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Archiv "Unfallchirurgie: „Pseudo-Orthopädie“" (09.10.1980)

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Aufsätze - Notizen

FORUM

Unfallchirurgie

„Pseudo-Orthopädie"

In seinem Artikel „Unfallchirurgie" — ein falsches Etikett? stellt Professor Koslowski die Frage, ob die Bezeich- nung „Unfallchirurgie" nicht ein fal- sches Etikett, eine Irreführung ist, die zu durchschauen die Öffentlich- keit und die Behörden, aber auch die nichtchirurgischen ärztlichen Kollegen nicht in der Lage sind. Er meint, daß es redlicher und den tat- sächlichen Verhältnissen gemäßer wäre, statt von „Unfallchirurgie" von

„Chirurgie des Stütz- und Bewe- gungssystems" zu sprechen.

Damit hat Koslowski eine zutreffen- de Situationsanalyse gegeben. Es ist bekannt, daß an unfallchirurgischen Kliniken bis zu 50 Prozent reine Or- thopädie betrieben wird, wobei der

„Unfall" das Etikett für fachfremde Behandlung ist. „Unfallchirurgen"

propagieren prothetische Operatio- nen bei Arthrosen, erklären sich zu Spezialisten für die Behandlung von Knochentumoren, betreiben „Chir- urgie des Stütz- und Bewegungssy- stems" — und sind dabei, die nach der Weiterbildungsordnung gefor- derte Beschränkung aufzugeben.

Dabei entsteht keineswegs aus- schließlich ein Spezialist für akute Verletzungen, sondern ein „Pseudo- Orthopäde". Wenn Koslowski weiter schreibt, daß eine Grenze zwischen Extremitätenchirurgie und operati- ver Orthopädie kaum zu ziehen sei, ist das richtig: es gibt nämlich kei- nen Unterschied und daher auch keine Grenze.

Namhafte Chirurgen waren es, die 1901 in Deutschland die Subspezia- lisierung der Extremitätenchirurgie aus der Chirurgie vollzogen und ei- ne orthopädische Chirurgie mit ope-

rativen und konservativen Inhalten begründeten. Die Orthopädie ist sich sehr wohl bewußt, daß sie ohne Chirurgie als Basis die ihr gestellten Aufgaben nicht erfüllen kann. Es ist daher überflüssig, daß sich bei uns der Vorgang von 1901 wiederholt und Unfallchirurgen erneut eine chirurgische Orthopädie aus der Taufe heben. Die Loslösung der Ex- tremitätenchirurgie aus der allge- meinen Chirurgie ist bereits erfolgt und damit ein Faktum, das im Wei- terbildungsrecht verankert ist. Wie- derholungsversuche von historisch gewordenen Vorgängen sind ein Anachronismus.

Als es noch keine Organgebiete gab, war der Chirurg der einzig Zuständi- ge für die Behandlung von Verlet- zungen. Er war nicht nur Chirurg, sondern auch der Unfallarzt. Mit zunehmender Organspezialisierung hat sich das geändert. Jedes Organ- oder Organsystem-Gebiet hat seine spezifischen Verletzungen. Es ist an sich selbstverständlich, daß diese Verletzungen in der Regel bei dem Arzt am besten aufgehoben sind, der alle Erkrankungen und Störungen seines Organgebietes beherrscht.

Das Unfallversicherungsneurege- lungsgesetz vom 1. Juli 1963 hat be- reits diese Tatsache fixiert und fest- gelegt, daß zur Unfallbehandlung al- le fachlich befähigten Ärzte — also nicht nur Chirurgen — zu beteiligen sind. Im Abkommen Ärzte/Berufsge- nossenschaften sind die Orthopä- den als zur Unfallbehandlung auf ih- rem Gebiet qualifiziert aufgeführt. In der Weiterbildungsordnung ist fi- xiert, daß der Orthopäde eingehen- de Kenntnisse in der Behandlung von Verletzungen der Stütz- und Be- wegungsorgane zu erwerben hat. Er

muß den Nachweis erbringen, daß er offene Knochenbrüche und Gelenk- verletzungen behandelt hat.

Auch die Bevölkerung weiß inzwi- schen, daß man bei Schädeltraumen zum Neurochirurgen, bei Körper- höhlenverletzungen zum Chirurgen, bei Gesichtstraumen zum Hals-Na- sen-Ohren-Arzt oder Kieferorthopä- den, bei Augenverletzungen zum Augenarzt und bei Radiusbrüchen zum Orthopäden geht.

Die Kassenärztliche Vereinigung be- zeichnet diese Ärzte als „Unfallärz- te". So sind 90 Prozent aller Ortho- päden als „Unfallärzte" tätig, sie sind auch als H-Ärzte oder D-Ärzte von den Berufsgenossenschaften bestellt oder zum Verletzungsarten- verfahren für ihr Fach zugelassen.

Das bedeutet, daß mit der Organspe- zialisierung in der Medizin sich auch die Unfallbehandlung spezialisiert hat.

Vor 25 Jahren haben in England Chirurgen und Orthopäden eine kla- re Trennung gezogen, wonach Frak- turen und Luxationen zum Aufga- bengebiet des Orthopäden gehö- ren. Die anderen EG-Staaten — mit Ausnahme der Bundesrepublik Deutschland — und auch sämtliche angelsächsischen Staaten sind die- sem Beispiel gefolgt. Selbst die neu- trale Schweiz, in der vor wenigen Jahren eine Neuordnung der opera- tiven Fächer erfolgte, hat auf eine

„Unfallchirurgie" verzichtet. Ledig- lich Österreich hat einen Facharzt für „Unfallchirurgie", und nur bei uns besteht die „Unfallchirurgie" als Teilgebiet der Chirurgie.

1958 haben in Deutschland Chir- urgen und Orthopäden im soge- nannten „Ettlinger Abkommen"

zwar ihre Eigenständigkeit gegen- seitig anerkannt, aber die Unfallbe- handlung zu einer „Grauzone" zwi- schen beiden Fächern erklärt. In die- ser Grauzone sollten im kollegialen Zusammenwirken Chirurgen und Orthopäden gemeinsam tätig sein.

Das war ein von beiden Seiten gut gemeintes Konzept, das durch freien Wettbewerb ohne zunftmäßige Ab- grenzung bestimmt war.

Zu den Beiträgen: „Unfallchirurgie — ein falsches Etikett?"

von Prof. Dr. Leo Koslowski

und: „Unfallchirurgie — ein modernes Konzept!"

von Prof. Dr. B. Friedrich in Heft 20/1980, Seiten 1338 ff.

2432 Heft 41 vom 9. Oktober 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Aufsätze • Notizen

Unfallchirurgie

Nun aber hat Friedrich ein neues

„modernes Konzept": Danach hat der „Unfallchirurg" allein die Kom- petenz für die Koordination der Be- handlung sämtlicher Verletzungen.

Infolgedessen müßten zahlreiche weitere unfallchirurgische Abteilun- gen — siehe auch Memorandum der Unfallchirurgen 1979 — an den Uni- versitätskliniken sowie auch an den Krankenhäusern der Schwerpunkt- und Regelversorgung geschaffen werden. Die geforderten 80 zusätzli- chen unfallchirurgischen Kliniken würden zwar mehr Geld kosten, aber eine erhebliche Qualitätssteigerung bringen. Dadurch würde die Primär- versorgung besser und der heute lei- der noch allzu aufwendige Mehrauf- wand von Folgebehandlungen und Dauerschäden vermieden. Das wür- de sich auch kostendämpfend aus- wirken.

Den Orthopäden spricht Friedrich die Kompetenz für die Unfallbehand- lung ab. Allgemeinchirurgen, Neuro- chirurgen, Kieferchirurgen oder auch Anästhesisten werden als kom- petent aufgeführt — „es wird wohl kaum einmal der Orthopäde sein können". Diese „moderne Konzep- tion" — so Friedrich — hätte aus der Orthopädie nicht kommen können, weil diese sich lediglich mit den Er- krankungen der Stütz- und Bewe- gungsorgane befaßt habe. Das wi- derspricht den klaren Bestimmun- gen der Weiterbildungsordnung, wonach sich die Orthopädie mit den Verletzungen ihres Gebietes befas- sen muß.

Die Sammlung aller Verletzungen in unfallchirurgischen Zentren bedeu- tet, daß sie aus den zuständigen Or- gangebieten herausgelöst werden, um sie unter dem Etikett „Unfallchir- urgie" zu zentralisieren. Das ist Friedrichs „modernes Konzept" und gleichzeitig eine Disqualifizierung der Orthopädie.

Die bisherige Erfahrung hat aber er- geben, daß alle Zentren auf den ver- schiedensten Gebieten, die bisher entstanden sind, sehr teuer waren und den Erwartungen nicht immer entsprachen. Zentren sind nur zu diskutieren, wenn sie sich mit selten

vorkommenden Erkrankungen be- fassen und es dem einzelnen Arzt kaum möglich ist, einen größeren Überblick für Erfahrung und wissen- schaftlichen Fortschritt zu gewin- nen. Aber Zentren für eine halbe Mil- lion Unfallverletzte jährlich bedeu- ten eine Kostenexplosion und sicher keine Kostendämpfung, wie Fried- rich meint.

Die Kosten für ein dichtes Netz von qualifizierten Organfachärzten, die an Ort und Stelle die Behandlung vornehmen und — wenn nötig — die Patienten weiterleiten, sind dagegen geringer. Darüber hinaus besteht das patientennahe Netz qualifizier- ter „Unfallärzte" bereits und braucht nicht erst mit hohen Kosten aufge- baut zu werden. Abgesehen davon ist die auch im Memorandum der Unfallchirurgen 1979 geforderte Zahl von zusätzlichen 80 Unfallklini- ken nicht zu begründen. Wenn in den bestehenden unfallchirurgi- schen Abteilungen so viel Platz ist, daß darin bis zu 50 Prozent orthopä- dische Erkrankungen behandelt werden, braucht man nicht mehrun- fallchirurgische Betten, sondern kann die Hälfte einsparen, es sei denn, man würde zur Verbesserung der organspezifischen Unfallbe- handlung selbständige orthopädi- sche Abteilungen mit orthopädi- schen Chefärzten an den Unfallklini- ken einrichten.

Der Grund, weshalb Friedrich gera- de den Orthopäden die Qualifikation zur Unfallbehandlung abspricht, während er sie anderen Organfach- ärzten beläßt, ist offensichtlich:

Nach den berufsgenossenschaftli- chen Statistiken sind etwa 80 Pro- zent aller Unfälle Frakturen und Luxationen, wovon etwa die Hälfte ausschließlich die Stütz- und Bewe- gungsorgane, also das Gebiet der Orthopädie, betreffen. Wer also alle Unfälle zentralisieren will, muß den Orthopäden die Befähigung zur Un- fallbehandlung absprechen, weil ihm sonst die große Zahl fehlt.

Resümee:

Koslowski ist zu danken, daß er auf Fehlentwicklungen innerhalb der

„Unfallchirurgie" hingewiesen hat.

Das angeblich „moderne Konzept"

von Friedrich, das monopolistische Züge sowie unkollegiale Abwertung einer anderen Arztgruppe enthält und bisher weltweit keine Nachah- mer gefunden hat, bestätigt, daß die Sorgen Koslowskis nur allzu be- gründet sind. Es ist dringend not- wendig, daß Chirurgen und Ortho- päden gemeinsam mit den für die Weiterbildungsordnung Verantwort- lichen Schritte unternehmen, um die Entwicklung einer „Pseudo-Ortho- pädie" neben der bestehenden Or- thopädie zu verhindern. Um klare, der organbezogenen Aufgabentei- lung entsprechende Verhältnisse zu schaffen, wird man auch über eine angemessene Strukturierung der Unfallkliniken unter entsprechender Beteiligung der Orthopäden reden müssen.

Die Aufgabenteilung unter Ärzten hat unter anderem den Sinn, den Patienten nicht unter dem Streit ri- valisierender Zuständigkeitsansprü- che einzelner Ärzte leiden zu lassen.

Voraussetzung dafür ist, daß sich al- le Ärzte an die in der Weiterbil- dungsordnung festgelegten Gren- zen halten und sich nicht gegensei- tig abqualifizieren.

Dr. med. Ernst Rausch Erster Vorsitzender des Berufsverbandes der Fachärzte für Orthopädie e. V.

Ehrenfeldgürtel 138 5000 Köln 30

Ettlinger Abkommen

Der Auffassung von Prof. Koslowski in der ungünstigen Beurteilung ei- ner ätiologischen Aufteilung eines so traditionsreichen organbezoge- nen Faches, wie es die Chirurgie darstellt, ist zuzustimmen. Mit Recht weist Koslowski auf die durch den allumfassenden Anspruch des rei- nen Unfallchirurgen entstehenden Nachteile für die Unfallversorgung hin. Seinen Darstellungen kann im Grunde nichts hinzugefügt werden.

Herr Friedrich selbst bestätigt, daß beim Polytraumatisierten andere Fä- cher (Neurochirurg, Urologe u. a.)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 41 vom 9. Oktober 1980 2433

Referenzen

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