THEMEN DER ZEIT
land. 70,7 Prozent erlebten Unter- schiede in der Berufsausübung. Inso- fern wurde die in der Regel einjährige Anpassungszeit als die Chance für den Berufseinstieg angesehen und neben der allgemeinen Orientierung intensiv zur Minimierung von fachli- chen Defiziten genutzt.
Die im Rahmen der Studie im Juni 1993 befragten ehemaligen Sti- pendiaten des Akademikerpro- gramms hatten gut ein halbes Jahr nach Abschluß der Anpassungszeit zu rund 70 Prozent eine Beschäfti- gung als Arzt gefunden. Mehr als die Hälfte war im Krankenhaus tätig, ein knappes Drittel in einer ärztlichen Praxis.
Die einschneidenden Verände- rungen des Arbeitsmarktes für Medi- ziner in jüngster Zeit werden natür- lich auch für die ausgesiedelten Ärz- tinnen und Ärzte spürbar.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärzteb11995; 92: A-1992-1994 [Heft 28/29]
Anschrift der Verfasserin:
Jutta Schnippering
Otto Benecke Stiftung e.V.
Akademikerprogramm Kennedyallee 105-107 53175 Bonn
Eingliederungsweg für ausgesiedel- te Ärzte:
1) Beantragung der Berufserlaubnis nach § 10 BÄO. Auflage des zustän- digen Landesministeriums, eine in der Regel einjährige Anpassungs- zeit abzuleisten, zugleich Erlaubnis zur Ausübung des ärztlichen Berufs unter Aufsicht.
2) Ableistung der Anpassungszeit, vorher Lebensunterhalt für die Zeit sicherstellen.
3) Nach Erhalt eines Zeugnisses vom Chefarzt über Gleichwertig- keit der Ausbildung Approbations- antrag stellen.
4) Antrag bei zuständiger Lan- desärztekammer zur Bewertung der bisherigen fachärztlichen Tätig- keit im Herkunftsland nach hiesigen Bestimmungen stellen.
5) Entsprechend dem Bescheid der Kammer Assistenzarztstelle zur
Weiterbildung suchen. ❑
AUFSÄTZE/BLICK INS AUSLAND
Die <ostenkrise im Gesunc
V
ertreter der älteren Ärztegenera- tion, wie der Altherausgeber des einflußreichen New England Journal of Medicine, Jerome Kassirer, beklagen die starke Kommerzialisie- rung der amerikanischen Medizin. Die diagnostisch-therapeutische Aggressi- vität amerikanischer Ärzte führen sie auf den Ersatz von ärztlichen durch eher ökonomische Handlungsmotive zurück. Ein von dem Kardiologen Bernard Lown vielbenütztes Beispiel ist etwa die hohe Bypass-Rate der USA, die — wie der Vergleich mit ope- rativ konservativeren Ländern zeigt — vielen Patienten keine meßbaren Vor- teile bringt. Die moralischen Appelle dieser Gruppe konservativer Ärzte haben allerdings per se wenig Wirkung gezeigt.Die staatlichen und privaten Krankenversicherungen haben auf die Geschäftstüchtigkeit der amerikani- schen Ärzte dagegen insofern effekti- ver reagiert, als sie die Indikationen für teure Diagnoseverfahren und The- rapien immer restriktiver definieren und zugleich die dafür gewährten Ver- gütungen verringern. In einem die ärztliche Einzelleistung prämierenden System sind Kontrollversuche dieser Art offenbar der einzige Weg, den An- reiz des „mehr bringt mehr" zu min- dern, ohne gleich ein System der fe- sten Grundentschädigung für Ärzte einzuführen, vor dem man in den USA traditionell zurückschreckt.
Die Privilegierung der teuren Spezialistenmedizin in den USA wird vor allem von Allgemeinärzten mo- niert. Sie verweisen darauf, daß etwa
in Großbritannien 70 Prozent der Ärz- te als General Practitioner arbeiten, während von 615 000 amerikanischen Ärzten kaum 35 Prozent Allge- meinärzte sind. Die forschungspoliti- sche, akademische und finanzielle Be- vorzugung internistischer und chirur- gischer Fachärzte führt dabei zum Nachwuchsverlust für Allgemein- und Hausärzte, wobei die Macht der Kon- siliarien durch eine funktionsdiagno- stisch verkürzte Ausbildung der „Ge- neralisten" oft noch künstlich geför- dert wird. Auf berufspolitischer Ebe- ne strebt daher etwa das American College of Physicians im Einverständ- nis mit der Regierung eine Aufwer- tung der Ambulanz-, Allgemein- und Präventivmedizin an. Dabei soll ein ausgeklügeltes System von Anreizen (zum Beispiel niedrig verzinste Studi- endarlehen für . zukünftige Allge- meinärzte) und Verboten (beispiels- weise schrittweise Reduzierung der fachärztlichen Ausbildungsstellen) dafür sorgen, daß im Jahr 2000 in den USA 50 Prozent aller medizinischen Hochschulabgänger in die Primärver- sorgung gehen. Dieser Prozeß ist mitt- lerweile im vollen Gang und hat den Ausbildungsmarkt bereits dahinge- hend verändert, daß sich viele junge Ärzte von der Spezialistenmedizin ab- wenden.
Die ständig zunehmenden, oft aus nichtigem Anlaß unternommenen Kunstfehlerklagen haben das ärztliche Handeln immer weiter juristischen Rücksichtnahmen unterworfen. Das Ergebnis ist jene widersinnige Defen- sivmedizin, die man für die medizini-
heitswesen
Die USA das Land der teuersten Medizin
Das Problem der Kostenkrise im Gesundheitswesen wird nirgends so deutlich wie im Land der teuersten Medizin der Welt, den Vereinigten Staaten. Die fol- gende Darstellung basiert auf den während eines langjährigen USA-Aufent- haltes gemachten Beobachtungen des Autors. Sie versucht, die rapide Ver- teuerung der amerikanischen Medizin und die dadurch ausgelösten Sparmaß- nahmen an ausgewählten Beispielen darzustellen.
A-1994 (32) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 28/29, 17. Juli 1995
Die Kosten des Gesundheitswesens
Ausgaben in % der Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt)
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THEMEN DER ZEIT
sche Kostenexplosion wie für die sin- kende Attraktivität des Arztberufes mitverantwortlich gemacht hat. Die Kosten dieser defensive medicine werden auf Dutzende Milliarden Dollar im Jahr geschätzt. Daß sich die- ses Dilemma zumindest partiell behe- ben läßt, zeigt das Beispiel jener Bun- desstaaten, die für die in Kunstfehler- prozessen gewährten Entschädigun- gen eine finanzielle Obergrenze fest- gelegt haben: die medizinjuristischen Ausgaben in diesen Staaten wurden massiv reduziert. Die einflußreiche Lobby der Anwälte hat eine Auswei- tung und landesweite Anwendung sol- cher Maßnahmen bisher allerdings er- folgreich verhindert.
Ein scheinbar abseitiges, für die speziellen sozialen Bedingungen der amerikanischen Medizin jedoch zen- trales Phänomen ist zudem die unglei- che Einkommensverteilung in den USA. Die Lebenserwartung und Ge- sundheit der Einwohner von Ländern mit einem Jahreseinkommen von mehr als 8 000 Dollar wird nämlich vor allem dadurch bestimmt, wie homo- gen sich das Volkseinkom-
men auf alle Bevölke- rungsschichten verteilt.
Dies wird vor allem am Beispiel Japans deutlich, das die gleichmäßigste Einkommensverteilung und zugleich mit die höch- ste Lebenserwartung aller entwickelten Länder be- sitzt. In den USA sorgen die medizinisch überver- sorgte Ober- und die unzu- reichend versorgte Unter- schicht für eine Kostenex- plosion im Gesundheits- wesen. Dieser Zustand legt dabei nach Ansicht man- cher Beobachter weniger eine Gesundheitsreform
als vielmehr eine Reform der Sozial- politik nahe.
Ein für die USA weniger spezifi- sches, aber nicht minder relevantes Problem liegt in der Tatsache, daß die relativ klaren Erfolge der neuzeitli- chen Medizin bei klassischen Infektio- nen, Verletzungen und anderen Spon- tanerkrankungen heute weitgehend dem zähen und kostspieligen Ringen mit chronischen Krankheiten wie Dia- betes, Hochdruck, Krebs, AIDS und
BLICK INS AUSLAND
Koronarsklerose gewichen sind. Hier haben die Amerikaner zwar auf dem Gebiet der Cholesterinsenkung und der Bekämpfung des Zigarettenkon- sums Eindrucksvolles geleistet und die Herz- und Hirninfarktrate um mindestens ein Viertel senken kön- nen. Angesichts des zunehmenden Anteils unheilbarer, an Dauertherapi- en gebundener Krankheiten hat je- doch auch dies keine wesentliche Er- leichterung gebracht — zumal die mei- sten US-Bürger auch heute noch ei- nen ungesunden, bewegungsarmen, hektischen und hyperkalorischen Le- bensstil pflegen.
Da jeder amerikanische Versiche- rungsträger eine eigene Entschädi- gungspolitik betreibt, sind in den USA viele Ärzte und fast alle Krankenhäu- ser gezwungen, für den komplexen Schriftverkehr mit den Versicherun- gen Vollzeitmitarbeiter abzustellen.
Die vermeidbaren bürokratischen Ausgaben, die durch dieses System verursacht werden, schätzt der Medi- zinsoziologe John Woolhandler auf Dutzende Milliarden Dollar pro Jahr.
Die verstaatlichten Systeme Kanadas und Großbritanniens haben allerdings bekanntlich die Abschaffung dieses Problems mit Wartefristen etwa für Bypassoperationen sowie dem Aus- weichen auf einen in- und ausländi- schen privaten Sektor bezahlt. Wool- handler muß sich außerdem immer wieder vorrechnen lassen, daß die so- zialen und demographischen Bedin- gungen der USA in keiner Weise mit jenen vergleichbar sind, die in Kanada
oder Deutschland herrschen. Und zu allem Überfluß haben die Amerika- ner mit dem für ehemalige Mitglieder der Streitkräfte eingerichteten Kran- kenhaussystem der Veterans Admini- stration ein ebenso trauriges wie ab- schreckendes Beispiel für die Ineffizi- enz einer staatlich verwalteten Ge- sundheitsinstitution vor Augen.
In den USA sind allerdings ge- genwärtig weder das auf Kosten der Unterprivilegierten gehende markt- wirtschaftliche Konzept Milton Fried- mans noch das die Mittel- und Ober- schicht benachteiligende planwirt- schaftliche Modell Woolhandlers po- litisch akzeptabel. Daher wird man sich in Zukunft eher an Initiativen wie dem Oregon-Health-Plan orientieren, der auf einer von sämtlichen Betroffe- nen ausgehandelten Prioritätenliste medizinischer Leistungen basiert. Da- bei sollen je nach Finanzlage der (in diesem Fall gesetzlichen) Kranken- versicherung nur jene Behandlungen finanziert werden, die man für ethisch erforderlich und kosteneffektiv hält.
Solche Überlegungen führen letztlich zu rechtlichen Fragen, die in den USA insofern be- sonders brisant sind, als die amerikanische Verfas- sung ihren Bürgern den
„pursuit of happiness" ver- spricht.
Die Antwort auf das Pro- blem der medizinischen Kostendämpfung liegt da- her nicht in einer utopisch- egalitären Planwirtschaft oder einem rein markt- wirtschaftlichen laisser faire, sondern bei jenem temporären Ausgleich zwi- schen ethischen und realpo- litischen Ansprüchen, den man heute unter Präsident Clinton in den USA sucht.
Daß dieser Ausgleich verbesserungs- bedürftig, widersprüchlich und unbe- friedigend bleibt, ändert nichts daran, daß es zu ihm unter den gegenwärti- gen wirtschaftlichen Bedingungen keine Alternative gibt.
Anschrift des Verfassers:
Sebastian Fetscher, MD 2707 Franklin Avenue East # 1 Seattle, WA, 98102
USA
Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 28/29, 17. Juli 1995 (35) A-1995