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Archiv "Anforderungen an leitende Ärzte der Psychiatrie" (29.08.1994)

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THEMEN DER ZEIT AUFSÄTZE

Anforderungen an leitende Ärzte der Psychiatrie

Die Psychiatrie, mehr noch als andere Bereiche, ist ein „sprechendes Fach".

Deshalb muß man an zukünftige Leiter andere, eventuell zusätzliche Erwar- tungen stellen als an andere hochspezialisierte Ärzte, zum Beispiel Thoraxchir- urgen, Nephrologen und andere, die Leitungsfunktionen übernehmen. Neben hoher fachlicher Qualifikation, so erste Ergebnisse einer Befragung, wird „so- ziale Kompetenz" erwartet. Ein psychiatrischer Chef soll — euphemistisch for- muliert — „lieb und stark" sein))

Frank Rollmann

Allgemein bekannt ist, daß jed- wede Abteilung in einer Organisati- on sehr stark durch die Persönlich- keit des jeweiligen „Chefs" geprägt ist. Ein Melancholiker wird (idealty- pisch) ein freundlich gestimmtes, warmes Arbeitsklima fördern, ein eher zwanghaft strukturierter Mensch wird sehr auf Ordnung, Struktur und Akkuratesse achten.

Beim hysterisch geprägten wird es vermutlich „drunter und drüber" ge- hen, wohingegen ein eher schizoid geprägter Mensch ein kühl sachlich- rationales Klima fördern wird. Das Normale wird eine Mischform von vielem sein.

Um so wichtiger erscheint es, die der formalen Autorität und argu- mentativen Macht untergeordneten Assistenzärzte nach ihren Vorstel- lungen hinsichtlich der Eigenschaf- ten, die zur Führung qualifizieren, zu befragen.

Eine Befragung von nachgeord- neten Ärzten im Bereich des Landes- krankenhauses Merzig und der Her- ner Klinik erbrachte erste Hinweise hinsichtlich der Qualitätsanforderun- gen, denen ein Chef gerecht werden soll. Neben einer Facharztweiterbil- dung im Fach Psychiatrie wird oblie- gst eine Qualifikation in Psychothe- rapie erwartet, verbunden mit mehr- jährigen Erfahrungen in der klini- schen Psychiatrie. Auch das Lebens- alter sollte nicht zu niedrig sein. Man verlangt von solchen Persönlichkei- ten eingehende Kenntnisse „vor Ort", im Sektor. Neben Führungs- qualitäten nach innen, wünscht man

sich Durchsetzungsfähigkeit gegen- über Vertretern anderer medizini- scher Disziplinen, eine Bereitschaft zu unorthodoxen Denkweisen und Problemlösungsstrategien und Frei- heit von übersteigerten Persönlich- keitszügen, wie zum Beispiel einem übertriebenen persönlichen Gel- tungsbedürfnis oder unterkühlter Sachlichkeit. Würde dies doch seine Fähigkeit zur Zusammenarbeit im Team, seine Fähigkeit zum Zuhören, seine Offenheit für die Probleme sei- ner Mitarbeiter und damit das Ver- trauen seiner Mitarbeiter in ihn in Frage stellen.

Demokratischer Führungsstil

Die fachliche Kompetenz des Chefs soll spürbar, erlebbar sein, im Sinne einer „natürlichen" Autorität.

Dies verbunden mit einer Bereit- schaft, Wissen und Erfahrungen an seine Kollegen weiterzugeben, päd- agogisch und didaktisch gekonnt.

Entscheidungsfähigkeit bei haltender Kritikfähigkeit, auf dem Boden be- gründeter Entscheidungen, werden erwartet. Die Kollegen sollen wahr- genommen und ernstgenommen wer- den. Man erwartet eine Förderung der Selbständigkeit und des Selbst- vertrauens.

Ganz allgemein erwartet werden Managementkenntnisse, in be- schränktem Umfang auch betriebs- wirtschaftliche Kenntnisse, mehr je- doch das Vermögen zur internen Or-

ganisationsberatung und Organisati- onsentwicklung.2)

Gewünscht wird ein „demokra- tischer Führungsstil", soweit dies möglich erscheint. Zur Not werden ihm auch autokratische Entscheidun- gen zugebilligt, soweit dabei eine Transparenz der Entscheidungen so- wohl in der Therapie und der Perso- nalpolitik im Sinne eines Willens zur Offenheit erhalten bleibt.

Zudem wünscht man sich seine Präsenz „vor Ort", auf der Station.

Handeln, getragen von Geduld und Liebe, verbunden mit dem Wissen um den Faktor „Lernen am Modell".

Eine gewisse patriachalische Wir- kung vermittelt über Lob und Tadel wird erwartet, jedoch gemildert durch umfangreiche Kenntnisse und Selbstkritik, die einen Leiter zu Be- scheidenheit und Toleranz befähigen sollten.

Von besonderer Bedeutung scheinen also Persönlichkeitszüge zu sein, die sich benennen ließen als Lernbereitschaft, Sensibilität, Prä- senz, Teamfähigkeit, Vertrauen, Souveränität, demokratische Hal- tung, Entscheidungsfähigkeit und -willigkeit, Begeisterungsfähigkeit, Phantasie, Realitätssinn, Humor und nicht zuletzt Ausstrahlung, Engage- ment (Charisma).

Weiterhin soll der Leiter die Fä- higkeit zur Zusammenarbeit mit an- deren Abteilungen besitzen, aber auch die Fähigkeit zu (sozial-)poli- tischem Denken und Handeln, um das von ihm zu vertretende, letztlich politische Ziel „eine optimale Ver-

Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 34/35, 29. August 1994 (29) A-2229

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THEMEN DER ZEIT

sorgung der Schwächsten" zu errei- chen. Als Manager soll er einen Rah- men und ein Klima schaffen, der ei- nen Ort des Lernens möglich macht, Erkenntnisse des sozialen Manage- ments besitzen, die Fähigkeit ange- messen zu delegieren und sich unter Umständen auf koordinierende Funktionen der Organisation zu be- schränken. Im weitesten Sinne soll- ten also integrative Fähigkeiten nach innen, bei der Fähigkeit sich nach au- ßen, zum Beispiel gegenüber der Verwaltung, durchzusetzen, gegeben sein.

Über Fachkompetenz soll er Ru- he statt Hektik verbreiten, klare An- weisungen weitergeben, hinter den Stationsärzten und dem nichtärztli- chen Personal stehen, wenn Schwie- rigkeiten auftreten und bei all dem sachlich korrekt sein.

Ist das alles nun zuviel verlangt?

Erwarten und erhoffen die befragten Assistenten einen idealen Menschen- typus, den es nicht gibt? Übersehen sie wesentliche Aufgaben und Anlie- gen, die an den Leiter einer psychia- trischen Abteilung herangetragen werden sollten?

Über das Genannte hinaus ist doch wohl von herausragender Be- deutung soziales, kulturelles und po- litisches Engagement, ein Tätigwer- den in der Öffentlichkeit Damit ver- bunden Wachheit und Offenheit für neue Entwicklungen, verbunden mit der Fähigkeit, neue Impulse aufzu- greifen und in der Organisation der jeweiligen Klinik wirksam werden zu lassen.

Vergessen wird auch, weil im Assistenzarztalltag nicht sehr erfahr- bar, die Frage der Zusammenarbeit nach außen, in der psychosozialen Versorgung der Kommune, der Regi- on oder des Sektors (sozialpsychiatri- scher Dienst, betreutes Wohnen, Kontakt- und Beratungsstellen, Hei- me, Tagesstätten, Wohnen für psy- chisch Behinderte).

Offenkundig scheint zumindest, daß ein Leiter mit natürlicher Auto- rität gesucht wird und dabei die Bin- nenbedürfnisse einer Klinik deutlich wahrgenommen werden. Dabei scheint es durchaus so etwas wie eine offene Bereitschaft zur Unterord- nung zu geben. „Autorität, die von außen kommt, begegnet, wenn sie

AUFSÄTZE

wahr ist, einem Von-Innen, das ihr glaubt."3)

Auffällig ist, das nicht nach neu- en, über eine Kliniksatzung festzu- schreibende, Strukturen der „Quali- tätskontrolle und Partizipation" ver- langt wird.

Problematisch scheint der Weg, einen solchen befähigten Leiter zu finden. Einerseits liegt es nicht im Ermessen der nachgeordneten Ärzte Vorschläge hinsichtlich der Beset- zung von Abteilungsleiterpositionen zu unterbreiten, sie können lediglich argumentativ einwirken. Anderer- seits, wie sollte man solch eine Per- sönlichkeit finden? Hierzu bedürfte es auch einer nachdenklichen Analy- se der Auswahlprozeduren und Kri- terien seitens der einstellenden Trä- ger. Habilitation und Professur wer- den von den Befragten nicht als not- wendige Voraussetzung oder wesent- liches Qualifikationsmerkmal erach- tet. Ob dies unter Umständen sogar als Abneigung (im Sinne von Vorur- teilsbildung) interpretiert werden muß, konnte im Rahmen der Aus- wertung der Angaben nicht geklärt werden. Zumindest scheint man den Absolventen einer Universitätspsych- iatrie nicht automatisch höhere Qua- lifikation unterstellen zu wollen.

Praktische Erfahrung

Wichtiger ist den Ärzten „prakti- sche Erfahrung" vor Ort, im Sektor.

Ob damit gemeint ist, daß zukünftige Leiter sich hausintern hochdienen können sollten, bleibt unklar. Jedoch können Hausberufungen kaum sinn- voll sein, würde dies doch der Liebe- dienerei im Interesse der Karriere Tür und Tor öffnen.

Wo bleibt die Verbindung mit dem „großen Ganzen", der Psychia- triebewegung, der sozialen Bewe- gung? Wo der Nachweis „das Neue als das Bessere" zu wollen. Welche

„Marktplätze", welche Volksver- sammlungen stehen zur Verfügung, auf denen sich Interessierte qualifi- zieren können, oder kommen eventu- ell nur hochmotivierte Charaktere zum Zug, die über genügend inneren Drang zur Selbstdarstellung verfü- gen. Wie schließt man das „Peter- Prinzip", das besagt, daß jemand so-

lange befördert wird, bis er die Stufe der Inkompetenz erreicht hat, aus?

Geht dies nur über den Weg der Empfehlung durch ausgewiesene Ka- pazitäten? Welche Experten empfeh- len dann, wen, warum?

Nach welchen erfahrbaren Kri- terien wird ausgewählt? Welche Qualifizierungswege stehen zur Ver- fügung? Kann es Lehr- oder Studien- gänge für angehende Leiter geben, wenn nachgewiesen wäre, daß eine Oberarztlaufbahn nicht alle erforder- lichen Vorqualifikationen erbringen könnte? Insgesamt scheint es mehr offene Fragen als erste Antworten zu geben.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Frank Rottmann, M. San.

Städtische Kliniken Duisburg Maiblumenstraße 1-7 47229 Duisburg

1) Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus je einer Teilnehmerin beziehungsweise ei- nem Teilnehmer des St. Marienhospitals Herne, des Landeskrankenhauses Mer- zig, der Fachklinik für Psychiatrie, Neu- rologie und Rehabilitation Schleswig, dem Wohnheimverbund Üchtingstraße Sozialwerk St. Georg in Gelsenkirchen und aus dem Bertha-Krankenhaus Duis- burg, trat erstmals im Rahmen der „4. in-

ternationalen Hemer Gemeindepsychiatri- schen Gespräche" zusammen. Vertreten waren damit alle Hierachieebenen des Ärztlichen Dienstes und eine leitende Krankenschwester. Ziel war es, auf Anre- gung von Frau Grosser, Herne, und Wer- ner, Merzig/Saarland, im Sinne der Qua- litätssicherung, Überlegungen hinsicht- lich der Einstellungsvoraussetzungen für leitende Ärzte im Bereich Psychiatrie und Psychosomatik zu formulieren. Die Arbeitsgruppe hofft, durch die Veröf- fentlichung erster Überlegungen einen Anreiz für eine allgemeine und öffentli- che Diskussion zu diesem Thema zu ge- ben.

2) In der Tat ist es so, daß viele der ge- wünschten Eigenschaften und Fähigkei- ten gerade jene sind, die ein Organisati- onsberater haben sollte. — Hierzu: Edwin C. Nevis. Organisationsberatung — Ein gestalttherapeutischer Ansatz, Köln 1988, Seite 111 ff.

3) Fritz Böversen: Der Einzelne, die Ge- meinschaft und die Autorität. Zum Auto- ritätsbegriff von Karl Jaspers. In: Kurt Salamun: Karl Jaspers — Zur Aktualität seines Denkens. München 1991, Seite 116

A-2230 (30) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 34/35, 29. August 1994

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