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M E D I Z I N
(34) Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 3, 16. Januar 1998 auch keine Einsicht in die Notwendig-
keit einer Veränderung des Sexualver- haltens. Dies findet sich nicht selten bei pädophilen Straftätern. Hier muß es in der Behandlung vorrangig darum gehen, dem Betroffenen Möglichkei- ten zu eröffnen, sein sexuell-deviantes Verhalten besser zu kontrollieren.
1 Allen Sexualstraftätern ge- meinsam ist ein Mangel an Empathie, in besonders schweren Fällen fehlt sie völlig. Im Rahmen der Therapie muß diese über die emotionalen Kompo- nenten des Theapiegeschehens ge- weckt werden (9). Ziel ist die Fähig- keit, „sich in die Lage anderer hinein- zuversetzen, so als sei man ihr selber ausgesetzt“.
1 Insbesondere bei ambulanter Behandlung ist die prognostische Ein- schätzung einer möglichen Rückfall- gefahr von entscheidender Bedeu- tung. Diese Beurteilung ist vor allem dann besonders schwierig, wenn sich der Patient in einer Krisensituation befindet oder – möglicherweise auch durch die Behandlung selbst – eine zeitweilige innere Labilisierung ein- getreten ist. Hier ist auf seiten des Therapeuten ein besonderes forensi- sches und kriminologisches Fachwis- sen erforderlich (12, 16).
Behandlungsergebnisse
Obschon mittlerweile eine Viel- zahl an Einzelstudien zur Rückfall- prävention von Sexualstraftätern vor- liegen, sind hinsichtlich der Effekti-
vität der Behandlungsmaßnahmen bislang nur begrenzte Aussagen mög- lich. Dies liegt unter anderem an der Schwierigkeit, tatsächlich vergleich- bare Kontrollgruppen zu bilden. Zu- sammenfassende Untersuchungen der vorliegenden Einzelstudien haben je- denfalls eine offensichtliche Senkung der Rückfallgefahr durch eine Be- handlung nachgewiesen (7).
Wesentliche Ergebnisse dieser Metaevaluationen waren ferner:
1 Die rückfallpräventive Wir- kung der Behandlung wird mit zuneh- mender Länge des Beobachtungszeit- raumes immer deutlicher.
1 Die somatisch-medikamentö- sen Therapien zeigen keine besseren Ergebnisse als kognitiv-behaviorale Behandlungsprogramme.
1 Rein verhaltenstherapeuti- sche Vorgehensweisen erweisen sich als nicht sinnvoll und führen zum Teil sogar zu einer Erhöhung der Rück- fallzahlen.
Insgesamt kann also eine ver- mehrte Behandlung von Sexual- straftätern durchaus dazu beitragen, entsprechende Deliktrückfälle zu re- duzieren, wenn auch keineswegs in dem vielfach erhofften Ausmaß. Die bisherigen Behandlungsergebnisse rechtfertigen sicher nicht, jeden oder auch nur die überwiegende Zahl der Sexualstraftäter in ein Therapiepro- gramm übernehmen zu wollen, zumal die Begehung einer bestimmten Straftat nicht die alleinige Grundlage für eine Behandlungsindikation dar- stellen kann. Vielmehr ist in jedem
Einzelfall abzuwägen, ob eine Be- handlungsmaßnahme überhaupt er- forderlich ist und welches therapeuti- sche Vorgehen am ehesten geeignet erscheint. Dabei können sich verschie- dene Ansätze durchaus ergänzen.
Grundlage der Behandlung ist je- doch immer die genaue Diagnostik, von der ein zielgerichtetes therapeuti- sches Vorgehen abhängt. Dies erfor- dert auf seiten der Behandler neben einer fundierten psychotherapeuti- schen Ausbildung ein zusätzliches kri- minologisches Fachwissen sowie Kenntnisse über den langfristigen Verlauf derartig schwieriger Störun- gen. Von daher dürfte die Forderung nach einer erheblichen Ausweitung des Behandlungsangebotes in diesem Bereich schon in der vergleichsweise geringen Zahl an entsprechend quali- fizierten Therapeuten ihre Grenze finden.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1998; 95: A-88–90 [Heft 3]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über die Inter- netseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.
Anschrift für die Verfasser Dr. phil. Sabine Nowara
Institut für Forensische Psychiatrie Rheinische Kliniken Essen Virchowstraße 174
45147 Essen AKTUELL/FÜR SIE REFERIERT
Eine kanadische Arbeitsgruppe untersuchte bei älteren Menschen den Zusammenhang zwischen kogni- tiven Störungen und dem Vorliegen einer Demenz. Als Kognitionsstörun- gen werden vor allem Merkfähig- keitsstörungen, die eigenständig oder als Folge anderer Grunderkrankun- gen (Depressionen, Medikamenten- oder Alkoholabusus, psychiatrische Erkrankungen, vaskuläre Insuffi- zienz) auftraten, angesehen. Aus ver- schiedenen kanadischen Regionen
wurden 10 000 Menschen über 65 mit einem modifizierten psychologischen Test (Mini-Mental-State-Examina- tion) untersucht und entsprechend eingestuft.
Kognitionsstörungen traten bei 16,8 Prozent der untersuchten Perso- nen auf, eine Demenz fand sich bei 8,0 Prozent, beide Störungen nahmen mit höherem Lebensalter zu. Mit den Testkriterien ließen sich Demenz und Kognitionsstörung gut voneinander abgrenzen. Patienten mit kognitiven
Störungen wiesen häufig Defizite im funktionellen Status auf und waren dreimal häufiger in Institutionen un- tergebracht als solche ohne diese Störung.
Die Autoren betonen den eigen- ständigen Charakter von Kognitions- störungen und halten eine Abgren- zung gegenüber der Demenz für sinn-
voll. acc
Graham J E et al.: Prevalence and severi- ty of cognitive impairment with and with- out dementia in an elderly population.
Lancet 1997; 349: 1793–1796.
Dr. K. Rockwood, Division of Geriatric Medicine, Dalhousie University, QEII Health Sciences Centre, 5955 Jubilee Ro- ad, Halifax, NS B3H 2E1, Kanada.