwere von Bankenkrisen, insbes. im Sommer 1931, bei. Zu ihrer Begrenzung musste die Reichsbank bei Wiederöffnung der Bankschalter Juli/August 1931 den Diskontsatz auf 10 bzw. 15% erhöhen. Zugleich wurde eine Devisenbewirtschaftung (konkret: be- grenzte Bedienung ausländischer Verpflichtungen) eingeführt, u. Reparationszahlungen wurden gestundet (Hoover-Moratorium). Faktisch war Deutschland zahlungsunfähig, u.

die Konvertibilität der Währung wurde eingeschränkt. Zwar aktivierte sich ab 1930 die Handelsbilanz, doch reichte die Höhe nicht aus, um die Auslandsverpflichtungen ohne Neukapital zu erfüllen.

3. Wachstumsschwäche wegen zu hoher Löhne? — Die erste Borchardt-Kontroverse a. Die These. (1) Anstieg von Löhnen u. Lohnquote. In den 1920er J. nahm die Lohnquote zu (20.01.09, §3.f). Die realen Lohnstückkosten (d. h. Löhne/Produktion) stiegen 1913–

1925 um ca. 13%, 1913–1928 um ca. 17%, während sie in GB nur um ca. 4% zunahmen.

Eventueller Grund: Staatliche Zwangsschlichtung setzte 1924–1930 Lohnerhöhungen

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3 U. Pfister: Deutsche Wirtschaft seit 1850 (WS 2019/20)

von ca. ½ der gewerkschaftlichen Forderungen durch. — (2) Ersparnisse. Lohnabhängige weisen i. d. R. ein geringeres Einkommen auf als Bezüger von Kapitaleinkommen u.

Selbständige. Die Sparquote korreliert mit dem Einkommen. Der Reallohnanstieg führte somit zu einer Erhöhung des Konsums bzw. zur Reduktion der Ersparnisse. — (3) Leis- tungsbilanz. Geringe Konkurrenzfähigkeit dt. Erzeugnisse wegen hoher Lohnstückkosten führte zu einer Verschlechterung der Leistungsbilanz, was die Zentralbank in einem Re- gime fester Wechselkurse zu einer Politik hoher Zinsen veranlasste. — (4) Kapitalbil- dung. Geringe Ersparnisse u. hohe Realzinsen führen zu geringer Kapitalbildung. Tat- sächlich war die Investitionsquote 1925–1929 mit knapp 10% sehr tief (vor 1914 ca. 12%, 1950er J. ca. 18%). — (5) Produktivitäts- und Einkommenswachstum. Als Folge geringer Investitionen wuchs die Kapitalintensität in D langsamer als in den USA (1913–1929 0,9% vs. 3,0% p.a.), so dass wichtige kapitalintensive Innovationen nicht oder spät über- nommen wurden (z. B. Fließarbeit)  geringes Einkommenswachstum, hohe Verletz- lichkeit gegenüber Weltwirtschaftskrise.

b. Diskussionsstand. Die These ist umstritten. Die Diskussion dreht sich z. T. um Qualität von Daten u. Indikatoren. Wichtige Studien untersuchen Zeitreihen; ihre Aussa- gekraft wird durch die geringen Fallzahlen beeinträchtigt. Die Überprüfung der These in ihrer Gesamtheit ist deshalb schwierig; die folgenden Aussagen sind mit Unsicherheit behaftet (zuletzt vor allem RITSCHL 2002: Kap. 2).

c. Test 1: Existenz von Lohnrigidität? Lohnrigidität nach unten (»zu hohe Löhne«) impliziert, dass der Arbeitsmarkt nicht geräumt wird u. ein Arbeitsangebotsüberhang ent- steht. Lohnrigidität liegt vor, wenn — unter Konstanthaltung von Faktoren, die die Ar- beitsnachfrage bestimmen, z. B. der Größe des Kapitalstocks — zwischen Reallohn u.

Beschäftigung eine negative Beziehung festgestellt werden kann. RITSCHL (2002) findet eine Reallohnelastizität von –0,5  Hinweis auf Löhne über dem Niveau der Arbeits- markträumung.

d. Test 2: Investitionsfunktion. (1) In Punkt 4 geht obige These von einer Investiti- onsfunktion aus in der Art von: It = 0 + 1St-1 + 2rt, wobei I Investitionen, S (weitge- hend gesparte) Unternehmensprofite, r den Zinssatz u.  die Schätzparameter (Elastizitä- ten) bezeichnen. Die These argumentiert, dass der Anstieg der Löhne S vermindert habe, was seinerseits I negativ beeinflusst haben soll (1>0). Die Verringerung von Ersparnis- sen durch die Einkommensumverteilung zu Gruppen mit geringer Sparneigung habe zu einer Erhöhung von r geführt, was seinerseits wieder negativ auf I gewirkt habe (2<0).

— (2) Evidenz. Der Zusammenhang zwischen Löhnen u. S ist bislang nicht untersucht worden; in der 2. H. 1920er J. waren aber Eigenkapitalrenditen gering (SPOERER 1996).

Ergebnisse verschiedener Studien sind widersprüchlich: Es ist unklar, ob r wirklich einen negativen Einfluss auf I ausübte (d. h. ob gilt 2<0) und ob hohe Löhne über die Verrin- gerung von Ersparnissen zu geringen Investitionen geführt haben.

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4. Konzentration und Rationalisierung in Industrieunternehmen

Im Vergleich zum Arbeitsmarktgewicht eher zu hohe Löhne u. niedrige Eigenkapitalren- diten der Unternehmen übten einen Druck zur Substitution von Arbeit durch Kapital in Gestalt der Rationalisierung von Arbeitsplätzen u. zur Unternehmenskonzentration aus.

a. Innovationstätigkeit und Rationalisierung. In Gefolge des Ersten Weltkriegs ging die deutsche Industrie ihrer im Ausland gehaltenen Patente verlustig (zentral insbes. für die chemische Industrie), u. sie geriet teilweise in technologischen Rückstand gegenüber den USA (Maschinenbau). In den 1920er J. war die Innovationstätigkeit deshalb u. a. auf das Wiedergewinnen des Anschlusses an die internationale technologische Entwicklung geprägt. Ausgehend von den USA (Taylorismus, Fordismus) Rationalisierungsbewe- gung, bei der Arbeitsverrichtungen optimiert, zerlegt u. besser aufeinander abgestimmt wurden (HINRICHS/PETER 1976; KLEINSCHMIDT 1993). Allerdings im Vgl. zu den USA langsamere Entwicklung.

b. Unternehmenskonzentration. Neben niedrigen Eigenkapitalrenditen förderte auch die Relevanz der Innovationstätigkeit Unternehmenskonzentration: Größere u. bereits bisher innovative Unternehmen brachten auch in den 1920er J. überdurchschnittlich viele Innovationen hervor, was sie zu Lasten kleinerer Konkurrenten wachsen ließ. Einerseits Zusammenschlüsse zu ganze Branchen umfassende Großkonzernen: IG Farben 1925 (HAYES 1992; Vereinigte Stahlwerke AG 1926 (RECKENDREES 2000). Andererseits führ- ten technische Innovationen in bisher kleinbetrieblich geprägten Branchen zu Konzentra- tion und Kartellierung. Bsp.: Glasindustrie, wo handwerkliche Betriebe verschwanden.

Zitierte Literatur

ABELSHAUSER, Werner (Hg.): Die Weimarer Republik als Wohlfahrtsstaat (Stuttgart:

Steiner, 1987).

BÄHR, Johannes: Staatliche Schlichtung in der Weimarer Republik (Berlin: Colloquium, 1989).

BORCHARDT, Knut: Wachstum, Krisen, Handlungsspielräume der Wirtschaftspolitik:

(Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1982).

HAYES, Peter: »Zur umstrittenen Geschichte der I. G. Farbenindustrie AG,« Geschichte und Gesellschaft 18 (1992), 405–417.

HINRICHS, Peter und Lothar PETER: Industrieller Friede? Arbeitswissenschaft, Rationali- sierung und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik (Köln: Pahl-Rugenstein, 1976).

JAMES, Harold: Deutschland in der Weltwirtschaftskrise 1924–1936 (Stuttgart: DVA, 1988).

KLEINSCHMIDT, Christian: Rationalisierung als Unternehmensstrategie: die Eisen- und Stahlindustrie des Ruhrgebiets […] (Essen: Klartext, 1993).

RITSCHL, Albrecht: Deutschlands Krise und Konjunktur 1924–1934 (Berlin: Akademie, 2002).

SPOERER, Mark: Von Scheingewinnen zum Rüstungsboom: Die Eigenkapitalrendite der deutschen Industrieaktiengesellschaften 1925–1941 (Stuttgart: Steiner, 1996).

Referenzen

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