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Betäubungsmittel
Verordnungen erleichtert
D
ie 4. Betäubungsmittel- rechts-Änderungsverord- nung ist am 1. Februar 1993 in Kraft getreten. Sie erlei- chert den Ärzten die Verordnung von Betäubungsmitteln. Wichtige Bestandteile dieser 4. Novelle sind die Anhebung der Höchstver- schreibungsmengen und die Ver- längerung der Zeiträume, für die ein Betäubungsmittel verordnet werden kann. Erläuterungen zu diesem Thema können Sie einem Artikel von Professor Otfried Strubelt, Lübeck, in diesem Heft entnehmen.Die Liberalisierung der Be- täubungsmittelverschreibungsver- ordnung kommt langjährigen For- derungen der deutschen Ärzte- schaft entgegen. Die Ärzte sind aufgerufen, alle Möglichkeiten des jetzt vorliegenden Betäu-
bungsmittelgesetzes im Bedarfs- fall zu nutzen, um ihren Schmerz- patienten durch eine adäquate Therapie mit Opiaten/Opioiden eine Linderung ihrer qualvollen Leiden zu ermöglichen.
Eine Sucht zu provozieren, ist unter einer adäquaten Intervall- Therapie nahezu unmöglich. Der- artige Befürchtungen sind unbe- rechtigt und dürfen nicht dazu führen, eine Verordnung von Be- täubungsmitteln zu verweigern.
Die neue BtMVV sieht eine deut- liche Lockerung strafrechtlicher Bestimmungen für den Arzt vor.
Nur beim Nachweis von Leichtfer- tigkeit im Umgang mit Betäu- bungsmitteln ist mit strafrechtli- chen Konsequenzen zu rechnen.
Die für den Praxisbedarf verord- neten Betäubungsmittel müssen auf besonderen amtlichen Kartei-
Haß und Gewalt
karten nachgewiesen werden. Be- täubungsmittelrezepte müssen bei der Bundesopiumstelle (Bundes- gesundheitsamt) bezogen werden.
Bei Erstanforderung ist die Be- rufsberechtigung durch eine be- glaubigte Fotokopie der Approba- tionsurkunde zu belegen. In der Arztpraxis sollten daher Betäu- bungsmittelrezepte vorhanden sein, um im Bedarfsfall eine Ver- ordnung zu ermöglichen. Fast alle Tumorpatienten können mit Opi- aten/Opioiden von ihren Schmer- zen befreit werden. Vor diesem arzneimittelrechtlichen und arz- neimitteltherapeutischen Hinter- grund sollte sich die bisher zu re- striktive Betäubungsmittel-Ver- schreibungspraxis der Ärzte zum Wohle der Patienten ändern.
Dr. Karsten Vilmar, Präsi- dent der Bundesärztekammer
Die Schreier sind mitten unter uns
E
ine junge Ärztin („deut- sehe Bürgerin mit dunkler Hautfarbe") berichtet in einem Leserbrief davon, wie sie in einer voll besetzten Straßenbahn auf abstoßende, vulgäre und ag- gressive Art belästigt wurde. Sie schreibt dem Ärzteblatt deshalb, weil sie glaubt, auch unter Ärzten sei Ausländerfeindlichkeit und Hang zum Neonazismus zu fin- den, wenn auch besser kaschiert als bei den Schreiern, die seit Wo- chen in aller Öffentlichkeit von sich reden machen.Die junge Frau hat leider recht. Nicht einmal kaschiert pö- beln Ärzte einen Kollegen an, der sich vor einigen Wochen mit ei- nem Leserbrief maßvoll zu Aus-
länderfragen geäußert hat. Jener Arzt, von Hause aus Iraker, der seit 30 Jahren in Deutschland lebt, wird von ärztlichen Kollegen auf üble, kaum glaubliche Weise beschimpft.
Er teilt uns das mit und schlußfolgert: „ Von der verbalen bis zur physischen Vernichtung ist es ein kleiner Schritt, und die Er- eignisse in Mölln und Solingen verdeutlichen, wie tödlich der Rassenhaß und die nationalisti- sche Verblendung enden können.
Ich komme nicht umhin, solche Briefe als verbale Brandanschläge zu bezeichnen."
Die Schreier mögen nicht im- mer auch die Schläger sein. Aber sie bilden die Kulisse, sie ermuti-
gen und stiften an. Die Auseinan- dersetzung mit jenen, die Haß und Gewalt verbreiten, muß jeder an seinem Platz führen; wir dürfen sie nicht länger auf irgend jemand
„Zuständigen" verschieben oder schlichtweg auf den Zeitablauf vertrauen. Die Schreier und Schläger sind auch unter uns, sie sind vielleicht nebenan und — lei- der — auch unter Kollegen zu fin- den. Sie trauen sich heute vieles, was sie lange nicht gewagt haben.
Sie trauen sich, weil die Gutwilli- gen, die Braven zu lange den Mund gehalten und weggesehen haben. Wenn die Schreier unter uns sind, dann ist jeder einzelne unter uns aufgerufen, ihnen ent- gegenzutreten. Norbert Jachertz Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 24, 18. Juni 1993 (1) Ai-1765