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Archiv "Brausen mir beide Ohren: Sappho schildert Psychosomatisches" (15.11.1990)

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Sappho und die Musen, dargestellt auf einem griechi- schen Tongefäß (Krater), aus Camarina, um 480 v. Chr.

Brausen mir beide Ohren

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

S

appho oder Psap- pho, wie es auf den Münzen von Mytile- ne steht, ist uns Ärzten von mehr als einer Seite her höchst interes- sant. Sie wurde vor über 2500 Jahren in Lesbos geboren, und ihr Name ist seither mit der gepriesenen ägäiischen Insel namentlich, und sie und die Insel mit den dauernden soziologisch-psychologisch- moralischen Problemen der

„sapphischen Liebe" und dem Lesbianismus verbun- den.

War Sappho überhaupt

„lesbisch"? Dies ist eine ganz zweideutige Frage, ebenso wie die viel zitierte griechi- sche männliche Homosexuali- tät. Wenn man genauer hin- sieht, zum Beispiel Platons Gastmahl liest, wird es einem klar, daß es sich um Homo- erotik bei manifester bi-sexu- eller menschlicher Konstituti- on handelt. Ebenso verhält es sich bei Sappho.

Sie war verheiratet und hatte eine von ihr heißgelieb- te Tochter. „Ich habe eine schöne kleine Tochter, ihre Gestalt ähnelt den goldenen Blumen, mein Liebling Kleis, ich tausche sie nicht für all Lydien . . ." So singt sie.

Obendrein soll sie sich (apo- kryphisch) aus enttäuschter Liebe zu einem (legendären) schönen Jüngling, Phaon, vom Felsen der Insel Leukas zu Tode gestürzt haben.

Sie war das Haupt eines romantischen Mädchenzir- kels, und mehrere ihrer erhal- tenen Gedichte sind Liebes- gedichte an die Mädchen.

Doch sagt schon Ovid: „Was hat denn die Lesbierin Sap- pho die jungen Mädchen ge- lehrt, wenn es nicht Liebe war?" Doch sei dies alles Mo- mos überlassen, der „den lau- ten Markt unterhalten" mag.

Denn viel wichtiger ist Sap- pho uns als Dichterin. Hat doch Platon gesagt: „Manche Leute geben an, daß da neun Musen seien. Wie nachlässig!

Sieh doch, Sappho aus Lesbos ist die zehnte." Sie wird, wie oft gesagt wird, als Lyrikerin nie wieder in irgendeiner Li- teratur erreicht.

heiten, insbesondere die der Liebesbesessenheit, aus.

Dieses Gedicht ist oftmals in viele Sprachen übersetzt worden. Mir liegen deutsche, englische und französische Übertragungen vor. Meines Erachtens ist die einzig er- folgreiche die Catulls ins La- teinische. Die anderen sind emotionell verflacht, viel- leicht zum Teil dadurch, weil es als Gelegenheitsgedicht, als Hochzeitscarmen, ver- kannt wurde. Es wäre zu lang- wierig, hier den Beweis zu führen, daß es dies nicht war.

Es handelt sich vielmehr um eine Eifersuchtsszene. Ich habe in meiner Übersetzung versucht, ihre Klage, den Ei- fersuchtsschmerz, die Ver- stimmung und — Giftigkeit durch entsprechende Wort- wahlen, Betonungen und Be- achtung der Rhythmen zu profilieren. Die von ihr be- schriebenen physischen Sym- ptome sprechen für sich selbst. Meine Bitte: das Ge- dicht laut lesen.

Die ersten zwei Strophen laut, feststellend, dann spitz, bissig werdend, eifersüchtig, dann bitter und klagend, so- zusagen mit geballten Fäu- sten, fußstampfend. Die drit- te leise klagend, abtönend, sich beschwerend, bis dann in den letzten zwei Versen der vierten Strophe Dehnung ein- tritt, elegisch, wegwerfend bis zur hoffnungslosen Konfu- sion und Resignation.

Wenn man sich einfühlt, kann man die seelischen und körperlichen Symptome nach- erleben. Eindrucksvoll ge- schildert sind die chaotischen Störungen des autonomen Nervensystems: Erröten, Er- blassen, Zittern, trockene Kehle und Schweißausbruch.

Vielleicht wird der Leser sich mit Gewinn der Einfühlung hingeben können. Dies sei be- sonders psychotherapeutisch Arbeitenden und psychoso- matisch denkenden Ärzten empfohlen.

Dr. med. D. J. Salfield Tresawsen Cottage Callestick

Truro TR4 9 HG Großbritannien Göttergleich, mir scheint's, ist der Mann: Er darf ja

Nahe bei dir sitzen, und du bei liebem Plaudern lässest ihn dir gegenüber lauschend Sich an dir weiden.

Süßes Lächeln immer dazu. Doch dann wird Mir das Herz in sehnender Brust erschrocken.

Immer, wenn ich dich nur erblicke, stock' ich, Werde ich sprachlos.

Dann erstirbt mir im Mund die Zunge, Überfließt mir plötzlich feurig die Haut und Schatten wehen vor meinen Augen, brausen Mir beide Ohren.

Schweiß in großen Tropfen rinnt an mir nieder, Zittern, Leichenblässe ergreift mich, und ich

Bin nun, scheint's, fast tot und in großer Drangsal...

Wehe mir Armen!

Sappho schildert

Wie alle Lyrik kann sie nur im Original voll genossen werden, heute mehr den je, denn die neuere philologische Forschung hat uns eine viel genauere Aussprache des klassischen Griechisch ge- lehrt, als wir es in der Schule gelernt haben. Nicht nur wur- de Lyrik, wie es das Wort an- deutet, zur Lyra gesungen;

sondern auch das Gesproche- ne wurde „gesungen". Die

Psychosomatisches

Akzente geben nicht die Be- tonung sondern Tonhebun- gen und Senkungen und de- ren Kombination an.

An Hand des vielleicht be- rühmtesten ihrer Gedichte will ich das uns Ärzten wahr- scheinlich interessanteste Phänomen vorzeigen, näm- lich: Sappho malt als wahr- scheinlich erste in der gesam- ten westlichen Literatur Psy- chosomatik in ihren Einzel-

A-3682 (118) Dt. Ärztebl. 87, Heft 46, 15. November 1990

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