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Archiv "Die Unterbringung Alter und Sterbender: Der Wunsch und Wille des Patienten" (14.11.2008)

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A2462 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 46⏐⏐14. November 2008

T H E M E N D E R Z E I T

U

nter dem neuen alten Primat der Wirtschaftlichkeit wird von den niedergelassenen Ärzten, den professionellen ambulanten Pflegediensten und den Angehöri- gen des Patienten im ambulanten Versorgungsbereich mehr und mehr verlangt. Man passt sich an durch organisierte parenterale Ernäh- rungsdienste, ein gut ausgeklügeltes medizinisches Angebot an Hilfsmit- teln und besonders durch engagiertes, professionelles Personal im ambu- lanten Bereich, um die frühzeitige Verlegung aus dem Krankenhaus möglich zu machen. Wie wün- schenswert jedoch ist dieser Trend tatsächlich?

Die meisten Menschen wünschen sich einen möglichst kurzen Kran- kenhausaufenthalt, denn das Zuhau- se wird normalerweise als besserer Aufenthaltsort angesehen. Im Ge- gensatz dazu wird das Krankenhaus allzu häufig als Stätte der „Unsi- cherheit“ angesehen. Vom Patienten und seinen Angehörigen erwartet man eine Unterordnung in die Ab- läufe des Krankenhausapparats.

Aber sind diese Kontraste nicht zu scharf und insofern zu hinterfragen?

Es gibt Krankenhäuser mit durchaus

„häuslichem“ Charakter, so zum Beispiel die wohnlich eingerichte- ten Palliativstationen oder neuere Krankenhäuser, die eher einem Ho- tel als einer Krankenbehandlungs- stätte alten Stils gleichkommen. Seit Jahrhunderten verknüpfen Men- schen klischeehaft das eigene Zuhau- se als den sichersten Rückzugsort für einen jeden. Dort hat man es be- quem, ist Einflüssen von außen prin- zipiell nicht ausgesetzt und muss sich

nicht an soziale Normen halten.

Tatsächlich fühlen sich die meisten Menschen zu Hause am wohlsten.

Krankenhäuser mit ihren Spezi- alabteilungen sind de facto meistens die exemplifizierte Antithese eines persönlich gestalteten und gemüt- lich eingerichteten eigenen Zuhau- ses. Man ist umgeben von Bettnach- barn, die ungefragt Geschichten er- zählen, Krankenschwestern, die die Morgenruhe stören und Pflegern, die die Körperhygiene in nicht ge-

wohnter Weise durchführen. Trotz- dem können Krankenhäuser heime- liger sein als manches Zuhause.

Der größte Kontrast zwischen dem eigenen Zuhause und „Anstalten“

bezieht sich auf die persönliche Freiheit und die Privatsphäre. Es ist herausfordernd zu unterstellen, dass das eigene Zuhause immer größere Freiheiten ermöglicht, als dies in Institutionen der Fall ist. Das ist nämlich nicht immer so. Patienten können in einem Krankenhaus mit- unter viel mehr Privatsphäre ge- nießen als zu Hause. Bei allen routi- nierten Abläufen in Krankenhäusern oder Heimen werden höchst persön- liche Angelegenheiten sehr schnell depersonalisiert, und die Patienten gewöhnen sich daran. Sie passen sich gleichermaßen daran an, ihren Körper und ihre Lebensgewohn- heiten professionellen Kräften anzu- vertrauen. Es mag zwar schwieriger sein, Intimitäten mit zunächst frem- den, professionellen Mitarbeitern auszutauschen als mit Familienmit- gliedern, insbesondere in Räumlich- keiten, die alles andere als privaten Charakter haben. Auf der anderen Seite ist die Privatsphäre gleichsam häufiger assoziiert mit Einsamkeit als mit Anonymität oder allgemein akzeptierten Unbedeutsamkeiten in öffentlichen Räumen. In Kranken- häusern dürfen die Patienten ihre Symptome zum Ausdruck bringen und Beschwerden äußern, sofern bestimmte soziale Konventionen eingehalten werden. So mag es sein, dass Patienten häufig weniger „ge- fesselt“ sind als zu Hause.

Zu Besuchszeiten beispielswei- se stehen Patienten oftmals unter großem sozialen und moralischen Druck, ihre Beschwerden, Ängste und Sorgen zu verheimlichen oder zu reduzieren. Nach Ablauf der Be- suchszeit können die Patienten wie- der sie selbst sein und dürfen

„krank“ sein. Zu Hause jedoch sind die Besuchszeiten permanent und uneingeschränkt. Kranke Menschen müssen sich wegen der beunruhig- ten Kinder, Ehepartner oder Freunde zusammenreißen, sie mögen sich unter Druck gesetzt fühlen, ihr Ver- haltensmuster, das den Familienmit- gliedern bekannt ist, aufrechtzuer- halten. Von den Zu-Hause-Wohnern DIE UNTERBRINGUNG ALTER UND STERBENDER

Der Wunsch und Wille

des Patienten

Die meisten Menschen möchten ihr Lebensende in der eigenen, gewohnten Umgebung verbringen.

Das Primat der häuslichen Versorgung wird jedoch häufig ungeachtet der tatsächlichen Rahmen- bedingungen umgesetzt.

Andreas S. Lübbe

Foto:mauritius images

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 46⏐⏐14. November 2008 A2463

T H E M E N D E R Z E I T

wird erwartet, schließlich ein paar Verantwortungen zu übernehmen und sich der Familienroutine anzu- passen, von der man im Kranken- haus oder in der Heimunterbringung vollkommen befreit wird. Es ist schwieriger, zu Hause einfach nur Patient zu sein. Man ist weiterhin permanent auch noch Ehepartner, Mutter, Vater, Sohn oder Tochter.

Es mag aber auch so sein, dass Patienten, die dazu in der Lage sind, gar nicht die Gelegenheit bekom- men, zu Hause ihre Verantwortun- gen zu übernehmen oder sich Rou- tinen anzupassen, weil fälschlich angenommen wird, der Kranke sei dazu nicht in der Lage. Endlich hat man die Möglichkeit gefunden, den vielleicht ansonsten dominanten Fa- milienvater in die Rolle des passiv Duldsamen zu bringen. Nicht selten werden kranke Familienmitglieder im Erwachsenenalter wie Kinder behandelt, die abhängig sind und sich gefälligst auch kindlich zu ver- halten haben, und tatsächlich findet man häufig Patienten, die die Rolle des Kindes und der komplett Ab- hängigen allzu gerne annehmen. Im Übrigen gibt es vermutlich eine größere Tendenz, zu Hause zu re- gredieren als im Krankenhaus, al- lein schon deshalb, weil andere Pati- enten einen davon abhalten und der soziale Druck relativ Fremder zu groß dafür ist. Auf der anderen Seite kann der engere Kontakt der Pflege- kräfte zu Hause den professionellen Kräften mehr Handlungsspielraum und Entscheidungsfreiheit ermögli- chen, was im Interesse des Patienten liegt. Gern wird der Gedanke ausge- klammert, dass die Krankheit und ihre Beeinträchtigungen das Famili- enleben und insofern die Gewohn- heiten zu Hause vollständig durch- einanderwerfen. Familienrollen wer- den umgedreht, denn die Krankheit kann zu unterschiedlichsten Verhal- tensweisen der Familienmitglieder führen (Auftreten schwelender Kon- flikte, zunehmende Distanz, Enttäu- schung). Insofern erlauben Kran- kenhäuser häufig größere Autono- mie und sind in der Lage, familiäre Beziehungen besser zu erhalten als das zu Hause der Fall ist.

Die zu steilen Treppen, die zu ho- hen Regale oder der nicht rollstuhl-

gerechte Teppichboden stellen bei der häuslichen Pflege oft plötzlich Barrieren dar. Was früher einmal gut funktioniert und Gemütlichkeit ver- breitet hat, mag sich jetzt als ein- schränkend oder ungeeignet erwei- sen: zum Beispiel die Badewanne oder der Sessel. Sicherlich kann man die häusliche Umgebung an- passen, doch ist nicht immer allen Bedürfnissen gerecht zu werden.

Wenn ein Familienmitglied zu Hau- se stirbt, bleibt dort nicht selten eine Aura der verstorbenen Stätte, und es

verbietet sich mitunter für die Ver- bliebenen, alles, was zur Person und ihrem Lebensumfeld unmittelbar gehörte, zu beseitigen. Und selbst, wenn dies geschieht, sind die Ge- danken an die Umstände des Sterbe- prozesses unauslöschlich. Patienten sollten auch wissen, dass das Ster- ben zu Hause häufig Druck auf die Familienmitglieder ausübt. In einer nicht häuslichen Umgebung sind derartige Pressionen seltener und vor allen Dingen durch professio- nelles Management, durch sorgfälti- ge Analyse der Umstände besser zu steuern, nicht zuletzt, wenn der Pati- ent keinen Lebensmut mehr hat und direkt oder indirekt zu erkennen gibt, dass seinem Leben ein Ende gesetzt werden sollte.

Die Verbesserung der häuslichen Unterbringung ist und bleibt ein primäres Anliegen der Hospizbewe- gung, auch um Patienten mit fortge- schrittener und weiter fortschreiten- der Krankheit ein Sterben zu Hause zu ermöglichen. Die Art und Weise, wie jemand stirbt und im Sterbepro- zess Bedürfnisse äußert, sind außer- ordentlich heterogen und insofern allein nicht geeignet, flächen- deckend in Hospizen ermöglicht zu werden. Gerade wenn der Tod un- mittelbar bevorsteht, möchten die meisten Patienten daheim sein, um von ihrer Familie umsorgt zu wer- den. Selbst wenn es den Mitarbei- tern in einer Heimunterbringung ge- lingt, Familien Tag und Nacht Zu- gang zu ermöglichen, so bleiben sie

dennoch Besucher, die die Erlaubnis von den Mitarbeitern einholen und von denen sie gegebenenfalls auch noch beobachtet werden. Darüber hinaus verschaffen die meisten In- stitutionen wenig Möglichkeiten zu trauern, zu fluchen und zu lieben, und für jene, denen die Familie das Lebenszentrum war, mag kein ande- rer Platz als das eigene Zuhause in- frage kommen, um am Lebensende dort zu sein, wo man sein möchte.

Dennoch: Letztendlich sollte der betroffene Patient selbst die Ent-

scheidung fällen, wo er unterge- bracht sein möchte, ob zu Hause oder in einer Institution oder in einer Mischform, also beispielsweise in ambulanten, stadtviertelbezogenen Wohnpflegegruppen. Es ist Aufgabe der Ärzte und „Sozialprofis“ (hel- fende Berufe im Allgemeinen) not- falls auch gegen ihre eigenen Inter- essen den Wunsch des Patienten zu berücksichtigen. Für jene, für die andere Türen verschlossen bleiben, sind Krankenhäuser, Hospize oder Heime jedoch die einzige Möglich- keit, um zu sterben.

❚Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2008; 105(46): A 2462–3

LITERATUR

1. Dörner K: Leben und sterben, wo ich hin- gehöre. Paranus-Verlag: 4. Auflage 2007.

2. Dörner K: Tödliches Mitleid. Zur sozialen Frage der Unerträglichkeit des Lebens.

Paranus-Verlag: 4. Auflage 2002.

3. Ruddick W: Transforming Homes and Hospi- tals. Special Supplement. Hastings Center Report 24: no. 5 1994; 11–4.

4. Mayer S: Wohin mit den Eltern? Die Zeit Nr. 41: 2006; 63–5.

5. Obermüller K: Daheim oder im Heim?

Die Zeit Nr. 41: 2006; 66.

6. Kirbach R: Ab in die WG. Die Zeit Nr. 5:

2008; 13–7.

Anschrift des Verfassers Prof. Dr. med. Andreas S. Lübbe Ph.D.

Medizinisches Zentrum für Gesundheit Bad Lippspringe GmbH

MZG-Westfalen Lindenstraße 26 33175 Bad Lippspringe

E-Mail: a.s.luebbe@medizinisches-zentrum.de

Letztendlich sollte der betroffene Patient selbst die

Entscheidung fällen, wo er untergebracht sein möchte.

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